Eléments du système politique
Institutions et droits populaires
L’Assemblée fédérale a choisi la conseillère d’Etat genevoise Micheline Calmy-Rey (ps) comme successeur de la conseillère fédérale Ruth Dreifuss. L’adversaire de l’UDC n’a pas pesé lourd. – Le Conseil national a voté pour une transparence accrue des salaires et des indemnités des managers de l’administration fédérale et de ceux des entreprises étatiques et para-étatiques. – Les Chambres ont adopté la nouvelle loi sur le parlement et ont décidé d’augmenter de 24 000 francs les indemnités des députés. – Le parlement n’a pas choisi les villes favorites de Fribourg et Aarau comme lieux des nouveaux tribunaux fédéraux (Tribunal administratif et Tribunal pénal), mais St Gall et Bellinzone à leur place. – Le parlement a accepté l’introduction de l’initiative populaire générale et l’élargissement du référendum facultatif dans le domaine des traités internationaux.
Regierung
Am 30. September gab die Genfer Bundesrätin
Ruth Dreifuss ihre Demission auf Ende Jahr bekannt. In ihrer knapp zehnjährigen Amtszeit hatte die Sozialdemokratin dem EDI vorgestanden. In den Medien wurde sie als warmherzige und humorvolle Person gewürdigt, die ihre sozialpolitischen Anliegen mit grossem Engagement – Kritiker aus den Reihen der bürgerlichen Parteien bezeichneten es auch als Sturheit – vertreten hatte
[1].
Dass der freiwerdende Sitz bei der SP bleiben sollte und vorzugsweise mit einer Frau aus der lateinischen Schweiz zu besetzen sei, wurde nur gerade von der SVP bestritten. Die Medien brachten die Regierungsrätinnen
Micheline Calmy-Rey (GE) und
Patrizia Pesenti (TI) sowie die Genfer Nationalratspräsidentin
Liliane Maury Pasquier als aussichtsreichste Kandidatinnen ins Spiel. Als Aussenseiter wurde zudem der Neuenburger Ständerat
Jean Studer gehandelt
[2]. Von den Kantonalsektionen der SP wurden zuhanden der SP-Fraktion diese vier sowie die Freiburger Regierungsrätin
Ruth Lüthi vorgeschlagen. Dabei führte die Nomination von Lüthi zu einer vor allem von Medienschaffenden ausgetragenen Polemik zwischen der Deutsch- und der Welschschweiz. Da Lüthi, welche seit 30 Jahren in der offiziell französischsprachigen Stadt Freiburg wohnt und dort auch ihre gesamte politische Karriere absolviert hat, im Kanton Solothurn aufgewachsen ist, wurde sie von einem Teil der welschen Medien nicht als Kandidatin der französischen Schweiz anerkannt
[3]. Nachdem die Leitung der SPS der Fraktion empfohlen hatte, auf die Kandidatinnen aus der Romandie (d.h. Calmy-Rey, Maury Pasquier und Lüthi, nicht aber die Tessinerin Pesenti und der Neuenburger Studer) zu setzen, nominierte diese Micheline Calmy-Rey und Ruth Lüthi, wobei klar wurde, dass sie die Genferin bevorzugte
[4] .
Die Leitung der
SVP hatte schon vor dem offiziellen Rücktritt von Dreifuss angekündigt, dass sie die Gelegenheit einer Ersatzwahl wahrnehmen werde, um für den von ihr seit den Nationalratswahlen 1999 geforderten zweiten Regierungssitz zu kämpfen. Die SVP-Fraktion bestätigte diese Haltung und kündigte zudem an, dass in ihren Augen diese Ersatzwahl auch ein Lackmustest für die bürgerliche Gesinnung der FDP und der CVP sein werde, welche sich entscheiden müssten, ob sie eine Kandidatur der Linken oder der SVP unterstützen wollen. Der von der Parteileitung vorgeschlagene Nationalrat
Toni Bortoluzzi (ZH) wurde von einer Delegiertenversammlung der nationalen Partei in Lupfig (AG), welche schon ganz im Zeichen der eidgenössischen Wahlen vom Herbst 2003 stand, nominiert und anschliessend von der SVP-Fraktion zum offiziellen Kandidaten bestimmt
[5].
Am
4. Dezember wählte die Vereinigte Bundesversammlung die Nachfolgerin für Ruth Dreifuss. Die Fraktionen der CVP und der FDP hatten beide offiziellen Bewerberinnen der SP als wählbar taxiert, ohne aber einer von ihnen der Vorzug zu geben. Im ersten Wahlgang erzielte Calmy-Rey mit 80 Stimmen das beste Resultat, gefolgt vom SVP-Kandidaten Bortoluzzi (69 Stimmen) und der zweiten sozialdemokratischen Bewerberin Lüthi (61). Die beiden im Vorverfahren von der SP nicht berücksichtigten Pesenti und Studer erhielten 15 resp. 11 Stimmen und schieden in den folgenden zwei Wahlgängen aus. Im vierten Wahlgang wurde Bortoluzzi als Letztplatzierter eliminiert. Seine Stimmenzahl in den Wahlgängen zwei bis vier (zwischen 56 und 59 Stimmen) lag nur wenig über der Fraktionsstärke der SVP (51). Nachdem SVP-Präsident Maurer nochmals gegen die Nichtberücksichtigung des Proporzanspruchs seiner Partei und vor allem gegen die Unterstützung einer linken Kandidatin durch die beiden anderen bürgerlichen Regierungsparteien protestiert hatte, wählte die Bundesversammlung im fünften Wahlgang die Genferin
Micheline Calmy-Rey zur neuen Bundesrätin. Bei einem absoluten Mehr von 100 Stimmen hatte sie deren 131 erhalten; Ruth Lüthi kam auf 68. Die SVP-Fraktion hatte praktisch geschlossen leer eingelegt. In den Medien vom folgenden Tag wurde die SVP dafür, und dass sie die vom Fernsehen direkt übertragene Bundesratswahl zu einem Propagandaanlass für die Nationalratswahlen vom Herbst 2003 gemacht habe, heftig kritisiert
[6].
Eine Woche nach der Ersatzwahl nahm der Bundesrat die
Departementszuteilung zum Anlass für eine mittlere Rochade: Der für 2003 zum Bundespräsidenten gewählte François Couchepin (fdp) wechselte vom Volkswirtschaftsdepartement in das EDI, der bisherige EDA-Vorsteher Joseph Deiss übernahm das Volkswirtschaftsdepartement und die neu gewählte Micheline Calmy-Rey wurde zur neuen Aussenministerin. Die FDP hatte bereits im Vorfeld dieser Verteilung ihren Anspruch auf das EDI wegen der auch finanzpolitisch wichtigen Reformen im Gesundheits- und Sozialversicherungsbereich angemeldet
[7].
