Teilrevision des Arbeitsgesetzes: Verbot der Nacht- und Sonntagsarbeit von Frauen in der Industrie

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Im Februar leitete der Bundesrat dem Parlament seine Botschaft über eine Teilrevision des Arbeitsgesetzes zu. Schwerpunkte der Revision sind die gleiche Regelung der Arbeits- und Ruhezeiten für Männer und Frauen in allen Wirtschaftssektoren, die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, eine Verbesserung des Schutzes der in der Nacht und am Sonntag Erwerbstätigen sowie ein Sonderschutz für werdende Mütter, die Nachtarbeit verrichten. Damit soll das bis anhin geltende Verbot der Nacht- und Sonntagsarbeit von Frauen in der Industrie aufgehoben werden.

Dossier: Revision des Arbeitsgesetz (ArG)

Bei der Revision des Arbeitsgesetzes beantragte Nationalrätin Brunner (sp, GE) eine zusätzliche Bestimmung, wonach die Arbeitgeber dafür zu sorgen haben, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit keinen Alkohol oder andere berauschende Mittel konsumieren müssen. Sie visierte damit vor allem Animierdamen und Tänzerinnen in Nachtlokalen an. Da der Bundesrat diesem Antrag sehr positiv gegenüberstand, wurde er praktisch diskussionslos aufgenommen.

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Als Kompensation für die Aufhebung des Nacht- und Sonntagsarbeitsverbots der Frauen in der Industrie, welche als Folge der Aufkündigung der diesbezüglichen ILO-Vereinbarung möglich geworden war, hatte der Bundesrat für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sämtlicher Wirtschaftszweige bei regelmässigen Arbeitsleistungen an Sonn- und Feiertagen sowie zwischen 23 Uhr nachts und 6 Uhr morgens einen Zeitzuschlag von zehn Prozent vorgeschlagen. Dem Nationalrat lag zu Beginn der Beratungen je ein Rückweisungs- bzw. ein Aussetzungsantrag von rot-grüner Seite vor mit dem Inhalt, diese Vorlage dem Parlament erst zusammen mit dem definitiv bereinigten Gleichstellungsgesetz und dem Vorschlag zur Mutterschaftsversicherung vorzulegen, da nur mit der Verabschiedung dieser Gesetzesvorlagen die Gleichberechtigung der Frauen in der Arbeitswelt einigermassen abgesichert wäre. Die grosse Kammer lehnte dies jedoch recht deutlich ab und weichte die Vorschläge des Bundesrates sogar noch weiter auf, indem sie entschied, dass die Kompensation für Nacht- und Sonntagsarbeit wahlweise aus einem zehnprozentigen Zeitzuschlag oder einem Lohnzuschlag von 50% für die Sonntags- und 25% für die Nachtarbeit bestehen soll, wobei sie für Arbeitnehmer mit Familienpflichten den Zeitzuschlag zwingend vorsehen wollte. Sie schuf ebenfalls die Möglichkeit zu einer Ausweitung der Ladenöffnungszeiten und bestimmte, dass Verkaufsgeschäfte künftig an jährlich höchstens sechs Sonn- oder Feiertagen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen können, falls die kantonalen Vorschriften über den Ladenschluss dies gestatten.

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Der Ständerat ging noch weiter im Abbau der Arbeitnehmerschutzbestimmungen. Er argumentierte, die Vorlage sei den wirtschaftlichen Realitäten nicht angemessen und für Gastgewerbe und Hotellerie, wo traditionell viel Nacht- und Sonntagsarbeit geleistet wird, untragbar, weshalb er sämtliche Zeit- oder Lohnzuschläge im Gesetz strich und auf allfällige Regelungen im Rahmen der Gesamtarbeitsverträge verwies. Gegen einen Minderheitsantrag Simmen (cvp, SO) wurde auch der Lockerung der Ladenöffnungszeiten zugestimmt.

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Entgegen den Empfehlungen ihrer Kommission und des Bundesrates beharrte die kleine Kammer aber mit 23 zu 16 Stimmen weiterhin auf ihrem Entscheid, zugunsten völliger Vertragsfreiheit jegliche Kompensationsvorschrift aus dem Gesetz zu streichen. Dem nationalrätlichen Kompromissvorschlag gegenüber wurden neben wirtschaftlichen auch juristische Bedenken ins Feld geführt, da mit der Version des Nationalrates nicht in allen Fällen klar wäre, ob nun die Regelung des Gesamtarbeitsvertrages zur Anwendung komme oder das Gesetz. Diesen Bedenken wollte ein Antrag Onken (sp, TG) Rechnung tragen. Gemäss diesem Vorschlag sollte das Gesetz zwar zwingend einen zehnprozentigen Zeitzuschlag vorsehen, allerdings mit dem Zusatz, dass eine vertragliche Bestimmung, welche den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden gleichwertig regelt, ebenfalls zulässig ist. Dieser Antrag wurde mit 28 zu sechs Stimmen deutlich abgelehnt.

