Parteien, Verbände und Interessengruppen
Parteien
Die linken und die grünen Parteien verfügen in fast allen grossen Städten der Schweiz über die Mehrheit. – Die SP forderte einen möglichst raschen Beitritt zur EU. – Die FDP versuchte mit verschiedenen Positionsbezügen ein junges, urbanes und weibliches Elektrorat anzusprechen. – Christophe Darbellay wurde neuer Präsident der CVP; er ersetzte die in den Bundesrat gewählte Doris Leuthard. – Die SVP bereitete ihre Kampagne für die Wahlen 2007 vor und setzte sich hohe Ziele. – Die Grünen diskutierten über den Sinn einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. – Die PdA schloss sich mit anderen Parteien der äusseren Linken zu einer Föderation zusammen. – Die Schweizer Demokraten ergriffen das Referendum gegen das Osthilfe-Gesetz.
Parteiensystem
Zu den Sitzanteilen der Parteien auf Exekutiv- und Legislativebene sowie zu den Frauenanteilen vgl. oben, Teil I, 1e (Wahlen) sowie Anhang (
anhang_2006.pdf). Zu den Parolen der Parteien zu den eidgenössischen Volksabstimmungen siehe die Tabelle
parolen_2006.pdf am Ende dieses Kapitels. Siehe dazu auch die verschiedenen Sachkapitel.
Die Parteienstärken auf Gemeindeebene haben in den vergangenen 20 Jahren einen markanten Wandel durchgemacht. Das ging aus einer Erhebung des Bundesamts für Statistik hervor, deren Ergebnisse im Februar veröffentlicht wurden. Die Studie analysierte die Wahlen in den 121 Schweizer Gemeinden mit über 10 000 Einwohnern im Zeitraum von 1983 bis 2005. Markant ist vor allem das Schrumpfen der bürgerlichen Mitte, das sich in den kontinuierlichen Verlusten von FDP und CVP ausdrückte und in grossen und kleineren Städten jeweils unterschiedliche Folgen zeitigte. So werden die fünf grössten Schweizer Städte – Zürich, Basel, Bern, Genf und Lausanne – mittlerweile von soliden Koalitionen aus Sozialdemokraten, Grünen und anderen Linksparteien regiert. In den grossen urbanen Zentren konnten linke und grüne Parteien auch ihren Anteil in den Parlamenten um 10 Prozentpunkte auf beinahe die Hälfte aller Sitze vergrössern. In den mittleren und kleineren Städten hingegen profitierte vor allem die SVP von der Schwäche der FDP und der CVP und erhöhte ihre Anteile sowohl in Exekutiven wie auch Legislativen. Demgegenüber wuchs die SVP in den neun grössten Städten lediglich auf legislativer Ebene, während sie an keiner der Regierungen mehr beteiligt ist. Während kleinere Städte also zu rechtsbürgerlichen Mehrheiten tendierten, stärkten die grossen Gemeinden das linke Spektrum in einem Ausmass wie zuletzt in den dreissiger Jahren, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen.
Zur Erklärung dieser unterschiedlichen
Tendenzen in grossen und kleinen Städten verwies der Autor der Studie unter anderem auf gesellschaftliche und demographische Veränderungen in den urbanen Gebieten. So zeichne sich die grossstädtische Bevölkerung seit den 90er Jahren durch zunehmende gesellschaftliche Öffnung, einen individualistischen Lebensstil und einen gehobenen sozialen Status aus, während ein Teil der traditionellen Wähler der Mitte in Agglomerationsgemeinden oder gar in ländliche Gebiete abgewandert sei. Eine wichtige Rolle spielten ausserdem parteipolitische Entwicklungen. Das aggressive Politisieren der SVP in den Städten wurde allgemein als Grund für ihren ausbleibenden Erfolg im urbanen Raum und die Bewegung der FDP von der Mitte ins rechte politische Spektrum gesehen. Daraus ergab sich ein grösserer Spielraum für die Sozialdemokraten, die auf kommunaler Ebene pragmatischer und konsensorientierter politisierten als im nationalen Kontext. Die Grünen wiederum wurden als junge und dynamische Kraft angesehen, die vom Strukturwandel der städtischen Bevölkerung ebenso profitierten wie von der fehlenden Attraktivität der Mitte-Parteien. Trotz des Wandels, den die BFS-Studie ausmachte, blieb das Gesamtkräfteverhältnis zwischen den Parteien in den städtischen Exekutiven jedoch weitgehend erhalten: die FDP hielt 2005 mit 28,5% die meisten Regierungssitze vor den Sozialdemokraten (23,9%) und der CVP (16,7%), die SVP war lediglich mit einem Anteil von 12,4% an den städtischen Regierungsmandaten beteiligt
[1].
Beim
Frauenanteil fand die Studie eine deutlich steigende Tendenz in den städtischen Parlamenten, wo Frauen zuletzt 31% der Mandate hielten, und vor allem in den Regierungen, in denen die Frauen ihre Vertretung seit 1983 auf 25% vervierfachen konnten. Dieser Zuwachs fiel jedoch je nach Partei und Region unterschiedlich aus. Allgemein lag der Frauenanteil bei den rot-grünen Parteien wesentlich höher als bei den bürgerlichen, mehr als doppelt so hoch in den Stadtregierungen und nur etwas weniger in den Parlamenten. In den fünf grossen Städten konnten Freisinnige und Liberale jedoch ebenfalls eine starke Frauenvertretung vorweisen. Frauen präsidieren allerdings nur 12% der Städte, und diese zählen alle weniger als 50 000 Einwohnern
[2].
Sozialdemokratische Partei (SP)
Zu Beginn des Jahres musste die SP Schweiz ihr Vorhaben aufgeben, gerichtlich gegen das neue degressive
Steuersystem in Obwalden vorzugehen, da sie nicht genügend lokale Kläger finden konnte. Die Mutterpartei war mit der Obwaldner SP in Konflikt geraten, die das System als Ergebnis eines Volksentscheids akzeptierte. Das Engagement gegen den Steuerwettbewerb unter den Kantonen und die Vorbereitung der seit langem geplanten Volksinitiative für eine materielle Harmonisierung der Steuern war einer der politischen Schwerpunkte der Partei in diesem Jahr. Im März ermächtigte die Delegiertenversammlung die Parteileitung präventiv, das Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform, welche im Berichtsjahr vom Parlament beraten wurde, zu ergreifen
[3].
Auf ihrer Versammlung in Näfels (GL) im März verabschiedeten die Delegierten einstimmig den zweiten Teil der
Europaplattform, der sich auch als Beitrag der SP zum Bundesratsbericht zum selben Thema verstand. Nach dem institutionellen ersten Teil setzt sich die SP darin mit den Vor- und Nachteilen eines EU-Beitritts bezüglich konkreter sozialer, wirtschaftlicher und finanzieller Aspekte auseinander. Den Beitritt befürwortet die Partei weiterhin und sie hält ihn schon bis zum Jahr 2012 für durchführbar. Zu Gunsten baldiger Beitrittsverhandlungen führte Nationalrat Jean-Claude Rennwald (JU) die Grenzen der Bilateralen Verträge und die Notwendigkeit einer aktiven Mitbestimmung der Schweiz ins Feld. Auf diese Weise könne die Schweiz zusätzliches Wachstum und soziale Sicherheit gewinnen. Allerdings seien in verschiedenen Bereichen Übergangsperioden notwendig, so für die stufenweise Erhöhung der Mehrwertsteuer auf das europäische Niveau von mindestens 15%, in der Agrarpolitik und für die Beitragszahlungen. Ausserdem müsse es für die Schweiz dauerhafte Ausnahmen geben: Die Liberalisierung des Strommarkts dürfe nur mit Volksentscheid beschlossen werden, der öffentliche Dienst sei von einer Liberalisierung auszunehmen und es dürfe keinen Zwang zur Übernahme der europäischen Währung geben. Auch für die Senkung der Monopolgrenzen für Briefpost und Telekommunikation seien Ausnahmen auszuhandeln. Im Juli präsentierte die Arbeitsgruppe Europa der SP dann konkrete vorbereitende Schritte
für eine EU-Mitgliedschaft der Schweiz. Im einzelnen regte sie etwa die Schaffung einer parlamentarischen Delegation für europäische Angelegenheiten an, deren Aufgabe es wäre, die europäische Gesetzgebung mitzuverfolgen
[4].
