Rechtstaatlichkeit wiederherstellen (Mo. 23.4531)

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Mit einer im Dezember 2023 eingereichten Motion verlangte Beat Rieder (mitte, VS) vom Bundesrat, das Rechtsberatungsverbot aus dem übernommenen Sanktionspaket der Europäischen Union gegen Russland zu streichen. Somit sollen sanktionierte Personen und Unternehmen nicht mehr von der Rechtsberatung im Schweizerischen Rechtssystem ausgeschlossen werden. Dies stelle einen Grundrechtseingriff dar und ob die bestehenden gesetzlichen Grundlagen dafür ausreichen, sei fraglich, so der Motionär in seiner Vorstossbegründung.

Wie unter anderem die NZZ und der Tagesanzeiger berichteten, wurde der Vorstoss vom SAV unterstützt und der Behandlung im Rat ging ein öffentlicher Schlagabtausch zwischen Rieder und Bundesrat Guy Parmelin voraus, wobei Rieder dem Bundesrat nach dessen Vorstossbeantwortung eine Verletzung des Strafrechts als «Pfeiler der Verfassung» vorwarf.

Nachdem die Motion auf Ordnungsantrag von Carlo Sommaruga (sp, GE) an die RK-SR stillschweigend zur Vorprüfung zugewiesen worden war, befasste sich der Ständerat in der Herbstsession 2024 mit dem Vorstoss. Eine Mehrheit von acht Mitgliedern der Rechtskommission sah mit dem integrierten Rechtsberatungsverbot, welches mit dem achten EU-Sanktionspaket übernommen wurde, grundsätzlich ein rechtsstaatliches Problem, auch wenn es nur in wenigen Fällen angewendet würde. Die Rechtsberatung müsse «selbst der schlimmste Kriminelle geniessen» können und sei daher nicht aus diplomatischen oder politischen Überlegungen auszusetzen, so Kommissionssprecher Daniel Jositsch (sp, ZH). Eine Kommissionsminderheit um Carlo Sommaruga (sp, GE) wollte bei der gängigen Regelung bleiben. Das bestehende Verbot gelte nur für spezifische Fälle, in denen eine Beratung eindeutig darauf abzielt, der russischen Regierung oder Unternehmen mit Sitz in Russland bei der Umgehung von Sanktionen zu helfen. Sollte der EuGH bei seiner Urteilsverkündung nach der Klage verschiedener europäischer Anwaltskammern gegen die entsprechende Sanktionsverordnung Anfang Oktober zu einem anderen Schluss kommen, werde die Schweiz dies entsprechend unmittelbar anpassen, erklärte Sommaruga im Plenum. Ähnlicher Meinung war Bundesrat Guy Parmelin, der die gesetzliche Basis der Sanktionen (BRG 00.095) hervorhob, das Augenmass der Regierung bei der Einschränkung von Grundrechten betonte, und vor einem schlechten Signal gegenüber den europäischen Partnerländern warnte.
Eine Mehrheit der kleinen Kammer folgte jedoch den prinzipiellen Bedenken von Rieder und nahm die Motion mit 34 zu 10 Stimmen an, wobei die Gegenstimmen allesamt von Vertreterinnen und Vertreter der SP, Grünen und der GLP stammten. Das Geschäft geht nun zur Beratung in den Nationalrat.

Im Dezember 2024 behandelte der Nationalrat als Zweitrat eine Motion von Beat Rieder (mitte, VS) zur Aufhebung des Rechtsberatungsverbots für sanktionierte Personen und Unternehmen im Rahmen des übernommenen Sanktionspakets der Europäischen Union. Nachdem der Ständerat der Motion im September 2024 zugestimmt hatte, beantragte die zuständige RK-NR deren Annahme mit geändertem Wortlaut. Wie Kommissionssprecher Philipp Bregy (mitte, VS) ausführte, nahm die nationalrätliche Rechtskommission Kenntnis vom im Oktober 2024 gefällten Urteil des EuGH zur Grundrechtsmässigkeit der Sanktionen und verlangte eine Modifizierung des generellen Rechtsberatungsverbots durch den Bundesrat, um die (Kern-)Anwaltstätigkeiten aus den übernommenen Sanktionen zu streichen. Konkret gehe es dabei um vor- oder extraprozessuale Beratungsdienstleistungen, welche im Gegensatz zu treuhänderischen Tätigkeiten oder der Vermögensberatung grundrechtlich schützenswert seien. Eine Minderheit um Tamara Funiciello (sp, BE) beantragte analog zum Bundesrat die Ablehnung der Motion. Aus ihrer Sicht beträfen die Sanktionen ausdrücklich juristische Personen mit Sitz in Russland und die russische Regierung. Zudem habe der EuGH die Rechtmässigkeit der Sanktionen eindeutig bestätigt. Eine Annahme der Motion würde ein falsches Signal an die internationale Gemeinschaft senden und den Einsatz der Schweiz für die Einhaltung des Völkerrechts infrage stellen, so Funiciello im Plenum. Die negative aussenpolitische Wirkung betonte auch Wirtschaftsminister Guy Parmelin im Rat, stellte aber ebenso klar, dass die Regierung die abgeänderte Version der RK-NR dem ursprünglichen Wortlaut klar vorziehen würde. Die Volkskammer folgte anschliessend dem Antrag der Rechtskommission und bestätigte die Annahme der Motion im geänderten Wortlaut mit 110 zu 71 Stimmen bei 12 Enthaltungen, wobei die geschlossen stimmende Fraktion der SVP gemeinsam mit einer Mehrheit von FDP, GLP und Mitte eine Mitte-Minderheit und die links-grünen Ratsmitglieder überstimmten. Die Enthaltungen stammten hauptsächlich aus der FDP-Fraktion sowie von je einem Mitglied der Mitte- und GLP-Fraktion. Die Motion geht nun in geändertem Wortlaut erneut zur Beratung in den Ständerat.