Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (BRG 93.128)

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Nachdem er im Oktober eine Vernehmlassung durchgeführt hatte, legte der Bundesrat gegen Jahresende dem Parlament seine Vorschläge für einen effizienteren Vollzug von Ausweisungsbeschlüssen gegen kriminelle Ausländer vor. Sie betreffen nur Personen, welche weder über eine Niederlassungs- noch eine Aufenthaltsgenehmigung verfügen. Die Massnahmen richten sich nach Bundesrat Koller namentlich gegen jene, welche das Asylrecht missbrauchen, um unter dessen Schutz im Drogenhandel tätig zu sein. Wichtigstes Element soll wie bisher die prioritäre Bearbeitung der Gesuche von delinquierenden Asylbewerbern bleiben. Damit diese aber während der oft langwierigen Beschaffung von Ausreisepapieren nach einem ablehnenden Bescheid nicht weiterhin im kriminellen Milieu aktiv sein können, ist eine Ausdehnung der Ausschaffungshaft von einem auf sechs Monate vorgesehen. Um die Suche nach Reisedokumenten zu erleichtern, soll die Polizei die Effekten der Asylbewerber durchsuchen können. Erfolgt die Verurteilung bereits vor dem Abschluss des Asylverfahrens, sollen solche Personen bis zum Entscheid in eine «Vorbereitungshaft» von bis zu drei Monaten genommen werden können. Im weiteren sollen die Behörden während der Dauer des Anerkennungsverfahrens einen Aufenthaltsrayon resp. eine Sperrzone für Asylbewerber deklarieren dürfen. Schärfere Massnahmen, wie etwa sofortige Ausschaffung von kriminellen Asylbewerbern oder Nichteintreten auf deren Gesuche kommen hingegen für den Bundesrat aus verfassungs- und völkerrechtlichen Gründen nicht in Frage.

Der Ständerat behandelte das Geschäft ebenfalls noch in der Frühjahrssession und schloss sich weitgehend dem Nationalrat an. Bei der Anordnung der Vorbereitungs- resp. Ausschaffungshaft kam er jedoch auf den bundesrätlichen Vorschlag zurück, dass diese von Verwaltungsstellen angeordnet werden kann, aber nach spätestens vier Tagen von einem Haftrichter bestätigt werden muss. Dabei setzte er die Anforderungen allerdings etwas strenger als der Bundesrat, indem der Richter nicht nur aufgrund der Akten die Anordnung der Verwaltung überprüfen, sondern nach einer mündlichen Verhandlung einen eigenständigen Entscheid fällen muss. Die von Kritikern befürchtete Inhaftierung von Kindern unter 15 Jahren schloss er explizit aus. Zudem beschloss er in Abweichung vom Nationalrat, dass die Ausschaffungshaft maximal sechs Monate betragen kann, wobei der Richter diese Frist um weitere drei Monate verlängern kann. Zustimmung fand auch der vom Bundesrat auf Wunsch des Nationalrats und der Kommission des Ständerats zusätzlich eingebrachte Antrag, dass der Bund die Kantone beim Bau und Betrieb von Haftanstalten, welche dem Vollzug dieser Zwangsmassnahmen dienen, finanziell unterstützen kann.

Der Nationalrat beriet in der Frühjahrssession die vom Bundesrat im Herbst des Vorjahres vorgeschlagenen Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Gegen den Widerstand der Fraktionen LdU/EVP und GP sowie eines Teils der SP beschloss er mit 143 zu 34 Stimmen, darauf einzutreten. Dabei waren die Positionen unversöhnlich und beide Seiten warfen dem Gegner vor, mit seiner Haltung der Fremdenfeindlichkeit in der Bevölkerung Vorschub zu leisten: Für die Befürworter handelte es sich darum, die Umgehung von Ausweisungsbeschlüssen zu erschweren, und die Kantone mit Abwehrmitteln gegen illegal anwesende Kriminelle, welche dem Ruf aller Ausländer schaden, auszurüsten. Die Gegner bezeichneten die Vorschläge als diskriminierende, ausländerfeindliche Massnahmen, mit welchen die bürgerlichen Politiker von den sozialen Problemen ablenken und sich den Beifall der Boulevardzeitung «Blick» holen wollten. Während der eine Fraktionssprecher der SP (Rechsteiner, SG) die generelle kontrollierte Drogenabgabe als Alternative propagierte, gab der zweite (Tschäppät, BE) immerhin gewisse Missstände beim Vollzug des Ausländer- und des Asylrechts zu, beurteilte aber die Zwangsmassnahmen als überrissen. Der Kritik, dass die vorgeschlagenen Massnahmen nicht menschenrechtskonform seien, begegnete der Bundesrat mit dem Verweis auf diverse Expertengutachten. In diesen wird insbesondere festgehalten, dass es EMRK-konform ist, Ausländer ohne Aufenthaltsrecht anders zu behandeln als solche mit geregeltem Status oder eigene Staatsangehörige.
In der Detailberatung beschloss der Rat mit Stichentscheid der Präsidentin, dass die Vorbereitungs- resp. Ausschaffungshaft nicht von der kantonalen Verwaltung – mit nachträglicher richterlicher Überprüfung –, sondern von Anfang an von einem Richter anzuordnen ist. Die «Vorbereitungshaft» für Asylsuchende, die sich absichtlich nicht an Rayonbeschränkungen halten, die unter mehreren Namen Gesuche einreichen oder die Vorladungen mutwillig missachten, wurde gemäss Antrag des Bundesrates auf höchstens drei Monate festgesetzt. Die maximale Dauer der Ausschaffungshaft für Personen, welche sich einer Ausschaffungsanordnung offensichtlich entziehen wollen, reduzierte der Nationalrat von neun auf drei Monate, mit der Möglichkeit einer richterlichen Verlängerung um weitere drei Monate. Die ebenfalls sehr umstrittene neue Bestimmung, wonch die Behörden mit richterlicher Erlaubnis in Wohnungen oder Räumen von Dritten nach untergetauchten abgewiesenen Asylbewerbern und deren Ausweispapieren suchen dürfen, wurde entschärft: die Suche nach Ausweisen allein legitimiert keine Hausdurchsuchung. Ein von Vertretern der FP vorgebrachter Antrag, dass die Kantone die neuen Massnahmen zwingend anwenden müssen, wurde deutlich abgelehnt. Die Zustimmung zu den Zwangsmassnahmen erlaubte die Streichung der bisher im Ausländergesetz verankerten Möglichkeit der maximal zweijährigen Internierung von Auszuschaffenden.

