<<>>
Wirtschaft
Allgemeine Wirtschaftspolitik
Die günstige Wirtschaftsentwicklung hielt weiter an. – Das Parlament hiess die vom Bundesrat vorgeschlagene neue Regionalpolitik gut. – Der Bundesrat gab Vorschläge für die von breiten Kreisen geforderte einseitige Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips im Warenverkehr mit der EU in die Vernehmlassung. – Eine Privatperson lancierte eine Volksinitiative zur Limitierung der oft als exorbitant empfundenen Managerlöhne und Verwaltungsratsentschädigungen bei Aktiengesellschaften.
 
Der Nationalrat stimmte der Motion der ständerätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen, welche im Verfassungsartikel 43a BV die Festschreibung der Grundsätze für die Grundversorgung des Landes mit Infrastrukturen fordert, ebenfalls zu. Opposition gab es von Seiten der SVP und eines Teils der FDP, welche eine Überregulierung und einen Verlust an Flexibilität bei der Anpassung veralteter Strukturen befürchteten [1].
Die vom Bundesrat vorgeschlagene vollständige Privatisierung der Swisscom stiess auf den Widerstand der SP, der CVP und der GP und scheiterte im Parlament [2].
Konjunkturlage und -politik
Die Weltwirtschaft wies 2006 zum dritten Mal in Folge ein starkes Wachstum auf. Da sich insbesondere in Europa die Lage stark verbesserte und gleichzeitig in den USA eine leichte Verflachung der Wachstumskurve konstatiert wurde, verlief die Entwicklung regional ausgeglichener als in den vorangegangenen Jahren. In Europa fiel vor allem der Aufschwung in Deutschland bemerkenswert kräftig aus (+2,7%), nachdem die grösste Volkswirtschaft der EU in den Vorjahren hinter den kleineren Ländern her gehinkt war. Dank der besseren Konjunkturlage gingen auch die Arbeitslosenzahlen zurück. Die Inflation blieb trotz des starken Wirtschaftswachstums relativ bescheiden, wobei sich die schwankenden Erdölpreise zuerst beschleunigend, im zweiten Halbjahr dann aber bremsend auf den Teuerungsindex auswirkten [3].
top
 
Die schweizerische Konjunktur entwickelte sich im Berichtsjahr ebenfalls erfreulich, was zu Jahresbeginn nicht durchwegs erwartet worden war. Insbesondere der Export von Gütern und Dienstleistungen trug mit einer geschätzten Expansionsrate von 9,6% viel zum Wachstum bei. Diese starke Nachfrage aus dem Ausland wirkte sich, gepaart mit den nach wie vor tiefen Zinssätzen, auch belebend auf das Investitionsverhalten aus: Die Ausrüstungsinvestitionen nahmen real um 7,1% zu. Eher zurückhaltend entwickelte sich der private Konsum (1,9%), während der Konsum des Staates und der Sozialversicherungen sogar leicht rückläufig war (-0,6%). Gemäss diesen ersten Schätzungen nahm das reale Bruttoinlandprodukt um 2,8% zu (2005: 1,9%).
Die Beschäftigtenzahlen reagierten mit beträchtlicher Verspätung doch noch auf das seit einigen Jahren anhaltende Wirtschaftswachstum. Insgesamt nahm die Beschäftigung, gemessen an Stellen in Vollzeitäquivalenten, um 0,8% zu. Die Arbeitslosenquote war rückläufig. Im saisonbereinigten Jahresmittel reduzierte sie sich von 3,8% auf 3,3%; am Jahresende betrug sie noch 3,1% (Dezember 2005: 3,7%), was einer Zahl von 128 580 Personen entsprach. Der Rückgang war in allen Landesteilen spürbar. In der Deutschschweiz verringerte sich die Arbeitslosenquote im Jahresmittel auf 2,8%, in der Romandie und im Tessin auf 4,8% (je -0,3 Prozentpunkte). Ausländer waren mit einer durchschnittlichen Jahresquote von 6,1% immer noch mehr als doppelt so häufig betroffen wie Schweizer (2,5%); auch hier ergab sich bei beiden Gruppen ein etwa gleich starker Rückgang.
