Volksinitiative „Für eine vernünftige Asylpolitik“

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Die SD blieben dennoch nicht inaktiv. Ende Jahr lancierten sie eine Volksinitiative «für eine vernünftige Asylpolitik», mit welcher sie erreichen möchten, dass Asylsuchenden grundsätzlich nur noch vorübergehend Asyl gewährt und eine Maximaldauer des Verfahrens von sechs Monaten in der Verfassung festgeschrieben wird. Beschwerden gegen einen negativen Asylentscheid sollten nicht mehr statthaft sein. Da der neu zu schaffende Artikel 69 der Bundesverfassung (BV) gegen das Prinzip des non-refoulement verstossen dürfte, sieht die Initiative in den Übergangsbestimmungen gleich auch noch die Aufkündigung der entsprechenden völkerrechtlichen Verträge vor.

Dossier: Volksinitiativen „Für eine vernünftige Asylpolitik“ und „Gegen die illegale Einwanderung“ (BRG 94.061)

Die Volksinitiative der SD «für eine vernünftige Asylpolitik» kam mit 118'971 gültigen Unterschriften zustande. Nach dem Initiativtext sollen illegal eingereiste Asylsuchende umgehend und ohne Beschwerdemöglichkeit aus der Schweiz weggewiesen werden. Weil diese Forderung klar gegen völkerrechtliche Verträge verstösst, verlangt das Volksbegehren gleich noch die Kündigung der entsprechenden Flüchtlings- und Menschenrechtskonventionen (EMRK).

Dossier: Volksinitiativen „Für eine vernünftige Asylpolitik“ und „Gegen die illegale Einwanderung“ (BRG 94.061)

Der Bundesrat beantragte dem Parlament, die Initiative der Schweizer Demokraten «für eine vernünftige Asylpolitik» für ungültig zu erklären und somit gar nicht zur Abstimmung zu bringen. Die 1992 eingereichte Initiative will den Flüchtlingsbegriff einschränken und die Asylgewährung zu einem freiwilligen staatlichen Akt erklären. Illegal eingereiste Asylbewerber sollen ohne Prüfung ihres Gesuches ausgeschafft werden, selbst wenn damit eine individuelle Gefährdung verbunden sein könnte. Dieser letzte Punkt stellt nach Auffassung des Bundesrates eine krasse Verletzung des Prinzips des Non-refoulement dar, welches besagt, dass niemand in ein Land zurückgeschoben werden darf, in dem ihm Verfolgung, Folter oder Lebensgefahr drohen. Dieser Grundsatz ist in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verankert und zudem aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie den UNO-Menschenrechtspakten abzuleiten. Darüber hinaus ist er gemäss der neueren schweizerischen und internationalen Rechtslehre Teil des «zwingenden Völkergewohnheitsrechts», welches in einem Rechtsstaat nie verletzt werden darf, weshalb die von der SD verlangte unbedingte Ausschaffung auch dann völker- und menschenrechtswidrig wäre, wenn die Schweiz die entsprechenden Abkommen und Konventionen aufkündigen würde. Falls das Parlament dem Antrag des Bundesrates folgt, würde erstmals in der Geschichte des Bundesstaates eine Initiative aus materiellen Gründen für ungültig erklärt.

Dossier: Volksinitiativen „Für eine vernünftige Asylpolitik“ und „Gegen die illegale Einwanderung“ (BRG 94.061)

Der Ständerat behandelte als erster den Antrag des Bundesrates, die Volksinitiative der SD «für eine vernünftige Asylpolitik» für ungültig zu erklären und jene der SVP «gegen die illegale Einwanderung» Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen. In einer längeren Grundsatzdebatte machten sich nur gerade Carlo Schmid (cvp, AI) und Giorgo Morniroli (lega, TI) aus verfassungsrechtlichen Überlegungen dafür stark, die SD-Initiative, deren Inhalt gegen zwingende und direkt anwendbare Normen des Völkerrechts verstösst, den Stimmbürgern vorzulegen. Dies wurde mit 32 zu zwei Stimmen deutlich abgelehnt. Die SVP-Initiative verwarf die kleine Kammer ohne eigentliche Diskussion mit 28 zu sechs Stimmen.

