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Jahresrückblick 2024: Rechtsordnung

Das Jahr 2024 war im Bereich «Rechtsordnung» von verschiedenen straf- und zivilrechtlichen Fragen geprägt, was sich unter anderem in der gestiegenen Medienberichterstattung im Vergleich zum Vorjahr widerspiegelte (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse). Im Strafrecht parlamentarisch und medial intensiv diskutiert wurden massgebliche Änderungen im Strafgesetzbuch und im Jugendstrafrecht, die sich als Massnahmenpaket Sanktionenvollzug präsentierten. Insbesondere die Dauer und Art der Verwahrung von jugendlichen Straftäterinnen und Straftätern sowie die Aufhebung des begleiteten Hafturlaubs für erwachsene Häftlinge waren Gegenstand harter Debatten im Parlament. Schliesslich hiessen die Räte nur die Änderungen des Jugendstrafrechts gut und lehnten die Strafgesetzbuchrevision in der Schlussabstimmung ab. Ebenfalls für viel Gesprächsstoff sorgte die Einführung eines neuen Straftatbestands für Stalking, der auf eine Kommissionsinitiative aus dem Jahr 2019 zurückgeht und zu dem sich National- und Ständerat im Berichtsjahr in einer ersten Runde äusserten. Gleich fünf gleichlautende und 2024 überwiesene Postulate aus verschiedenen politischen Lagern forderten zudem ein erstes Monitoring der 2023 abgeschlossenen und in Kraft getretenen Revision des Sexualstrafrechts.

Im Zivilrecht fand das Bundesratsgeschäft für Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten seinen Abschluss. Mit der entsprechenden Anpassung des ZGB sollen im Ausland minderjährig verheiratete Personen in der Schweiz neu bis zu ihrem 25. Geburtstag (vorher bis zum 18. Geburtstag) ihre Ehe gerichtlich für ungültig erklären können. Auch die Zivilrechte juristischer Personen standen 2024 auf der politischen Agenda. Durch erneuten Nichteintretensentscheid verwarf der Ständerat die als Teil der zweiten Etappe der Erbrechtsrevision angedachte Vorlage zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge endgültig. Darüber hinaus nahm das Parlament die Beratung zum neuen Bundesgesetz über die Transparenz juristischer Personen sowie die Beratung einer Änderung des Zivilgesetzbuches zur Wiedereinführung von Doppelnamen in Angriff. Überdies behandelte das Parlament erstmals den bundesrätlichen Entwurf zum erleichterten Einsatz elektronischer Kommunikation von grenzüberschreitenden Zivilprozessen. Ursprünglich durch eine Motion der ständerätlichen Rechtskommission angestossen, sollen künftig Befragungen einer Person in der Schweiz im Rahmen eines ausländischen Zivilverfahrens auch ohne vorherige behördliche Genehmigung zulässig sein.

Drei Jahre nach dem Volks-Nein zur E-ID schloss das Parlament im Jahr 2024 die Beratung über das neue Bundesgesetz über den elektronischen Identitätsnachweis und andere elektronische Nachweise ab. Im Unterschied zur ersten Vorlage soll die angedachte E-ID künftig nun vollständig vom Staat herausgegeben und verwaltet werden. Mitten in der parlamentarischen Detailberatung befand sich ferner das Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation der Justiz. Weniger schnell voran ging es hingegen in einem weiteren Bereich der digitalen Verwaltung: Das neue Bundesgesetz für einen nationalen Adressdienst kam noch nicht zur Detailberatung, da sich der Nationalrat für eine Rückweisung des Entwurfs aussprach, was der Ständerat jedoch ablehnte.

Zusätzlich zu straf- und zivilrechtlichen Fragen beschäftigten 2024 weiterhin vor allem die anhaltenden Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten die nationale Sicherheitspolitik. Dies zeigte sich unter anderem bei der Debatte um die Wiedereinführung der Rechtsberatung für durch die EU sanktionierte russische Unternehmen oder in den jährlichen Berichten des NDB zur Bedrohungslage, welcher zusammen mit anderen Ereignissen auch Brennstoff für Diskussionen um russische Spionage in der Schweiz bot. Aufgrund der steigenden Anzahl antisemitischer Vorfälle überwies das Parlament im Berichtsjahr zudem eine Motion für ein Verbot von nationalsozialistischen Symbolen in der Öffentlichkeit. Zwei parlamentarische Initiativen zum gleichen Thema sind noch in Beratung.

2024 beschäftigten auch die Bürgerrechte die Schweizer Politik. Besonders das Demonstrationsrecht wurde im Zusammenhang mit der Pro-Palästina-Proteste von Studierenden im Mai medial und politisch intensiv diskutiert (vgl. Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse). Zudem kam die Volksinitiative «für ein modernes Bürgerrecht» im November 2024 zustande und dürfte aufgrund der geforderten Vereinfachung des Einbürgerungsverfahrens im Parlament und möglicherweise vor dem Stimmvolk für neue Kontroversen sorgen.

Jahresrückblick 2024: Rechtsordnung
Dossier: Jahresrückblick 2024

Im Dezember 2024 überwies der Nationalrat stillschweigend ein Postulat von Roger Golay (mcg, GE), welches vom Bundesrat einen Bericht über die Rechtmässigkeit und Legitimität der Durchführung von Personensicherheitsprüfungen (PSP) im Jahr 2024 verlangte. Konkret sollte ein ausserhalb der Verwaltung erstelltes Rechtsgutachten diverse Fragen prüfen, etwa ob und wie die Privatsphäre und persönliche Freiheit betroffener Personen geschützt sowie allfällige negative Effekte einer Überprüfung reduziert werden können. Die Regierung hatte die Annahme des Vorstosses empfohlen.

Personensicherheitsprüfungen (PSP): Staatliche Interessen versus persönliche Freiheit? (Po. 24.4203)

Im Dezember 2024 behandelte der Nationalrat als Zweitrat eine Motion von Beat Rieder (mitte, VS) zur Aufhebung des Rechtsberatungsverbots für sanktionierte Personen und Unternehmen im Rahmen des übernommenen Sanktionspakets der Europäischen Union. Nachdem der Ständerat der Motion im September 2024 zugestimmt hatte, beantragte die zuständige RK-NR deren Annahme mit geändertem Wortlaut. Wie Kommissionssprecher Philipp Bregy (mitte, VS) ausführte, nahm die nationalrätliche Rechtskommission Kenntnis vom im Oktober 2024 gefällten Urteil des EuGH zur Grundrechtsmässigkeit der Sanktionen und verlangte eine Modifizierung des generellen Rechtsberatungsverbots durch den Bundesrat, um die (Kern-)Anwaltstätigkeiten aus den übernommenen Sanktionen zu streichen. Konkret gehe es dabei um vor- oder extraprozessuale Beratungsdienstleistungen, welche im Gegensatz zu treuhänderischen Tätigkeiten oder der Vermögensberatung grundrechtlich schützenswert seien. Eine Minderheit um Tamara Funiciello (sp, BE) beantragte analog zum Bundesrat die Ablehnung der Motion. Aus ihrer Sicht beträfen die Sanktionen ausdrücklich juristische Personen mit Sitz in Russland und die russische Regierung. Zudem habe der EuGH die Rechtmässigkeit der Sanktionen eindeutig bestätigt. Eine Annahme der Motion würde ein falsches Signal an die internationale Gemeinschaft senden und den Einsatz der Schweiz für die Einhaltung des Völkerrechts infrage stellen, so Funiciello im Plenum. Die negative aussenpolitische Wirkung betonte auch Wirtschaftsminister Guy Parmelin im Rat, stellte aber ebenso klar, dass die Regierung die abgeänderte Version der RK-NR dem ursprünglichen Wortlaut klar vorziehen würde. Die Volkskammer folgte anschliessend dem Antrag der Rechtskommission und bestätigte die Annahme der Motion im geänderten Wortlaut mit 110 zu 71 Stimmen bei 12 Enthaltungen, wobei die geschlossen stimmende Fraktion der SVP gemeinsam mit einer Mehrheit von FDP, GLP und Mitte eine Mitte-Minderheit und die links-grünen Ratsmitglieder überstimmten. Die Enthaltungen stammten hauptsächlich aus der FDP-Fraktion sowie von je einem Mitglied der Mitte- und GLP-Fraktion. Die Motion geht nun in geändertem Wortlaut erneut zur Beratung in den Ständerat.