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Der Schweizerische Gewerkschaftsbund kündigte darauf seine Absicht an, unabhängig davon, welcher Vorschlag in der Differenzbereinigung obsiegen wird, gegen die Gesetzesänderung das Referendum zu ergreifen, da mit diesen Bestimmungen von einer eigentlich zum Schutz aller Arbeitnehmer gedachten Revision nur noch die Deregulierungsmassnahmen übrigblieben.

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Die Differenzbereinigung war das erste Sachgeschäft der neuen Legislatur im Nationalrat. Auf der Suche nach einem Kompromiss schlug die Mehrheit der Kommission vor, dass lediglich die Nachtarbeit im Gesetz geregelt werden und dabei nur dann ein zehnprozentiger Zeitzuschlag garantiert werden soll, wenn für die betroffenen Beschäftigten kein Gesamtarbeitsvertrag Kompensationsregelungen vorsieht. Die Sozialpartner wären also weiterhin frei, den Ausgleich für die regelmässig geleistete Nachtarbeit im Gesamtarbeitsvertrag nach ihrem Gutdünken auszuhandeln - in Form eines Lohnzuschlags oder von Freizeit. Dieser Kompromiss passierte allerdings nur mit der äusserst knappen Mehrheit von 94 zu 92 Stimmen. Wie der Ständerat verzichtete auch der Nationalrat auf einen gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleich für die Sonntagsarbeit.

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In der Frühjahrssession befasste sich der Nationalrat erneut mit der letzten noch bestehenden Differenz bei der Revision des Arbeitsgesetzes, nämlich der Frage, ob für Nachtarbeit von Gesetzes wegen eine Kompensation vorgesehen werden solle oder nicht. Die Kommissionsmehrheit war nicht mehr bereit, wegen dieser einzigen Differenz die Verabschiedung der Vorlage weiter zu verzögern und schlug vor, sich der harten Linie im Ständerat anzuschliessen. Eine SP-Minderheit der Kommission beantragte Rückkehr zur Vorlage des Bundesrates (obligatorischer 10%iger Zeitzuschlag für Nachtarbeit), eine CVP-Minderheit Zustimmung zum ersten Entscheid des Nationalrates (10%ige Kompensation, falls der Betrieb nicht einem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt ist). Bundespräsident Delamuraz mahnte erneut - aber wiederum vergeblich - den Kompromiss, den die Verbandsvertreter in einer Expertenkommission zu diesem Punkt erarbeitet hatten, nicht in einem Anfall von Deregulierungswut leichtfertig über Bord zu werfen. In der Eventualabstimmung unterlag der Antrag der SP mit 97 zu 67 Stimmen dem Vorschlag der CVP. In der Gesamtabstimmung obsiegte der Antrag der Kommissionsmehrheit, welche die fast einhellige Zustimmung der FDP und der SVP fand, mit 82 zu 50 Stimmen. Damit waren alle Kompensationen für Nacht- und Sonntagsarbeit im Gesetz gestrichen und die Übereinstimmung mit dem Ständerat erreicht. In der Schlussabstimmung wurde die Revision im Nationalrat mit 89 zu 80 Stimmen bei 9 Enthaltungen angenommen. Im Ständerat erfolgte die Zustimmung mit 27 zu 6 Stimmen.

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Schon im Vorfeld dieses Beschlusses kündigte der SGB das Referendum gegen das revidierte Gesetz an und fand dabei die Unterstützung von SP, GP, PdA, CNG und LFSA. Die EDU beschloss ihrerseits, wegen der "Entheiligung" des Sonntags auf den Referendumszug aufzuspringen. Aber auch welsche FDP-Politiker - unter ihnen der Vizepräsident der Partei, Peter Tschopp (GE) sowie die Nationalräte Christen (VD) und Dupraz (GE) - verhehlten nicht, dass sie für das Referendum gewisse Sympathien hegten. Diese drei Abgeordneten hatten denn in der Schlussabstimmung auch als einzige FDP-Vertreter gegen die Annahme der Vorlage gestimmt. Das Referendum kam schliesslich mit 165 467 Stimmen zustande.

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Zum zweiten Mal seit 1979 verzichtete der Bundesrat auf eine Empfehlung zuhanden der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger. Er begründete dies damit, dass das Parlament eine Vorlage verabschiedet habe, welche vorab bei der Kompensation der Nacht- und Sonntagsarbeit fundamental von den Vorschlägen der Landesregierung abgewichen sei. Im "Bundesbüchlein" und in seinen Auftritten werde sich der Bundesrat darauf beschränken, den Inhalt und die Auswirkungen des Gesetzes zu erläutern, ohne materiell dazu Stellung zu nehmen.