In einem Grundsatzpapier zur Zukunft der
Energieversorgung unterstrich die SP die Machbarkeit des Ausstiegs aus der Kernkraft in naher Zukunft. Bei der Vorstellung der Studie betonten der federführende Autor, Nationalrat Rudolf Rechsteiner (BS), und SP-Vize-Präsidentin Ursula Wyss (BE), die Abschaltung der letzten Atomkraftwerke bis zum Jahr 2024 sei machbar, wenn alternative Energien entsprechend gefördert und Massnahmen für einen effizienteren Energieverbrauch getroffen würden. Angesichts der bestehenden Risiken und des ungelösten Entsorgungsproblems sei der Ausstieg aus der Atomkraft notwendig. Das Papier sieht Investitionen insbesondere im Bereich der Energiegewinnung aus Wind, Biogas und Abfällen vor. Um die anfallenden Investitionen tragbar zu machen, wird die so genannte Einspeisevergütung propagiert, die Stromproduzenten einen bestimmten Tarif bei der Abschreibung ihrer Investitionen zusichert
[5].
Die Delegiertenversammlung in Delsberg (JU) im Juni setzte sich mit dem „
Neuen Wirtschaftskonzept der SP Schweiz“ auseinander. Es handelt sich dabei um eine Revision des Konzepts von 1994; diese ist von einem pragmatischeren Ansatz gegenüber der kapitalistischen Wirtschaft und der Globalisierung geprägt. Die darin formulierten Wertvorstellungen und grundlegenden Ziele bleiben aber Verteilungsgerechtigkeit, Gleichheit der Geschlechter, Demokratie und Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer. Diese Ziele sollen jedoch stärker im Rahmen der bestehenden Wirtschaftsordnung erreicht werden und nicht wie im alten Konzept vorgesehen, mit einem neuen System von durch die Arbeitnehmer selbst verwalteten Betrieben. Es geht gemäss dem neuen Konzept auch nicht darum, den Prozess der Globalisierung aufzuhalten, die als unaufhaltsame Entwicklung anerkannt wird, sondern um eine möglichst soziale und umweltverträgliche Gestaltung desselben. Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (BL), die für das Konzept warb, unterstrich daneben die Bedeutung eines nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen. Bereits rund 250 Änderungsvorschläge, darunter ein Rückweisungsantrag der Freiburger Sektion, machten deutlich, dass das Konzept einige problematische Aspekte für die Delegierten enthielt. Den Freiburgern fehlte vor allem die Kohärenz. Wie andere Westschweizer Delegierte und die Schweizerischen Jungsozialisten (Juso) kritisierten sie insbesondere die Annäherung der SP an liberale Positionen, wie sie sich in der Befürwortung des Wettbewerbs in den Gütermärkten (z.B. durch die Übernahme des Cassis-de-Dijon-Prinzips) ausdrückten. Auf Antrag der Juso wurde die grundsätzliche Kritik am Kapitalismus, wie sie auch im bisherigen Parteiprogramm verankert ist, nachträglich in das Wirtschaftskonzept aufgenommen. Auch mit ihrer Forderung nach einer stärkeren Preisregulierung konnten sich die Juso beinahe durchsetzen. Schliesslich wurde das modifizierte Konzept mit grosser Mehrheit verabschiedet
[6].
Unterschiedliche Positionen bezogen Parteileitung und Basis zu einer Volksinitiative gegen
Kriegsmaterialexporte, die Grüne und die „Gruppe für eine Schweiz ohne Armee“ (GSoA) lanciert hatten. Die Geschäftsleitung hatte die Initiative bereits im Vorfeld der Delegiertenversammlung abgelehnt, da ein Grossteil derartiger schweizerischer Exporte in die europäischen Nachbarstaaten gehe und somit ein Beitrag zur kollektiven Sicherheit darstelle. Ausserdem verwies die Parteiführung darauf, dass eine weitere Initiativbeteiligung die Kapazitäten der SP überstrapazieren würde. Mit einem engagierten Plädoyer gelang es Nationalrat Remo Gysin (BS) jedoch, die Anwesenden zur beinahe einstimmigen Unterstützung der Volksinitiative gegen Kriegsmaterialexporte zu bringen. Schliesslich lehnten die Delegierten ohne Gegenstimmen die Asyl- und Ausländergesetze ab, während sie ebenso einmütig die Ja-Parole zur Kosa-Initiative fassten
[7].
Der Parteitag in Sursee (LU) im September stand im Zeichen der Verabschiedung der
Wahlplattform „Für eine offene und ökologische Schweiz“. Neben der Forderung nach raschen Beitrittsverhandlungen mit der EU liegt der Schwerpunkt des Programms auf der Fiskalpolitik, mit dem Engagement gegen den Steuerwettbewerb und degressive Steuern als zentralem Punkt. In diesem Sinn befürworteten die Delegierten einstimmig die Lancierung der Volksinitiative „Für faire Steuern“. Diese verlangt zwar keine vollständige materielle Steuerharmonisierung, aber einen Grenzsteuersatz der Gemeinde- und Kantonssteuern von mindestens 22% für individuelle Einkommen ab 250 000 Fr. Bei Vermögen von über 2 Mio Fr. soll der Steuersatz zumindest 0,5% betragen müssen, während die Kantone ihre Sätze unterhalb der 250 000-Franken-Marke frei festlegen dürften. Insgesamt bot die Wahlplattform, die in vielen Punkten dem letzten Wahlprogramm glich, wenig Anlass zur Diskussion. Lediglich bezüglich der Europa-Politik kam es erneut zu einer Debatte über die bilateralen Verträge und die Wahrung des Service public. Zum Wahlziel setzte man sich, stärkste Fraktion zu werden und als solche aktiv die Regierungspolitik mitzugestalten. Fraktionschefin Ursula Wyss forderte eine neue Mitte-Links-Mehrheit in der Regierung, wobei sie ausdrücklich das Mandat des Freisinnigen Hans-Rudolf Merz in Frage stellte. Auch Parteipräsident Hans-Jürg Fehr übte scharfe Kritik an der politischen Rechten und machte sich für einen dritten linken Regierungssitz stark. Ausserdem gaben die Delegierten zwei klare Ja-Parolen heraus: Das Osthilfe-Gesetz wurde mit 314:1 Stimmen, die Familienzulagen mit 272:0 Stimmen befürwortet
[8].
Die Delegiertenversammlung im Dezember in Muttenz (BL) stand im Zeichen der Verabschiedung eines Integrationspapiers, dessen Ausrichtung ähnlich wie bei den Freisinnigen (siehe unten) dem Basler Prinzip des „Fördern und Fordern“ folgt. Der Kern des Papiers ist die Chancengleichheit aller Mitglieder der Gesellschaft in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Beschäftigung sowie bei Straffälligkeit und sozialen Hilfsleistungen. Das Papier fordert aber auch einen Integrationsvertrag zwischen Immigranten und Behörden. Die staatlichen Behörden verpflichten sich demnach zu einem Engagement für Berufsbildung, vorschulische Betreuung sowie für Kredite für Integrationsprojekte. Umgekehrt gibt es für Einwanderer die Auflage, fehlende Kenntnisse durch den Besuch von Kursen auszugleichen. Diese Verknüpfung von Integrationsmassnahmen und Aufenthaltsrecht war besonders starker parteiinterner Kritik ausgesetzt und ein Grund für die Rückweisungsanträge der Waadtländer und Genfer Sektionen. Zum einen wurde bemängelt, diese Integrationsverträge würden rechtlich auf dem neuen Ausländergesetz basieren, das die SP bekämpft hatte. Zum anderen wurde die grundsätzliche Berechtigung von Zwangsmassnahmen gegenüber Immigranten in Frage gestellt. Trotz dieser Kritik wurde das Papier mit grosser Mehrheit verabschiedet.
Die Beteiligung an dem von einem Teil der Behindertenorganisationen lancierten
Referendum gegen die 5. Revision der Invalidenversicherung wurde knapp mit 82:69 Stimmen gutgeheissen.Die Parteileitung hatte sich dagegen ausgesprochen, auch in Hinblick darauf, dass das Referendum der SVP eine Steilvorlage für ihre Themen Finanzierung und Missbrauch der IV geben könnte. Nationalrätin Christiane Goll (ZH) hingegen vertrat mit der Mehrheit der Delegierten die Meinung, die SP müsse mitmachen, da sie das Gesetz auch im Parlament bekämpft habe
[9].
Im Mai kündigte die Fraktionspräsidentin der SP, Nationalrätin Hildegard Fässler (SG), überraschend ihren Rücktritt zum Ende der Sommersession an. Nach dem Verzicht verschiedener Anwärter auf ihre Nachfolge verblieb Vize-Präsidentin
Ursula Wyss (BE) als einzige Kandidatin und wurde am 20. Juni mit 42 von 49 Stimmen klar zur neuen
Fraktionspräsidentin gewählt. Zu ihrer Nachfolgerin als
SP-Vize-Präsidentin wählte der Parteitag im September Nationalrätin
Silvia Schenker (BS). In ihren bisherigen Ämtern bestätigte man den Präsidenten Hans-Jürg Fehr (SH) und den Vize-Präsidenten Pierre-Yves Maillard (VD) für weitere zwei Jahre
[10].