Rechtstaatlichkeit wiederherstellen (Mo. 23.4531)

Lors de la session d'hiver 2024, une semaine après l’examen par le Conseil des États de la Loi sur les biens utilisés pour la torture (LBT), le Conseil national s’est penché sur les dernières divergences. La chambre basse s'est particulièrement concentrée sur l’article 2, qui concerne l’exclusion des produits thérapeutiques du champ d’application de la LBT. La majorité de la Commission des affaires juridiques du Conseil national (CAJ-CN) a tenu à maintenir sa position initiale, défendant l’inclusion des médicaments dans la loi. À l’inverse, une minorité composée de neuf députés UDC s’est ralliée à la version du Conseil des États, qui propose d’exclure de la LBT les médicaments susceptibles d’être utilisés à des fins de torture.
Au nom de cette minorité, Manfred Bühler (udc, BE) a souligné que la Loi sur les produits thérapeutiques (LPTh) prévoit déjà des obligations strictes en matière d’autorisation et d’importation des médicaments. Il estime donc qu’ajouter une réglementation spécifique dans la LBT créerait une insécurité juridique en raison des potentielles contradictions entre les deux cadres législatifs. Selon lui, certains produits pouvant avoir des usages multiples, des conflits de compétence risqueraient d’émerger.
À l’inverse, Jessica Jaccoud (ps, VD), opposée à l’exclusion des produits thérapeutiques du texte, a défendu l’idée que les finalités des deux lois étant distinctes, il n’y aurait donc pas de risque d’insécurité juridique. La députée vaudoise a illustré son propos en expliquant qu’un même médicament pourrait relever de la LPTh ou de la LBT selon son usage : un traitement médical dans un cadre thérapeutique ou une injection létale dans un contexte de torture. Le ministre de l’économie, Guy Parmelin, a aussi rappelé que si la version initiale de la LBT était adoptée, tout médicament utilisé à des fins de torture relèverait de cette loi et non plus de la LPTh, garantissant ainsi une cohérence dans la répartition des objectifs législatifs. Enfin, au nom de la CAJ-CN, Raphaël Mahaim (vert.e.s, VD) a réaffirmé son soutien à la version du Conseil fédéral, appelant à clarifier l’encadrement des produits thérapeutiques en lien avec la torture de ceux utilisés à des fins médicales.
A l'issue du débat, le Conseil national a préféré inclure les médicaments dans la LBT. Par 119 voix (27 PLR, 37 PS, 26 Centre, 8 Vert'libéraux et 21 Vert.e.s) contre 64 voix UDC, la chambre basse a refusé la modification du Conseil des Etats et lui renvoie le texte.

Foltergütergesetz (BRG. 23.066)

En décembre 2024, le Conseil des Etats a examiné la loi sur les biens utilisés pour la torture (LBT). A la tribune, au nom de la Commission des affaires juridiques (CAJ-CE), Matthias Michel (plr, ZG) a défendu la nécessité de cette loi, soutenue par la majorité de la commission. Ensuite, Pirmin Schwander (udc, SZ), représentant une minorité au sein de son groupe, a exprimé son opposition, estimant que les objectifs du texte étaient déjà couverts par d'autres lois suisses. Il a proposé une alternative, demandant au Conseil fédéral, par l'intermédiaire de Guy Parmelin, de combler les éventuelles lacunes au niveau réglementaire. Le Conseil des Etats a toutefois accepté d'entrer en matière sur la LBT par 41 voix contre 2 voix UDC et une abstention.
Lors de la discussion par articles, Matthias Michel (plr, ZG) a précisé les positions de la CAJ-CE. La commission soutient les amendements du Conseil national, sauf concernant les biens dits de torture secondaires, qui peuvent avoir des usages légaux, mais aussi être détournés à des fins de torture. La CAJ-CE propose de les soumettre à un régime d’autorisation. S'agissant des médicaments, elle recommande de maintenir leur réglementation dans la loi existante sur les produits thérapeutiques (LPTh), afin d’éviter des chevauchements de compétences et des incertitudes juridiques. Ensuite, représentant une minorité (composée de 5 élu.e.s du PS, des Vert-e-s et du Centre), Carlo Sommaruga (ps, GE) a plaidé pour suivre la position du Conseil national et du Conseil fédéral. Il a défendu un concept législatif global regroupant toutes les recommandations du Conseil de l’Europe dans la LBT. Selon lui, cette approche renforcerait la cohérence et la crédibilité internationale de la Suisse. Cependant, cette proposition a été rejetée par 30 voix contre 15.
Finalement, le Conseil des États a adopté la version soutenue par la majorité de la CAJ-CE. Le vote final sur l’ensemble du texte a été approuvé par 40 voix contre 2 et 3 abstentions. En raison des divergences, le projet retourne maintenant au Conseil national pour la suite du processus législatif.

Foltergütergesetz (BRG. 23.066)

Eine im Juni 2023 eingereichte Motion Python (gp, VD) verlangte vom Bundesrat eine Anpassung des ArG zur Verstärkung des Kinderschutzes vor übermässiger Exponierung im Internet. Konkret ging es Python dabei um die Phänomene «Sharenting» und «Influence Marketing», bei welchen Fotos oder Videos von Kindern durch die Eltern kommerziell im Internet verwendet werden. Um den nötigten Schutz zu erreichen, müsse die Strategie «Digitale Schweiz» entsprechend präzisiert werden, so die Motionärin in ihrer Begründung. Der Bundesrat verlangte die Ablehnung der Motion. Wie Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider im Plenum der Herbstsession 2024 erläuterte, können exponierte Kinder nicht als Arbeitnehmende betrachtet werden und das Arbeitsgesetz sei somit ungeeignet für das Anliegen. Da die Eltern grundsätzlich über die Verwendung der Daten ihrer Kinder entscheiden könnten, sei bei Überschreitung des gesetzlichen Vertretungsrechts oder der Erziehungspflicht die KESB zuständig. Zudem sei auch die Strategie «Digitale Schweiz» für die erwähnte Präzisierung ungeeignet, da diese nur allgemeine Themen anspreche, so Baume-Schneider. Wie er bereits bei der Antwort auf eine Interpellation Pointet (glp, VD; Ip. 22.4192) ausgeführt hatte, erachtete der Bundesrat die bestehenden gesetzlichen Grundlagen als ausreichend, stellte jedoch bei einer allfälligen Annahme der Motion in Aussicht, im Zweitrat einen Antrag auf Umwandlung der Motion in einen Prüfungsauftrag einzubringen. Raphaël Mahaim (gp, VD), der den Vorstoss von Python übernommen hatte, räumte im Plenum ein, dass das Arbeitsgesetz möglicherweise nicht der geeignetste Ort für die Gesetzesänderung sei. Er bat aber im Hinblick auf die Brisanz des Anliegens, die Motion trotzdem anzunehmen. Der Nationalrat folgte ihm und nahm den Vorstoss mit 98 zu 92 Stimmen knapp an, wobei die Fraktionen der SP, Grünen, GLP und Mitte die geschlossen dagegen votierenden Fraktionen der SVP und FDP überstimmten.

Übermässige Exponierung von Kindern im Internet (Sharenting und kommerzielle Nutzung von Bildern; Mo. 23.3693)

Der Ständerat behandelte in der Herbstsession 2024 als Zweitrat den Entwurf der parlamentarischen Initiative der RK-NR zur Behandlung von kantonalen oder kommunalen Solidaritätsbeiträgen gemäss AFZFG. Wie schon im Nationalrat wurde die Gesetzesänderung sowohl von der zuständigen Kommission als auch von allen Fraktionen begrüsst und dementsprechend einstimmig angenommen. Kommissionssprecher Daniel Jositsch (sp, ZH) erläuterte im Plenum die allgemeine Überzeugung der Kommission, dass die Schwesterkommission einen offensichtlichen Missstand erkannt habe und die Solidaritätsbeiträge für die Betroffenen fürsorgerischen Zwangsmassnahmen mit dem vorliegenden Entwurf künftig schweizweit gleich behandelt würden. In der Schlussabstimmung passierte das Geschäft ebenfalls beide Räte einstimmig.

