Article 185 alinéa 1 de la Constitution. Préciser la sphère de protection (Mo. 3440)

Nationalrat Pirmin Schwander (svp, SZ) forderte mittels eines Postulats, dass der Bundesrat seine Definition des Schutzbereichs von Art. 185 Abs. 3 BV präzisiert und aufzeigt, wie er daraus seine Notrechtskompetenzen begründet. Der Artikel 185 BV regelt die bundesrätlichen Kompetenzen zur Wahrung der äusseren und inneren Sicherheit, wobei zur Reaktion auf eingetretene oder unmittelbar drohende schwere Störungen der öffentlichen Ordnung befristete Verordnungen oder Verfügungen erlassen werden dürfen. Der Nationalrat nahm den Vorstoss in der Herbstsession 2020 stillschweigend an. Konkret wurde der Bundesrat damit beauftragt zu klären, ob sich die Notrechtskompetenzen auf sicherheitspolitische Anliegen beschränken oder ob sie auch in der Verfolgung anderer politischer Ziele ihre Gültigkeit haben. Die geforderte Prüfung sei dringend notwendig, da Fragen zur Rechtsgrundlage beantragter Kredite von den Aufsichtskommissionen in der Notrechtssituation der Covid-19-Pandemie nicht einheitlich beurteilt würden, argumentierte der Motionär. In Krisensituationen sei deren einheitliche Klärung jedoch unerlässlich. Der Bundesrat hatte die Annahme des Postulates beantragt.

Im Rahmen der Behandlung des Berichtes über die Motionen und Postulate der eidgenössischen Räte im Jahr 2024 schrieb der Nationalrat im Herbst 2025 das Postulat von Pirmin Schwander (svp, SZ) zur Begründung von Notrecht und zur Definition des Schutzbereichs von Art. 185 Abs. 3 BV ab. Der Bundesrat hatte in seinem schriftlichen Abschreibungsantrag auf den im Juni 2024 veröffentlichten Bericht zur Anwendung von Notrecht verwiesen und betrachtete den Vorstoss somit als erfüllt.

Recours au droit de nécessité (Po. 23.3438)

Dossier: Postulate zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS
Dossier: Interventions suite à la reprise de CS

Der Bundesrat muss in einem Bericht die gesetzlichen Grundlagen und Grenzen des Notrechts aufzeigen und dabei insbesondere erörtern, inwiefern die Artikel 184 und 185 BV als Rechtsgrundlage genügen. Der Nationalrat überwies in der ausserordentlichen Session vom April 2023 stillschweigend ein entsprechendes Postulat seiner Rechtskommission. Die genannten Verfassungsartikel bemächtigen den Bundesrat, zur «Wahrung der Interessen des Landes» (Art. 184 Abs. 3 BV) bzw. «um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen» (Art. 185 Abs. 3 BV), Verordnungen und Verfügungen zu erlassen. Auf solch verfassungsunmittelbarem Verordnungsrecht (sog. Notrecht) beruhten unter anderem die Massnahmen zur Stabilisierung des Finanzplatzes, die der Bundesrat im Zusammenhang mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS im März 2023 getroffen hatte. Dies hatte die RK-NR zur Einreichung des Postulats veranlasst.
Wie Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider erklärte, werde die Regierung die Frage zusammen mit jener des bereits 2020 überwiesenen Postulats Schwander (svp, SZ; Po. 20.3440) untersuchen, welches das Notrecht im Zusammenhang mit den Corona-Krediten thematisiert. Darüber hinaus fragte das Postulat der RK-NR auch danach, wie die Mitwirkung des Parlaments bei der Anwendung von Notrecht verbessert werden könnte. Hier lege der Bundesrat allerdings «eine gewisse Zurückhaltung» an den Tag, so die Justizministerin, da das Parlament im Rahmen der parlamentarischen Initiativen 20.437 und 20.438 diesbezüglich gerade neue Regelungen verabschiedet habe.

Nachdem der Bundesrat in Erfüllung des Postulats der RK-NR im Juni 2024 einen Bericht über die gesetzlichen Grundlagen und Grenzen des Notrechts veröffentlicht hatte, empfahl er im Bericht über die Motionen und Postulate der eidgenössischen Räte im Jahr 2024 die Abschreibung des Vorstosses. Der Nationalrat folgte dieser Empfehlung und schrieb das Postulat bei der Kenntnisnahme des Berichtes in der Herbstsession 2025 stillschweigend ab.