Die SPK des Ständerats, welche sich als erste mit der im Vorjahr vom Bundesrat vorgeschlagenen zweistufigen Regierung mit „
Delegierten Ministern“ befasste, war damit nicht zufrieden. Sie gab der Verwaltung den Auftrag, ein Modell mit neun Bundesräten und einem gestärkten Präsidialamt auszuarbeiten. Mit knapper Mehrheit entschied sie sich dann im Herbst allerdings gegen eine Erhöhung der Zahl der Bundesräte. Anstelle der vom Bundesrat vorgeschlagenen zweistufigen Regierung bevorzugte sie jedoch eine Variante, welche
jedem Regierungsmitglied einen Stellvertreter zuordnet. Dieser würde vom Bundesrat gewählt und vom Parlament bestätigt, seine Amtsdauer wäre an diejenige des jeweiligen Bundesrates gekoppelt. Das Amt des Bundespräsidenten möchte die SPK in dem Sinne stärken, dass dieser auf eine Dauer von zwei Jahren mit einer Verlängerungsmöglichkeit um eine zusätzliche Zweijahresperiode gewählt würde. Dieser Präsident hätte jedoch weiterhin ein Departement zu führen und verfügte gegenüber den anderen Regierungsmitgliedern über keinerlei Weisungskompetenzen
[8].
Keine Chance hatte ein Reformvorschlag Zisyadis (pda, VD), welcher das schweizerische Regierungskollegium durch das in den meisten westeuropäischen Staaten übliche
Ministerpräsidentensystem ablösen wollte. Dabei würde das Parlament in Zukunft nur noch den Chef der Regierung wählen (und gegebenenfalls mit einem Misstrauensvotum auch wieder abwählen), während dieser die ihm untergeordneten Minister selbst einstellt und entlässt. Die parlamentarische Initiative Zisyadis wurde vom Nationalrat mit 162:4 sehr deutlich abgelehnt
[9].
Weitere Reformvorschläge kamen aus der SPK des Ständerats anlässlich der Beratung des neuen Parlamentsgesetzes, welches das bisherige Geschäftsverkehrsgesetz ersetzt. Diese schlug vor, dass amtierende
Bundesräte im Jahr vor der Wahl des Nationalrats in der Regel nicht mehr zurücktreten dürfen, und dass die wiederkandidierenden Bundesräte nicht mehr einzeln in der Reihenfolge ihrer Amtsdauer, sondern auf einer
gemeinsamen Liste mit Streichungsmöglichkeiten zu bestätigen sind. Mit der ersten Bestimmung wollte die SPK wahltaktisch motivierte Rücktritte vor Ablauf der Amtsdauer verhindern, die zweite sollte es dem Parlament ermöglichen, missliebige Bundesräte mit einem schlechten Wahlresultat oder gar der Nichtwiederwahl zu sanktionieren, ohne Retourkutschen für die anderen, d.h. amtsjüngeren Bundesräte befürchten zu müssen. Der erste Vorschlag fand bereits im Ständerat keine Mehrheit, der zweite wurde vom Nationalrat abgelehnt (siehe dazu unten, Parlament)
[10].
Verwaltung
Die Diskussion um als exorbitant empfundene
Löhne und Entschädigungen für Spitzenmanager der Privatwirtschaft, welche im Vorjahr eingesetzt hatte, zeitigte auch Auswirkungen auf die Bundesverwaltung und die bundesnahen und -eigenen Betriebe. Die SPK des Nationalrats lehnte zwar eine parlamentarische Initiative Leutenegger (sp, BL) für eine Begrenzung und eine Publikation der Bezüge für Kaderpositionen als zu weit gehend ab. Sie arbeitete aber, ebenfalls in Form einer parlamentarischen Initiative, einen eigenen Vorschlag aus. Zum einen soll der Bundesrat mit einer Revision des Bundespersonalgesetzes explizit verpflichtet werden, Grundsätze und vor allem auch Eckwerte für Löhne, übrige Entschädigungen (wie z.B. Leistungen an die berufliche Vorsorge) und zulässige Nebenbeschäftigungen für Spitzenmanager sowie für Verwaltungsratshonorare festzulegen. Zum anderen soll er die Löhne und Honorare der höheren Kader öffentlich zugänglich machen. Diese neuen Vorschriften hätten sowohl für die bundeseigenen Betriebe (z.B. Post, SBB) als auch für privatrechtlich organisierte Unternehmen, an welchen der Bund eine Kapitalmehrheit hält (z.B. Swisscom, SRG) Gültigkeit. Die SPK des Ständerats hatte einer ähnlichen parlamentarischen Initiative Brunner (sp, GE) ebenfalls Folge gegeben, verzichtete aber angesichts der Aktivitäten der SPK-NR auf die Ausarbeitung einer eigenen Vorlage. Der Bundesrat war mit diesen Vorschlägen im Grundsatz einverstanden. Er empfahl aber, die börsenkotierten Unternehmen (d.h. zur Zeit die Swisscom), welche den Regeln des wirtschaftlichen Wettbewerbs besonders stark ausgesetzt sind, von den Transparenzvorschriften auszunehmen. Zu weit ging ihm auch die Offenlegung der Bezüge der einzelnen Manager. Sowohl aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes als auch der Konkurrenzfähigkeit der bundesnahen Betriebe auf dem Arbeitsmarkt votierte er dafür, dass darüber nur die parlamentarischen Aufsichtsorgane (Finanzdelegation) unterrichtet werden sollen
[11]. Im Nationalrat war Eintreten auf die SPK-Initiative unbestritten. Gegen den Widerstand der Linken und der Hälfte der CVP-Fraktion strich der Rat aber die Vorschrift, dass der Bundesrat für die bundesnahen Betriebe Lohneckwerte festzulegen hat. Keinen Erfolg hatte der Bundesrat mit seinen Bedenken, die individuellen Bezüge der Spitzenmanager zu publizieren resp. seinem Antrag, wenigstens die börsenkotierten, aber mehrheitlich vom Bund beherrschten Aktiengesellschaften davon auszunehmen. Dank der Unterstützung durch die SVP setzte sich in diesen beiden Fragen die Linke durch
[12].
Auf Antrag ihrer GPK nahmen beide Parlamentskammern den im Vorjahr veröffentlichten Evaluationsbericht des Bundesrates über das Konzept „Führen mit Leistungsauftrag und Globalbudget (
FLAG)“ zur Kenntnis. Zudem überwiesen sie eine Motion der beiden GPK, welche den Bundesrat auffordert, Gesetzesänderungen vorzuschlagen (namentlich beim Finanzhaushaltgesetz und beim Regierungs- und Organisationsgesetz), welche dem Parlament erlauben, auch bei diesem Führungskonzept seine Steuerungs- und Kontrollfunktion wahrzunehmen
[13].
Der im Vorjahr vorgelegte Plan des UVEK für die Schaffung einer eidgenössischen
Sicherheitsagentur löste in der Vernehmlassung ein vorwiegend negatives Echo aus. Er wurde von den Kritikern als überflüssig, zu kompliziert und zu zentralistisch beurteilt. Bundesrat Leuenberger gab deshalb bekannt, dass das UVEK eine abgespeckte Vorlage ausarbeiten werde, welche insbesondere auf die von den Kantonen abgelehnte Zentralisierung der Motorfahrzeugkontrollen verzichtet
[14].
