Vernehmlassung und «Volksdiskussion» zur Reform der Bundesverfassung

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In der behördlichen Vernehmlassung stiess das Projekt auf grundsätzliche Zustimmung. Allerdings forderten die Kantone, entgegen dem Bestreben Bundesrat Kollers, sich zunächst auf die Revision der Volksrechte und der Justiz zu konzentrieren, die Frage des Föderalismus mit in die derzeitige Revision aufzunehmen. Noch einen Schritt weiter ging die Kommission des Nationalrats, welche in die laufende Verfassungsänderung auch die Parlamentsrevision eingebaut sehen möchte.

Dossier: Révision totale de la Constitution fédérale 1/2: Les précedents (1966 à 1996)

Nach dem Willen des Bundesrats soll die Totalrevision der Bundesverfassung bis zum Jubiläumsjahr 1998 abgeschlossen sein. Anlässlich einer Medienkonferenz legte die Landesregierung Ende Juni ihre Vorstellungen über den Zeitplan und die Grundsätze der Revision vor. Danach soll bis 1995 ein Entwurf erarbeitet werden, welcher im Jahr darauf dem Parlament zugeleitet und, bei positiver Aufnahme, 1998 verabschiedet werden könnte. Thematisch sind drei Schwerpunkte vorgesehen: Neben der Nachführung des geltenden Verfassungsrechts auch Reformen in den Bereichen der Volksrechte und des Justizwesens. Wie Bundesrat Koller ausführte, müssten diese Reformen insbesondere auf die Schaffung eines neuen Gleichgewichts zwischen Landesregierung, Parlament und Volk sowie auf eine verlässliche Einbettung der Schweiz in das internationale Beziehungsnetz hin ausgerichtet sein.

Der Bundesrat sieht die revidierte Verfassung freilich nicht als geschlossenes System. In die erwähnten Reformblöcke sollten, wie in einem offenen Baukasten, auch später weitere Elemente eingebaut werden können. Ausserdem werden parallel zu der Arbeit in den drei Reformbereichen, mit denen jeweils eine eigene Kommission befasst ist, Neuerungen bei der Regierungs- und der Parlamentsreform sowie dem Verhältnis zwischen Bund und Kantonen erarbeitet. All diese Reformbestrebungen, welche bislang unterschiedlich weit gediehen sind, sollen unter der Oberleitung Bundesrat Kollers koordiniert und letztlich in der revidierten Bundesverfassung zusammengeführt werden. Zur Offenheit der neuen Verfassung soll schliesslich auch eine nach Appenzeller Vorbild als «Volksdiskussion» beschriebene, breit angelegte öffentliche Vernehmlassung beitragen.

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In seinem Ende Juni in die Vernehmlassung gegebenen Entwurf für eine Totalrevision der Bundesverfassung (BRG 96.091) regte der Bundesrat an, Änderungen im Bestand der Kantone weiterhin von Volk und Ständen gutheissen zu lassen. Für Gebietsveränderungen wie im Fall Vellerat soll hingegen das Parlament zuständig sein, dessen Beschluss freilich dem fakultativen Referendum unterstehen würde. Voraussetzung für eine Genehmigung bliebe auf jeden Fall die Zustimmung der direkt betroffenen Bevölkerung und der beteiligten Kantone. Der Kanton Jura reichte eine ähnliche Standesinitiative (95.306) ein, möchte allerdings auf das fakultative Referendumsrecht verzichten.

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Der Ende Juni in die Vernehmlassung gegebene Entwurf für eine Totalrevision der Bundesverfassung enthielt mehrere Vorschläge zur Neugestaltung der Volksrechte. Mit der Begründung der angewachsenen Zahl der Stimmberechtigten sieht er eine Verdoppelung der Unterschriftenzahlen für Initiative und Referendum vor. Ins Spiel gebracht wurden aber auch neue Formen der Volksrechte. Die Gesetzesinitiative wird zwar abgelehnt, jedoch soll eine als Anregung formulierte allgemeine Volksinitiative eingeführt werden, bei der das Parlament über den genauen Text und die Rechtsform entscheidet. Der Entwurf spricht sich auch gegen das konstruktive Referendum aus. Hingegen soll das Parlament ausdrücklich die Möglichkeit haben, bei einer Volksabstimmung zwei Varianten zu präsentieren. Um bestimmte, nicht dem Referendum unterstehende, aber hochpolitische Parlamentsbeschlüsse vor das Volk bringen zu können, soll eine Verwaltungsreferendum eingeführt werden. Auf Verlangen eines Drittels der Mitglieder beider Parlamentskammern würden damit Ausgabenbeschlüsse (z.B. Rüstungskäufe) oder Bewilligungen (z.B. für Kernkraftwerke) dem fakultativen Referendum unterstellt. Vermehrt sollen zudem auch internationale Verträge dem Referendum unterstellt werden, wobei dann allerdings gegen die gesetzgeberische Umsetzung dieser Verträge das Referendum nicht mehr eingesetzt werden könnte.