Behandlung von kantonalen oder kommunalen Solidaritätsbeiträgen gemäss AFZFG (Pa. Iv. 23.472)

Mit einer im Dezember 2023 eingereichten Motion verlangte Beat Rieder (mitte, VS) vom Bundesrat, das Rechtsberatungsverbot aus dem übernommenen Sanktionspaket der Europäischen Union gegen Russland zu streichen. Somit sollen sanktionierte Personen und Unternehmen nicht mehr von der Rechtsberatung im Schweizerischen Rechtssystem ausgeschlossen werden. Dies stelle einen Grundrechtseingriff dar und ob die bestehenden gesetzlichen Grundlagen dafür ausreichen, sei fraglich, so der Motionär in seiner Vorstossbegründung.

Wie unter anderem die NZZ und der Tagesanzeiger berichteten, wurde der Vorstoss vom SAV unterstützt und der Behandlung im Rat ging ein öffentlicher Schlagabtausch zwischen Rieder und Bundesrat Guy Parmelin voraus, wobei Rieder dem Bundesrat nach dessen Vorstossbeantwortung eine Verletzung des Strafrechts als «Pfeiler der Verfassung» vorwarf.

Nachdem die Motion auf Ordnungsantrag von Carlo Sommaruga (sp, GE) an die RK-SR stillschweigend zur Vorprüfung zugewiesen worden war, befasste sich der Ständerat in der Herbstsession 2024 mit dem Vorstoss. Eine Mehrheit von acht Mitgliedern der Rechtskommission sah mit dem integrierten Rechtsberatungsverbot, welches mit dem achten EU-Sanktionspaket übernommen wurde, grundsätzlich ein rechtsstaatliches Problem, auch wenn es nur in wenigen Fällen angewendet würde. Die Rechtsberatung müsse «selbst der schlimmste Kriminelle geniessen» können und sei daher nicht aus diplomatischen oder politischen Überlegungen auszusetzen, so Kommissionssprecher Daniel Jositsch (sp, ZH). Eine Kommissionsminderheit um Carlo Sommaruga (sp, GE) wollte bei der gängigen Regelung bleiben. Das bestehende Verbot gelte nur für spezifische Fälle, in denen eine Beratung eindeutig darauf abzielt, der russischen Regierung oder Unternehmen mit Sitz in Russland bei der Umgehung von Sanktionen zu helfen. Sollte der EuGH bei seiner Urteilsverkündung nach der Klage verschiedener europäischer Anwaltskammern gegen die entsprechende Sanktionsverordnung Anfang Oktober zu einem anderen Schluss kommen, werde die Schweiz dies entsprechend unmittelbar anpassen, erklärte Sommaruga im Plenum. Ähnlicher Meinung war Bundesrat Guy Parmelin, der die gesetzliche Basis der Sanktionen (BRG 00.095) hervorhob, das Augenmass der Regierung bei der Einschränkung von Grundrechten betonte, und vor einem schlechten Signal gegenüber den europäischen Partnerländern warnte.
Eine Mehrheit der kleinen Kammer folgte jedoch den prinzipiellen Bedenken von Rieder und nahm die Motion mit 34 zu 10 Stimmen an, wobei die Gegenstimmen allesamt von Vertreterinnen und Vertreter der SP, Grünen und der GLP stammten. Das Geschäft geht nun zur Beratung in den Nationalrat.

Rechtstaatlichkeit wiederherstellen (Mo. 23.4531)

Im Nachgang zur Behandlung der parlamentarischen Initiative Bendahan (sp, VD; Pa. Iv. 22.479) hatte sich die SPK-NR dazu entschieden, ein Postulat zum Thema digitale Integrität einzureichen. Mit 13 zu 10 Stimmen verlangte sie entsprechend vom Bundesrat einen Prüfbericht darüber, wo beim Schutz der Individualrechte im digitalen Bereich Lücken bestünden und wie dieser Schutz besonders mit Blick auf die Menschenwürde und Privatsphäre verbessert werden könne.
In seiner Stellungnahme beantragte der Bundesrat die Ablehnung des Postulats. Da bei der Debatte um die parlamentarische Initiative Bendahan alle Pro- und Kontraargumente eines verfassungsmässigen Rechts auf digitale Integrität bereits ausführlich diskutiert worden seien, würde ein separater Bericht keinen neuen Erkenntnisgewinn bringen. Die Aufnahme eines solchen Rechts in die BV sei juristisch problemlos möglich, aber die praktische Umsetzung ungewiss, so die Regierung. Kommissionssprecher Gerhard Pfister (mitte, ZG) führte im Plenum aus, dass sich eine Mehrheit der SPK-NR mit 17 zu 8 Stimmen entgegen des bundesrätlichen Antrags für eine Annahme des Postulats ausgesprochen habe. Grund dafür sei eine bis jetzt als zu zögerlich wahrgenommene Prüfung der digitalen Unversehrtheit und der Bestandsaufnahme zur KI-Regulierung seitens der Regierung. Mit dem Postulat müsse diese die aufgeworfenen Fragen vertieft prüfen und fundiert Stellung dazu nehmen. Mit Vehemenz gegen das Postulat sprach sich Minderheitensprecher Phillippe Nantermod (fdp, VS) aus. Wie er in seinem Votum betonte, sei durch diesen Prüfauftrag zukünftig mit neuen Regulierungen für Unternehmen im digitalen Bereich zu rechnen, was aus wirtschaftspolitischer Sicht abzulehnen sei. Bundesrat Beat Jans sprach sich im Rat mit dem Verweis auf das neu in Kraft getretene Datenschutzgesetz im Namen der Regierung gegen das Postulat aus. Es solle zuerst abgewartet werden, wie sich die neu gültige Gesetzgebung, welche Verstärkungen zum Schutz der Individualrechte beinhalte, in der Praxis auswirke. Der Nationalrat folgte in der Herbstsession 2024 allerdings seiner Kommissionsmehrheit und nahm das Postulat mit 99 zu 93 Stimmen bei einer Enthaltung an, wobei die geschlossen stimmenden Fraktionen der FDP und SVP einer Mehrheit von Mitte-Links unterlagen.

Digitale Integrität (Po. 24.3479)

Knapp vier Jahre nach dem Nationalrat setzte sich in der Herbstsession 2024 der Ständerat mit einer Motion von Marianne Streiff-Feller (evp, BE) für zusätzliche Ressourcen für einen effektiven Kampf gegen den Menschenhandel durch den Bund und die Kantone auseinander. Die RK-SR hatte die Motion im März 2022 mit Hinblick auf einen in Auftrag gegebenen Bericht zur Bekämpfung des Menschenhandels in den Kantonen, einer eigenen Kommissionsmotion zum Thema (Mo. 22.3369) und bis zur Veröffentlichung des Nationalen Aktionsplans gegen Menschenhandel für die Jahre 2023-2027 sistiert. Nun empfahl sie einstimmig ihre Ablehnung. Kommissionssprecherin Isabelle Chassot (mitte, FR) begrüsste im Namen der Kommission die im neuen NAP aufgeführten Bestrebungen des Bundesrats, die Bekämpfung des Menschenhandels ernst zu nehmen und die Kantone zu unterstützen. Weil die Kantone bisher aber keinen Unterstützungsbedarf durch weitere Bundesmittel signalisiert hätten, sei die Motion auch im Sinne der föderalen Aufgabenteilung abzulehnen. Diese Ablehnung wurde auch von Seiten der Regierung begrüsst. Denn wie Bundesrat Beat Jans im Plenum ausführte, sei der Bund bereits heute dabei, die Kantone auf vielfältige Weise in diesem Bereich zu unterstützen. Das Geschäft ist somit erledigt.