Die grosse Kammer beharrte in der Differenzbereinigung vorerst auf der Haftanordnung durch den Richter, musste dann aber dem Ständerat nachgeben. In der Frage der Dauer der Ausschaffungshaft fand man einen Kompromiss: diese dauert höchstens drei Monate, kann allerdings von einem Richter um maximal weitere sechs Monate verlängert werden. In der Schlussabstimmung sprachen sich im Nationalrat 111 für und 51 gegen die Massnahmen aus; 13 enthielten sich der Stimme. In der kleinen Kammer lautete das Stimmenverhältnis 37 zu 2.

Vertreter der SP, der GP und des SGB sowie die Dachorganisation der Flüchtlingshilfswerke wollten zuerst auf ein Referendum verzichten. Sie befürchteten, dass in einer Abstimmungskampagne das Thema «kriminelle Ausländer» dominieren würde, und sich diese Diskussion für die Anliegen der Ausländer in der Schweiz negativ auswirken könnte. Das Referendum wurde dann aber von einer Vielzahl anderer Organisationen ergriffen, unter denen lokale asylpolitische Bewegungen dominierten und von den Parteien nur die PdA vertreten war. In der Folge unterstützten auch einige SP-Kantonalsektionen und schliesslich – nach einem ersten negativen Entscheid im März – auch die SPS die Unterschriftensammlung. Das Referendum kam mit rund 75'000 Unterschriften fristgerecht zustande.

In der Kampagne zur Volksabstimmung tauchten kaum neue Argumente auf. Für die Befürworter handelte es sich um notwendige Massnahmen zur besseren Durchsetzung des Vollzugs der pro Jahr rund 20'000 Ausweisungsbeschlüsse und gegen den Missbrauch des Asylrechts durch Kleinkriminelle. Für die Gegner stellten die Zwangsmassnahmen eine Diskriminierung von Ausländern und ein untaugliches Mittel zur Bekämpfung des Drogenhandels dar; in der Westschweiz wurde in diesem Zusammenhang betont, dass es nicht angehe, wegen der zu liberalen Zürcher Drogenpolitik nationales Ausnahmerecht einzuführen. Die Auseinandersetzung wurde, zumindest am Anfang, von den Gegnern zum Teil sehr emotional und gehässig geführt. So warfen sie der Parlamentsmehrheit und dem Bundesrat vor, mit den Massnahmen den Rassismus zu fördern und, nach dem Vorbild der faschistischen Diktatoren Hitler und Mussolini, die Disziplinierung und Ausschaltung unbequemer Menschen anzustreben. SP-Nationalrat Rechsteiner (SG) sprach im Pressedienst seiner Partei von einem «braunen Blick-Gesetz». Zu der von der SP und den Hilfswerken befürchteten Stimmungsmache gegen Ausländer kam es hingegen nicht; sowohl die SD als auch die FP traten praktisch nicht in Erscheinung. Alle Parteien ausser der SP, der GP und der PdA empfahlen die Ja-Parole; nur in Genf, wo auch namhafte Juristen heftige Kritik an den neuen Massnahmen übten, kam es – bei der LP – zu einer abweichenden Parole einer Kantonalsektion. Gegen die Massnahmen sprach sich auch die katholische Bischofskonferenz aus, welche befürchtete, dass damit das Misstrauen gegen Ausländer geschürt würde; die Leitung der evangelischen Kirche verzichtete dagegen auf eine Stellungnahme.

In der Volksabstimmung vom 4. Dezember stimmten knapp 73 Prozent für die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Am deutlichsten fiel das Ja in der Nordostschweiz (inkl. Zürich) aus. In den ländlichen Gebieten der Innerschweiz und in der Westschweiz war die Skepsis grösser; am knappsten war die Zustimmung in Genf (52.3 Prozent), wo sich mit Ausnahme der FDP alle Parteien für ein Nein eingesetzt hatten.

Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
Abstimmung vom 4. Dezember 1994

Beteiligung: 43.8%
Ja: 1'435'040 (72.9%)
Nein: 533'297 (27.1%)

Parolen:
– Ja: FDP, CVP, SVP, LP (1*), FP, LdU, EVP, SD, Lega, EDU; Vorort, SGV, Angestelltenverbände.
– Nein: SP, GP, PdA; SGB, CNG, Caritas, HEKS und andere Hilfswerke.
*In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Die Vox-Analyse über das Stimmverhalten ergab, dass die Sympathisanten der drei bürgerlichen Bundesratsparteien sehr deutlich zugestimmt hatten, während sich bei der Anhängerschaft der SP die Ja- und Nein-Stimmen die Waage hielten. Sämtliche soziale Gruppen sprachen sich für die Zwangsmassnahmen aus; bei Frauen, jüngeren Stimmberechtigten und Bewohnern von städtischen Agglomerationen fiel diese Unterstützung aber unterdurchschnittlich aus.