Ein Behandlungsgegenstand der Sommersession ist jeweils der Geschäftsbericht des Bundesrates, in welchem die Regierung jedes Jahr mit Hilfe verschiedener Indikatoren aufzeigt, wie gut die auf die Legislaturplanung abgestimmten definierten Jahresziele erreicht wurden. Ein entsprechender «Soll-Ist-Vergleich» lag dem Parlament auch für das Jahr 2021 vor. Wie bereits im Vorjahr wurde der bundesrätliche Geschäftsbericht mit einer speziellen Übersicht über die Beschlüsse im Rahmen der Covid-19-Pandemie ergänzt.
Der Nationalrat nahm in der Sommersession 2022 als Erstrat vom Bericht Kenntnis. Dass der Bericht im Rat nicht auf sonderlich grosses Interesse stiess, zeigt der Umstand, dass die Nationalratspräsidentin, Irène Kälin (gp, AG), gleich zwei Mal um Ruhe beten musste, damit die Berichterstatterinnen und Berichterstatter der GPK und der jeweiligen Subkommissionen ihre Voten vorbringen konnten. In diesen fassen die Sprecherinnen und Sprecher jeweils die wichtigsten Punkte des Berichts und die darüber mit den entsprechenden Departementsvorsteherinnen und -vorsteher geführten Gespräche zusammen. Prisca Birrer-Heimo (sp, LU) lobte in ihrem Votum, dass der Bericht im Vergleich zu früheren Jahren dank vielen tabellarischen Übersichten zu den einzelnen Indikatoren an Transparenz und Informationsgehalt gewonnen habe. Sie rügte allerdings die Beurteilung des Zielerreichungsgrades hinsichtlich des Ziels geregelter Beziehungen mit der EU. Die Bewertung «teilweise realisiert», was bedeute, dass 25 bis 74 Prozent der gesetzten Ziele erreicht worden seien, sei «grosszügig» und auch der Bundesrat habe in der Diskussion zugeben müssen, «dass der positive Ton ein wenig übertrieben sei». Die Beziehungen mit der EU nach dem Abbruch der Verhandlungen zum institutionellen Rahmenabkommen sei auch Querschnittthema für die Diskussionen mit allen Departementen gewesen – neben der Frage des Einflusses des Ukraine-Krieges auf die Arbeit in den Departementen. Hier seien etwa die Energieversorgungssicherheit, Sanktionen, Nahrungsmittelversorgung oder sicherheitspolitische Aspekte angesprochen worden. Mit dem Regierungskollegium sei auch die in den Medien verschiedentlich kritisierte mangelnde Zusammenarbeit innerhalb des Bundesrats diskutiert worden. Die Mitglieder des Bundesrats hätten die Zusammenarbeit und die Stimmung trotz extrem hohen Drucks aufgrund der Pandemie als gut bezeichnet. Als problematisch seien freilich Indiskretionen bezeichnet worden, welche offene Diskussionen und das Vertrauen im Bundesrat beeinträchtigen würden. Thomas de Courten (svp, BL) berichtete über die Erkenntnisse der GPK bezüglich Impfstoffbeschaffung des Bundes. Man sei zum Schluss gekommen, dass sich die Behörden angemessen verhalten hätten. Auch der Entscheid, nicht auf eine Eigenproduktion von Impfstoffen zu setzen, sei angemessen gewesen. De Courten betonte zudem, dass der Schweiz im schlimmsten Fall ab 2025 eine Strommangellage drohe. Das UVEK sei daran, mittels Taskforce die Versorgungssicherheit sicherzustellen. Auch Alfred Heer (svp, ZH) berichtete vorwiegend über die geführten Gespräche mit den Behörden. Gegenstand dieser Diskussionen sei unter anderem der Schutzstatus S gewesen, der es erlaube, dass Flüchtende aus der Ukraine in der Schweiz arbeiten dürften. Im Sexgewerbe bestehe allerdings die Gefahr, dass dies zur Ausbeutung von Frauen in Notsituationen führen könne. Dies werde zu wenig berücksichtigt, so ein Urteil der GPK. Der Bericht zur Aussenpolitischen Strategie 2020-2023 habe aufgrund des Ukraine-Krieges an Bedeutung gewonnen, betonte Isabelle Pasquier-Eichenberger (gp, GE) in ihrem Votum. Die Schweiz werde die sicherheitspolitischen Beziehungen mit den Nachbarn und mit supranationalen Organisationen aber auch die Neutralitätspolitik neu überdenken müssen. Zudem seien mit dem VBS auch die immer besser ausgebaute Cyberstrategie und die Probleme mit dem ehemaligen Munitionsdepot Mitholz diskutiert worden. Ab 2031 könne dort mit der Räumung begonnen werden. Auch der amtierende Bundespräsident, Ignazio Cassis, ergriff das Wort. Wie schon vor zwei Jahren erscheine der Jahresbericht wie «un regard en arrière sur un passé révolu». Aktuelle Geschehnisse würden den Bericht jeweils ziemlich veraltet aussehen lassen. Im Bericht fänden sich aber durchaus auch mehrere beschlossene Strategien, die in die Zukunft weisen, so etwa die «China-Strategie», die «nationale Strategie für die Gleichstellung von Frau und Mann» oder die Strategie für nachhaltige Entwicklung 2030. Zudem habe die Regierung erneut über 140 Geschäfte im Zusammenhang mit Covid-19 verabschiedet. Von den 123 Massnahmen mit denen die 18 Legislaturziele anvisiert werden sollten, habe der Bundesrat im Jahr 2021 deren 83 umgesetzt. Der Geschäftsbericht sei aber immer auch eine Gelegenheit für einen Austausch zwischen Regierung und Parlament und er bedanke sich bei der GPK für die guten Gespräche.