In den kantonalen Parlamentswahlen verlor die SP insgesamt 23 Sitze, davon allein 16 in Bern, wo allerdings der Grosse Rat verkleinert worden war. Im Jura und in Obwalden gaben die Sozialdemokraten jeweils 2 Sitze ab, in Freiburg, Nidwalden und Zug je einen. In Glarus blieb die Fraktion der SP gleich gross, und in Graubünden gelang es ihr, sich um einen Abgeordneten zu verstärken. Einen überraschenden Erfolg erzielte die SP mit der Wahl von drei Regierungsräten in Bern, wo sie zusammen mit einem auf ihrer gemeinsamen Liste gewählten Grünen neu über die Mehrheit verfügen. In Glarus, Jura und Zug jedoch verloren die Sozialdemokraten je einen Regierungssitz. Während in Zug und Glarus, wo der Regierungsrat auf fünf Mitglieder verkleinert worden war, das Verhältnis zwischen linker und bürgerlicher Regierungsbeteiligung unberührt blieb, bedeutete der Mandatsverlust im Jura das Ende der erst 2002 errungenen linken Regierungsmehrheit.
Freisinnig-Demokratische Partei (FDP)
Zum Jahresauftakt votierten die Delegierten in Burgdorf (BE) mit 186:6 bzw. 191:2 Stimmen bei je 15 Enthaltungen klar für die Ja-Parole zu den
Asyl- und Ausländergesetzen. Sowohl Nationalrat Philipp Müller (AG) als auch Parteipräsident Fulvio Pelli (TI) hatten zuvor die Notwendigkeit beider Gesetze
hervorgehoben. Laut Pelli könnten damit sowohl die Durchsetzung des Rechtsstaats als auch humanitäre Anliegen gewährleistet werden. Demgegenüber behaupteten Kritiker der Vorlagen wie Yves Christen (VD), die Verschärfung der Asylregelungen verletze internationales Recht und würde der humanitären Tradition der Schweiz nicht gerecht
[11].
Die Delegiertenversammlung vom April in Glarus war ganz der
Bildungspolitik gewidmet. Das Konzept „Projekte für eine intelligente Schweiz“ stellt einen der vier Schwerpunkte des freisinnigen Strategiepapiers „Eine Schweiz in Bewegung – eine erfolgreiche Schweiz“ dar. Es setzt sich für eine frühere sprachliche Förderung fremdsprachiger Kinder ein. Hochdeutsch soll die Standardsprache in Kindergarten und Basisstufe werden, fremdsprachiger Unterricht auch in anderen als Sprachfächern erlaubt sein. Die FDP möchte Noten auf allen Schulstufen wieder einführen und den Eltern die freie Schulwahl lassen. Die Delegierten stimmten ausserdem für die Einrichtung einer „Stiftung Forschung Schweiz“. Wie Nationalrat Ruedi Noser (ZH) und Gastredner Alexander Zehnder, Präsident des ETH-Rats, ausführten, soll diese Stiftung bundeseigene Gelände wie den ehemaligen Militärflugplatz Dübendorf (ZH) für die Errichtung von Forschungsparks zur Verfügung stellen
[12].
Die Freisinnigen gaben sich ein
neues Logo, das die Partei im April der Öffentlichkeit präsentierte. Ein blauer Schriftzug auf weissem Grund propagiert das Motto „FDP. Wir Liberalen“. Die Basler Liberalen kritisierten das Motto wegen seiner grossen Ähnlichkeit mit ihrem eigenen, „Die Liberalen. LDP“, und forderten die Rücknahme des Logos. Der Streit konnte schliesslich beigelegt werden
[13].
Die Delegiertenversammlung vom August in Murten (FR) stand im Zeichen eines Positionspapiers, in dem die FDP Massnahmen für eine bessere
Integration von Ausländern vorschlägt. Das Integrationspapier versteht sich als Bestandteil des Schwerpunkts „offene Schweiz“ des freisinnigen Strategiepapiers. Es zielt jedoch nicht allein auf Ausländer, sondern versteht „Integration“ gesamtgesellschaftlich und bezieht auch junge Menschen darin ein. Als grundlegende integrative Kraft bezeichnet die FDP die Bildung. Deswegen zählen möglichst früh einsetzende und breit angelegte Bildungsmassnahmen, vor allem sprachliche Förderung, zu den wesentlichen Aspekten des Papiers. Die Forderung nach einer aktiveren Beteiligung des Bundes an der Verbesserung der Bildungs- und Beschäftigungschancen von Ausländern fand Unterstützung. Nur knapp konnten sich die Delegierten auf die Forderung nach einem Rahmengesetz für Integration einigen. Ein Einwand lautete, die notwendigen Regelungen würden bereits mit der Revision des Ausländergesetzes geschaffen. Nach einer hitzigen Diskussion, in der sich vor
allem Politiker aus der Zentral- und der Westschweiz gegenüberstanden, empfahlen die Delegierten die Einführung des kommunalen Stimm- und Wahlrechts für Ausländer, wie es in fast allen welschen Kantonen bereits praktiziert wird. Einige kantonale Parteipräsidenten kritisierten in der Folge, dass sie bei der inhaltlichen Ausarbeitung des Konzepts übergangen worden seien. Auch der auf Ausländerpolitik spezialisierte Nationalrat Philipp Müller (AG) bemängelte die fehlende Zusammenarbeit innerhalb der Partei und die zu starke Lenkung der Arbeit durch die Parteispitze
[14].
Im Juni reichte die FDP des Kantons Zürich die eidgenössische
Volksinitiative zur Einschränkung des Verbandsbeschwerderechts ein, welche die Mutterpartei ohne Begeisterung mitgetragen hatte
[15].
Auf dem Parteitag im September in Zürich ermunterte Präsident Fulvio Pelli seine Partei zu einer zukunftsweisenden Politik, in der Mut zur Veränderung einhergehen müsse mit einem grösseren Optimismus und dem Augenmerk auf menschliche Bedürfnisse jenseits sachlicher Wirtschaftsfragen. Damit wolle die FDP vermehrt auch junge, urbane Personen und insbesondere Frauen ansprechen. Er mahnte seine Partei zu Geschlossenheit und gab mit Blick auf die
Wahlen 2007 als Ziel den Gewinn von zusätzlich sechs Sitzen im Parlament aus. Unter den verschiedenen diskutierten Projekten kamen die Schwerpunkte „wachsende“ und „gerechte“ Schweiz des Strategiepapiers zum ersten Mal eingehender zur Sprache
[16].
In seiner Rede auf der Delegiertenversammlung im Oktober in Sempach (LU) übte Präsident Pelli scharfe Kritik an Bundesrat Blocher und namentlich an dessen Infragestellung der Antirassismusstrafnorm. Darüber hinaus machte er dem Schweizer Fernsehen und besonders der Politiksendung „Arena“ den Vorwurf, Blocher eine weitgehend unkritische Plattform gegeben zu haben und so dazu beizutragen, dass wichtigere Themen aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrängt würden. Pellis Rede fand zwar grundsätzliche Zustimmung, er wurde jedoch von einem Teil der Delegierten dafür kritisiert, dass er sich zu sehr auf die SVP einschiesse und dabei inhaltliche Anliegen und langfristige politische Zielsetzungen vernachlässige. Ausserdem beriet die Partei über ein „liberales Konzept einer nachhaltigen Energiepolitik“. Darin steht eine CO2-arme und möglichst unabhängige Energieversorgung der Schweiz im Vordergrund. In diesem Sinn spricht sich das Papier für eine weitere Nutzung der Atomkraft und gegen fossile Brennstoffe aus; die Aargauer Sektion erhielt dabei Unterstützung für ihre Forderung nach einem zusätzlichen Atomkraftwerk. Parallel dazu wurde ein starkes Engagement für erneuerbare Energien, vor allem die Geothermik und die Wasserkraft, gefordert.
Am Rande der Delegiertenversammlung beschlossen die Präsidenten der Kantonalparteien mit 16:7 Stimmen bei 2 Enthaltungen die Nein-Parole zur nationalen Vereinheitlichung der
Familienzulagen. Die Mehrzahl unter ihnen war der Meinung, die gegenwärtige Regelung sei besser auf die unterschiedlichen regionalen Bedürfnisse eingerichtet
[17].