Parlament
Als Zweitrat befasste sich der Ständerat mit dem
neuen Parlamentsgesetz, welches anstelle des bisherigen Geschäftsverkehrsgesetzes treten soll. Er beschloss eine ganze Reihe von Abweichungen von der nationalrätlichen Version, ohne allerdings die Grundsätze der Reform in Frage zu stellen. So verschärfte er unter anderem die vom Nationalrat festgelegten
Unvereinbarkeitsregeln für ein Parlamentsmandat, welche neu nicht nur für den National-, sondern auch für den Ständerat gültig sind. Diese Unvereinbarkeit soll nicht nur für höhere Kader, sondern für alle Angestellten der zentralen und der dezentralen Bundesverwaltung und für Mitglieder von Leitungsgremien (Verwaltungs- und Stiftungsräte etc.) von bundesnahen Organisationen (SRG, Nationalbank, Pro Helvetia etc.) gelten
[15]. Nicht einverstanden war die kleine Kammer auch mit dem Beschluss des Nationalrats, dass bei sämtlichen Abstimmungen das
Votum der einzelnen Parlamentsmitglieder erfasst und veröffentlicht werden muss. Mit dem Argument, dazu müsste im Ständerat eine elektronische Abstimmungsanlage eingerichtet werden, lehnte die Ratsmehrheit dies ab und beschloss, dass jeder Rat in seinem eigenen Reglement über diese Frage entscheiden soll. Eine weitere Differenz ergab sich bei dem parlamentarischen Instrument der
Empfehlung. Obwohl neu auch Motionen, welche den alleinigen Kompetenzbereich der Regierung betreffen, im Sinne von Richtlinien zugelassen sind, war der Ständerat nicht bereit, auf die bisher bei ihm diesem Zweck dienende „Empfehlung“ gänzlich zu verzichten. Da diese im Gegensatz zu einer Motion nur von einem Rat zu behandelnde Vorstossform die rasche Abgabe einer Stellungnahme an den Bundesrat erlaube, wollte er sie weiterhin zulassen. Dabei sollen die beiden Ratskammern frei sein, ob sie diese in ihren Reglementen aufführen wollen oder nicht. Der Ständerat wandte sich ferner gegen eine restriktivere Behandlung von
Motionen. Er lehnte das vom Nationalrat eingeführte Verbot ab, eine vom Bundesrat abgelehnte Motion in ein Postulat umzuwandeln. Anschliessend verzichtete er auch auf die von seiner Kommissionsmehrheit beantragte Vorschrift, dass die zuständige Kommission des Erstrats eine Motion vorberaten müsse.
Mit einem relativ knappen Entscheid änderte der Ständerat das
Wahlverfahren für die Bestätigungswahlen für den Bundesrat. Wieder antretende Regierungsmitglieder sollen nicht mehr einzeln in der Reihenfolge ihrer Amtsdauer zur Wahl antreten, sondern auf einer gemeinsamen Liste, wobei die Parlamentarier einzelne Namen streichen können. Wiedergewählt ist, wer im ersten oder einem allfällig erforderlichen zweiten Wahlgang das absolute Mehr erreicht. Kampfkandidaturen sind bei dieser Wiederwahl der Bisherigen noch nicht zugelassen, sondern erst bei einer Vakanz infolge einer Nichtwiederwahl oder eines Rücktritts
[16]. Wie im Vorjahr der Nationalrat (Motion Vallender) wollte auch die Mehrheit der SPK des Ständerats gewisse Schranken für vom Bundesrat
im Dringlichkeitsverfahren beschlossene Nachtragskredite einführen. Für Ausgaben in der Höhe von mehr als 2% der Bundeseinnahmen sollte neu die Zustimmung des Parlaments erforderlich sein, welches nötigenfalls zu einer Sondersession einzuberufen wäre. Der Rat lehnte diese neue Bestimmung jedoch mit 24:15 Stimmen ab (vgl. dazu auch unten, Instrumente).
In der
Differenzbereinigung schloss sich der Nationalrat bei der Unvereinbarkeitsvorschrift gegen den Widerstand der Linken dem Ständerat an. Für den Wunsch der kleinen Kammer, die Vorstossform der „Empfehlung“ beizubehalten, hatte er jedoch kein Verständnis. Er lehnte es auch ab, dass in Zukunft Kommissionsminderheiten keine prioritär zu behandelnde Motionen mehr einreichen können. Bei den Motionen, welche den an die Regierung delegierten Kompetenzbereich betreffen, hielt der Nationalrat an seiner verpflichtenderen Lösung fest. Diese seien nicht nur als Richtlinien zu betrachten, sondern der Bundesrat müsse, wenn er sie nicht umsetzen wolle, dem Parlament einen Entwurf für die Änderung der Zuständigkeitsordnung vorlegen. Der Nationalrat hielt im weiteren am Verbot fest, vom Bundesrat abgelehnte Motionen in Postulate umzuwandeln. Er begründete dies mit zwei Argumenten: erstens bedeute dies eine Aufwertung der Motion, da tendenziell nur noch mehrheitsfähige Vorstösse in dieser Form eingereicht würden; und zweitens könne neu eine Motion vom Zweitrat auch in dem Sinne abgeändert werden, dass nicht mehr eine Massnahme (z.B. eine Gesetzesrevision) verlangt würde, sondern bloss ein Prüfungsauftrag. Das vom Ständerat beschlossene neue Verfahren für die Wiederwahl der amtierenden Bundesräte wurde gegen den Widerstand der SVP mit 117:41 Stimmen abgelehnt. Nachdem der Nationalrat seinen Entscheid bestätigt hatte, dass in beiden Kammern bei sämtlichen Abstimmungen das Votum der einzelnen Parlamentsmitglieder erfasst und veröffentlicht werden muss, sprach sich der Ständerat mit 26:14 Stimmen zum zweiten Mal dagegen aus
[17].
Da beide Kammern auch in der zweiten Runde der Differenzbereinigung nicht nachgaben, musste in dieser Frage der Transparenz über die Stimmabgabe die
Einigungskonferenz entscheiden. Sie tat dies im Sinne der kleinen Kammer. Der Ständerat hielt auch bei den Motionen von Kommissionsminderheiten (Abschaffen), der Umwandlung von Motionen in Postulate (Beibehalten) sowie der Auswirkungen von Motionen im an den Bundesrat delegierten Kompetenzbereich (nur Richtlinie) an seinen Beschlüssen fest. Hingegen gab er beim Instrument der Empfehlung nach und schaffte es ab; er verzichtete ebenfalls auf das neue Wahlsystem für wiederkandidierende Bundesräte. Der Nationalrat hielt in der Folge nur noch an seiner Version der Rechtswirkung von Motionen im an den Bundesrat delegierten Kompetenzbereich (nicht nur Richtlinie, sondern Auftrag an den Bundesrat, sie umzusetzen oder eine Revision der Kompetenzordnung vorzuschlagen) und dem Verbot, vom Bundesrat abgelehnte Motionen in Postulatsform zu überweisen, fest. Nachdem der Ständerat weiterhin auf seinen Entscheidungen beharrt hatte, setzte sich in der Einigungskonferenz bei beiden Beschlüssen die Version des Nationalrats durch
[18].