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Bereits vor der Publikation des bundesrätlichen Verfassungsentwurfs hatte eine Arbeitsgruppe der FDP ihre Reformvorschläge bezüglich Volksrechte präsentiert. Diese decken sich zu einem guten Teil mit denjenigen des Verfassungsentwurfs. Auch die FDP-Experten möchten das Sammeln von Unterschriften erschweren: entweder durch die Bestimmung, dass diese auf Amtsstellen geleistet werden müssen, oder aber durch eine Erhöhung der geforderten Anzahl. Bei den Staatsverträgen weichen die freisinnigen Vorschläge jedoch vom Verfassungsentwurf ab und propagieren mit dem in Italien praktizierten «abrogativen» Referendum eine Neuerung: bei Gesetzesanpassungen zur Erfüllung von Verpflichtungen aus internationalen Verträgen soll das fakultative Referendum erst nachträglich, d.h. einige Zeit nach Inkrafttreten eines Gesetzes, möglich sein. Über die Gültigkeit von ausformulierten Volksinitiativen – namentlich in bezug auf Einheit der Materie – soll gemäss der freisinnigen Arbeitsgruppe nicht mehr das Parlament, sondern bereits vor der Unterschriftensammlung ein vom Parlament gewähltes unabhängiges Gremium definitiv entscheiden. Dieser letzte Vorschlag wurde im Herbst von der Staatspolitischen Kommission des Ständerats aufgenommen.

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Kritisch zu den Vorschlägen des Verfassungsentwurfs äusserte sich vor allem die SP. Ihre Exponenten lehnten eine Verdoppelung der Unterschriftenzahlen strikt ab und konterten mit einer Serie von auf Bundesebene neu einzuführenden Volksrechten. Dazu gehören altbekannte Vorschläge wie die Gesetzesinitiative, aber auch Neukreationen wie die Volksmotion (analog zur parlamentarischen Motion), die Euro-Volksinitiative (diese soll den Bundesrat via Volksabstimmung auf die Vertretung einer bestimmten Politik im Rahmen von internationalen Organisationen verpflichten) oder die Express-Initiative (die innerhalb eines Jahres dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden muss).

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Im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung entbrannte die Kontroverse um den sogenannten Bistumsartikel (Art. 50 Abs. 4 BV) erneut, welcher die Errichtung von katholischen Bistümern auf schweizerischem Gebiet der Genehmigung des Bundes unterstellt. Der Entwurf des EJPD sah vor, diese explizite Schranke der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Interesse des konfessionellen Friedens weiterhin aufrecht zu erhalten. Gegen diese als Diskriminierung empfundene Bestimmung wehrten sich, angeführt von der Schweizerischen Bischofskonferenz, viele Katholiken, aber auch namhafte Staatsrechtler sowie der Ständerat, der im Vorjahr knapp einer parlamentarischen Initiative auf Abschaffung von Art. 50 Abs. 4 BV zugestimmt hatte. Die Forderung nach völliger Organisationsfreiheit rief aber auch wieder Opposition auf den Plan, nicht nur in protestantischen Kreisen, sondern auch bei katholischen Organisationen (so etwa bei der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz), die befürchteten, mit der Streichung des Bistumsartikels in der Bundesverfassung gebe man ein Stück demokratischer Mitsprachemöglichkeit bei der Besetzung der Bistümer aus der Hand, weil damit die implizierte Garantie der religionsrechtlichen Kompetenz der Kantone und indirekt auch der Konkordate einzelner Kantone mit dem Apostolischen Stuhl dahinfallen würden.

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In ihrer Vernehmlassung zur Totalrevision der Bundesverfassung (BV) sprach sich die Eidgenössische Frauenkommission (EKF) deutlich für die Einführung von Quotenregelungen als Übergangslösung aus. Es genüge nicht, die Gleichstellung rein formal festzuschreiben, dabei aber keine Massnahmen vorzusehen, welche die immer noch real existierende Benachteiligung der Frauen abbauten.

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Die Reform der Volksrechte bildet, neben der Nachführung und sprachlichen Überarbeitung, zusammen mit der Justizreform den Kernpunkt der geplanten Totalrevision der Bundesverfassung. In der Vernehmlassung dazu gingen weitere ablehnende Stellungnahmen zu einer Erhöhung der Unterschriftenzahlen für Initiative und Referendum ein. Neben der SP sprachen sich die SVP, die GP, die SD und der SGB, sowie mit Einschränkungen auch die CVP dagegen aus.

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Die Eidgenössische Kommission für Jugendfragen (EKJ) forderte in ihrer Vernehmlassung zur Totalrevision der Bundesverfassung (BV) einen eigentlichen Jugendartikel. Es wäre unannehmbar, wenn die neue Verfassung die Jugend nur in Zusammenhang mit Sport explizit erwähnen würde. Es gelte in erster Linie, eine Verfassungsgrundlage für das Bundesgesetz über die Förderung der ausserschulischen Jugendarbeit zu schaffen. Bei der neuen Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen schlug der Bundesrat vor, gemäss den Prinzipien des Föderalismus und der Subsidiarität die Bereiche Jugend und Sport ganz in die Kompetenz der Kantone zu geben.

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