Im Dezember gab die FDP ein Diskussionspapier in die parteiinterne Vernehmlassung, das wesentliche Aspekte des
Wirtschaftsprogramms „wachsende Schweiz“ skizziert. Das Papier wurde von einer Arbeitsgruppe um Ständerat Rolf Schweiger (ZG) erstellt und enthält sowohl grundsätzliche Positionen als auch konkrete Projekte. Allgemein unterstreicht es die Bedeutung global agierender Unternehmen für die Schweizer Wirtschaft und die Notwendigkeit einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise, die weniger auf Partikularinteressen wie namentlich die einheimische Landwirtschaft fokussiert sei. Zu den erwünschten Entwicklungen zählen die Öffnung des Arbeitsmarktes für beruflich qualifizierte Zuwanderer und der nationale und internationale Steuerwettbewerb. Erwähnung findet im Papier auch der Vorschlag einer extremen Vereinfachung des Steuersystems, die „Easy Swiss Tax“, welche die Zürcher Kantonalpartei und Fulvio Pelli bereits im August der Öffentlichkeit vorgestellt hatten. Schliesslich greift das Papier die bereits zuvor erwähnte Schaffung einer Stiftung für Forschung und Ausbildung auf. Die Mittel für eine solche Stiftung würden aus der Veräusserung von nicht mehr benötigten Liegenschaften, Grundstücken und Beteiligungen des Bundes stammen
[18].
Auf der Delegiertenversammlung vom August in Murten (FR) wurde Fulvio Pelli einstimmig als Parteipräsident bestätigt. Nationalrätin
Gabi Huber (UR) wurde ebenso einstimmig als Nachfolgerin von Marianne Kleinert (AR) zur
Vizepräsidentin an der Seite von Léonard Bender (VS) und Nationalrat Ruedi Noser (ZH) gewählt
[19].
In den kantonalen Parlamentswahlen verlor die FDP 23 Sitze. Besonders schwerwiegend waren die Einbussen von zehn Sitzen in Bern und sieben in Freiburg, wo allerdings Parlamentsverkleinerungen stattfanden. Drei Sitze mussten die Freisinnigen in Glarus, je einen im Jura und in Nid- und Obwalden abgeben. In Zug dagegen verteidigten sie ihre 20 Mandate, und in Graubünden gelang ihnen der Gewinn von 4 Sitzen. Ein grosser Erfolg der Freisinnigen war die Rückeroberung ihres 2002 verlorenen Regierungssitzes im Jura. In Glarus und Bern verlor die FDP hingegen je ein Regierungsmitglied.
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
Auf der Delegiertenversammlung der CVP im Januar in Näfels (GL) stellten Bundesrat Joseph Deiss und Parteipräsidentin Doris Leuthard die Resolution „Mehr Innovation für Markterfolg und Wachstum“ vor. Zu den konkreten Vorschlägen der Resolution zählen die Senkung und Vereinheitlichung des Einschulungsalters, die Förderung von Tagesschulen und die Einführung von Blockzeiten. Unter Innovation soll vor allem eine gezielte
Förderung ganz bestimmter Wirtschaftsbereiche verstanden werden, namentlich die Medizintechnologie, die Nanotechnologie und Materialforschung sowie Finanz- und Kommunikationswissenschaften und Informatik. Die Delegierten nahmen die Resolution einstimmig an. Daneben fassten sie mit 202:7 Stimmen die Nein-Parole zur linken Kosa-Initiative und unterstützen ohne Gegenstimme den Bildungsartikel
[20].
Mitte April stellte die CVP ein Positionspapier zur
Integrationspolitik vor. Darin wird die Rolle des Staates bei der Wahrung und Überwachung der Rechtsordnung und des religiösen Friedens betont. Einen Schwerpunkt legte die CVP auf die Bildung, die für alle mit denselben Rechten und Pflichten verbunden sein soll. So forderte sie eine allgemeine Anwesenheitspflicht im Schulunterricht, stellte es jedoch den Kantonen frei, in Einzelfällen die Befreiung vom Schwimmunterricht zuzulassen. Sie setzte sich auch für die universitäre Ausbildung von Imamen ein. Bezüglich religiöser Bauten beriefen sich die Christlichdemokraten auf das Recht der freien Religionsausübung, sie empfahlen den muslimischen Gemeinden jedoch eine vorherige Absprache mit den lokalen Behörden und der Bevölkerung
[21].
Anfang März trat das
gespannter gewordene Verhältnis der CVP zur katholischen Kirche deutlich in kritischen Stellungnahmen von Kirchenvertretern zutage. In wichtigen politischen Fragen hatte die CVP zuletzt Positionen vertreten, die denjenigen der Kirche zuwider liefen, so beim Partnerschaftsgesetz, der Stammzellenforschung, der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten und den Asyl- und Ausländergesetzen
[22].
Ende April führten die Delegierten in Chur (GR) eine kontroverse Diskussion um die eidgenössischen Vorlagen zur
Asyl- und Ausländerpolitik. Den mehrheitlich aus der Deutschschweiz stammenden Befürwortern traten insbesondere christlichsoziale und welsche Delegierte entgegen, welche die Gesetze in Konflikt mit internationalem Recht sowie der humanistischen und christlichen Tradition der Schweiz sahen. Die Sektionen aus der Waadt und Genf gaben zu bedenken, dass die Gesetze einen allgemeinen Geist des Misstrauens schafften. Sie entschieden sich aber für eine eigene Kampagne, um sich von der SVP abzugrenzen. Mit einer klaren Mehrheit wurde noch eine Resolution verabschiedet, die sich gegen den „Ausverkauf der Swisscom“ wendet
[23].
Am 1. Juni startete die Partei mit der
Präsentation ihres Wahlprogramms in den offiziellen Wahlkampf 2007. Unter dem Motto „Renouveau 07“ setzten Generalsekretär Reto Nause und Parteipräsidentin Doris Leuthard die Schwerpunkte bei der Stärkung der Familie, der Schaffung von Arbeitsplätzen und deren Vermittlung an die junge Generation sowie bei der sozialen Sicherheit
[24].
Im Juli stellte die CVP ihr
sicherheits- und armeepolitisches Leitbild „Sicherheit erhalten, festigen und ausbauen“ der Öffentlichkeit vor. Gemäss Nationalrat Jakob Büchler (SG) geht es dabei vor allem um moderne Massnahmen zum Raumschutz, also um Mobilität und den Schutz wichtiger Infrastrukturen. Das Leitbild unterstützt die vom Bundesrat beschlossene Neuausrichtung der Armee „Entwicklungsschritt 2008 / 2011“. Es sieht die Kooperation mit anderen Ländern vor, aber keine Bündnisse, und ist für friedensfördernde Auslandseinsätze, wozu jedoch nicht Kampfeshandlungen zur Erhaltung des Friedens zählen
[25].
Anfangs September in Aadorf (TG) gaben die Delegierten mit 214:8 Stimmen bei 3 Enthaltungen klar die Ja-Parole für die Vereinheitlichung der
Familienzulagen heraus. Ohne Gegenstimme bei 2 Enthaltungen wurde ebenfalls die Ja-Parole zur Osthilfe beschlossen. Zuvor hatten Ständerat Philipp Stähelin
die Bedeutung des Gesetzes hinsichtlich der guten Beziehungen zu Europa hervorgehoben und Doris Leuthard auf die Finanzierbarkeit der Vorlage hingewiesen
[26].
Zentrales Thema der Freiburger Delegiertenversammlung Ende Oktober war die
Wirtschaftspolitik. Der diskutierte Katalog von Forderungen stimmte dabei weitgehend mit den Zielen der zur neuen Wirtschaftsministerin gewordenen Doris Leuthard (siehe unten) überein: die Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips, um die Verbraucherpreise in der Schweiz zu senken, der Abbau von weiteren Handelshemmnissen sowie administrative Vereinfachungen für die KMU
[27].
Anfang Dezember startete die CVP eine „Agraroffensive“ mit einem
offenen Brief an die Schweizer Bauern, worin sie sich als eigentliche Interessenvertreterin der Bauern darstellte und der SVP in diesem Bereich Untätigkeit bis hin zum Verrat vorhielt. Diese Offensive hatte die Beratungen der parlamentarischen Kommission zur Agrarpolitik 2011 zum Anlass
[28].
Anfang Juni wurde Parteipräsidentin
Doris Leuthard (AG) einstimmig zur einzigen Kandidaten der CVP für die Nachfolge von Joseph Deiss im Bundesrat nominiert und am 14. Juni von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt.
Übergangsweise übernahmen Bruno Frick (SZ) und Dominique de Buman (FR) die Leitung der Partei
[29].
Nachdem zahlreiche potentielle Kandidatinnen und Kandidaten für die Nachfolge von Doris Leuthard als Parteipräsidentin davon Abstand genommen hatten, sich zu präsentieren, darunter die Nationalrätinnen Brigitte Häberli (TG) und Lucrezia Meier-Schatz (SG), wurde der 35jährige Nationalrat Christophe Darbellay (VS) zum einzigen von der Findungskommission empfohlenen Bewerber. Darbellays Kandidatur barg das Problem, dass ein zusätzlicher Mann im Präsidium gegen die in den Partei-Statuten festgelegte Mindestrepräsentation der Frauen verstossen würde. Dieses Problem wurde zunächst zurückgestellt, später dann durch die Wahl der Urner Regierungsrätin Heidi Z’graggen in das auf 8 Mitglieder erweiterte Parteipräsidium gelöst. Die Delegiertenversammlung anfangs September in Aadorf (TG) wählte
Christophe Darbellay mit 214 von 218 Stimmen zum
neuen Präsidenten
[30].