Die am Landesindex der Konsumentenpreise gemessene Teuerung blieb mit 1,1% im Jahresmittel praktisch unverändert (2005: 1,2%). Im Jahresverlauf wurde die Entwicklung von den stark schwankenden, zuerst weiter ansteigenden, sich gegen Jahresende aber wieder zurückbildenden Erdölpreisen beeinflusst. Die Inflationsrate inländischer Waren und Dienstleistungen stieg geringfügig von 0,6% auf 0,8% an, diejenige der Importgüter nahm wegen der im Jahresmittel immer noch ansteigenden Erdölpreise etwas stärker, nämlich um 1,9% (Vorjahr 2,7%) zu [4].
top
 
Die Nationalbank setzte ihre seit 2004 verfolgte Politik der Abschöpfung der bis 2003 etwas zu stark expandierten Geldmenge fort. Dazu trugen im Berichtsjahr vor allem die vier in regelmässigen Abständen vorgenommenen Erhöhungen des Zielbereichs des Libor-Satzes (Zinsen für Dreimonatsgelder) um jeweils 0,25 Prozentpunkte bei. Der Frankenkurs bewegte sich gegenüber dem Euro in engen Bandbreiten. Obwohl die Zinssatzerhöhungen parallel zu denen der Europäischen Zentralbank vorgenommen worden waren, stieg der Eurokurs gegenüber demjenigen des Frankens im Jahresverlauf kontinuierlich leicht an. Der Dollar büsste hingegen die Wertgewinne des Vorjahres gegenüber dem Franken wieder weitgehend ein. Der handelsgewichtete Kurs des Frankens ging im Berichtsjahr sowohl nominal als auch real leicht zurück [5].
top
Strukturpolitik
Trotz der Verstärkung des internationalen Wettbewerbs und dem Rückgang des Anteils des Industriesektors an der Volkswirtschaft lehnt der Bundesrat die Einführung einer interventionistischen Industriepolitik weiterhin ab. Gemäss Bundesrat Deiss zeige unter anderen das Beispiel Frankreich, dass diese Art der Wirtschaftsförderung kontraproduktiv sei. Der Nationalrat teilte diese Haltung und lehnte eine entsprechende Motion Leutenegger (sp, BL) ab. Noch stärkere protektionistische Massnahmen zu Schutz einheimischer Arbeitsplätze schlug Zisyadis (pda, VD) vor. Seine parlamentarische Initiative, Firmen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlegen, mit einer Sondersteuer zu bestrafen, lehnte der Nationalrat diskussionslos ab [6].
Die Bezeichnung „Schweiz“ wird oft bei in- und ausländischen Produkten als Mittel zur Verkaufsförderung eingesetzt. Mit dem Argument der besseren Information der Konsumenten, aber auch des Schutzes einheimischer Produzenten vor unfairer ausländischer Konkurrenz reichten Nationalrätin Hutter (svp, SG) und Ständerätin Fetz (sp, BS) Postulate für einen besseren Schutz der „Marke Schweiz“ und des Schweizer Wappens ein. Beide Parlamentskammern überwiesen diese Vorstösse mit dem Einverständnis der Landesregierung. In seiner Antwort auf das Postulat Fetz machte Justizminister Blocher aber darauf aufmerksam, dass bei der Schaffung von gesetzlichen Schutzbestimmungen heikle Definitionsprobleme zu lösen wären, da heute – abgesehen von der Landwirtschaft – kaum mehr ein Produkt zu hundert Prozent in einem einzigen Land entwickelt und hergestellt werde [7].
top
 
Das Parlament befasste sich im Berichtsjahr mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen neuen Regionalpolitik. Als Erstrat musste der Ständerat in der Frühjahrssession zur Kenntnis nehmen, dass seine vorberatende Kommission nicht in der Lage gewesen war, das Ende 2005 vom Bundesrat vorgelegte Paket vollständig zu beraten. Er hiess deshalb zuerst einmal, als Übergangslösung bis zur Inkraftsetzung des neuen Gesetzes, die Verlängerung der Geltungsdauer für die bestehenden Instrumente gut. Der Nationalrat folgte ihm in der Sommersession. Im Einzelnen handelte es sich dabei um folgende Programme: Interreg III der EU, Unterstützung des Strukturwandels im ländlichen Raum, Unterstützung von Investitionsvorhaben und überbetriebliche Investitionen in wirtschaftlichen Erneuerungsgebieten sowie Massnahmen zugunsten von wirtschaftlichen Erneuerungsgebieten [8].