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Der Katholische und der Evangelische Frauenbund, der schweizerische Verband für Frauenrechte, Gewerkschafterinnen, Parlamentarierinnen der SP, der CVP und der Grünen sowie weitere Persönlichkeiten aus diesen Kreisen konstituierten sich im Oktober zu einem Frauenkomitee "Nein zum diskriminierenden Arbeitsgesetz". Sie kritisierten, die bloss formale Gleichbehandlung der Frauen mit den Männern, welche die Lebensrealität der mehrfach belasteten Frauen ausser acht lasse, diskriminiere recht eigentlich die Frauen. Aus einer veralteten Gleichstellungsoptik möge es positiv erscheinen, dass nun Frauen wie die Männer auch im Industriebereich nachts arbeiten dürften. Aus einer modernen und differenzierten Sicht der Dinge bringe das revidierte Gesetz aber nicht mehr Gleichstellung, sondern verschärfe die Unterschiede der Arbeitslast zwischen den Geschlechtern und müsse daher als Rückschritt in der Gleichstellungspolitik gewertet werden. Angesichts der tieferen Frauenlöhne werde die Wirtschaft zudem geradezu ermuntert, Frauen nachts und sonntags zu beschäftigen, als Teilzeitarbeiterinnen womöglich noch über prekäre Abrufverträge. Genau diese Kategorie von Frauen sei jedoch gewerkschaftlich schlecht bis kaum organisiert und könne sich damit nicht auf das Aushandeln einer Zeitkompensation durch die Sozialpartner verlassen. Andererseits konstituierte sich auch ein bürgerliches Frauenkomitee zur Unterstützung des neuen Arbeitsgesetzes, da dieses berufstätigen Frauen dieselben Beschäftigungsmöglichkeiten einräume wie den Männern.

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Teilrevision des Arbeitsgesetzes
Abstimmung vom 1. Dezember 1996

Beteiligung: 46,7%
Ja: 697 874 (33,0%)
Nein: 1 418 961 (67,0%)

Parolen:
- Ja: FDP, LP, SVP, FP; Vorort, Arbeitgeber, SBV, SGV; Hotelierverein, Tourismus-Verband.
- Nein: SP, CVP (12*), GP, PdA, LdU, EVP, KVP, SD, EDU; SGB, CNG, LFSA, Angestelltenverbände; Landeskirchen, Pro Familia.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen



Die Vox-Analyse dieses Urnengangs zeigte, dass das recht deutliche Nein weniger als Ablehnung des Sozialabbaus denn als Bekenntnis zu einem arbeitsfreien Sonntag gewertet werden kann. 74% der Urnengänger sagten in der Nachbefragung, der Sonntag müsse ein gesetzlicher Feiertag für möglichst viele bleiben. Nur 49% der Stimmberechtigten erklärten sich hingegen mit dem Argument der SP einverstanden, dass mit dem Nein zum Arbeitsgesetz dem Trend zum Sozialabbau ein Riegel geschoben werden müsse.
Mit fast 47% war die Stimmbeteiligung unüblich hoch, was wohl auch damit zusammenhing, dass an diesem Wochenende gleich über zwei emotional stark befrachtete Vorlagen (neben dem Arbeitsgesetz noch die Asylinitiative der SVP) abgestimmt wurde. In den letzten Tagen vor dem Urnengang waren dem Referendum generell gute Erfolgschancen zugemutet worden, aber der Nein-Stimmen-Anteil von 67% übertraf dann doch alle Erwartungen. Die Ablehnung erfolgte vor allem in jenen Kantonen, welche über- oder unterproportional von Arbeitslosigkeit betroffen sind: So lehnte die gesamte Romandie und das Tessin mit Nein-Stimmenanteilen von 68,6% (Genf) bis 86,6% (Jura) die Vorlage besonders deutlich ab, aber auch Uri und Obwalden sprachen sich mit 79,3 resp. 69,9% klar überdurchschnittlich gegen die Vorlage aus.

Bundesrat Delamuraz konnte am Abend des Abstimmungssonntags seine Verärgerung über die Arbeitgeber und das Parlament nur mit Mühe unterdrücken. Er bezeichnete das massive Nein als das - leider - vorprogrammierte Ergebnis des mangelnden Konsenses in der Schweiz. Er habe das Parlament vergeblich davor gewarnt, die wirtschaftsfreundlichen Bestimmungen auszuweiten und alle arbeitnehmerfreundlichen Bestimmungen aus der Vorlage zu kippen. Für den Vorsteher des EVD sollte das Resultat zumindest den Nutzen haben, die Alarmglocken schrillen zu lassen. Das Volk habe einen eindeutigen Auftrag gegeben: Es wolle nicht einseitige, sondern zwischen den Sozialpartnern abgesprochene Lösungen sowie Solidarität. Der Bundesrat sei bereit, als Mittler zu wirken und die Sozialpartner zu einer neuen Lösung zu führen.

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