Recours au droit de nécessité. Rapport du Conseil fédéral (MCF 25.021)

In Erfüllung zweier Postulate (Po. 23.3438 und Po. 20.3440) veröffentlichte der Bundesrat im Juni 2024 einen Bericht zur Anwendung, zu den gesetzlichen Grundlagen und zu den Grenzen des Notrechts. Dabei verwies er auf verschiedenste vergangene Krisen wie die Covid-19-Pandemie oder die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS, welche den Rückgriff auf Notrecht zur Gewährleistung der Handlungsfähigkeit der Schweiz nötig gemacht hatten. Der Bundesrat sei sich jedoch bewusst, dass mit der Anwendung von Notrecht jeweils eine Verschiebung der Machtverhältnisse von den Kantonen zum Bund und vom Parlament zum Bundesrat einhergehe und daher eine erhöhte Begründungs- und Rechtfertigungspflicht der Regierung bestehe. Aus diesen Gründen sollen in Zukunft die Anwendung von Notrecht und entsprechende Verordnungen gegenüber der Öffentlichkeit aktiver kommuniziert und damit die Transparenz erhöht werden. Zudem soll eine systematische Übersicht über die in der Vergangenheit erlassenen Notverordnungen des Bundesrats geschaffen werden. Um die Rechtssicherheit zu stärken, werde das verantwortliche BJ zur vorgängigen Prüfung der Verfassungsmässigkeit der bundesrätlichen Gesetzgebung mehrere Instrumente erarbeiten, darunter ein Prüfschema für die zuständigen Departemente zur Kontrolle ihrer Verordnungen. Schliesslich solle die Resilienz gegenüber Krisen gestärkt werden, indem neue Leitlinien zu spezialgesetzlichen Bestimmungen für die Bundesverwaltung im Krisenfall erarbeitet würden. Alle genannten Massnahmen sollen laut Regierung bis Ende 2025 umgesetzt sein.

In der Frühlingssession 2025 nahm der Ständerat als Erstrat den bundesrätlichen Bericht zur Anwendung, zu den gesetzlichen Grundlagen und zu den Grenzen des Notrechts zur Kenntnis, der als Antwort auf zwei Postulate (Po. 20.3440; Po. 23.3438) gilt und auf eine parlamentarische Initiative (Pa.Iv. 23.439) Bezug nimmt. Im Namen der SPK-SR zeigte sich Stefan Engler (mitte, GR) zufrieden mit dem vorliegenden Bericht und betonte, dass eine notwendige schnelle Reaktion in akuten Krisensituationen fast zwangsläufig zu einem Spannungsverhältnis zwischen «den Forderungen der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Gewaltenteilung sowie des Föderalismus» führe. Überdies lobte Engler die in Aussicht gestellte Verbesserung der Kommunikation des Bundesrats gegenüber der Öffentlichkeit bei der Anwendung von Notrecht und dessen gesetzlichen Grundlagen. Dabei verlangte er eine konsequente Überführung der Erkenntnisse aus den Krisenzeiten der letzten Jahre ins ordentliche Recht. Notrecht sollte nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn das Parlament nicht in der Lage ist, rechtzeitig durch dringliche Bundesgesetze zu reagieren. Beat Rieder (mitte, VS) schlug überdies die Einführung einer parlamentarischen Kommission als Kontrollorgan analog zur FinDel vor, welche bei der Anwendung von Notrecht zumindest ein Anhörungsrecht erhalten soll. In eine ähnliche Richtung argumentierte Isabelle Chassot (fdp, FR), welche als Präsidentin der PUK zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS insbesondere kritisierte, dass der Bundesrat das BJ in diesem Fall erst spät einbezogen habe. Es sei notwendig, dass der Bundesrat notrechtliche Entscheide in Zukunft transparenter erläutere und begründe. Weitere Kritik an der Auslegung des Bundesrats äusserte SPK-Kommissionspräsident Daniel Fässler (mitte, AI), der insbesondere die Einschätzung des Bundesrates infrage stellte, wonach Notverordnungen von bestehenden Gesetzes- oder Verfassungsrechten abweichen dürften. Wenn schon, müsse diese Kompetenzerweiterung mittels einer Verfassungsgrundlage geschaffen werden.

Justizminister Beat Jans dankte vor dem Plenum für die Debatte und führte als Reaktion auf die im Rat geäusserten Forderungen und Kritikpunkte aus, welche Verbesserungen des Notrechtssystems der Bundesrat derzeit vorantreibe. Dabei wisse die Regierung um die eigene heikle Machtfülle und arbeite daher an einer generellen Begründungspflicht beim Erlass von Notrecht sowie an einem Prüfschema für die Verwaltung, welches die Formulierung und rechtliche Begründung von Notverordnungen zugunsten der präventiven Rechtskontrolle durch das BJ unterstützen soll. Überdies sei geplant, bis Ende 2025 mittels Leitlinien zu spezialgesetzlichen Bestimmungen im Krisenfall die Resilienz der Gesetzgebung zu stärken und somit ordentliches Recht für ausserordentliche Lagen zu schaffen. Gleichwohl zeigte sich Jans überzeugt, dass die politische Debatte zum Thema «mit diesem Bericht nicht abgeschlossen» sei und und sich der Bundesrat auf weitere Diskussionen freue.