Das neue Bundesgesetz über die Regionalpolitik, das die Mitfinanzierung von infrastrukturellen Einzelprojekten durch die Unterstützung von Massnahmen ersetzen will, welche die Konkurrenzfähigkeit einer Region insgesamt stärken, kam dann in der Sommersession vor den Ständerat. Dieser nahm es ohne bedeutende Änderungen an. Im Nationalrat, der die Vorlage ebenfalls noch in der Sommersession verabschiedete, beantragte eine von Gysin (sp, BS) angeführte Kommissionsminderheit die Rückweisung an den Bundesrat mit der Auflage, alle Regionen, das heisst auch die grossen Städte, in die Regionalpolitik einzubeziehen. Gysin fand für seinen Antrag im ganzen Rat nur bei vier anderen Abgeordneten Unterstützung. In der Detailberatung wurden Anträge der Linken abgelehnt, welche die Ziele der nachhaltigen Entwicklung und der Schonung der Ressourcen stärker gewichten wollten. Nicht besser erging es auch einem Antrag aus ihren Reihen, eine bessere Zusammenarbeit unter den Gemeinden, den Kantonen und dem Bund mit der Einrichtung einer Tripartiten Konferenz anzustreben [9].
top
 
Beide Parlamentskammern stimmten einer Stärkung des gewerblichen Bürgschaftswesens, wie sie die WAK des Nationalrats mit einer parlamentarischen Initiative vorgeschlagen hatte, zu. Für die Absicherung von eventuellen Bürgschaftsverlusten und nachrangigen Darlehen bewilligte das Parlament einen Rahmenkredit von 40 Mio Fr. für die Periode 2007-2010 [10].
Der Bundesrat veröffentlichte gegen Jahresende eine Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Aufhebung und die Vereinfachung von Bewilligungsverfahren. Darin stellt er dar, welche Vereinfachungen und Aufhebungen von Genehmigungsverfahren er in naher Zukunft durchführen will (resp. bereits eingeleitet hat). Die meisten dieser Massnahmen sind auf Verordnungsstufe geregelt oder gelten als Verwaltungspraxis. Die Kompetenz zu ihrer Aufhebung oder Abänderung liegt deshalb beim Bundesrat, den Departementen oder den zuständigen Bundesämtern. Für einige Neuerungen (z.B. die Aufhebung der immer noch verlangten Genehmigung des Handels mit gebrannten Wassern über die Kantonsgrenzen hinweg) braucht es hingegen eine Gesetzesänderung. Mit der Summe dieser an sich unspektakulären Vereinfachungen sollen die Unternehmen Millionen von Arbeitsstunden einsparen können [11].
Die im Vorjahr vom Nationalrat überwiesene Motion für eine Berücksichtigung der Anliegen der KMU bei der rechtlichen Umsetzung der internationalen Empfehlungen an die Banken bezüglich der Eigenmittelvorschriften und des Ratings für Geschäftskredite (Basel I und Basel II) fand auch in der kleinen Kammer Zustimmung [12].
top
 
Der Nationalrat unterstützte eine Motion seiner WAK für eine Zusammenfassung der verschiedenen Organisationen, welche für die Schweiz oder einzelne ihrer Aspekte im Ausland Werbung machen. Gemäss der gegen den Widerstand der Linken verabschiedeten Motion sollen in einem ersten Schritt zwei Gesellschaften gebildet werden: eine aus Organisationen, die im Bereich der Aussenhandelsförderung tätig sind (u.a. Osec) und eine zweite aus den mehr im Tourismusbereich angesiedelten (z.B. Schweiz Tourismus, Präsenz Schweiz). Diese beiden neuen Gesellschaften sollen infolge von Synergieeffekten 20% der bisherigen Kosten einsparen und dann in einer zweiten Phase zu einer einzigen Organisation vereinigt werden. Die Linke kritisierte nicht die Konzentration an sich, sondern die mangelhafte Vorbereitung des Geschäfts und vor allem die vorgeschlagene Zusammenfassung von Organisationen aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit mit der Exportförderung. Der Ständerat lehnte diese Motion des Nationalrats auf Antrag seiner Kommission einstimmig ab. Das Anliegen einer Konzentration sei zwar weder im Parlament noch im Bundesrat umstritten. Der Vorstoss sei jedoch zu detailliert und gebe einzelne operative Schritte vor, ohne sich auf eine klare Strategie abzustützen. Im Oktober eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung zu einem Entwurf für ein Gesetz über die schweizerische Landeswerbung. Dieses sieht vor, dass die drei Organisationen Präsenz Schweiz, Schweiz Tourismus und Location Switzerland zu einer neuen öffentlichrechtlichen Anstalt fusioniert werden [13].