Ressourcen für einen effektiven Kampf gegen den Menschenhandel (Mo. 19.3265)

Nachdem ihr der Nationalrat im Frühling 2023 noch zugestimmt hatte, lehnte der Ständerat in der Herbstsession 2024 eine Motion von Falkenstein (ldp, BS) stillschweigend ab, welche wirksame Massnahmen gegen Zwangsverheiratungen forderte. Wie Kommissionssprecher Jositsch (sp, ZH) im Plenum ausführte, hatte die Kommission mit 9 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen die Motion einstimmig abgelehnt, weil die Bekämpfung von Zwangsheiraten einerseits kantonaler Kompetenz unterliege, und andererseits durch die Ergänzung des ZGB mit Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten dem Anliegen bereits Rechnung getragen werde. Bundesrat Beat Jans begrüsste die Ablehnung der Motion, da aufgrund der vollzogenen Massnahmen und der genannten Revision kein Handlungsbedarf bestehe.

Wirksame Massnahmen gegen Zwangsverheiratungen (Mo. 21.4541)

Anfang September 2024, zwei Monate vor Ablauf der Sammelfrist, reichte ein breit abgestütztes Initiativkomitee bei der Bundeskanzlei die sogenannte Inklusions-Initiative ein, welche die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderungen fordert. Printmedial begleitet wurde die Einreichung der Initiative abgesehen von wenigen Kurzmeldungen ausschliesslich in der Westschweiz. Wie «Le Temps» berichtete, versammelten sich zur Einreichung über 1'000 Menschen zu einer Kundgebung auf dem Bundesplatz, um auf die nach wie vor bestehenden Diskriminierungen in diversen Bereichen aufmerksam zu machen. Um auch Personen im Rollstuhl eine barrierefreie Übergabe der Unterschriftenboxen an die Bundeskanzlei zu ermöglichen, war auf der Bundesterrasse eine provisorische Rampe aufgestellt worden. Besagte Westschweizer Tageszeitung hatte die Forderungen der Initiative bereits wenige Tage vor der Einreichung und in Zusammenhang mit den zeitgleich stattfindenden Paralympischen Spielen in Paris in einem Interview mit der EDI-Vorsteherin Elisabeth Baume-Schneider aufgegriffen, welche die Schweizer Regierung als zuständige Bundesrätin an den Paralympischen Spielen vertrat (der Parasport ist dem EDI und nicht wie der restliche Sport dem VBS angegliedert). Die Bundesrätin zeigte sich im Interview überzeugt, dass die Initiative die Debatte um die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen beflügeln werde, und hoffte, dass in dieser Sache gemeinschaftliche Lösungen zwischen den verschiedenen Verbänden, den Kantonen und dem Bund gefunden werden könnten.

Im Oktober gab die Bundeskanzlei das Zustandekommen der Initiative bekannt. Von den 109'110 eingereichten Unterschriften waren 107'910 für gültig befunden worden. Gegenüber SRF Online betonte das Initiativkomitee, dass keine Unterschriften mithilfe kommerzieller Anbieter zustande gekommen seinen. Nur wenige Tage vor der Einreichung der Initiative war eine Tamedia-Recherche veröffentlicht worden, die aufzeigte, dass kommerzielle Firmen mutmasslich auf unrechtmässigem Weg Unterschriften für Volksinitiativen gesammelt hatten.

Inklusions-Initiative

Ende August 2024 befasste sich das Bundesgericht in Lausanne mit einer Staatshaftungsklage gegen die schweizerische Eidgenossenschaft. Die Klägerinnen und Kläger – rund 10'000 Personen – vertraten die Auffassung, dass die Massnahmen, die der Bundesrat zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie ab Frühsommer 2020 ergriffen hatte, widerrechtlich gewesen seien. Zur Gefährlichkeit des Virus SARS-CoV-2 habe kein wissenschaftlich bestätigter Beleg vorgelegen, weshalb das Epidemiengesetz nicht hätte angewendet werden dürfen. Im Zentrum der Kritik standen die Maskentragpflicht, Kontaktbeschränkungen und das Covid-19-Zertifikat. Insbesondere die Einführung von Letzterem betrachteten die Klägerinnen und Kläger als eine Diskriminierung gegenüber ungeimpften Personen, weil damit Einschränkungen im öffentlichen Leben einhergegangen seien. Der Bundesrat habe mit seinem Handeln die Grundrechte verletzt, zudem seien die Massnahmen unverhältnismässig gewesen. Als symbolischen Schadenersatz forderte die Klägergemeinschaft je einen Franken pro klagende Person.
Der Bundesvertreter hingegen erläuterte während der Verhandlung, dass die Landesregierung «stets im besten Wissen
und Gewissen [...] gehandelt» habe. Das Massnahmenpaket sei notwendig gewesen, um die Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern und die öffentliche Gesundheit zu schützen. Bei ihren Entscheidungen habe sich die Schweizer Exekutive stets auf die zum Zeitpunkt verfügbaren Informationen gestützt. Die Abwägung zwischen individueller Freiheit und dem Schutz der Gesamtbevölkerung sei gerechtfertigt gewesen. Hinzu komme, dass jede einzelne Massnahme Teil der gesamten Pandemiebekämpfung gewesen sei und nicht isoliert betrachtet werden dürfte.
Das Bundesgericht wies die Klage nach einer internen Beratung ab. Es kam zum Schluss, dass die Voraussetzung der Widerrechtlichkeit nicht gegeben und es nicht zu einer Verletzung der Amtspflichten von Seiten Bundesrat gekommen sei. Die Klägerinnen und Kläger zeigten sich zwar nicht überrascht, aber dennoch enttäuscht vom Entscheid. Sie würden sich nun überlegen, ob sie die Klage an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterziehen wollen.

Abgewiesene Haftungsklage von Corona-Gegnerschaft im Zusammenhang mit Bundesmassnahmen

En avril 2024, la Commission des affaires juridiques du Conseil national (CAJ-CN) a procédé à une discussion par article du projet de loi sur les biens utilisés pour la torture (LBT). La commission a affiché un large soutien au projet global proposé par le Conseil fédéral, bien qu'elle plaide pour une définition plus exacte des articles touchant au traitement, à l'échange et à l'utilisation de données personnelles. Lors du débat au Conseil national, l'entrée en matière a été soutenue par tous les partis, à l'exception de l'UDC, menée par Manfred Bühler (udc, BE), qui estime que le cadre légal en vigueur est suffisant et que cette loi n'est pas nécessaire. Le député bernois a également exprimé ses réserves sur la formulation de certains articles. Ensuite, l'article 2 a généré un débat sur la définition de la liste des biens tombant dans le champ d'application de la LBT. Tandis que tous les partis à l'exception de l'UDC ont soutenu le projet du Conseil fédéral, qui vise à établir une liste basée sur des critères du règlement anti-torture de l'Union européenne (UE). La proposition minoritaire, défendue parle député Bühler (udc, BE), demandait que la liste soit établie de manière indépendante de l'UE et qu'elle ne s'applique que dans le cas où la loi sur le matériel de guerre (LFMG), la loi sur les médicaments et les dispositifs médicaux (LPTh), ainsi que la loi sur les stupéfiants (LStup) ne seraient pas applicables. En troisième lieu, les parlementaires ont débattu de l'article 4 du projet, pour lequel une minorité rose-verte a proposé des restrictions plus poussées que le texte initial. Cette proposition, portée notamment par Sibel Arslan (basta, BS), vise à interdire non seulement l’importation, le transit et l’exportation de biens pouvant servir à la torture, mais également à interdire la conception, la fabrication, la reproduction, l'importation et l'exportation et le courtage de ce type de matériel. Au nom de la commission, Raphaël Mahaim (vert-e-s, VD) a recommandé à la chambre basse de rejeter cette proposition, expliquant qu'elle ne correspond pas à ce qui est prévu à l'échelle européenne. Le Parlement a suivi l'avis de la majorité de la CAJ-CN et a accepté la version initiale du Conseil fédéral. En outre, la proposition de la commission visant à fixer un standard plus strict sur la protection des données, formulée à l'article 12a, a été acceptée sans opposition. Finalement, l'article 14 portant sur l'entraide administrative entre la Suisse et les autorités étrangères a également fait débat. Selon Beat Flach (pvl, AG), représentant de la CAJ-CN, il faut modifier le projet initial afin de l'améliorer en matière de protection des données. Toutefois, une minorité emmenée par Manfred Bühler (udc, BE) a également formulé une proposition pour cet article, visant à introduire une notion de respect du «devoir de discrétion suisse». Selon Simone Gianini (plr, TI), cette dernière proposition est imprécise et le texte initial est déjà suffisant. La députée Jessica Jaccoud (ps, VD) a quant à elle qualifié cette proposition d' «impraticable», car elle impliquerait que les autorités étrangères soient soumises au secret de fonction suisse ou à une obligation de discrétion suisse, ce qui rendrait les échanges de données avec les autorités étrangères difficiles. Raphaël Mahaim (vert-e-s, VD) a également souligné que la Suisse ne peut pas imposer unilatéralement l'application de ses lois à l'étranger et que ce type de démarche requiert des traités internationaux. Finalement, la version de l'article 14 proposée par la majorité de la CAJ-CN a été acceptée par tous les partis, à l'exception de l'UDC. Lors du vote final, le Conseil national a adopté le texte par 129 voix (dont 27 PLR, 40 PS, 23 Vert-e-s, 28 Centre, 10 Vert'libéraux et 1 UDC), contre 59 voix de l'UDC et 4 abstentions, également provenant de députés UDC.