Nachdem es das Volk 1992 abgelehnt hatte, den Parlamentariern Mittel für die
Einstellung von
persönlichen Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen, unternahm die SPK des Nationalrats im Berichtsjahr einen neuen Anlauf. Ausgehend von der grossen und weiter zunehmenden Arbeitslast der Parlamentarier und der Überlegung, dass eine substanzielle Erhöhung der Entschädigungen in einer Volksabstimmung keine Chance hätte, beantragte sie, jedem Parlamentsmitglied einen zweckgebundenen jährlichen Kredit von 40 000 Fr zu gewähren, mit welchem persönliche Mitarbeiter zur Vorbereitung der Ratstätigkeit angestellt werden können. Da aus diesem Betrag nur eine Teilzeitstelle finanziert werden kann, dürfen Parlamentarier ihre Kredite auch zusammenlegen, um gemeinsam Assistenzpersonal einzustellen
[19].
Im Nationalrat beantragte die SVP erfolglos Nichteintreten. Ihre Opposition richtete sich nicht nur gegen die beantragten Mittel für die persönlichen Mitarbeiter, sondern auch gegen die Absicht der SPK, den dafür einzusetzenden Betrag nicht im referendumsfähigen Gesetz, sondern in einer Verordnung festzuschreiben. Die Argumente der SVP gegen die persönlichen Mitarbeiter waren einerseits finanzpolitischer Natur, andererseits befürchtete sie aber auch eine Zunahme der persönlichen Vorstösse und damit eine zeitliche Mehrbelastung für die Parlamentsmitglieder. Die Ratsmehrheit lehnte auch in der Detailberatung einen Streichungsantrag der SVP ab und ging dann sogar noch weiter: auf Antrag Tschuppert (fdp, LU) beschloss sie, dass die Höhe sämtlicher Bezüge der Abgeordneten (Einkommen, Entschädigungen und Beiträge für Mitarbeiter) sowie deren automatische Anpassung an die Teuerung in Zukunft nicht mehr im Gesetz, sondern in einer Verordnung geregelt sein soll.
Die SPK des Ständerats lehnte die Entschädigungen für die Einstellung von persönlichen Mitarbeitern ab, da diese zweckgebundene Zahlung den unterschiedlichen individuellen Bedürfnissen der Abgeordneten nicht gerecht würde und ihre Verwaltung durch die Parlamentsdienste zu aufwändig wäre. Da aber auch für die SPK des Ständerats eine bessere materielle Unterstützung der Parlamentsangehörigen gerechtfertigt war, beantragte sie erstens die Jahrespauschale von 12 000 auf 24 000 Fr. zu verdoppeln und zweitens die bisherige Spesenpauschale in eine Entschädigung für Sach- und Personalauslagen umzuwandeln und von 18 000 auf 30 000 Fr. zu erhöhen. Insgesamt würden damit die Entschädigungszahlungen nur um 24 000 statt um 40 000 Fr. verbessert. Um die Parlamentarierbezüge nicht dem Referendum zu entziehen, beantragte die SPK zudem, dass diese weiterhin auf Gesetzesebene festzulegen sind. All diese Vorschläge setzten sich im Ständerat deutlich durch.
In der
Differenzbereinigung schwenkte die vorberatende Kommission des Nationalrats auf den Beschluss der kleinen Kammer ein, die Beträge für Einkommen, Entschädigungen und Mitarbeiter weiterhin auf Gesetzesstufe festzulegen; an den 40 000 Fr. für die persönlichen Mitarbeiter hielt sie aber fest. Die Lösung des Ständerats lehnte sie unter anderem auch deshalb ab, weil ihrer Ansicht nach mit dieser Verdoppelung der Jahrespauschale das Referendum geradezu provoziert würde. Ihre Position setzte sich gegen den Widerstand der SVP sowie einer Mehrheit der FDP- und einer Minderheit der CVP-Fraktion mit 93:78 Stimmen durch. In der Folge hielten beide Kammern an ihren Beschlüssen fest. In der
Einigungskonferenz setzte sich das Modell des Ständerats durch und der Nationalrat gab seine Zustimmung. In der Schlussabstimmung passierte die Vorlage mit 116:34 Stimmen im Nationalrat und mit 33:1 im Ständerat. Die Opposition in der Volkskammer kam von einer starken Mehrheit der SVP und einigen Freisinnigen
[20].
Die GPK des Nationalrats beantragte zudem mit einer parlamentarischen Initiative eine Verbesserung der
Altersvorsorgeleistungen für Parlamentarier. Diese soll soweit erhöht werden, dass sie die Beitragslücke voll kompensiert, welche für die Parlamentsmitglieder infolge der durch das Mandat veranlassten Reduktion ihrer beruflichen Tätigkeit entsteht. Zudem sollen neu auch die Risiken Tod und Invalidität in die Versicherung mit einbezogen werden. Der Nationalrat stimmte der Vorlage gegen die Stimmen der Mehrheit der SVP-Fraktion zu. Er ergänzte sie zudem um einen Beitrag, der an Abgeordnete mit Kindern ausbezahlt wird, wenn sie aufgrund der Mandatsausübung eine Einbusse bei der Kinderzulage erleiden. Im Ständerat passierte das Projekt ohne Gegenstimme
[21].
Im Anschluss an die Finanzspritze des Bundes für die Erhaltung einer nationalen Luftfahrtgesellschaft waren im Vorjahr diverse Vorstösse eingereicht worden, welche die Kompetenz der Finanzdelegation des Parlaments zur Bewilligung solcher
ausserordentlichen und dringlichen Ausgabenentscheide des Bundesrats begrenzen wollten. In der Herbstsession lehnte der Nationalrat zwei Motionen der SVP resp. der Grünen für eine Limitierung auf maximal 100 Mio Fr. ab. Diese Ablehnung geschah jedoch nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil seine SPK sich bereits an die Ausarbeitung entsprechender neuer Regeln in der Form einer parlamentarischen Initiative gemacht hatte
[22].
Die Rechtskommission des Nationalrats sprach sich mit knappem Mehr gegen eine parlamentarische Initiative Aeppli (sp, ZH) aus, welche bei Strafuntersuchungen wegen Verstosses gegen das
Antirassismusgesetz die parlamentarische Immunität grundsätzlich aufheben wollte
[23].