Als Zweitrat hiess der Nationalrat die Vereinheitlichung und Vereinfachung des Verfahrens für die Bewilligung von Luftseilbahnen zur Personenbeförderung gut. Ein Antrag, den Bund mit dem Gesetz auch auf die Förderung der Seilbahnen zu verpflichten, scheiterte deutlich. Obwohl die Grünen mit mehreren Anträgen unterlagen, welche umweltschutzpolitische Aspekte stärker betonen wollten, hiessen schliesslich in der Gesamtabstimmung alle Fraktionen das revidierte Gesetz gut. Die wenigen Differenzen zwischen den beiden Kammern waren rasch bereinigt [14].
Bei einigen der im alpinen Tourismusgebiet konzessionierten Spielbanken entsprachen die Umsätze und Gewinne bei weitem nicht den Erwartungen. Diejenigen von Arosa (GR) und Zermatt (VS) hatten ihren Betrieb mangels ausreichender Rendite bereits 2003 eingestellt; diejenigen in Davos und St. Moritz (beide GR) kämpfen bis heute mit grossen wirtschaftlichen Problemen. Andere wie Crans-Montana (VS) und Interlaken (BE) erwirtschafteten hingegen von Anfang an Gewinne. Zwei Parlamentarier aus Graubünden verlangten jetzt mit parlamentarischen Initiativen eine Lockerung der Konzessionsbestimmungen. Diese sehen heute vor, dass der an den Bund abzuliefernde Abgabesatz während einer Startphase von vier Jahren auf bis zu 20% reduziert werden kann. Ständerat Brändli (svp) forderte in seiner Initiative, dass diese Erleichterung für sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindende Spielbanken nicht nur für die Startphase, sondern unbeschränkt gelten soll. Nationalrat Bezzola (fdp) ging etwas weniger weit und verlangte, diese Startphase auf acht Jahre zu verlängern. Nachdem die Rechtskommissionen beider Räte diesen Initiativen Folge gegeben hatten, arbeitete diejenige des Ständerats eine Vorlage aus. Diese sieht eine Verlängerung der Startphase auf sieben Jahre vor. Der Bundesrat sprach sich gegen diesen Antrag aus, da damit die Gleichbehandlung der Casinos verletzt würde. Es sei zudem grundsätzlich nicht Aufgabe des Bundes, die beiden privaten Aktiengesellschaften der Kasinos Davos und St. Moritz mit zusätzlichen Steuerermässigungen zu fördern. Dies gelte umso mehr, als die Existenz dieser Spielbanken entgegen den Erwartungen offenbar keine positiven Auswirkungen auf den Tourismus in den beiden Regionen gehabt hätten [15].
Der Bundesrat eröffnete im Frühjahr eine Vernehmlassung über eine weniger restriktive Verordnung für die Zulassung von Glückspielautomaten [16].
top
Wettbewerb
Der Versuch der SVP, die Preisüberwachung in wettbewerbsschwachen Märkten abzuschaffen, scheiterte im Nationalrat deutlich. Neben der fast geschlossenen SVP-Fraktion stimmten bloss eine Minderheit der FDP und einige wenige CVP-Abgeordnete dafür. In ihrer Argumentation hatte die SVP klargemacht, dass es ihr weniger um das Anliegen der Preisüberwachung an sich als vielmehr um die Funktion des Preisüberwachers (zur Zeit ausgeübt vom ehemaligen SP-Nationalrat Rudolf Strahm) ging. Eine derartige Personifizierung einer Verwaltungsfunktion lehne sie ab. Nicht besser erging es einer Motion der FDP-Fraktion, welche die Aufgaben des Preisüberwachers vor allem auf die kritische Begutachtung der administrierten (d.h. vom Staat festgelegten oder kontrollierten) Preise ausrichten wollte [17].