Foltergütergesetz (BRG. 23.066)

Der Nationalrat behandelte in der Sommersession 2024 als Erstrat eine aus der parlamentarischen Initiative der RK-NR zur Behandlung von kantonalen oder kommunalen Solidaritätsbeiträgen gemäss AFZFG entstandenen Entwurf. Kommissionssprecherin Min Li Marti (sp, ZH) führte aus, dass diese Gesetzesanpassung zugunsten der Betroffenen nötig sei, um einerseits eine Reduktion dieser Solidaritätsbeiträge durch andere Sozialabgaben zu verhindern und um andererseits den Grundsatz zu verankern, dass der Solidaritätsbeitrag den Opfern zur freien Verfügung stehen soll. Die Vorlage wurde von Bundesrat und allen Fraktionen oppositionslos begrüsst und dementsprechend einstimmig angenommen. Das Geschäft ging anschliessend zur Behandlung in den Ständerat.

Behandlung von kantonalen oder kommunalen Solidaritätsbeiträgen gemäss AFZFG (Pa. Iv. 23.472)

Sowohl der Ständerat (PAG 24.053) als auch der Nationalrat (PAG 24.054) diskutierten in der Sommersession 2024 intensiv darüber, ob sie, wie von ihren Rechtskommissionen vorgeschlagen, jeweils eine Erklärung zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den Klimaseniorinnen abgeben wollen.
Im Ständerat lagen mehrere Anträge vor: Die Kommissionsmehrheit sprach sich für eine umfassende Erklärung aus, die abschliessend darauf hinweist, dass die Schweiz dem Urteil keine weitere Folge geben wird. Die Minderheit von Carlo Sommaruga (sp, GE) wollte hingegen auf die Abgabe einer Erklärung verzichten, wogegen die Minderheiten von Andrea Gmür-Schönenberger (mitte, LU) und Matthias Michel (fdp, ZG) ebenfalls darauf hinweisen wollten, dass die Schweiz ihre Klima-Verpflichtungen einhält (Gmür-Schönenberger und Michel) respektive dass die Schweiz die menschenrechtlichen Anforderungen des Urteils bereits erfülle (Michel). Gemeinsam war den beiden Versionen Gmür-Schönenberger und Michel, dass sie auf den abschliessenden Passus hinsichtlich des « keine weitere Folge geben» verzichten wollten. Der Minderheitsantrag von Mathias Zopfi (gp, GL) forderte schliesslich die Ablehnung des Antrags Michel.
RK-SR-Präsident Daniel Jositsch (sp, ZH) erklärte stellvertretend für die Kommissionsmehrheit, dass die Rechtskommission den EGMR und die EMRK sehr schätze und diese Institutionen und deren Errungenschaften keinesfalls in Frage stelle. Die RK-SR kritisiere aber spezifisch das Urteil gegen die Schweiz. Es gehe nicht an, dass ein internationales Gericht die Gewaltenteilung umgehe und der Schweiz vorschreibe, welche Klimapolitik sie zu verfolgen habe. Zudem sei die Kommission der Ansicht, dass die Schweiz mit dem kürzlich verabschiedeten Entwurf für das CO2-Gesetz bereits das politisch Mögliche in Sachen Klimaschutz unternommen habe. Carlo Sommaruga hingegen befand, dass aus mehreren Gründen keine Erklärung abgegeben werden sollte. Er empfand es zum einen als stossend, dass die Erklärung die Auslegung der EMRK als «instrument vivant» durch den Gerichtshof kritisiere. Gerade diese Auslegungsmethode habe dabei geholfen, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger der Vertragsstaaten weiterzuentwickeln. Zum anderen sei es unzulässig, den EGMR aufzufordern, seine Rechtssprechung anzupassen. Diese Praxis der Übersteuerung der Judikative durch die Politik sei ein Merkmal illiberaler oder autoritär geführter Staaten und der Schweiz daher unwürdig. Sommaruga kritisierte die Erklärung auch dahingehend, dass diese einen Passus enthalte, in welchem den Gremien des Europarates mitgeteilt werde, dass die Schweiz das Urteil des EGMR nicht umsetzen werde. Schliesslich gab der Genfer SP-Ständerat zu Bedenken, dass der Gerichtshof gar nicht weiter erläutert habe, wie die Schweiz dieses Urteil umzusetzen habe. Der EGMR habe lediglich festgestellt, dass eine Verletzung der Rechte vorliege, weil die Schweiz keine ausreichenden Massnahmen gegen den Klimawandel getroffen habe. Die weitere Diskussion unter den Mitgliedern des Ständerates drehte sich sodann mehrheitlich um die Formulierung der Erklärung respektive ob im Text erwähnt werden solle, dass die Schweiz dem Urteil keine weitere Folge geben werde. Während Andrea Gmür-Schönenberger und Matthias Michel - wie oben erwähnt - mit ihren Anträgen auf Kürzung der Erklärung argumentierten, dass ein solcher Passus unnötig sei, da in der Erklärung ausgeführt werde, dass die Schweiz die menschenrechtlichen Anforderungen des Urteils bereits erfülle, führte Beat Rieder (mitte, VS) für die Mehrheit exemplarisch aus, dass dieser Passus aufzeigen solle, dass der EGMR über keine Verfassungsgerichtsbarkeit im Klimaschutzbereich verfüge. Nachdem Andrea Gmür-Schönenberger ihren Antrag zurückgezogen hatte, musste die kleine Kammer noch darüber entscheiden, ob sie den Antrag der Mehrheit, den Antrag Michel oder den Antrag Sommaruga unterstützen wollte. In den Abstimmungen sprach sich der Ständerat zuerst mit 26 zu 17 Stimmen für den Antrag der Mehrheit und gegen den Antrag Michel aus. Die Stimmen für den Antrag Michel stammten von links-grün sowie von einzelnen Mitgliedern der FDP und der Mitte. Schliesslich obsiegte der Mehrheitsantrag auch gegen den Antrag Sommaruga (31 zu 11 Stimmen); die Gegenstimmen stammten dabei von Mitgliedern der SP und der Grünen. Dies bedeutet, dass in der abgegebenen Erklärung ein Passus enthalten ist, wonach die Schweiz dem Urteil des EGMR keine weitere Folge geben wird.