Im Rahmen der Herbstsession 2025 nahm der Nationalrat als Zweitrat Kenntnis vom bundesrätlichen Bericht zur Anwendung, zu den gesetzlichen Grundlagen und zu den Grenzen des Notrechts. Im Namen der SPK-NR nahm Balthasar Glättli (gp, ZH) Stellung zum Bericht und empfahl diesen zur Kenntnisnahme. Glättli betonte dabei, dass das Parlament aufgrund der Auseinandersetzung mit zwei parlamentarischer Initiativen der SPK-NR (Pa. Iv. 20.437; Pa. Iv. 20.438) bereits einige Erkenntnisse gewonnen hatte, die der Bericht nun bestätige: So beispielsweise die Feststellung, dass die Regierung in einer Notrechtssituation einer erhöhten Rechtfertigungspflicht gegenüber der Öffentlichkeit und der Bundesversammlung unterliege und das Notverordnungsrecht zeitlich eng befristet sein sollte.
Glättli zeigte sich mit dem bundesrätlichen Bericht darin einig, dass die Systemrelevanz der zu schützenden Bereiche zur Sicherstellung des Wohls von Einzelnen und der Gesellschaft bei der Anwendung und Rechtfertigung von Notrecht berücksichtigt werden soll und nicht zu eng definiert werden darf. Gleichwohl müsse weiterhin sichergestellt werden, dass das Parlament mit eigenen Notverordnungen oder dringlichen Bundesgesetzen die Entscheide des Bundesrats jederzeit übersteuern könne. Auf das Votum des Kommissionssprechers folgten diverse Stellungnahmen der Fraktionen. Christian Dandrès (sp, GE) dankte für den Bericht, der besonders umfassend auf die drei grossen Krisen der letzten Jahre (Covid-19-Pandemie, Übernahme der Credit Suisse durch die UBS und Rettung der Axpo) eingegangen sei, aber zu wenig auf mögliche Krisen der Zukunft fokussiere. Dandrès nannte dabei unter anderem das Schadenspotenzial systemrelevanter Banken oder drohende Monopole im Gesundheitsbereich. Gemäss Nicolò Paganini (mitte, SG) schloss die Mitte-Fraktion aus dem Bericht, dass der Bundesrat Lehren aus vergangenen Notrechtssituationen gezogen habe. Gleichzeitig würden im Bericht Ausführungen dazu fehlen, warum es insbesondere in den letzten Jahren zu einer Häufung der Notrechtanwendung gekommen sei. In die gleiche Richtung zielte die Kritik der SVP-Fraktion, vorgetragen von Gregor Rutz (svp, ZH), der betonte, dass Notrecht nicht zur «politischen Routine» werden dürfe. Für die GLP-Fraktkon nahm Beat Flach (glp, ZH) den Bericht zum Anlass, um auf die Problematik des langsamen Gesetzgebungsprozesses in der Schweiz – insbesondere in Krisensituationen – hinzuweisen. Er stellte überdies fest, dass der hohe Druck für Transparenz während Notrechtssituationen auch hemmend auf den Bundesrat wirken könne, wie beispielsweise die Sorge vor Leaks bei der Fusion der Credit Suisse und der UBS gezeigt habe. Im Namen der FDP-Fraktion betonte Nadine Gobet (fdp, FR) die Wichtigkeit der generellen Gewährung von Grundrechten auch während Krisensituationen. Sie verwies dabei unter anderem auf die parlamentarische Initiative von Andrea Caroni (fdp, AR) für eine Begründungspflicht beim Erlass von Notrecht (Pa. Iv. 23.439), welche von der FDP-Fraktion unterstützt werde. Im Plenum bekräftigte Bundesrat Beat Jans die Haltung der Regierung: «So wenig Notrecht wie möglich, so viel wie nötig». Die Regierung sei sich ihrer Machtfülle bewusst und möchte daher insbesondere während Krisensituationen die Transparenz weiter verbessern, wie unter anderem die geplanten Leitlinien zur Stärkung der Resilienz der Gesetzgebung im Krisenfall, die künftige Begründungspflicht bei Notrecht und die präventiven Rechtskontrollen durch das BJ zeigen würden.

Prévoir l'obligation pour le Conseil fédéral de motiver tout recours au droit de nécessité (Iv. pa. 23.439)

Mit einer im Juni 2023 eingereichten parlamentarischen Initiative verlangte Andrea Caroni (fdp, AR) eine neue Gesetzesbestimmung, um den Bundesrat künftig beim Erlass von Notrecht zu verpflichten, die Zulässigkeit der Anwendung zu begründen. Diese Begründungspflicht beim Erlass von Notrecht sei nötig, da dem Bundesrat auch nach der Reform zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen (Pa. Iv. 20.437; Pa. Iv. 20.438) ein erheblicher Handlungsspielraum beim Erlass von Notrecht zustehe. Daher sei eine systematische öffentliche Rechenschaftspflicht bei der Anwendung von Notrecht zwingend – analog zu den bundesrätlichen Botschaften bei Gesetzesentwürfen. Dadurch könnten Transparenz und Nachvollziehbarkeit erhöht werden.
Im August entschied die SPK-SR nach Kenntnisnahme eines Berichts zur Anwendung, zu den gesetzlichen Grundlagen und zu den Grenzen des Notrechts, der parlamentarischen Initiative einstimmig Folge zu geben. Laut Medienmitteilung sei es sinnvoll, die Begründungspflicht «auch rechtlich zu verankern». Analog zur Argumentation ihrer Schwesterkommission entschied auch die SPK-NR im November 2024, der Initiative Folge zu geben.