top
 
Die Einführung des so genannten Cassis-de-Dijon-Prinzips (d.h. die volle Anerkennung der Zulassungsprüfungen und Deklarationsvorschriften anderer Länder, auch wenn deren Bestimmungen von den landeseigenen abweichen) im Warenverkehr mit der EU wurde weiterhin gefordert. Angesichts der Widerstände in der EU, ein entsprechendes gegenseitiges Abkommen mit der Schweiz abzuschliessen, machte sich namentlich die FDP stark für eine einseitige Einführung durch die Schweiz. Der Nationalrat überwies wie im Vorjahr der Ständerat die Motion Hess (fdp, OW) für die einseitige Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips für Importe aus der EU, falls mit der EU keine Einigung zustande kommt. Auch die Wettbewerbskommission stellte sich hinter diese Forderung. Ein Teil der Wirtschaft und einige Politiker befürchten allerdings Nachteile für die einheimischen Produzenten, wenn sich diese weiterhin an die schweizerischen Vorschriften aus den Bereichen des Umweltschutzes oder der Konsumenteninformation halten müssen, die Importgüter aber davon befreit sind. So müssen etwa in der Schweiz obligatorische Warnhinweise auf Konsumgütern in den drei Landessprachen Deutsch, Französisch und Italienisch angebracht sein, gemäss dem Cassis-de-Dijon-Prinzip könnten aber auch Güter mit bloss einsprachiger Warnbeschriftung importiert werden. In einer verwaltungsinternen Vernehmlassung verlangten Bundesstellen zuerst etwa 130 und in einer zweiten Runde dann noch gut 100 Ausnahmen. Der Nationalrat überwies ein Postulat Baumann (svp, TG), welches vom Bundesrat eine Liste mit allen von der schweizerischen Norm abweichenden EU-Regeln für den Verkauf von Konsumgütern fordert. Im Herbst gab Bundesrätin Leuthard bekannt, dass sie eine Revision des Gesetzes über technische Handelshemmnisse eingeleitet habe, und gegen Jahresende wurde ein Vorentwurf dazu in die Vernehmlassung gegeben. Dieser sieht einerseits als Schutzmassnahmen bei der Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips vor, dass sich inländische Hersteller, die auch für den Export in einen EU-Staat produzieren, in Zukunft für den Verkauf in der Schweiz an den Vorschriften dieses Landes orientieren dürfen. Andererseits sollen einige wenige umwelt- oder gesundheitspolitisch begründete Ausnahmen vom Cassis-de-Dijon-Prinzips gelten [18].
Der Nationalrat behandelte in der Wintersession eine Revision des Patentrechts. Primär geht es dabei um die für die Forschung wichtige Einführung eines Patentschutzes für biotechnologische Erfindungen. Vorgeschlagen hatte der Bundesrat aber auch, ein Verbot des Parallelimports patentrechtlich geschützter Waren ins Patentgesetz aufzunehmen. Dieses Verbot stützt sich zur Zeit allein auf ein Bundesgerichtsurteil (so genannter Kodak-Entscheid) und nicht auf einen expliziten Gesetzesparagraphen ab. Die vorberatende Kommission des Nationalrats sprach sich dagegen aus. Sie regte an, diesen Teil aus dem Patentgesetz auszuklammern und in einer separaten Vorlage zu präsentieren. Damit soll verhindert werden, dass die bereits wegen ihrem biotechnologischen Aspekt nicht unbestrittene Vorlage in einem allfälligen Referendumskampf zusätzliche Angriffsfläche bietet. Der Bundesrat erklärte sich mit diesem Vorgehen einverstanden und auch der Nationalrat stimmte zu. Grundsätzlich engagierten sich von den politischen Akteuren die FDP, die SVP, Economiesuisse sowie die Pharma-Industrie für eine gesetzliche Verankerung des Verbots der Parallelimporte patentrechtlich geschützter Waren, während SP, CVP, Detailhandel, Gewerbeverband, Bauernverband, Konsumentenorganisation und auch die Weko dagegen waren. Im Sommer war der Bundesrat, der bisher das Verbot unterstützt hatte, etwas von seiner Haltung abgewichen. Er gab bekannt, dass er sich im Rahmen eines Abkommens mit der EU über den Agrarfreihandel für diesen Bereich eine Zulassung von Parallelimporten patengeschützter Güter (z.B. Dünger oder Pflanzenschutzmittel) aus der EU vorstellen könnte. Hintergrund dieser Erklärung war, den Landwirten die angestrebte Marktöffnung für Landwirtschaftserzeugnisse mit der Möglichkeit des Imports von billigeren Produktionsmitteln etwas erträglicher zu machen [19].