Gerichte
Nach der Rückweisung der bundesrätlichen Vorlage zur Schaffung eines
Bundesstrafgerichts und eines
Bundesverwaltungsgerichts durch den Ständerat im Vorjahr hatte dessen Rechtskommission einen Vorschlag für eine
parlamentarische Gerichtskommission zur Wahlvorbereitung ausgearbeitet. Das Projekt sah vor, dass diese Kommission bei ihrer Arbeit von einem ständigen Sekretariat und einem Expertenbeirat unterstützt wird. Letzterer wirkt bei der Wahlvorbereitung für das Bundesstraf- und das Bundesverwaltungsgericht mit und kann – muss aber nicht – bei den Bundesgerichtswahlen beigezogen werden. Um den anlässlich der Rückweisung im Jahr 2001 geäusserten Ängsten vor einem zu grossen Einfluss dieser Experten Rechnung zu tragen, werden deren Empfehlungen und Evaluationen nicht veröffentlicht. Die parlamentarische Gerichtskommission selbst setzt sich aus zwölf Mitgliedern des Nationalrats und fünf des Ständerats zusammen, wobei jede Fraktion Anspruch auf mindestens einen Sitz hat. Die Oberaufsicht über die Gerichte sollen weiterhin die Geschäftsprüfungskommissionen und nicht diese neue Gerichtskommission haben. Diese Vorschläge kamen im Ständerat in der Frühjahrssession gut an. Umstritten war nur noch die Frage der parlamentarischen Oberaufsicht über die Gerichte. Mit der Auflage, dass sie ihre Arbeit neu organisieren müssen, wurde diese bei den GPK belassen. Der
Nationalrat begann im Herbst mit den Beratungen. In der Frage der Vorbereitung der Richterwahlen war er weitgehend mit dem Ständeratsmodell einverstanden. Er lehnte es allerdings ab, bereits jetzt über die Schaffung einer konsultativen Expertenkommission (Beirat) zu entscheiden, da zuerst die Frage der Organisation der Oberaufsicht über die Bundesgerichte geklärt werden müsse. Nachdem der Nationalrat in der zweiten Runde einen Kompromissvorschlag der kleinen Kammer abgelehnt hatte, einen solchen Beirat wenigsten mit einer Kann-Formel zu ermöglichen, gab der Ständerat nach. Das Gesetz über das Bundesstrafgericht wurde in der Herbstsession verabschiedet; die neuen Bestimmungen über die Richterwahl in der Wintersession
[24].
Zu einem grossen Schlagabtausch regionaler Interessen kam es im Ständerat bei der Frage des
Standorts der beiden neuen Gerichte. Die Kommissionsmehrheit unterstützte den Vorschlag des Bundesrates (Aarau und Freiburg); eine aus Marty (fdp, TI), Dettling (fdp, SZ), Schweiger (fdp, ZG) und Slongo (cvp, NW) gebildete Minderheit
[25] war für Bellinzona und St. Gallen. Die Befürworter dieser Standorte versuchten einerseits darzulegen, dass bezüglich der vom Bundesrat angeführten sachlichen Kriterien für die Standortwahl (vor allem Distanz zu den Bevölkerungszentren und Personalrekrutierung) auch Bellinzona und St. Gallen geeignet seien. Viel stärker berücksichtigt werden müsse aber das staatspolitische Element einer Dezentralisierung der eidgenössischen Institutionen, und dieses spreche eindeutig für Gerichtssitze in der italienischsprachigen Schweiz und der Ostschweiz. Mit jeweils 26:15 Stimmen beschloss der Ständerat, das
Bundesstrafgericht in Bellinzona und das
Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen anzusiedeln. Im Nationalrat empfahl die Kommission ebenfalls, allerdings mit nur knapper Mehrheit, die Standorte Aarau und Freiburg. Nachdem sich nahezu alle Abgeordnete aus den betroffenen vier Kantonen für ihre Region eingesetzt hatten, beschloss der Rat mit 123:61 Stimmen, Bellinzona den Vorzug vor Aarau zu geben. Knapper war der Entscheid beim wesentlich personalreicheren Bundesverwaltungsgericht. Nachdem Freiburg und St. Gallen je 92 Stimmen auf sich vereinigt hatten, gab die Ratspräsidentin Maury-Pasquier (sp, GE) den Ausschlag für Freiburg. Da aber der Ständerat auf seinem Entscheid für St. Gallen beharrte, gab die grosse Kammer mit 95:84 Stimmen nach
[26].
Volksrechte
Im Berichtsjahr kam es zu drei mit einem fakultativen Referendum verlangten Volksabstimmungen (Fristenlösung, Elektrizitätsmarktliberalisierung, Arbeitslosenversicherung). Zwei Mal bestätigte das Volk den Parlamentsentscheid, ein Mal legte es das Veto ein (Elektrizitätsmarkt). Eingereicht wurde zudem das Referendum gegen die Spitalfinanzierung, worüber allerdings erst 2003 abgestimmt werden wird.
Im Jahr 2002 wurden zwei neue Volksinitiativen eingereicht (Postdienste für alle; Nationalbankgewinne für die AHV). Dem Volk zum Entscheid vorgelegt wurden fünf Volksbegehren. Einem davon wurde zugestimmt (UNO-Beitritt); es war auch von Regierung und Parlament zur Annahme empfohlen worden. Damit sank Ende 2002 der Bestand der eingereichten, aber dem Volk noch nicht zum Entscheid vorgelegten Initiativen auf elf (2001: 14). Neu lanciert wurden 6 Volksinitiativen.
Volk und Stände lehnten eine von Regierung und Parlament vorgeschlagene Verfassungsänderung ab (Solidaritätsstiftung). Insgesamt kam es somit zu 9 Volksabstimmungen (5 Volksinitiativen, 1 Verfassungsreferendum und 3 fakultative Referenden). Bei sieben dieser Entscheide folgten die Stimmberechtigten dem Antrag von Regierung und Parlament, zweimal entschieden sie anders (Solidaritätsstiftung und Elektrizitätsmarktgesetz).