In den kantonalen Parlamentswahlen gingen der CVP acht Sitze in Freiburg verloren, fünf in Graubünden, drei in Zug sowie je ein Sitz im Jura und in Nidwalden, wobei sich die Christlichdemokraten dort trotzdem überall als stärkste Fraktion behaupten konnten. Auch in Bern und Glarus büsste die CVP je einen Sitz ein. Diesen 20 Sitzverlusten stand lediglich der Gewinn von zwei zusätzlichen Parlamentssitzen in Obwalden gegenüber. Den Christlichdemokraten gelang es in allen Kantonen, in denen sie an der Regierung beteiligt waren, ihre Mandate vollständig zu halten.
Schweizerische Volkspartei (SVP)
Auf der Delegiertenversammlung vom Februar in Stans (NW) sprach sich die SVP mit 326:2 Stimmen
für die Privatisierung der Swisscom aus. Bundesrat Blocher argumentierte, das Haftungsrisiko sei für den Bund zu hoch. Nach dem Verkauf sei aber auf die Gewährleistung der Grundversorgung für alle Kunden zu achten, wobei diese Leistung auch von privater Hand erbracht werden könne
[31].
Nach langem Zögern schloss sich die Parteiführung im März dem
Referendum gegen die Osthilfe an, das von den Schweizer Demokraten (SD) und der Lega dei Ticinesi gemeinsam ergriffen worden war. Auf diese Weise verschaffte sie dem Referendum erst die notwendige Basis für eine breite Unterstützung. Dieses Vorgehen wurde allgemein als taktische Positionierung im Rechtsaussenspektrum angesehen, und die Partei hatte Mühe, das Referendum von den Verträgen der Bilateralen II zu dissoziieren, die ihre Bundesräte zuvor mitgetragen hatten.
Die SVP begründete ihr Engagement gegen die Kohäsionsmilliarde schliesslich auch kaum mit europapolitischen Argumenten, sondern mit dem Verweis auf Unklarheiten bei der Finanzierung. Die Unterstützung des Referendums blieb aber parteiintern umstritten
[32].
Ebenfalls im März stellte die Parteileitung das Positionspapier „Unsere Regeln gelten für alle“ vor, das verschärfte Massnahmen „gegen
Immigration und Werteverfall“ vorschlägt. Die SVP beschreibt darin Missstände mit Begriffen wie „Balkanisierung der Schulen“ oder „Unterhöhlung unserer Kultur“ und warnt vor der Gefahr, dass Einwanderer aus dem Balkan sowie konservative Muslime versuchen würden, ihre Rechtsvorstellungen (z.B. Blutrache, Patriarchat, Scharia) in der Schweiz anzuwenden. Insbesondere wird auch verlangt, die Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten einzuschränken und den Familiennachzug von Ehegatten mit Bedingungen wie der Kenntnis der Landessprache zu verknüpfen. Zudem fordert die SVP, dass Immigranten und die nachgezogenen Familienmitglieder nicht der Sozialhilfe zur Last fallen dürfen. Das Papier verlangt ferner zwingende Landesverweise für Ausländer, die für schwere Straftaten verurteilt worden sind; unverbesserliche minderjährige ausländische Kriminelle sollen mit ihren Familien des Landes verwiesen werden
[33].
An der Versammlung in Maienfeld (GR) im April votierten die Delegierten einstimmig für die
Asyl- und Ausländergesetze; die SVP war in der Kampagne zu dieser Volksabstimmung äusserst präsent und bemühte sich, die auch von den anderen bürgerlichen Parteien mitgetragenen Beschlüsse als alleiniges Verdienst der SVP und ihres Bundesrats Blocher darzustellen. Mit einer knappen Mehrheit von 32:26 Stimmen fasste der Parteivorstand in Maienfeld auch die Ja-Parole zum Bildungsartikel
[34].
In Baar (ZG) sprachen sich im August die Delegierten einstimmig dagegen aus, einen Teil der zukünftigen
Nationalbankgewinne an die AHV fliessen zu lassen, wie dies die Kosa-Initiative verlangte. Auch die
Ablehnung des Kinderzulagengesetzes, gegen welches der Gewerbeverband das Referendum ergriffen hatte, fiel mit 426:3 Stimmen sehr deutlich aus. Verabschiedet wurde ausserdem das Positionspapier „Zehn Gebote für einen gesunden Staatshaushalt“, das ein hartes Sparprogramm zur finanziellen Sanierung des Bundes und die Beschränkung der Tätigkeit des Bundes auf einige Kernaufgaben fordert
[35].
Zu Diskussionen über Parteigrenzen hinweg führte die Weigerung der kommunalen Behörden von Bassecourt (JU), die Delegiertenversammlung der SVP im September zu beherbergen. Bürgermeisterin Françoise Cattin begründete den ungewöhnlichen Schritt mit der
Bedrohung der öffentlichen Ordnung und dem Kostenaufwand für entsprechende Schutzmassnahmen gegen die voraussehbaren Störaktionen von Organisationen wie der Gruppe Bélier oder ATTAC. Die SVP verlegte den Versammlungsort nach Grenchen (SO). Dort fassten die Delegierten
die Nein-Parole zum Osthilfegesetz
[36].
Der Parteitag im Oktober in Freiburg bekräftigte und verschärfte
die
Wahlplattform der SVP von 2003 für die eidgenössischen Wahlen 2007. Unter dem Slogan „Mein Zuhause – unsere Schweiz“ wurden neben dem Eintreten für die „Freiheit“ und „Unabhängigkeit“ eines möglichst schlanken Staates – niedrigere Steuern und Abgaben, Senkung der Staatsquote auf das Niveau von 1990 – die Kriminalitätsbekämpfung und der Ausbau des Strassennetzes als wichtige Ziele formuliert. Wie Präsident Ueli Maurer und der Zürcher Nationalrat Mörgeli bezeichnete Bundesrat Blocher den Asylmissbrauch und die illegale Einwanderung als wesentliche Probleme der Schweiz. Gemäss der SVP sollen neue Einwanderer einen dreijährigen Verzicht auf Sozialhilfe geloben bzw. ihre Unabhängigkeit von staatlichen Mitteln nachweisen müssen. SVP-Präsident Maurer formulierte die Zahl von 100 000 neuen SVP-Wählern als das ehrgeizige Ziel der Partei für die Nationalratswahlen vom Herbst 2007
[37].
Bewegungen im
Personalbereich gab es vor allem in der Westschweiz. Nach dem Rücktritt
von Jean Fattebert (VD) wählte die Delegiertenversammlung im Februar Nationalrat Yvan Perrin (NE) als dessen Nachfolger ins Amt des Vize-Präsidenten der SVP. Er setzte sich gegen Jean-François Rime (FR) durch. Auf Ende November trat Gilberte Demont
von ihrem Amt als
Koordinatorin der SVP in der Westschweiz zurück. Zu ihrem Nachfolger wurde im Dezember der Waadtländer Claude-Alain Voiblet bestimmt
[38].
Der Aargauer SVP-Nationalrat
Ulrich Siegrist, der seit Jahren die politische Entwicklung der SVP mit scharfer Kritik begleitet hat, trat im Mai schliesslich aus der Fraktion aus. Er begründete diesen Schritt damit, dass die Partei ihre Werte verloren habe und zu einer populistischen Bewegung verkommen sei
[39].
In den kantonalen Parlamentswahlen erhöhte die SVP ihren Anteil insgesamt um 8 Sitze. Zwar stellte sie im verkleinerten Berner Grossen Rat 20 Mitglieder weniger, doch war sie in Freiburg mit 2 zusätzlichen Abgeordneten erfolgreicher als 2001, und in Glarus wurde sie nach 5 Sitzgewinnen stärkste Fraktion vor der FDP. Auch in Nidwalden und im Jura konnte die SVP drei resp. einen Sitz zulegen. Allerdings musste sie in Graubünden, Obwalden und Zug jeweils einen Sitzverlust hinnehmen. Der Mandatsverlust in Bern war die einzige Änderung bezüglich der Vertretungen der SVP in kantonalen Regierungen. Sie behielt ihre Mitglieder in den Glarner und Graubündner Exekutiven, versuchte jedoch in Freiburg, Jura, Nidwalden und Zug vergeblich, ihre Kandidaten durchzusetzen.