Im Nationalrat entspann sich wenige Tage danach eine ebenso intensive Debatte. In über 100 Wortmeldungen diskutierten die Mitglieder der grossen Kammer darüber, ob die Erklärung in der Version des Ständerates abgegeben oder ob gänzlich auf eine Erklärung verzichtet werden soll. Währenddem die Mehrheit der RK-NR die Erklärung in ständerätlicher Fassung abgeben wollte, plädierte eine Minderheit Flach (glp, AG) dagegen. Kommissionssprecher Philipp Bregy (mitte, VS) stellte die Argumente der Kommissionsmehrheit dar. Er erläuterte, dass der EGMR quasi ein neues Menschenrecht auf gesunde Umwelt schaffen wolle, das lasse sich aber aus der Konvention nicht ableiten. Zudem argumentierte Bregy wie zuvor Jositsch, dass die Schweiz das Urteil durch ihre jüngsten klimapolitischen Entscheide bereits erfülle. Bregy stufte darüber hinaus die Übersteuerung des Bundesgerichts durch den EGMR als problematisch ein und beschied, dass der EGMR mit seinem Entscheid dem Grundsatz der Subsidiarität widerspreche. Gemäss diesem Prinzip des EGMR sollen nämlich primär die Vertragsstaaten die Einhaltung der Konvention gewährleisten müssen. Anschliessend folgten zahlreiche Rückfragen an den Kommissionssprecher, insbesondere seitens der SVP-Fraktion. Minderheitssprecher Flach befürchtete hingegen, dass die Erklärung das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit untergraben werde: «Das Urteil des EGMR sollte respektiert werden, um die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren.» Zudem könne eine Ablehnung des Urteils negative Konsequenzen im Hinblick auf die internationale Glaubwürdigkeit der Schweiz und des EGMR mit sich bringen, argumentierte Flach weiter. Die Nichtbeachtung des Urteils könne in der Folge nämlich andere Staaten dazu verleiten, EGMR-Urteile ebenso zu ignorieren. Auch auf dieses Votum folgten zahlreiche Rückfragen und schliesslich äusserten sich auch noch die einzelnen Fraktionen zur Erklärung. In der abschliessenden Abstimmung sprach sich der Nationalrat mit 111 zu 72 Stimmen und 10 Enthaltungen für die Abgabe der Erklärung aus. Die Gegenstimmen stammten von der SP- und der Grünen-Fraktion sowie von der Mehrheit der GLP und einzelnen Stimmen der Mitte-Fraktion.

Klage für mehr Klimaschutz
Dossier: Urteil des EGMR zu den Klimaseniorinnen
Dossier: Klimawandel in der Schweiz

Nachdem die RK-SR der Initiative der RK-NR Folge gegeben hatte, legte letztere im April 2024 einen entsprechenden Entwurf zur Ergänzung des AFZFG vor. Neu würde im Gesetz explizit festgehalten, dass die entsprechenden Solidaritätsbeiträge auch denjenigen Opfern, für welche eine Beistandsschaft oder eine andere erwachsenenschutzrechtliche Massnahme bestehe, möglichst zur freien Verfügung stehen sollen, und nicht durch allfällige Steuern oder durch sonstige (Sozial)abgaben geschmälert werden sollen. Diese neu auch rückwirkend rechtskräftige Bestimmung gelte zudem auf allen föderalen Staatsebenen. In seiner Stellungnahme zum Entwurf äusserte sich der Bundesrat positiv und beantragte Eintreten und Zustimmung zum Entwurf der Kommission. Nachdem die Stadt Zürich im September 2023 als erste Gemeinde einen eigenen Solidaritätsbeitrag eingeführt habe (Stadt Zürich, 2023; TA, 10.3.23), sei es angezeigt, zukünftige Beiträge anderer Gemeinden oder Kantone bundesweit einheitlich zu regeln, so die Regierung.


Behandlung von kantonalen oder kommunalen Solidaritätsbeiträgen gemäss AFZFG (Pa. Iv. 23.472)

Nachdem der Ständerat in der Wintersession 2023 einer Motion der RK-SR für ein Verbot der öffentlichen Verwendung von rassendiskriminierenden, gewaltverherrlichenden oder extremistischen, wie beispielsweise nationalsozialistischen, Symbolen zugestimmt hatte, folgte ihm der Nationalrat in der Sondersession vom April 2024 mit 133 zu 38 Stimmen bei 17 Enthaltungen. Die Gegenstimmen und Enthaltungen stammten ausschliesslich von den Mitgliedern der SVP-Fraktion. Der Bundesrat wurde somit beauftragt, die gesetzliche Grundlage zu schaffen, um die öffentliche Verwendung und Verbreitung von entsprechenden Symbolen unter Strafe zu stellen.
Sowohl der Bundesrat als auch die RK-NR hatten die Annahme der Motion empfohlen, welche zeitgleich mit zwei parlamentarischen Initiativen (Pa.Iv. 23.400; Pa.Iv. 21.524) behandelt wurde, die beide Verbote explizit für nationalsozialistische Symbolik vorsahen. Die RK-NR betonte dabei den Wunsch eines etappenweisen Vorgehens seitens des Bundesrates. So könne in einem ersten Schritt das Verbot von Symbolen, welche eindeutig mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht werden können, zügig umgesetzt werden. Die Gegnerschaft der Motion argumentierte überwiegend damit, dass solche Verbote reine Symbolpolitik darstellten und in der konkreten Anwendung keine Wirkung zeigten, wie unter anderem Minderheitensprecherin Barbara Steinemann (svp, ZH) im Plenum ausführte. Für die Befürworterinnen und Befürworter war hingegen gerade die aktuelle Zunahme von antisemitischen Vorfällen ein Zeichen, dass nun konkreter Handlungsbedarf bestehe und die Bemühungen zur Extremismus-Prävention strafrechtlicher Mittel bedürften, wie Kommissionssprecherin Patricia von Falkenstein (ldp, BS) betonte.

Verbot der öffentlichen Verwendung von rassendiskriminierenden, gewaltverherrlichenden oder extremistischen, wie beispielsweise nationalsozialistischen Symbolen (Mo. 23.4318)
Dossier: Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen

Nachdem die RK-SR im Oktober 2023 zugunsten einer eigenen Kommissionsmotion (Mo. 23.4318) der parlamentarischen Initiative ihrer Schwesterkommission für ein spezialgesetzliches Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen, rassendiskriminierenden, gewaltverherrlichenden und extremistischen Symbolen keine Folge gegeben hatte, empfahl die RK-NR mit 15 zu 2 Stimmen (5 Enthaltungen) weiterhin deren Annahme. Wie Kommissionssprecherin Patricia von Falkenstein (ldp, BS) im Plenum ausführte, halte sich das Parlament damit die Möglichkeit offen, die Gesetzgebung des Bundesrates allenfalls durch einen eigenen Erlassentwurf zu beschleunigen. Eine Kommissionsminderheit um Barbara Steinemann (svp, ZH) und Manfred Bühler (svp, BE) sprach sich grundsätzlich gegen ein Verbot von solchen Symbolen aus und beantragte daher, der Initiative keine Folge zu geben. Die Kommissionsinitiative kam gemeinsam mit der Kommissionsmotion der RK-SR und der parlamentarischen Initiative Barrile (sp, ZH) (Pa.Iv. 21.524) zur Behandlung in den Nationalrat, welcher in der Sondersession vom April 2024 mit 132 zu 41 Stimmen bei 15 Enthaltungen der Kommissionsinitiative Folge gab. Die Gegenstimmen und Enthaltungen stammten ausschliesslich von den Mitgliedern der SVP-Fraktion.