Der Nationalrat behandelte als Zweitrat die Verfassungsänderungen zur Einführung der „
allgemeinen Volksinitiative“ und zur
Ausweitung des fakultativen Staatsvertragsreferendums auf alle Abkommen, die wichtige rechtsetzende Normen enthalten oder zum Erlass von Gesetzen verpflichten. Die vom Ständerat vor einem Jahr neu in das Reformpaket aufgenommene Kantonsinitiative, die von acht Kantonen eingereicht werden kann, wurde vom Nationalrat mit 86:60 Stimmen gestrichen. Die SVP-Fraktion beantragte erfolglos, auf die allgemeine Volksinitiative zu verzichten, da damit das sonst bei Volksinitiativen verlangte Ständemehr umgangen werden kann (wenn das Parlament eine Umsetzung auf Gesetzesebene beschliesst). Keinen Erfolg hatte auch die SP, die zusammen mit dem Bundesrat für eine Unterschriftenzahl von 70 000 statt 100 000 plädierte. Gescheitert ist die SP auch mit ihrem Versuch, das als „Mini-Reform“ charakterisierte Vorhaben doch noch etwas auszupolstern: der Nationalrat lehnte sowohl die Einführung der ausformulierten Gesetzesinitiative, wie sie in allen Kantonen ausser dem Jura besteht, als auch das neue Instrument der Volksmotion für die Aussenpolitik ab. Mit letzterem hätten 10 000 Stimmberechtigte dem Parlament beantragen können, den Bundesrat zu beauftragen, in internationalen Gremien bestimmte Anliegen zu vertreten. In der Gesamtabstimmung stimmte die Linke der Reform der Volksrechte gleichwohl zu. Im Gegensatz dazu lehnten die SVP und die Liberalen die Vorlage geschlossen ab. In der zweiten Runde der Differenzbereinigung verzichtete der Ständerat knapp (19:16 Stimmen) auf die Kantonsinitiative. In der Schlussabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 102:67 Stimmen an. Die Hauptopposition kam aus der SP-Fraktion. Diese hatte aus Protest gegen die ihrer Ansicht nach zu hohe Unterschriftenzahl für die allgemeine Volksinitiative (100 000) Nein gestimmt. Dagegen gestimmt hatten auch die Liberalen, während sich die Grünen der Stimme enthielten; im Ständerat gab es sieben Gegenstimmen
[27].
Das Parlament verabschiedete die im Vorjahr vom Bundesrat beantragte
Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte. Umstritten waren eigentlich nur zwei Neuerungen: das Projekt E-Voting (d.h. Abstimmen via Internet) und die Kompetenz des Bundesrats, bei den Nationalratswahlen
Kampagnen zur
Förderung der Stimmbeteiligung und
der Erfolgschancen von Frauenkandidaturen durchzuführen (sog. Sensibilisierungskampagnen). Gegen den Widerstand der SVP-Fraktion, welche dem elektronischen Abstimmungsverfahren via Internet aus finanziellen Gründen keine Dringlichkeit zuerkennen wollte, schuf der erstberatende Nationalrat die Rechtsgrundlagen für die Durchführung von Pilotversuchen mit E-Voting in den Kantonen. Am meisten zu reden gaben die Sensibilisierungskampagnen. Die SVP beantragte Streichung, die Linke wollte den Bundesrat dazu nicht nur ermächtigen, sondern verpflichten, und Brunner (svp, SG) und Ursula Wyss (sp, BE) – bis Ende 2001 die beiden jüngsten im Rat – forderten, dass damit nicht nur weibliche, sondern auch junge Kandidaturen gefördert würden. Durchgesetzt hat sich schliesslich die Kommissionsmehrheit (Kann-Formel) ergänzt durch den Antrag Brunner/Wyss. Im Ständerat war es ebenfalls die Ermächtigung des Bundesrates, Sensibilisierungskampagnen durchzuführen, die zu einer Diskussion Anlass gab. Er folgte mit 17:15 Stimmen seiner Kommissionsmehrheit und strich diese Bestimmung. In der
Differenzbereinigung lehnte er zweimal mit knapper Mehrheit (22:20) einen Vermittlungsantrag Spoerry (fdp, ZH) ab, welcher die Kampagnen auf die Förderung der Stimmbeteiligung und der angemessenen Geschlechterverteilung beschränken wollte. Der Nationalrat seinerseits verwies auf den verfassungsmässigen Auftrag zur ausgeglichenen Vertretung der Geschlechter auch in der Politik und hielt zuerst zweimal an den Sensibilisierungskampagnen fest. Er gab erst nach, als die
Einigungskonferenz beider Räte einen Verzicht darauf beschlossen hatte
[28].
Im Februar legte der Bundesrat einen
Bericht über die elektronische Ausübung der politischen Rechte (via Internet) vor. Er stellte darin fest, dass die Einführung dieser neuen Form der Stimmabgabe resp. des Wählens und des Unterzeichnens von Referenden und Initiativen die politische Beteiligung attraktiver machen könnte. Er wies aber auch auf Risiken dieser neuen Technologie hin. Damit meinte er nicht nur Missbräuche durch unberechtigte Manipulationen der Programme, sondern auch Gefahren in Bezug auf eine sorgfältige Meinungsbildung. Es ist nach Ansicht des Bundesrates deshalb falsch, die Einführung der elektronischen Stimmabgabe lediglich als unproblematische technische Erweiterung des bisherigen Systems zu betrachten. Vielmehr bedürfe sie einer Einbettung in ein umfassendes Konzept und sei zudem wegen ihrer Komplexität etappenweise vorzunehmen. Als ersten vorbereitenden Schritt schlug der Bundesrat die Harmonisierung der kommunalen Stimmregister resp. die Schaffung eines nationalen Registers vor. Mit der Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte (siehe oben) wurde der Rahmen für die Durchführung kantonaler Pilotversuche bereits geschaffen
[29].
Die SPK des Nationalrats tat sich schwer mit der Umsetzung einer parlamentarischen Initiative Gross (sp, ZH) für die
Meldepflicht und Publikation von grossen finanziellen Beiträgen an die Werbekampagnen für Volksabstimmungen. Das Plenum hatte dem Vorstoss im Jahr 2000 Folge gegeben und eine Subkommission der SPK hatte sich daran gemacht, Realisierungsmodelle zu entwickeln. Die nun notwendig gewordene Fristverlängerung für diese Arbeit wurde aber von einer Minderheit der SPK, welche dem Anliegen negativ gegenübersteht, zum Anlass genommen, einen Übungsabbruch zu verlangen und die Initiative abzuschreiben. Mit 101:84 Stimmen beschloss jedoch der Nationalrat, die Fristverlängerung zu gewähren
[30].
Der Nationalrat beschäftigte sich mit dem Projekt seiner SPK zur Umsetzung der im Vorjahr gutgeheissenen parlamentarischen Initiative Stamm (cvp, LU) zur Wahrung der
Lauterkeit in der Abstimmungswerbung. Nachdem die Fraktionen der bürgerlichen Parteien die vorgeschlagene Einsetzung einer Anrufungskommission als nicht praktikabel und überflüssig bezeichnet hatten, folgte der Rat mit 86:65 Stimmen dem auch vom Bundesrat unterstützten Nichteintretensantrag der Kommissionsminderheit
[31].
Weiterführende Literatur
Huber, Alfred, Staatskunde-Lexikon, Luzern 2002 (6. überarbeitete Aufl.).
Klöti, Ulrich e.a. (Hg.), Handbuch der Schweizer Politik, Zürich 2002 (3., überarbeitete Aufl.).
Mazzoleni, Oscar / Wernli, Boris, Cittadini e politica: Interesse, partecipazione, istituzioni e partiti in Svizzera: Ginevra, Ticino e Zurigo a confronto, Bellinzona 2002.
Nef, Robert, Politische Grundbegriffe: Auslegung und Positionsbezüge, Zürich 2002.