Liberale Partei (LP)
Auf ihrer Versammlung im März in Yverdon (VD) beschlossen die Delegierten der LP mit 41:10 Stimmen das
Referendum der Arbeitgeber gegen die Vereinheitlichung der Kinderzulagen zu unterstützen. Zwar befürchteten manche Delegierten, diese Haltung könnte der Partei als Familienfeindlichkeit ausgelegt werden, doch überwog die Überzeugung, die Kompetenz für die Familienpolitik müsse bei den Kantonen bleiben. Ausserdem empfahlen die Delegierten den Bildungsartikel mit 58:4 Stimmen zur Annahme
[40].
Die Liberalen beschlossen durchwegs die gleichen Parolen zu den eidgenössischen Abstimmungsvorlagen wie die Freisinnigen. Allerdings traten bei den
Asyl- und Ausländergesetzen wie auch bei der FDP grosse interne Differenzen zutage. So stimmten auf der Delegiertenversammlung in Genf Parteipräsident Claude Ruey (VD) und Nationalrätin Martine Brunschwig-Graf (GE) gegen die Vorlagen, und die Delegierten sprachen sich mit nur 48:20 Stimmen zugunsten des Ausländergesetzes und mit 37:29 für das Asylgesetz aus. Auf der späteren Delegiertenversammlung in Pully (VD) entschuldigte sich Claude Ruey für die ambivalente Position, in die er sich als Parteipräsident begeben hatte, indem er sich in einem Komitee und mit Vertretern linker Parteien für die Ablehnung der Asyl- und Ausländergesetze engagiert hatte
[41].
Die
enge Zusammenarbeit mit der FDP im Rahmen der freisinnig-liberalen Union fand kantonal wie kommunal nur vereinzelt ein Echo, so in Corcelles-Cormondrèche (NE), wo im März die „Union radicale-liberale“ gegründet wurde. Im Kanton Freiburg kam es zur Fusion der FDP mit der dort sehr kleinen LP zum „Parti libéral-radical“. Im Kanton Wallis, wo den Liberalen ebenfalls nur geringe Bedeutung zukommt, fand die Zusammenarbeit in der gemeinsamen Parlamentsfraktion statt. Auf nationaler Ebene beschlossen die Delegierten beider Parteien im Dezember die weitere Zusammenarbeit in der seit 2003 bestehenden gemeinsamen Fraktion im Bundesparlament
[42].
Die
Liberale Partei des Kantons Genf erlebte eine
turbulente Folge von vier Präsidenten, nachdem die Generalversammlung der Partei im März überraschend den jungen Blaise-Alexandre Le Comte, einen Vertreter des rechten Parteiflügels, zum Nachfolger für den scheidenden Präsidenten Olivier Jornot gewählt hatte. Der in den Folgemonaten wachsende parteiinterne Widerstand gegen Le Comte führte schliesslich zum Rücktritt von 5 Vize-Präsidenten im Juni, woraufhin Le Comte sein Amt niederlegte. Nach einer erneuten Interimspräsidentschaft Jornots wurde Ende September der sozial engagierte Serge Bednarczyk zum neuen Präsidenten gewählt, nur um bereits Anfang November wieder von diesem Posten zurückzutreten. Bis zum Jahresende wurde die Partei daraufhin von einer „Troika“ aus den drei Vize-Präsidenten geleitet
[43].
Die Liberalen beteiligten sich im Berichtsjahr an keinen kantonalen Wahlen. In der Stadt Lausanne verloren sie 5 ihrer 12 Parlamentssitze und ihr bisheriges Exekutivmandat.
Grüne Partei (GP)
Auf der Delegiertenversammlung im März in Bern erteilte Parteipräsidentin Ruth Genner (ZH) einer eventuellen
Beteiligung der GP an einer Regierung mit Christoph Blocher eine deutliche Absage. Genner sah einen grünen Sitz im Bundesrat nicht als primäres Ziel für die Wahlen 2007 an; vorrangig sei vielmehr, die Parlamentsvertretung der Grünen weiter zu stärken. Im Zentrum der Versammlung standen umweltpolitische Themen. Die Delegierten forderten von der Parteileitung die Vorbereitung einer
Klimainitiative, da das Projekt einer CO2-Steuer wenig Realisierungschancen besitze. Des Weiteren bekräftigten sie ihre Forderung nach einem schnellen Ausstieg aus der Atomkraft. Schliesslich gaben die Delegierten mit 79:5 Stimmen bei 7 Enthaltungen die Ja-Parole für den Bildungsartikel heraus
[44].
Anfang April erklärte der Parteivorstand in einem Grundsatzentscheid die Bereitschaft der Grünen zur Übernahme von
Regierungsverantwortung auch auf Bundesebene. Vize-Präsident Ueli Leuenberger (GE) nannte die grüne Regierungsverantwortung in 5 Kantonen
[45] (BS, GE, NE, NW und VD) als Beleg für die notwendige Erfahrung und Reife seiner Partei. Zugleich schränkte Leuenberger ein, dass die Art der Partner und deren Offenheit für das grüne Programm als Bedingungen für eine Zusammenarbeit verstanden werden müsse. Damit bewegten sich die Grünen weg vom Selbstverständnis als reine Oppositionspartei, aber das einstimmige Votum des Vorstands war innerhalb der Partei umstritten
[46].
Bei einer Sitzung im Mai beschloss der Vorstand der Grünen die Unterstützung von zwei Volksinitiativen: für ein
Verbot von Kriegsmaterialexporten, lanciert von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), ebenso wie für einen Tierschutzanwalt, lanciert vom Schweizer Tierschutz. Ebenfalls erteilte der Vorstand der geplanten Klima-Initiative präzisere Konturen
[47].
Auf der Versammlung in Lausanne im Juni lehnten die Delegierten einstimmig die Asyl- und Ausländergesetze ab. Vizepräsident Ueli Leuenberger bezeichnete die Gesetze als eine Form der Abschaffung des Asylrechts. Sie brächten nicht die angeblichen Lösungen, sondern neue Probleme wie die Abdrängung von Asylsuchenden in die Illegalität.
Kontroverser wurde die linke
Kosa-Initiative diskutiert. Der Waadtländer Grossrat Philippe Martinet bemängelte, dass die Zuführung von Nationalbankgewinnen kein Gesamtkonzept sei, um der AHV auf lange Sicht zu helfen, und regte stattdessen die Investition dieser Gewinne in zukunftsträchtige Projekte im Umweltschutzbereich an. Präsidentin Ruth Genner hingegen betonte den sozialen Aspekt der AHV und die Notwendigkeit ihrer guten finanziellen Ausstattung, um weitere Abbaupläne der bürgerlichen Parteien zu verhindern. Schliesslich unterstützte die Mehrheit der Abgeordneten die Initiative
[48].
Anfang Oktober reichten die Grünen beim Büro des Nationalrats einen Antrag ein, der ihnen ermöglichen soll, 2009/2010 das
Präsidium des Nationalrats zu übernehmen. Demnach sollte alle acht Jahre eine Partei die Präsidentschaft übernehmen können, die nicht im Bundesrat vertreten ist
[49].
Im Januar kam es zu einer weiteren Spaltung der Grünen auf kommunaler Ebene: Die
Grünliberalen der Stadt St. Gallen lösten sich von der grünen Mutterpartei
[50].
In den kantonalen Parlamentswahlen mussten die Grünen lediglich in Glarus zwei Sitze abgeben. In Bern vergrösserten sie ihre Fraktion im verkleinerten Parlament um vier, in Freiburg um zwei Abgeordnete. Im Jura machten sie zwei Sitze und zogen damit zum ersten Mal ins Parlament ein. Die kontinuierliche Stärke des 2005 der GP beigetretenen Demokratischen Nidwalden (7 Sitze) trug ebenfalls zum Erfolg grüner Parlamentsvertretungen in den Kantonen bei. Insgesamt konnten sich die Grünen um 6 Sitze verstärken. Wie im Vorjahr konnten die Grünen ihre Präsenz in den kantonalen Regierungen vermehren. In Bern, wo die GP bereits 1986-1990 in der Regierung vertreten war, gelang Bernhard Pulver der Einzug in den Regierungsrat. In Zug gewann die grüne Alternative Liste (sie hat im Berichtsjahr bei der GP ein Beitrittsgesuch eingereicht) auf Kosten der SP einen zweiten Sitz in der Exekutive, und das Demokratische Nidwalden vermochte seinen Sitz in der Regierung zu verteidigen.