Spezialgesetzliches Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen (Pa.Iv. 23.400)
Dossier: Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen

Nachdem die RK-SR im Oktober 2023 zugunsten einer eigenen Kommissionsmotion (Mo. 23.4318) der parlamentarischen Initiative Barrile (sp, ZH) für ein Verbot der öffentlichen Verwendung von extremistischen, gewaltverherrlichenden und rassistischen Symbolen keine Folge gegeben hatte, empfahl die Rechtskommission des Nationalrates mit 14 zu 2 Stimmen (6 Enthaltungen) weiterhin deren Annahme. Wie Kommissionssprecherin Patricia von Falkenstein (ldp, BS) im Plenum ausführte, halte sich das Parlament damit die Möglichkeit offen, die Gesetzgebung des Bundesrates allenfalls durch einen eigenen Erlassentwurf zu beschleunigen. Eine Kommissionsminderheit um Barbara Steinemann (svp, ZH) und Manfred Bühler (svp, BE) sprach sich grundsätzlich gegen ein Verbot von solchen Symbolen aus und beantragte daher, der Initiative keine Folge zu geben. Die Kommissionsinitiative kam gemeinsam mit der Kommissionsmotion der RK-SR und einer Kommissionsinitiative der RK-NR (Pa.Iv. 23.400) zur Behandlung in den Nationalrat, welcher in der Sondersession vom April 2024 mit 132 zu 41 Stimmen bei 15 Enthaltungen der Kommissionsinitiative Folge gab. Die Gegenstimmen und Enthaltungen stammten ausschliesslich von den Mitgliedern der SVP-Fraktion.

Verbot der öffentlichen Verwendung von extremistischen, gewaltverherrlichenden und rassistischen Symbolen (Pa.Iv. 21.524)
Dossier: Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen

Im Dezember 2022 reichte Yvette Estermann (svp, LU) eine Motion ein, mit der sie den Bundesrat dazu aufforderte, eine Erweiterung am ZGB vorzunehmen, damit es für die Ausführung der Anordnung einer Fürsorgerischen Unterbringung (FU) zweier Ärzte respektive Ärztinnen bedürfe, welche die Massnahme anordneten. Das Geschäft kam in der Frühjahrssession 2024 in den Nationalrat. Dort wurde es – nach dem Ausscheiden Estermanns aus dem Parlament – von Thomas Aeschi (svp, ZG) vertreten. Aeschi argumentierte mit der Zunahme der Anzahl FU, die seit der neuen Regelung im ZGB von Anfang 2013 zu verzeichnen sei. Durch FU werde in das Grundrecht auf Leben und persönliche Freiheit eingegriffen. Damit ein solcher Eingriff wirklich nur als «Ultima Ratio» angeordnet wird, sollten zwei Ärztinnen/Ärzte über die tatsächliche Notwendigkeit einer FU befinden müssen. Bundesrat Beat Jans anerkannte das Anliegen zwar, empfahl die Motion aber dennoch zur Ablehnung. Er begründete diese Haltung mit einer bereits von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Evaluation, deren Ergebnisse es abzuwarten gelte, bevor Gesetzesänderungen vorgenommen würden. Der Nationalrat folgte diesem Votum deutlich mit 123 zu 64 Stimmen (bei 2 Enthaltungen). Abgesehen vom SVP-Lager stimmten sämtliche Fraktionen geschlossen gegen den Vorstoss.

Leichtfertige Zwangseinweisungen verhindern (Mo. 22.4401)

Jahresrückblick 2023: Rechtsordnung

Das Jahr 2023 war im Bereich Rechtsordnung stark von straf- und zivilrechtlichen Fragen geprägt. Die in den vergangenen Jahren immer wieder virulent geführte Debatte über die terroristische, vor allem islamistisch motivierte, Gefährdung der Schweiz rückte angesichts des fortdauernden Kriegs in der Ukraine sowie des Kriegsausbruchs im Nahen Osten weiter in den Hintergrund. Stattdessen beschäftigten eher Cyberangriffe und die Angst vor russischer Spionage die Schweizer Sicherheitspolitik. (Für Cybersicherheit vgl. Jahresrückblick zur Landesverteidigung.)

Zudem nahm der Diskurs um Grund- und Menschenrechte in der Öffentlichkeit wieder mehr Raum ein, angetrieben unter anderem vom zunehmenden Augenmerk auf den Antisemitismus infolge des Nahostkonflikts (vgl. Jahresrückblick zu Kultur, Kirchen und religionspolitische Fragen sowie Jahresrückblick zur Aussenpolitik). Nach dem Angriff der Hamas Anfang Oktober kam es in den grossen Schweizer Städten zu Kundgebungen mit antiisraelischen Parolen, worauf in der Öffentlichkeit debattiert wurde, inwiefern an propalästinensischen Friedenskundgebungen antisemitisches und rechtsextremes Gedankengut verbreitet werde. Aus Sorge vor einer gewaltsamen Eskalation verhängte die Stadt Bern bis Weihnachten ein Demonstrationsverbot, was wiederum zu Protesten aufgrund der Grundrechtseinschränkung führte. In der Medienberichterstattung spiegelte sich diese Entwicklung in einem Anstieg in den Themenbereichen «Bürgerrechte» sowie «innere Konflikte und Krisen» gegen Ende Jahr wider (vgl. Abb. 1 der APS-Zeitungsanalyse). Auch über das ganze Jahr gesehen vereinnahmten diese beiden Themen einen höheren Anteil der Zeitungsberichterstattung als im Vorjahr (vgl. Abb. 2). Die gestiegene Sensibilität für die Antisemitismus-Thematik zeigte sich ebenso im Parlament, das im Laufe des Jahres eine Handvoll Vorstösse für ein Verbot von Nazisymbolen in der Öffentlichkeit behandelte und diese Forderung im Grundsatz unterstützte. Als «historischen Moment» bezeichnete der Bundesrat die Gründung der Nationalen Menschenrechtsinstitution im Mai 2023, das Resultat eines zwanzigjährigen Prozesses zur Förderung der Menschenrechte in der Schweiz.

Unter anderem von Menschenrechts- und Frauenorganisationen gefeiert wurde die Verabschiedung des revidierten Sexualstrafrechts durch die beiden Räte. Begleitet von einer lebhaften gesellschaftlichen Debatte rangen die Räte bei der Revision des Sexualstrafrechts insbesondere um eine neue, zeitgemässe Definition von Vergewaltigung, die sie letztlich in der sogenannten erweiterten Widerspruchslösung fanden. Damit sind sexuelle Handlungen künftig strafbar, wenn sie gegen den Willen – aber im Unterschied zur Zustimmungslösung nicht «ohne Einwilligung» – einer Person vorgenommen werden oder wenn ein Schockzustand für sexuelle Handlungen ausgenutzt wird. Dass das Opfer nachweisbar zur sexuellen Handlung genötigt wurde, ist mit der neuen Regelung indes nicht mehr erforderlich. Im Unterschied zum alten Recht, wonach nur Frauen Opfer einer Vergewaltigung sein konnten, spielt das Geschlecht des Opfers im revidierten Sexualstrafrecht keine Rolle mehr. Mit Verabschiedung der Sexualstrafrechtsrevision brachten die eidgenössischen Räte im Sommer 2023 eines der grössten Gesetzgebungsprojekte der 51. Legislatur zum Abschluss: die unter dem Titel «Harmonisierung der Strafrahmen» durchgeführte Revision des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches (BT). Ziel der Strafrahmenharmonisierung war es, die aus den 1940er-Jahren stammenden Strafen mit den heutigen Werthaltungen in Einklang zu bringen und deren Verhältnis zueinander neu auszuloten. Noch während das Sexualstrafrecht zu Ende debattiert wurde, traten die ersten beiden Vorlagen des BT-Revisionsprojekts, die in erster Linie die Strafen für Gewaltdelikte erhöhten, am 1. Juli 2023 bereits in Kraft.

Als weiteres Grossprojekt schloss das Parlament im Frühling 2023 die Revision der Zivilprozessordnung ab. Mit einer Vielzahl punktueller Anpassungen sollten festgestellte Schwachstellen der 2011 in Kraft getretenen Zivilprozessordnung ausgebessert und insgesamt deren Praxistauglichkeit verbessert werden. Ein von der Einigungskonferenz vorgeschlagener Kompromissvorschlag wurde schliesslich in beiden Räten breit mitgetragen. Nachdem im Sommer auch die Referendumsfrist ungenutzt verstrichen ist, wird das revidierte Zivilprozessrecht planmässig am 1. Januar 2025 in Kraft treten können.