Dossier: Volksinitiativen „Für eine vernünftige Asylpolitik“ und „Gegen die illegale Einwanderung“ (BRG 94.061)

Die vom Bundesrat beantragte Ungültigkeitserklärung für die Volksinitiative der SD „für eine vernünftige Asylpolitik“ wegen Unvereinbarkeit mit zwingendem Völker- und Menschenrecht fand im Ständerat Zustimmung. Carlo Schmid (cvp, AI) plädierte vergeblich gegen die Ungültigkeitserklärung (und für die Ablehnung) der Initiative. Mit seinem Argument, dass die Verfassung selbst nur formelle, aber keine materiellen Schranken für Verfassungsteilrevisionen nennt, vermochte er nur einen Ratskollegen zu überzeugen. In einer staatsrechtlichen Debatte von hohem Niveau wurde von mehreren Rednern betont, dass in den letzten Jahrzehnten ein Gesinnungswandel in bezug auf materielle Schranken von Verfassungsrevisionen stattgefunden habe. Heute werde zwingendes Völkerrecht („jus cogens“) auch dann als übergeordneter Rechtsbestand von Demokratien anerkannt, wenn es nicht explizit in den Verfassungen erwähnt ist. Bundesrat Koller präzisierte in seinem Votum, dass nur sehr wenige, aber für den Schutz des Lebens zentrale Normen zu diesem zwingenden Völkerrecht gehörten, namentlich das Genozid- und Folterverbot sowie das - von der SD-Initiative in Frage gestellte - „Non-refoulement-Prinzip“. In dem Ende Juni in die Vernehmlassung gegebenen Entwurf für die Totalrevision der Bundesverfassung ist die Ungültigkeit von Initiativen, die zwingendem Völkerrecht widersprechen, explizit festgehalten.

Dossier: Volksinitiativen „Für eine vernünftige Asylpolitik“ und „Gegen die illegale Einwanderung“ (BRG 94.061)

Auch der Nationalrat folgte dem Antrag des Bundesrates sowie dem Beschluss des Ständerates und erklärte die SD-Volksinitiative «für eine vernünftige Asylpolitik» für ungültig. Hauptargument war auch hier, dass der Inhalt der Initiative gegen zwingendes Völkerrecht verstosse. Damit ist dieses Volksbegehren das vierte seit 1891, welches auf Parlamentsbeschluss der Volksabstimmung entzogen wird. Die Gründe, welche bisher zur Ungültigkeitserklärung geführt hatten, waren Impraktibilität des Vorgehens (Chevalier-Initiative von 1954) bzw. mangelnde Einheit der Materie (Teuerungsinitiative der PdA 1977 und Rüstungsinitiative der SP 1995). Bei der SD-Initiative wurde erstmals der Begriff des übergeordneten Rechts für die Ungültigerklärung beigezogen.

In der Debatte sprachen sich FDP, CVP, LP und Teile der SP für den Vorrang des Völkerrechts und damit für die Ungültigkeitserklärung aus. Abkommen, welche als «Besitzstand der Zivilisation» gelten, dürften nicht gefährdet werden, fasste Jacques-Simon Eggly (lp, GE) die Meinung vieler Ratsmitglieder zusammen. Der Zürcher SP-Vertreter Andreas Gross und der Aargauer Grüne Hanspeter Thür traten mit Unterstützung eines Teils ihrer Fraktion für eine partielle Ungültigkeit ein. Zum Schutz der Demokratie sei nur der völkerrechtswidrige Teil (Aufhebung des Non-Refoulements-Prinzips) zu streichen.

Für eine Gültigkeit sprachen sich Teile der SVP und des LdU aus, allerdings verbunden mit dem Antrag auf Ablehnung. Die Angst, der Stimmbürger könnte diese extreme Initiative annehmen, sei unbegründet, meinte Samuel Meier (ldu, AG). Einzig die FP äusserte sich auch inhaltlich positiv zur Initiative. Im Asylbereich stünden die Interessen des Schweizervolkes über dem Völkerrecht, erklärte Jürg Scherrer (fp, BE). Die Ungültigerklärung erfolgte nach langer Diskussion mit 133 zu 33 Stimmen deutlich. Der Antrag Gross unterlag mit 116 zu 62 Stimmen.

Dossier: Volksinitiativen „Für eine vernünftige Asylpolitik“ und „Gegen die illegale Einwanderung“ (BRG 94.061)

Nach dem Bundesrat und dem Ständerat erklärte auch der Nationalrat die Asylinitiative der Schweizer Demokraten wegen Verstoss gegen zwingendes Völkerrecht für ungültig. Neben der SD hatte sich auch die FP und LdU/EVP-Fraktion sowie eine Mehrheit der SVP für die Gültigkeit ausgesprochen (die beiden letztgenannten plädierten für Gültigkeit, aber Ablehnung). Die Grünen und einige Vertreter der SP beantragten erfolglos, den völkerrechtswidrigen Artikel (unbedingte Rückschaffung) zu streichen und sie - mit einer Ablehnungsempfehlung versehen - für gültig zu erklären. In der Gesamtabstimmung setzte sich die Ungültigkeitserklärung mit 133 zu 33 Stimmen durch, wobei sich 20 Nationalräte, vor allem aus der SP und der GP, der Stimme enthielten.

Dossier: Volksinitiativen „Für eine vernünftige Asylpolitik“ und „Gegen die illegale Einwanderung“ (BRG 94.061)