Evangelische Volkspartei (EVP)
Auf ihrer Versammlung im Februar in Thun (BE) verabschiedeten die Delegierten der EVP einstimmig das
neue Parteiprogramm, das auf der Grundlage einer Mitgliederbefragung entstanden war. Die EVP positionierte sich darin als Mittepartei mit tendenziell konservativen Werten, aber eher linken sozial- und ökopolitischen Standpunkten. Konkret will sich die EVP für die Harmonisierung und Erhöhung von Kinderzulagen engagieren. Auch die Steuern sollen massvoll harmonisiert werden. Gesundheitspolitisch stellt sich die Partei eine Einheitskrankenkasse bei Beibehaltung des Prämiensystems vor. Die Sonntagsarbeit soll auf ein Minimum reduziert, die Lohnnebenkosten mittels Energiesteuern gesenkt werden. Die EVP ist für eine öffentlichrechtliche Infrastruktur von Stromversorgung oder Telekommunikation, aber für private Dienstleistungen. Deutlich stellt sich die Partei gegen die Sterbehilfe und die Förderung von Präimplantationsdiagnostik und spricht sich, angesichts der gegenwärtigen Probleme, für die Beibehaltung der Strafbarkeit von Drogenkonsum aus. Anklang fand bei den Delegierten auch die Ersetzung der allgemeinen Wehrpflicht durch einen obligatorischen Gemeinschaftsdienst
[51].
Auf der Delegiertenversammlung in Aarau im Juni wurden die Nein-Parolen zu den
Asyl- und Ausländergesetzen (mit 61:36 resp. 57:38 Stimmen) beschlossen
[52].
Ende Oktober fassten die Delegierten zwei Ja-Parolen für die
Osthilfe und die
Familienzulagen. Letztere gehen deutlich in Richtung der grundsätzlichen familienfreundlichen Anliegen der EVP. Auch die Stärkung der neuen osteuropäischen EU-Staaten wurde als ein vitales Interesse der Schweiz aufgefasst. Wichtig sei allerdings, die Kompensation der Kohäsionsmilliarde im Haushalt nicht zu Lasten der Entwicklungshilfe durchzuführen
[53].
Die Geschäftsleitung der EVP kündigte an, die Volksinitiative des Schaffhauser Unternehmers Thomas Minder gegen überrissene Managerentschädigungen (so genannte
Abzockerlöhne) aktiv zu unterstützen, um den Druck auf Parlament und Bundesrat verstärken zu helfen. Die EVP war ausser der Luzerner Sektion der FDP die einzige Partei, die diese Initiative mitzutragen gewillt war
[54].
Im Übrigen unterstützte die EVP den Bildungsartikel und die linke Kosa-Initiative.
Die
Vereinigung evangelischer Wählerinnen und Wähler (VEW), die Sektion der EVP in
Basel-Stadt, wechselte auf der Mitgliederversammlung in Riehen (BS) ihren Parteinamen zu EVP. Sie gab sich auch ein neues Grundlagenpapier und kündigte an, eine engere Zusammenarbeit mit der CVP anzustreben. In Genf wurde die Gründung einer EVP-Sektion geplant
[55].
In den kantonalen Parlamentswahlen gelang es der EVP, die Zahl ihrer Abgeordneten in Bern um zwei und in Freiburg um einen zu erhöhen.
Partei der Arbeit (PdA)
Gemeinsam mit Solidarités, den Alternativen Listen und der Jungen Alternative, die alle links von der SP politisieren, gründete die PdA eine
nationale Föderation, die sich selbst als antikapitalistische Bewegung definiert. In der Westschweiz will sie unter dem alten Namen „A gauche toute“, in der Deutschschweiz vielleicht als „Die Linke“ auftreten. Vorgesehen waren gemeinsame Listen bei den eidgenössischen Wahlen 2007 mit dem Ziel, im Nationalrat wieder Fraktionsstärke zu erreichen. Die Verwirklichung dieses Ziels würde sowohl finanzielle Vorteile als auch die Mitarbeit in den parlamentarischen Kommissionen bringen. Ein Grundlagenpapier forderte die Zusammenarbeit der Föderation mit libertären Bewegungen und deren Zeitungen. Auch Volksinitiativen zu den Themen Minimallohn oder eidgenössische Erbschaftssteuer waren geplant
[56].
Ende Januar zog Nationalrat Josef Zisyadis von der Waadt nach Sachseln (OW), um gegen das dort eingeführte
degressive Steuersystem beim Bundesgericht klagen zu können. Zusammen mit drei Obwaldnern brachte Zisyadis tatsächlich die angestrebte Klage vor dem Bundesgericht zustande, worauf er offiziell wieder nach Lausanne zurück zog
[57].
Die PdA beschloss die Nein-Parolen zum Bildungsartikel sowie zu den Ausländer- und Asylgesetzen. Die Partei unterstützte die Kosa-Initiative, die Familienzulagen und das Osthilfegesetz.
Bei den kantonalen Parlamentswahlen im Jura konnte die gemeinsame Liste von Combat socialiste und PdA die drei bisherigen Parlamentssitze halten; einer davon ging an die PdA.
Freiheits-Partei (FP)
Die praktisch nur noch in Biel existierende Freiheits-Partei machte dort wiederholt durch ihren
Gemeinderat und Parteipräsidenten Jürg Scherrer von sich reden. Im Zuge seiner verschiedenen gegen Ausländer gerichteten Äusserungen kam es zu Diskussionen im Bieler Parlament und im Gemeinderat, inwiefern das Doppelmandat von Regierungsmitglied und Parteipräsident miteinander vereinbar sei. Eine entsprechende Motion des Freisinnigen Peter Moser gewann nur in abgeschwächter Form die Zustimmung des Stadtparlaments. Die Debatte im Stadtrat machte jedoch klar, dass eine Mehrheit der Auffassung ist, dass Scherrers Verhalten, zuletzt eine Aktion gegen Minarette, das Ansehen der Stadt und ihrer Exekutive schädige
[58].
Die Freiheits-Partei ist nach den Wahlen 2006 wieder mit einem Sitz im Berner Grossen Rat vertreten.
Schweizer Demokraten (SD)
Auf der Delegiertenversammlung im März in Olten (SO) beschlossen die Schweizer Demokraten das
Referendum gegen das Osthilfe-Gesetz zu ergreifen. Sie machten damit zum wiederholten Mal den Versuch, sich rechts von der SVP, welche das Referendum erst später unterstützte, zu positionieren. Mit ähnlicher Absicht drohten die Schweizer Demokraten präventiv mit dem Referendum gegen die Aufhebung der Beschränkungen für den Grundstückserwerb von im Ausland Ansässigen (Lex Koller). Ex-Nationalrat Valentin Oehen, ehemaliger Präsident der Partei und den SD erst jüngst wieder beigetreten, hatte in diesem Zusammenhang ein Referat mit dem Titel „Ausverkauf der Heimat“ vorgetragen
[59].
Im Kanton
Solothurn gründete sich nach ihrer Auflösung 1996 wieder eine Sektion der SD. Zum Präsidenten wurde Patrick Müller gewählt. Müller betonte die Unterschiede der SD zur SVP, welche vor allem in der Umwelt- und der Sozialpolitik bestehen würden. Eine Zusammenarbeit mit der SVP sei nur in einzelnen Fragen denkbar. Zentralpräsident Hess (BE) strebte auch im Tessin die Neugründung einer Sektion der SD an
[60].
Im Dezember schloss der Parteivorstand den Präsidenten der
Zuger SD-Sektion, Richard Fluehmann, wegen parteischädigenden Verhaltens und Verunglimpfung anderer Parteimitglieder aus. Fluehmann war früher aus der SVP ausgeschlossen worden und hatte die Zuger Sektion der SD Mitte 2006 mitbegründet
[61].
Bei den Wahlen zum Berner Grossen Rat büssten die Schweizer Demokraten zwei von drei Sitzen ein.
Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU)
EDU-Nationalrat Christian Waber (BE) wurde Ende März zum neuen Präsidenten der EVP/EDU-Fraktion im Bundesparlament gewählt. Gemäss einer Vereinbarung zwischen den Fraktionspartnern löste er Heiner Studer (evp, AG) ab
[62].
Die EDU votierte klar für die Annahme der
Asyl- und Ausländergesetze, obwohl einige Abgeordnete aus der Westschweiz beim Ausländergesetz einen Widerspruch zur humanitären Tradition der Schweiz feststellten und das Nichteintreten auf Asylgesuche von Personen ohne Reisepapiere als äusserst problematisch bezeichneten. Die linke Kosa-Initiative lehnte die Partei aufgrund der ihrer Meinung nach fehlenden Nachhaltigkeit des Projekts ab. Sie stellte sich jedoch hinter den Bildungsartikel und die Familienzulagen. Für kontroverse Diskussionen sorgte das Osthilfe-Gesetz, das die EDU schliesslich mit 26:16 Stimmen ablehnte
[63].
Bei den Wahlen zum Berner Parlament konnte die EDU ihre Vertretung um zwei Abgeordnete erhöhen.