top
 
Der Wunsch des Europäischen Fussballverbandes (UEFA), die Marketingrechte der Sponsoren seiner Veranstaltungen besonders zu schützen (insbesondere bei der 2008 in der Schweiz und Österreich stattfindenden Fussball-Europameisterschaft), kam nicht gut an. Der Bundesrat schlug in einer Vernehmlassung vor, Anbietern von Gütern jegliche Anspielung auf einen von anderen Firmen gesponserten Anlass zu untersagen (gemäss bestehendem Recht ist bloss die Verwendung des Logos des Sportanlasses verboten). Diese Ergänzung des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb lehnten die politischen Parteien und die Kantonsregierungen einhellig ab. Der Bundesrat verzichtete in der Folge auf das Vorhaben [20].
top
 
Im Frühjahr gab der Bundesrat ein neues Gesetz über die Produktsicherheit in die Vernehmlassung. Der Schutz soll mit den neuen Bestimmungen durchwegs auf das Niveau der entsprechenden EU-Richtlinie erhöht werden. Neu geschaffen würde unter anderem die Kompetenz für die Bundesbehörden, fehlerhafte und gefährliche Geräte und Apparate vom Markt zurück zu rufen [21].
Der Nationalrat und nach ihm auch die kleine Kammer überwiesen eine Motion Berberat (sp, NE), welche Reisebüros verpflichten will, die Kunden über die Namen der an einer angebotenen Reise beteiligten Fluggesellschaften zu informieren. Der Bundesrat unterstützte die Forderung, wies aber darauf hin, dass die Schweiz wegen des Luftfahrtabkommens mit der EU diesen Bereich nicht autonom regeln kann, sondern auf die Inkraftsetzung einer entsprechenden EU-Verordnung angewiesen ist [22].
top
Gesellschaftsrecht
Die ersten Reaktionen auf die Ende 2005 in die Vernehmlassung gegebene Teilrevision des Aktien- und des Rechnungslegungsrechts (rechtliche Bestimmungen für Aktiengesellschaften) fielen vorwiegend positiv aus. Insbesondere die Stärkung der Aktionärsrechte durch verbesserte Transparenz sowie Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten wurde begrüsst. Economiesuisse, die FDP und die CVP kritisierten jedoch den im Reformpaket enthaltenen Vorschlag, die stimmrechtlose Inhaberaktie abzuschaffen [23].
Der Unternehmer Thomas Minder lancierte im Oktober eine Volksinitiative, welche den Aktionären von schweizerischen Aktiengesellschaften Mittel in die Hände geben will, um die oft als exorbitant empfundenen Managerlöhne und Verwaltungsratsentschädigungen zu reduzieren. Das „Abzockerinitiative“ genannte Begehren verlangt insbesondere, dass die jährliche Generalversammlung das Total der obgenannten Vergütungen festlegt. Dabei sollen die Banken kein Depotstimmrecht mehr ausüben dürfen, und die Pensionskassen müssten ihre Stimme transparent und im Interesse der Versicherten abgeben. Obwohl unter anderem die Boulevardzeitung Blick das Anliegen massiv propagierte, blieb die politische Unterstützung für den Unternehmer weitgehend aus. Einzig die EVP und die Luzerner FDP machten im Berichtsjahr ihren Support publik [24].
Die Linke war 2004 im Nationalrat mit dem Antrag gescheitert, den börsenkotierten Unternehmen eine Frauenquote für den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung vorzuschreiben. Im Berichtsjahr lehnte der Nationalrat auch eine parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL) ab, welche diese Firmen verpflichten wollte, jährlich über die Verwirklichung des Geschlechtergleichstellungsprinzips in ihrem Unternehmen zu berichten [25].