Neidhart, Leonhard, Die politische Schweiz: Fundamente und Institutionen, Zürich 2002.
Papadopulos, Yannis, „Connecting minorities to the Swiss federal system: A frozen conception of representation and the problem of the ‚requisite variety’“, in Publius, 2002, Nr. 3, S. 47-65 (zu den Institutionen Ständerat und Ständemehr).
Steiner, Jürg, „Consociational theory and Switzerland – revisited“, in Acta publica, 2002, Nr. 1, S. 104-20.
Steiner, Jürg / Ertman, Thomas (Hg.), Consociationalism and Corporatism in Western Europe, Amsterdam 2002.
Vatter, Adrian, Kantonale Demokratien im Vergleich: Entstehungsgründe, Interaktionen und Wirkungen politischer Institutionen in den Schweizer Kantonen, Leverkusen (Habil. Bern) 2002.
Vatter, Adrian / Freitag, Markus, „Die Janusköpfigkeit von Verhandlungsdemokratien: Zur Wirkung von Konkordanz, direkter Demokratie und dezentralen Entscheidungsstrukturen auf den öffentlichen Sektor der Schweizer Kantone“, in Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 2002, Nr. 2, S. 53-80.
“Wer soll Gesetze vorbereiten? Organisationsformen der legistischen Arbeit“, in LeGes, 2002, Nr.3, S. 9-95 (diverse Aufsätze).
Zweifel, Thomas, Democratic deficit?: institutions and regulation in the European Union, Switzerland and the United States, Lanham, Md. (Lexington Books) 2002.
Rothmayr, Christine / Hardmeier, Sibylle, „Government and polling: use and impact of polls in the policy-making process in Switzerland“, in International journal of public opinion research, 2002, Nr. 2, S. 123-40.
Savary, Jérôme, Des acteurs et des règles: une analyse de la réforme du gouvernement suisse (1990-2002), Chavannes-près-Renens (IDHEAP) 2002.
Jenzer, Rolf, „Wirkungsorientierte Verwaltungsführung: mit FLAG zeigt die Staatsführung Flagge“, in Die Volkswirtschaft, 2002, Nr. 5, S. 38-52.
Klöti, Ulrich / Rüegg, Erwin (Hg.), Staat oder Management?: NPM-Reformen in der Schweiz, Zürich (IPZ) 2002.
Siegwart, Karine, „Ombudsstellen und Mediation“, in Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht, 2002, S. 561-78.
Spahni, Dieter (Hg.), eGovernment 2: Perspektiven und Prognosen, Bern (Haupt) 2002.
Trüeb, Hans Rudolf, „Der so genannte Service Public“, in Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht, 2002, S. 225-43.
Varone, Frédéric / Giauque, David, „Policy management and performance-related pay: comparative analysis of service contracts in Switzerland“, in International Review of Administrative Sciences, 2001, S. 543-65.
Baumann, Michael, Die parlamentarische Sprache in der Berichterstattung. Voten, Protokolle, Presseberichte. Ein Vergleich zwischen dem Zürcher Kantonsrat und dem Landtag von Baden-Würtemberg, Bern 2002.
Sciarini, Pascal / Nicolet, Sarah / Fischer, Alex, „L’impact de l’internationalisation sur le processus de décision en Suisse: Une analyse quantitative des actes législatifs 1995-1999“, in Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 2002, Nr. 3/4, S. 1-34.
Parlamentsdienste (Hg.), „Modernes Management in der Justiz“, in BBl, 2002, S. 7640-89.
Parlamentsdienste (Hg.), Zur Tragweite der parlamentarischen Oberaufsicht über die Gerichte – Positionen der Rechtslehre: Bericht zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates, Bern 2002 (auch in BBl, 2002, S. 7690 ff. publiziert).
Arx, Nicolas von, Ähnlich, aber anders: die Volksinitiative in Kalifornien und in der Schweiz, Genf (thèse droit, Genève) 2002.
Feld, Lars / Kirchgässner, Gebhard, „ Does direct democracy reduce public dept: Evidence from Swiss municipalities“, Public choice, 2001, Nr. 3-4, S. 347-70.
Fossedal, Gregory, Direct democracy in Switzerland, New Brunswick, NJ (Transaction Publishers) 2002.
Kirchgässner, Gebhard, „Auswirkungen der direkten Demokratie auf die öffentlichen Finanzen: Empirische Ergebnisse für die Schweiz“, in Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 2002, S. 411-26.
Kirchgässner, Gebhard, „Direkte Demokratie und die Effizienz des demokratischen Staates“, in Ordo, 2001, S. 155-73.
Kirchgässner, Gebhard / Schulz, Tobias, Was beeinflusst die Stimmbeteiligung bei Volksabstimmungen: Knappheit, Mobilisierung, Kompetenz oder Wichtigkeit?, St. Gallen (Institut für Politikwissenschaft) 2002.
Schulz, Tobias, Wie ‚rational’ sind Volksentscheide: Eine empirische Untersuchung des Einflusses von Framing-Effekten auf Volksabstimmungen zur Umweltpolitik in Kalifornien und der Schweiz, s.l. (Diss. St. Gallen) 2002.
Torgler, Benno, Direct democracy matters: tax, morale and political participation, Basel (WWZ, Universität) 2002.
Tschannen, Pierre, „Die Formen der Volksinitiative und die Einheit der Form“, in Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht, 2002, S. 2-29.
[1] Presse vom 1.10.02. Zur turbulenten Wahl von Dreifuss siehe
SPJ 1993, S. 32 ff.
[2] Presse vom 1.10. und 2.10.02.
[3] Nominationen: Calmy-Rey und Maury Pasquier:
TG, 14.10.02; Pesenti: Presse vom 18.10.02;
LT, 25.10.02; Studer:
TA, 22.10.02;
Express, 4.11.02; Lüthi:
Lib., 11.10. und 29.10.02. Polemik um Lüthi:
LT, 12.10., 16.11., 19.11. und 22.11.02;
TA, 23.10. und 18.11.02;
Bund und
SGT, 20.11.02.
[4] Presse vom 9.11. (SPS-Leitung) und vom 16.11.02 (Fraktion).
[5]
TA, 24.8.02;
NLZ, 3.10.02; Presse vom 5.11.02. Parteitag: Presse vom 18.11.02. Siehe auch SVP-Fraktionschef Bader (BL) in
BaZ, 30.11.02.
[6]
AB NR, 2002, S. 2189 ff.; Presse vom 5.12.02.
[7]
NLZ, 7.12.02; Presse vom 12.12.02.
[8]
LT, 10.4.02;
NZZ und
TA, 11.9.02;
NLZ, 30.10.02;
NZZ, 19.11.02. Vgl.
SPJ 2001, S. 29.
[9]
AB NR, 2002, S. 258 f.
[10] Vgl. auch Presse vom 13.2. und 6.3.02. Vgl. die als „wahltaktisch“ kritisierten Demissionen von Arnold Koller und Flavio Cotti (beide cvp) im Jahr 1999 und v.a. von Stich (sp) 1995 (
SPJ 1995, S. 31 f. und
1999, S. 36 ff.).