Andere Parteien
Die von der CVP unabhängigen
Christlichsozialen brachen bei den kantonalen Parlamentswahlen in Freiburg von zehn auf vier Sitze ein. In Obwalden, wo sich die CSP 2002 von der CVP getrennt hatte
[64], musste sie sich erstmals in kantonalen Wahlen bewähren. Sie konnte mit einem Stimmenanteil von 17% zehn der 55 Parlamentssitze erobern und ihre beiden Regierungsmandate behalten. Im Jura verteidigte Laurent Schaffter ebenfalls den christlichsozialen Regierungssitz; im Parlament erhöhte die CSP ihre Sitzzahl auf neun (+1). Die CSP Schweiz unterstützte einstimmig die linke Kosa-Initiative und alle vom Parlament beschlossenen Vorlagen mit Ausnahme der Asyl- und Ausländergesetze.
Blaise-Alexandre Le Comte, ehemaliger Präsident der Genfer Liberalen, gründete im Dezember eine neue kantonale Partei, „
La Droite libérale“
[65].
Weiterführende Literatur
Kriesi Hanspeter, „“Role of the political elite in Swiss direct-democratic votes“, in Party Politics, 2006, S. 599-622.
Ladner, Andreas, „Parteien und Politmarketing in der Schweiz“, in Roger Blum e.a. (Hg.), Wes Land ich bin, des Lied ich sing?, Bern 2006, S. 249-60.
Schiess Rüttimann, Patricia, „Art. 137 BV, die politische Gleichheit und das Parteienregister“, in Schweizer Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht, 2006, S. 505-28.
Albertazzi, Daniele, „The Lega dei Ticinesi: the embodiment of populism“, in Politics, 2006, Nr. 2, S. 133-139.
Geden, Oliver, Diskursstrategien im Rechtspopulismus: Freiheitliche Partei Österreichs und Schweizerische Volkspartei zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung, Wiesbaden 2006.
Keman, Hans / Pennings, Paul, „Competition and coalescence in European party systems: Social democracy and Christian democracy moving into the 21st century“, in Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 2006, Nr. 2, S. 95-126.
Schweizerische JungsozialistInnen, 100 Jahre JUSO Schweiz, Bern 2006.
[1] Seitz, Werner,
Die Exekutiven und Legislativen der Schweizer Städte, Neuenburg (BFS) 2006; Presse vom 10.2.06. Zu Analysen der Mehrheitsverhältnisse allgemein sowie der Unterschiede zwischen Stadt und Land siehe
AZ und
TA, 14.2.06;
LT, 24.4.06;
NZZ, 21.10.06.
[2] Seitz, Werner,
Die Exekutiven und Legislativen der Schweizer Städte, Neuenburg (BFS) 2006.
[3] Zum Scheitern der SP-Klage siehe
QJ, 21.1.06 und
TA, 21.1., 23.1. und 2.2.06. Referendum: Presse vom 6.3.06. Zur SP-Arbeitsgruppe bzw. der Initiative für die Steuerharmonisierung, siehe
LT, 28.1.06 und
Lib, 1.2.06, zur noch nicht zu Ende beratenen Unternehmenssteuerreform siehe oben, Teil I, 5 (Direkte Steuern).
[4] Presse vom 6.3.06;
24h, 5.7.06 (konkrete Schritte). Zum ersten Teil der Europa-Plattform siehe
SPJ 2005, S. 282 f. Zum Europa-Bericht des BR siehe oben, Teil I, 2 (Principes directeurs).
[5]
QJ und
TA, 25.4.06;
WoZ, 27.4.06.
[6] Presse vom 26.6.06. Zum neuen Wirtschaftskonzept siehe auch Presse vom 11.4.06 sowie
NZZ, 21.6.06;
TA und
WoZ, 22.6.06.Zum 100jährigen Jubiläum und der Geschichte der Juso siehe
WoZ, 24.8.06;
TA, 26.8.06;
NZZ, 4.9.06.
[7] Presse vom 26.6.06. Zur Initiative gegen Kriegsmaterialexporte siehe auch
BaZ,
22.6.06.
[9] Presse vom 4.12.06. Zum Integrationspapier, siehe auch
SoZ, 26.11.06.
[10] Zu Rückritt und Würdigung von Fässler siehe Presse vom 20.5.06. Zur Nachfolge siehe Presse vom 13.6.06. Zur Präsentation und Wahl von Wyss siehe
BaZ, 17.6.06;
LT, 20.6.06;
NZZ, 19.6. und 21.6.06;
TA, 14.6.06. Schenker: Presse vom 18.9.06.
[13] Presse vom 22.4.06. Zum Streit mit der LDP Basel, siehe
TA, 21.4.06;
Bund, 25.4.06;
LT und
NZZ, 26.4.06.
[14] Presse vom 21.8.06;
AZ und
TG, 22.8.06.
[15] Siehe oben, Teil I, 6d (Natur- und Heimatschutz).
[17] Presse vom 16.10. und 17.10.06. Für das Positionspapier zur Energiepolitik siehe ausserdem
NLZ, 28.9.06.
[18]
NZZ, 21.12.06;
LT, 28.12.06.
[19] Presse vom 21.8.06. Zur Wahl von Gabi Huber zur Vize-Präsidentin siehe
NLZ, 19.8.06.
[21] Presse vom 15.4. und 16.4.06.
[22] Presse vom 3.3. und 4.3.06. Siehe dazu auch
SPJ 2005, S. 286.
[24]
Bund,
LT und
NZZ vom 2.6.06.
[27] Presse vom 30.10.06.
[29] Presse vom 15.6.06. Siehe dazu oben, Teil I, 1c (Regierung).
[32]
TG, 16.3.06; Presse vom 17.3.06.
[33] SVP,
Unsere Regeln gelten für alle: Positionspapier zur Asyl- und Ausländerpolitik, Bern 2006; Presse vom 21.3.06.
[36]
LT, 9.9.06;
QJ, 12.9., 13.9. und 16.9.06;
TA, 11.9. und 12.9.06.
[37] Presse vom 23.10.06.
[38] Perrin: Presse vom 6.2.06. Zu Perrin siehe auch
Lib.,
LT und
NF vom 31.1.06. Voiblet:
24h, 7.10.06;
LT, 9.10.06.
[39]
24h,
LT und
NF vom 12.5.06.
[40]
AZ und
NZZ, 27.3.06.
[41]
TG, 26.9.06. Zur Position von Claude Ruey siehe
LT, 3.10.06;
NZZ, 11.12.06.
[42]
LT, 11.12. und 13.12.06. Zur Zusammenarbeit von FDP und LPS siehe
BaZ, 25.3.06;
NZZ, 20.7.06. Zu den Protesten der Basler LDP gegen die Neubezeichnung der FDP siehe oben (FDP).
[43]
TG, 10.3.06 (Wahl von Le Comte); Krise:
24h,
LT und
TG, 20.-28.6.06; Wahl von Bednarczyk:
LT und
TG, 12.-29.9.06; Rücktritt Bednarczyks und Ende der Krise:
LT und
TG vom 4.-8.11.06. Le Comte gründete danach eine Konkurrenzpartei (siehe unten, Andere Parteien).
[44]
QJ, 6.3.06. Zur Diskussion innerhalb der GP über die Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung siehe auch
LT, 23.3.06;
AZ, 3.8.06.
[45] Eine Woche danach kam auch noch Bern dazu.
[46]
24h und
LT, 3.4.06;
WoZ, 6.4.06.
[47]
NZZ, 22.5.06. Die DV hiess die Unterstützung der Kriegsmaterial-Initiative im Juni gut (
SGT, 26.6.06).
[48]
CdT,
QJ und
SGT vom 26.6.06.
[49]
BaZ und
NZZ, 5.10.06.
[50]
SGT, 24.1. und 25.1.06. Im Vorjahr hatten sich Grünliberale in Zürich abgespalten (
SPJ 2005, S. 290).
[51]
NZZ, 27.2.06.
Zu Details des Parteiprogramms siehe
NZZ, 24.2.06.
[55] BS:
BaZ, 25.10.06. GE:
TG, 16.2. und 26.10.06.
[56]
24h, 13.1.06;
TA, 16.1. und 31.1.06. Zur Lage der PdA in den Kantonen siehe
NZZ, 5.1.06.
[59] Zum Referendum gegen die Osthilfe siehe
Lib, 17.3.06; zur DV in Olten siehe
Bund, 27.3.06; zum Verhältnis zwischen SD und SVP siehe
Bund, 3.10.06;
TA, 30.12.06; zu Oehen siehe
TA, 9.1.06
und
Bund, 13.1.06.
[60]
SZ, 23.2., 4.3. und 6.3.06; zur geplanten Tessiner Sektion siehe
CdT, 15.3.06.
[61]
NLZ, 19.12.06;
TA, 30.12.06.
[64] Siehe dazu
SPJ 2002, S. 331. Bei der CSP Schweiz hat die CSP OW Beobachterstatus.
[65]
LT, 1.12.06;
TG, 27.10. und 2.12.06. Siehe dazu auch oben, LP.