Das Parlament stimmte einer verbesserten rechtlichen Definition von Trusts zu. Widerstände oder Abänderungsanträge gab es keine. Der Bundesrat hatte die Reform im Rahmen der Genehmigung des „Haager Übereinkommens über das auf Trusts anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung“ vorgeschlagen [26].
Die Eidgenössische Stiftungsaufsicht ist im EDI angesiedelt. Eine ihrer Aufgaben besteht in der Beurteilung von Problemen, die entstehen können, wenn die Absicht eines Stiftungsgründers neu interpretiert werden muss. Im Nachgang zur Lösung eines derartigen Konflikts hatte die GPK des Ständerats mit einer Motion verlangt, dass diese Stiftungsaufsicht in ein anderes Departement umzusiedeln sei (z.B. ins EJPD). Da viele Stiftungen in den Bereichen Kultur, Bildung, Forschung und gemeinnützige Aufgaben verankert seien, könnten für das auf dem selben Feld tätige EDI Interessenkonflikte entstehen. Gegen den Antrag des Bundesrates, der sich unter anderem auf seine alleinige Kompetenz in Fragen der Verwaltungsorganisation berief, hiess die kleine Kammer den Vorstoss gut [27].
top
Weiterführende Literatur
Arvanitis, Spyros / Hollenstein, Heinz / Marmet, David, Internationale Wettbewerbsfähigkeit: Wo steht der Standort Schweiz?, Zürich 2006.
Brunetti, Aymo, Volkswirtschaftslehre: Eine Einführung für die Schweiz, Bern 2006.
Greulich, Günther e.a. (Hg.), Empirische Konjunktur- und Wachstumsforschung: Festschrift für Bernd Schips zum 65. Geburtstag, Zürich 2006.
Grisel, Etienne, Liberté économique: libéralisme et droit économique en Suisse, Berne 2006.
Hotz-Hart, Beat / Schmuki, Daniel / Dümmler, Patrick, Volkswirtschaft der Schweiz, Zürich 2006 (4. überarbeitete und erweiterte Aufl.).
Jaeger, Franz (Hg.), Der schweizerische Königsweg: Bilateral kooperieren – global öffnen, Chur 2006.
Schönenberger, Alain / Zarain-Nejadan, Milad, Kompaktwissen Volkswirtschaft Schweiz, Zürich 2006.
top
 
Good, Barbara, Technologie zwischen Markt und Staat: Die Kommission für Technologie und Innovation und die Wirksamkeit ihrer Förderung, Zürich (Diss. phil. I) 2006.
top
 
Alter, Rolf, „Regulierungsreform in der Schweiz: OECD-Examen und Empfehlungen“, in Die Volkswirtschaft, 2006, Nr. 5, S. 10-14.
Balastèr, Peter / Michal, Sven, „Regulierungen der Schweiz im internationalen Vergleich“, in Die Volkswirtschaft, 2006, Nr. 5, S. 6-9.
Die Volkswirtschaft, 2006, Nr. 6, S. 4-37 (Monatsthema: Detailhandel).
Weder, Rolf / Barsuglia, Guido, „Pharmapreise im Dreieck von Patentschutz, Parallelimporten und Preisregulierung“, in Die Volkswirtschaft, 2006, Nr. 7/8, S. 30-33.
top
 
Mach, André e.a., „Transformations de l’autorégulation et nouvelles régulations publiques en matière de gouvernement d’entreprise en Suisse (1985-2002)“, in Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 2006, Nr. 1, S. 1-32.
top
 
[1] AB NR, 2006, S. 11 ff. Siehe SPJ 2005, S. 87.
[2] Siehe dazu unten, Teil I, 6b (Post und Telekommunikation).
[3] Schweizerische Nationalbank, 99. Geschäftsbericht 2006, Bern 2007, S. 13 ff.
[4] Schweizerische Nationalbank, 99. Geschäftsbericht 2006, Bern 2007, S. 18 ff. sowie Internet-Seiten des BFS und des seco.
[5] Schweizerische Nationalbank, 99. Geschäftsbericht 2006, Bern 2007, S. 24 ff.
[6] AB NR, 2006, S. 962 f. (Leutenegger) und 1195 f. (Zisyadis).
[7] AB NR, 2006, S. 116; AB SR, 2006, S. 399 f.; NZZ, 3.7.06; BZ und TG, 16.11.06.