[11]
BBl, 2002, S. 7496 ff. (GPK-SR), 7514 ff. (BR) und 7810 ff. (GPK-NR);
AB SR, 2002, S. 262 f. (pa. Iv. Brunner). Vgl.
SPJ 2001, S. 29.
[12]
AB NR, 2002, S. 1350 ff.;
TA, 27.4. und 25.9.02; Leutenegger zog daraufhin ihre eigene Initiative zurück (
AB NR, 2002, S. 1365).
[13]
BBl, 2002, S. 6583 ff. und 6594 (Motion);
AB SR, 2002, S. 675 ff.;
AB NR, 2002, S. 1369 ff. Vgl.
SPJ 2001, S. 29.
[14]
BaZ, 24.7.02;
NZZ, 25.7.02. Vgl.
SPJ 2001, S. 29.
[15] Die Betroffenen sind demnach zwar wählbar, müssen bei Annahme des Mandats aber auf die Anstellung oder das Mandat verzichten.
[16] Der NR hatte 1996 eine Motion Weyeneth (svp, BE) für dieses Wahlsystem verabschiedet, welche dann aber im SR keine Unterstützung fand (vgl.
SPJ 1998, S. 40 f.). Zu den Argumenten für das neue System siehe oben, Regierung.
[17] Er führte dazu eine der in der kleinen Kammer sehr seltenen Abstimmungen unter Namensaufruf durch (
AB SR, 2002, S. 928).
[18]
AB SR, 2002, S. 7 ff., 224 ff., 926 ff., 1154 ff., 1249 und 1309;
AB NR, 2002, S. 885 ff., 956 ff., 1917 ff., 2066 und 2175;
BBl, 2002, S. 8160 ff. Vgl.
SPJ 2001, S. 30 f. Der SR überwies eine Motion Galli (cvp, BE) aus dem Vorjahr, welche verlangt, dass die Internet-Geschäftsdatenbank des Parlaments (curia vista) nicht nur deutsch und französisch, sondern auch italienisch geführt wird (
AB SR, 2002, S. 1152 f. Vgl.
SPJ 2001, S. 243).
[19]
BBl, 2002, S. 3985 ff. und 4006 ff. (BR); Presse vom 29.1.02;
NZZ, 18.3.02. Gleichzeitig beantragt wurde auch eine Titeländerung des relevanten Gesetzes: dieses soll in Zukunft nicht mehr Entschädigungsgesetz heissen, sondern „Bundesgesetz über die Bezüge und Infrastrukturen der Mitglieder ...“. Zur Volksabstimmung von 1992 siehe
SPJ 1992, S. 37 f.
[20]
AB NR, 2002, S. 317 ff., 872 ff., 967 f., 1070 und 1140;
AB SR, 2002, S. 269 ff., 443 ff., 489 f., 549 und 554;
BBl, 2002, S. 4448 ff.
[21]
BBl, 2002, S. 7082 ff. und 7102 ff. (BR);
AB NR, 2002, S. 926 ff., 1801 f. und 2177;
AB SR, 2002, S. 568 ff., 1085 f. und 1311;
BBl, 2002, S. 8217 ff.;
BaZ, 28.5.02. Der Bund zahlt seit 1988 Beiträge an die Altersvorsorge der Parlamentarier.
[22]
AB NR, 2002, S. 1270 ff. Vgl.
SPJ 2001, S. 31 sowie oben (Parlamentsgesetz).
[23]
NZZ, 25.4.02. Vgl. dazu die Auseinandersetzung um die Aufhebung der Immunität von NR Blocher (svp, ZH) in
SPJ 2001, S. 31.
[24]
AB SR, 2002, S. 196 ff., 328 ff., 739 f. und 939;
AB NR, 2002, S. 1207 ff., 1216 ff., 1484, 1705, 2014 f. und 2174;
BBl, 2002, S. 6493 ff. (Bundesstrafgericht) und 8220 ff. Vgl.
SPJ 2001, S. 32. Vgl. auch den Bericht der GPK-SR über die parlamentarische Oberaufsicht über die eidgenössischen Gerichte in
BBl, 2002, S. 7625 ff. sowie
Lit. Parlamentsdienste.
[25] Zu dieser Minderheit gehörten bezüglich Bellinzona auch noch Stadler (cvp, UR) und bezüglich St. Gallen Bürgi (svp, TG).
[26]
AB SR, 2002, S. 209 ff., 483 ff. und 552;
AB NR, 2002, S. 888 ff., 1089 ff. und 1138;
BBl, 2002, S. 4456 f.; Presse vom 14.6.02. Vgl.
SPJ 2001, S. 31 ff. Vgl. auch
AB NR, 2002, V, Beilagen, S. 60 ff. und 76 f. (zur Bauplanung in St. Gallen und Bellinzona) sowie
NZZ, 6.6.02. Der SR verabschiedete anschliessend eine Empfehlung Lombardi (cvp, TI), welche den BR auffordert, die Bundesverwaltung zu dezentralisieren und dabei vor allem Freiburg und Aarau zu berücksichtigen (
AB SR, 2002, S. 677 ff.).
[27]
AB NR, 2002, S. 397 ff., 1176 ff. und 1703;
AB SR, 2002, S. 530 ff., 703 ff. und 937;
BBl, 2002, S. 6485 ff. Vgl.
SPJ 2001, S. 33 f.
[28]
AB NR, 2002, S. 331 ff., 863 ff., 966, 1069 f. und 1139;
AB SR, 2002, S. 333 ff., 439 ff., 486 ff., 548 und 553;
BBl, 2002, S. 4383 ff. Vgl.
SPJ 2001, S. 35. Siehe auch
BBl, 2002, S. 6603 (Voraussetzungen für die Durchführung von Pilotversuchen mit der elektronischen Stimmabgabe). Zu den im Kanton Genf durchgeführten Pilotversuchen siehe
BaZ, 29.7.02.
[29]
BBl, 2002, S. 645 ff.;
NZZ, 10.2.02. Das Parlament nahm den Bericht zur Kenntnis (
AB NR, 2002, S. 245 und 342 f.;
AB SR, 2002, S. 333 ff.). Die Einführung des Abstimmens via Internet war vom Parlament mit mehreren Vorstössen gefordert worden (
SPJ 2000, S. 37). Vgl. auch Wolf Linder in
NZZ, 15.5.02.
[30]
AB NR, 2002, S. 1121 ff.;
Lib., 22.6.02. Vgl.
SPJ 2000, S. 43 f. Die Forderung nach einer Offenlegung der Mittel wurde gemäss einer repräsentativen Umfrage (Univox) von einer Mehrheit der Stimmberechtigten unterstützt (vgl.
TA, 12.8.02).
[31]
AB NR, 2002, S. 679 ff.;
Bund, 5.6.02. Vgl.
SPJ 2001, S. 36.