Weiter stand 2023 im Zivilrecht das Erbrecht auf der politischen Agenda. Mit der Überarbeitung des sechsten Kapitels des IPRG über das internationale Erbrecht sollten Kompetenzkonflikte mit ausländischen Behörden minimiert und sich widersprechende Entscheidungen in internationalen Erbrechtsfällen verhindert werden. Zwischen den Kammern entbrannte ein erbitterter Streit über einige Punkte, so etwa um die Frage, ob Schweizer Doppelbürgerinnen und -bürger wählen können sollen, dem Recht welches ihrer Heimatstaaten sie ihren Nachlass unterstellen wollen. Nach erfolgreicher Kompromissfindung konnte die Vorlage in der Wintersession 2023 schliesslich verabschiedet werden. Im Hinblick auf das innerstaatliche Erbrecht trat am 1. Januar 2023 die erste Etappe der laufenden Erbrechtsrevision in Kraft, die in erster Linie die Pflichtteile reduzierte und damit die Verfügungsfreiheit der Erblasserinnen und Erblasser erhöhte. Die zweite Etappe zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge kam im Sommer 2023 ins Parlament, wobei der Ständerat im Unterschied zum Nationalrat nicht auf den Entwurf eintreten wollte.

Darüber hinaus trieben Bundesrat und Parlament 2023 die Digitalisierung in der Justiz voran. Mit der Verabschiedung des Bundesgesetzes über die Digitalisierung im Notariat ebneten die eidgenössischen Räte den Weg für die elektronische Ausfertigung von Urkunden und Beglaubigungen. Damit muss das Originaldokument künftig nicht mehr in Papierform erstellt werden. Zur sicheren Aufbewahrung der elektronischen Originaldokumente wird ein nationales Urkundenregister geschaffen. Um den elektronischen Rechtsverkehr generell zu ermöglichen, war im Parlament zudem das Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz hängig, wo es vom Erstrat positiv aufgenommen wurde.

Nach der grossen gesellschaftlichen Kontroverse um das Verbot zur Verhüllung des Gesichts, die rund um die 2021 angenommene Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ausgefochten worden war, ging die Umsetzung der Initiative geradezu ereignisarm vonstatten. Beide Parlamentskammern verabschiedeten den Entwurf zum Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot unverändert und mit grossen Mehrheiten. Auch in der Gesellschaft war kein grösserer Widerstand mehr vernehmbar, sodass die im Januar 2024 endende Referendumsfrist wohl ungenutzt verstreichen wird.

Für neue Kontroversen sorgen dürfte hingegen die im Mai 2023 lancierte Volksinitiative «für ein modernes Bürgerrecht». Die sogenannte Demokratie-Initiative fordert, dass Ausländerinnen und Ausländer schweizweit Anspruch auf Einbürgerung haben, wenn sie sich seit fünf Jahren rechtmässig in der Schweiz aufhalten, zu keiner längeren Freiheitsstrafe verurteilt wurden und über Grundkenntnisse einer Landessprache verfügen. Die hinter der Initiative stehende «Aktion Vierviertel» sieht in der tiefen Einbürgerungsquote ein Demokratiedefizit, weil rund ein Viertel der zur Schweizer Gesellschaft gehörenden Menschen politisch nicht mitbestimmen darf.

Jahresrückblick 2023: Rechtsordnung
Dossier: Jahresrückblick 2023

In der Wintersession 2023 hiess der Ständerat mit 23 zu 16 Stimmen bei 3 Enthaltungen eine Motion der RK-SR für ein Verbot der öffentlichen Verwendung von rassendiskriminierenden, gewaltverherrlichenden oder extremistischen, wie beispielsweise nationalsozialistischen, Symbolen gut. Diese wurde von der Rechtskommission als Reaktion auf die Motion Binder-Keller (mitte, AG) lanciert, die zum Ziel hatte, Nazisymbolik im öffentlichen Raum ausnahmslos zu verbieten. Im Unterschied zur Motion Binder wollte die Kommissionsmotion den Wirkungsbereich des Verbotes auf weitere extremistische, gewaltverherrlichende und rassendiskriminierende Symbole ausweiten und es der Regierung überlassen, ob das Verbot in einem Spezialgesetz oder im Strafgesetzbuch umzusetzen sei. Die Mehrheit der Ständekammer gab diesem breiter gefassten Ansatz den Vorzug, während die Mitte-Links-Minderheit lieber die Motion Binder-Keller überweisen wollte und die Kommissionsmotion daher ablehnte.

Verbot der öffentlichen Verwendung von rassendiskriminierenden, gewaltverherrlichenden oder extremistischen, wie beispielsweise nationalsozialistischen Symbolen (Mo. 23.4318)
Dossier: Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen

In der Wintersession 2023 lehnte der Ständerat die Motion Binder-Keller (mitte, AG) ab, die zum Ziel hatte, Nazisymbolik im öffentlichen Raum ausnahmslos zu verbieten. Er folgte damit, anders als der Nationalrat, der Empfehlung des Bundesrates und nahm stattdessen eine Kommissionsmotion der RK-SR an, die den Wirkungsbereich des Verbotes auf weitere extremistische, gewaltverherrlichende und rassendiskriminierende Symbole ausweiten und es der Regierung überlassen will, ob das Verbot in einem Spezialgesetz oder im Strafgesetzbuch umzusetzen sei. Die Motionärin plädierte vergeblich dafür, beide Motionen anzunehmen und so dem Verbot von nationalsozialistischer Symbolik konkret Schub zu verleihen sowie den vorangegangenen Bericht des Bundesrates gebührend zu berücksichtigen. Die enge Umsetzungsvorgabe der Motion sei zudem bewusst gewählt, um die nach Artikel 1 StGB erforderliche klare Definition zu gewährleisten. Eine Mehrheit war jedoch davon überzeugt, dass der Antrag der Kommission die genannte Forderung genügend mit einschliesse und hiess die Kommissionsmotion mit 23 zu 16 Stimmen bei 3 Enthaltungen gut. Die Gegenstimmen stammten von Mitte-Links, welche die Motion Binder-Keller überweisen wollten.

Keine Verherrlichung des Dritten Reiches. Nazisymbolik im öffentlichen Raum ausnahmslos verbieten (Mo. 21.4354)
Dossier: Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen

Der Nationalrat gab in der Wintersession 2023 einer parlamentarischen Initiative Bendahan (sp, VD) mit der Forderung, das Recht auf digitale Unversehrtheit in die Verfassung aufzunehmen, mit 118 zu 65 Stimmen bei 3 Enthaltungen keine Folge. Gemäss dem Initianten sollte die digitale Unversehrtheit die Kontrolle und das Wissen darüber garantieren, welche Daten im digitalen Leben durch eigene Aktivität sowie Dritte gesammelt, berechnet und weitergegeben werden. Aufgrund der fehlenden Verfassungsgrundlage sei diese heute unzureichend geschützt, argumentierte Bendahan. Mit seinem ablehnenden Entscheid folgte der Nationalrat dem Mehrheitsantrag seiner SPK, die eine Verfassungsänderung als nicht angezeigt ansah. Die Anhörung von Expertinnen und Experten habe ergeben, dass der bestehende Grundrechtskatalog – insbesondere das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 BV) und das Recht auf Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) – ausreiche, um die digitale Identität zu schützen. Die Kommission wolle sich dem Thema dennoch annehmen und an einer nächsten Sitzung besprechen, ob eine Überprüfung angezeigt sei und gegebenenfalls Gesetzeslücken bestünden, versicherte Kommissionssprecherin Barbara Steinemann (svp, ZH). Vergeblich hatte Minderheitssprecherin Céline Widmer (sp, ZH) für das Anliegen argumentiert, dass sich gesellschaftliche Veränderungen im Grundrechtskatalog niederschlagen müssten. Die parlamentarische Initiative Bendahan ist somit definitiv abgelehnt.

das Recht auf digitale Unversehrtheit in die Verfassung (Pa. Iv. 22.479)