[8] AB SR, 2006, S. 32 f. und 619; AB NR, 2006, S. 943 ff. und 1147; BBl, 2006, S. 5863 f., 5865 f., 5867 f. und 8863. Vgl. SPJ 2005, S. 89 f.
[9] AB SR, 2006, S. 493 ff., 854 ff. und 923; AB NR, 2006, S. 1370 ff., 1496 f. und 1603; BBl, 2006, S. 8417 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 89 f.
[10] AB NR, 2006, S. 677 ff. und 1604; AB SR, 2006, S. 707 ff. und 924; BBl, 2006, S. 8305 ff.; BBl, 2007, S. 1715 (Rahmenkredit). Siehe SPJ 2005, S. 90. Vgl. auch den Protest von SR Fetz (sp, BS) gegen die vom BR geplante Reduktion der 10 regionalen Bürgschaftsorganisationen auf 3 (AB SR, 2006, S. 560; BaZ, 29.7.06).
[11] BBl, 2007, S. 315 ff.; Bund, 19.1.06; NZZ, 9.12.06. Siehe dazu auch die diversen Aufsätze in Die Volkswirtschaft, 2006, Nr. 1/2, S. 3-37.
[12] AB SR, 2006, S. 532 ff.
[13] AB NR, 2006, S. 688 ff.; AB SR, 2006, S. 518 ff. Vernehmlassung: Antwort des BR auf eine Anfrage Müller (fdp, SG) in AB NR, 2006, I, Beilagen, S. 124. Zu den Forderungen nach einer Konzentration siehe auch SPJ 2004, S. 81.
[14] AB NR, 2006, S. 425 ff., 1057 und 1145; AB SR, 2006, S. 459 ff. und 617; BBl, 2006, S. 5869 ff. Siehe SPJ 2005, S. 90 f. Siehe auch unten, Teil I, 6b (Generelle Verkehrspolitik).
[15] BBl, 2007, S. 199 ff. und 215 ff. (BR). Siehe SPJ 2002, S. 90.
[16] AB NR, 2006, S. 292 f. und I, Beilagen, S. 47 ff. Siehe SPJ 2005, S. 91 (Fussnote 18).
[17] AB NR, 2006, S. 697 f. (SVP) und 956 ff. (FDP).
[18] AB NR, 2006, S. 265 ff. (Hess) und 1117 (Baumann); NZZ, 5.4.06 (Weko); TA, 10.6.06 und SGT, 9.8.06 (Ausnahmen); TA, 30.11.06 (Vernehmlassung). Vgl. auch die Antwort des BR auf Interpellationen der FDP-Fraktion resp. von SR Hess (fdp, OW) in AB NR, 2006, IV, Beilagen, S. 417 f.; AB SR, 2006, S. 706 f. und IV, Beilagen, S. 124 f. Siehe SPJ 2005, S. 92.
[19] SHZ, 5.4.06; TA, 13.5. und 14.10.06 (politische Akteure); TA, 30.6. und 5.7.06 (Agrarhandel); QJ, 23.11.06 und TA, 29.11.06 (Kommissionsentscheid). Zu den parlamentarischen Beratungen der Patentrechtsrevision siehe unten, Teil I, 8a (Forschung). Vgl. SPJ 2005, S. 88 f.
[20] SGT, 19.8.06; TA, 23.11.06.
[21] NLZ, 2.3.06.
[22] AB NR, 2006, S. 489 und I, Beilagen, S. 375 f.; AB SR, 2006, S. 463.
[23] TA, 1.6.06; BaZ, 19.6.06. Siehe SPJ 2005, S. 96.
[24] BBl, 2006, S. 8755 ff.; TA, 13.10.06; Blick, NLZ und TA, 31.10.06 (Lancierung); TA, 11.11. (FDP-LU) und 15.11.06 (EVP).
[25] AB NR, 2006, S. 474 ff. Siehe SPJ 2004, S. 86 (pa. Iv. Teuscher, gp, BE).
[26] AB SR, 2006, S. 290 f. und 1266; AB NR, 2006, S. 2001 ff. und 2046; BBl, 2007, S. 41 ff. Siehe SPJ 2005, S. 96.
[27] AB SR, 2006, S. 728 f.
top