Zum Schluss der Berichterstattung zeigte sich dann, dass der Bericht doch auch auf Interesse stiess. Dem Antrag der Kommission, dem Bundesbeschluss über den Geschäftsbericht 2021 zuzustimmen und diesen so zur Kenntnis zu nehmen, stand nämlich ein Einzelantrag von Eric Nussbaumer (sp, BL) entgegen, den Bericht nur unter Vorbehalt anzunehmen. Das Legislaturziel 12 («Die Schweiz verfügt über geregelte Beziehungen mit der EU») könne mit dem Abbruch der Verhandlungen 2021 gar nicht erreicht worden sein; dies sei 2022 nur möglich, wenn die Verhandlungen wieder aufgenommen würden. Erst dann könne der Vorbehalt gegen den Geschäftsbericht 2021 aufgehoben werden. Mit 80 zu 100 Stimmen wurde der Antrag Nussbaumer abgelehnt. Dabei zeigte sich ein Graben zwischen den geschlossenen Fraktionen der SP (1 Enthaltung), der Grünen und der GLP auf der einen, sowie den Fraktionen der FDP-, SVP- und der Mitte auf der anderen Seite. In letzterer Fraktion überbrückten jedoch drei Mitglieder den Graben (Elisabeth Schneider-Schneiter BL; Heinz Siegenthaler BE; Marie-France Roth Pasquier, FR).
Wenige Tage später wurde der Bericht im Ständerat besprochen. Auch hier schienen die Voten der Berichterstatter nicht auf viel Aufmerksamkeit zu stossen. Darauf weist zumindest die Bemerkung von Matthias Michel (fdp, ZG) hin, der von «Genugtuung» sprach, «dass mindestens das Amtliche Bulletin unsere Ausführungen registriert». Die Kommissionssprecher brachten teilweise andere Aspekte des Berichts vor, als dies im Nationalrat der Fall gewesen war. So mahnte etwa Daniel Fässler (mitte, AI), dass Verbesserungsbedarf in der Kriminalitätsbekämpfung bestehe – insbesondere was die inter- und intranationale Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Strafbehörden betreffe, die sich freilich mit dem neuen Bundesanwalt verbessert habe. In der Bundeskanzlei sei das Vorhaben zur Einführung einer E-ID nach wie vor eine «grössere Baustelle». Die in der BK angesiedelte Digitalisierung der Bundesverwaltung sei aber immerhin mit einem Aktionsplan ergänzt worden. Othmar Reichmuth (mitte, SZ) berichtete über das aktuelle Personalreporting, das zeige, dass die Entwicklungen bezüglich Geschlechterverteilung und Anteil an Menschen mit Beeinträchtigungen in der Bundesverwaltung «in die richtige Richtung» gehe. Die Gespräche mit Bildungsminister Guy Parmelin hätten bestätigt, dass die Situation für Forschende aufgrund der Probleme der Schweiz bei Horizon Europe schwierig sei. Charles Juillard (mitte, JU) lobte den aussenpolitischen Bericht, der erstmals alle Departemente mit einbezogen hatte und dadurch die Kohärenz und das Profil der Schweizer Aussenpolitik stärke. Auch Julliard wies darauf hin, dass das Ziel der geregelten Beziehungen mit der EU wohl kaum noch in dieser Legislaturperiode erreicht werden könne. Marco Chiesa (svp, TI) ging in seinem Votum auf den dringlichen Rettungsschirm für systemkritische Stromunternehmen ein. Die «sehr kurzfristige Reaktion» sei nötig gewesen, weil ein allfälliger Schaden im Falle eines Systemzusammenbruchs immens wäre. Ein weiterer Punkt, den Chiesa kritisch hervorhob, war die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen beim Übergang von der Sondersituation zur normalen Lage in der Covid-19-Pandemie: Während die Kantone den Bund nach wie vor in der Verantwortung sähen, vertrete dieser die Position, dass sich die Kantone untereinander abstimmen müssten, würden die Fallzahlen wieder steigen.
EU und Ukraine-Krieg als Querschnitthemen waren auch im Ständerat Thema. Matthias Michel erörterte die Diskussion, die die GPK mit dem Bundesrat zum Abbruch der Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen geführt habe. Der Bundesrat habe erklärt, dass «zu viele rote Linien» und ein «zu enges Verhandlungsmandat» ursächlich für den Verhandlungsstopp gewesen seien. Es habe zudem an «Verhandlungsmasse» gefehlt, weil lediglich über institutionelle Fragen verhandelt worden sei. Die neue Strategie solle diesen Problemen gerecht werden. Michel ging auch auf das zweite Querschnittthema «Ukraine-Krieg» ein. Der Bundesrat habe seinen in den Medien als zögerlich beschriebenen Entscheid zur Übernahme der EU-Sanktionen damit erklärt, dass die Schweiz von der EU nicht vorgängig informiert worden sei. Zudem sei die Regierung daran, die Neutralitätspolitik zu überdenken. Auch im Ständerat fasste Bundespräsident Ignazio Cassis den Bericht am Schluss noch einmal zusammen, bevor der Bundesbeschluss in der kleinen Kammer stillschweigend angenommen wurde.