PUK zur Untersuchung der Affäre Kopp (PUK-I; BRG 89.006)

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Die Affäre um Elisabeth Kopp war mit dieser Rücktrittserklärung allerdings nicht erledigt. Dies galt umso mehr, als in der Presse Verdächtigungen aufgetaucht waren, die dem EJPD und dabei insbesondere der Bundesanwaltschaft Ermittlungspannen beim Kampf gegen den Drogenhandel vorwarfen. Die Fraktionen von SP und LdU/EVP verlangten die Einsetzung einer besonderen Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK). Nationalrat Ziegler (sp, GE) forderte, unterstützt von der GPS, die Einsetzung eines ausserordentlichen Bundesanwalts zur umfassenden Durchleuchtung des EJPD. Der Bundesrat seinerseits beauftragte Hans Hungerbühler, erster Staatsanwalt des Kantons Baselstadt, mit der Abklärung der genauen Umstände, die zum Telefongespräch von Elisabeth Kopp mit ihrem Mann geführt hatten. Der für diese Ermittlungen im Prinzip zuständige Bundesanwalt Gerber trat wegen Befangenheit in den Ausstand.

Dossier: Affäre Kopp
Dossier: Der Fichenskandal und seine Folgen

Die Untersuchung von Staatsanwalt Hungerbühler deckte auf, dass Elisabeth Kopp immer noch nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Gemäss den Abklärungen habe sie, nachdem sie von ihrer persönlichen Beraterin über den Inhalt von Akten aus der Bundesanwaltschaft orientiert worden sei, ihren Mann informiert und ihm geraten, sich über Details bei dieser Mitarbeiterin zu erkundigen. Da der dringende Verdacht auf Amtsgeheimnisverletzung bestehe, beantragte Hungerbühler dem Parlament die Aufhebung der Immunität der Bundesrätin und die Eröffnung eines Strafverfahrens. Frau Kopp trat nach der Veröffentlichung dieses Berichtes am 12. Januar 1989 unverzüglich von ihrem Amt zurück.

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Nebst den vom Bundesrat und der Bundesanwaltschaft eingeleiteten Untersuchungen führte der Rücktritt von Bundesrätin Kopp zur Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) durch die Bundesversammlung. Es war nach der Untersuchung der Kostenüberschreitungen bei der Mirage-Beschaffung 1964 erst das zweite Mal, dass das Parlament eine parlamentarische Untersuchungskommission einsetzte. Gestützt auf die gesetzlichen Grundlagen, die das Parlament im Nachgang an die Untersuchung der Mirage-Affäre geschaffen hatte (Geschäftsverkehrsgesetz Art. 53 ff.), ist eine PUK mit bedeutend mehr Kompetenzen ausgestattet als die ständigen Geschäftsprüfungskommissionen. Insbesondere kann sie Beamte und übrige Auskunftspersonen als Zeugen vernehmen und Einsicht in alle Akten der Bundesverwaltung nehmen.
Die vier Regierungsparteien machten sich die ursprünglich von der SP und der GPS vorgebrachte Forderung nach einer Sonderabklärung zu eigen und beantragten dem Parlament die Einsetzung einer PUK. Diese sollte nicht nur die Umstände der Demission von alt-Bundesrätin Kopp, sondern auch ihre Amtsführung und Vorwürfe gegen das EJPD im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Drogenhandels und der Geldwäscherei unter die Lupe nehmen. Die beiden Kammern stimmten im Rahmen einer Sondersession am 31. Januar der Einsetzung einer aus je sieben National- und Ständeräten gebildeten PUK zu. Der Vorsitz über die nationalrätliche Unterkommission, und damit auch über die gesamte PUK, wurde – nach einigem parteipolitischem Gerangel – dem Sozialdemokraten Moritz Leuenberger (ZH) übertragen.

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Beide Parlamentskammern stimmten in einer Sondersession im Februar 1989 der Immunitätsaufhebung von Elisabeth Kopp ohne Gegenstimme zu. Am 15. März wählte die Vereinigte Bundesversammlung den Freiburger Staatsanwalt Joseph-Daniel Piller zum ausserordentlichen Bundesanwalt. Dieser beantragte – nach Abschluss der vom eidgenössischen Untersuchungsrichter Koeferli durchgeführten Ermittlungen – beim Bundesstrafgericht Anklageerhebung wegen Amtsgeheimnisverletzung gegen Elisabeth Kopp, ihre persönliche Mitarbeiterin und eine Beamtin des EJPD. Mangels schlüssiger Anhaltspunkte verzichtete Piller hingegen darauf, eine Strafverfolgung wegen Begünstigung zu beantragen. Die Anklagekammer des Bundesgerichts, welche überprüfen musste, ob die Anklageschrift den gesetzlichen Erfordernissen entsprach und ob die Anklage grundsätzlich gerechtfertigt sei, entschied sich anfangs November 1989 für eine Zulassung der Klage.

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Im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Bundesrätin Kopp wurden im Parlament und in einigen Medien auch gegen Bundesanwalt Rudolf Gerber massive Anschuldigungen erhoben. Er habe es nicht bloss versäumt, dem Verdacht auf Amtsgeheimnisverletzung durch alt-Bundesrätin Kopp nachzugehen, sondern sei auch mitverantwortlich für Ermittlungspannen bei der Bekämpfung des internationalen Drogenhandels. Die GP, die SP sowie die SVP, aber auch der freisinnige Nationalrat Cincera (ZH), forderten den Rücktritt von Gerber. Der vom Bundesrat mit der Untersuchung des Verhaltens des Bundesanwaltes betraute Alt-Bundesrichter Häfliger stellte in einem am 6. März veröffentlichten Zwischenbericht zwar Unterlassungen fest, die ein Disziplinarverfahren rechtfertigen würden, fand aber keine Anhaltspunkte für die behauptete Protektion von Drogenhändlern. Bundesanwalt Gerber wurde vom Bundesrat mit sofortiger Wirkung beurlaubt und erklärte seine Demission auf den 1. September.
Der vom Bundesrat mit der Durchführung der Disziplinaruntersuchung beauftragte Hans Dressler kam zum Schluss, dass Bundesanwalt Gerber zwar Fehler begangen habe und in einem Fall (unkorrektes Communiqué zur Wiederlegung der Vorwürfe gegen den ehemaligen Chef der Zentralstelle der Betäubungsmittelbekämpfung) der Tatbestand der Dienstpflichtverletzung erfüllt sei. Diese sei aber nicht derart gravierender Art gewesen, dass eine Disziplinarstrafe angebracht sei. Der Bundesrat schloss sich dieser Empfehlung an, rügte aber noch speziell die späte Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen alt-Bundesrätin Kopp.

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Der am 24. November veröffentlichte Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) konnte keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Elisabeth Kopp bringen. Politisch brisanter waren seine Enthüllungen über die Aktivitäten der Bundesanwaltschaft und dabei insbesondere der politischen Polizei.

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Die nach dem Rücktritt von Bundesrätin Kopp am 31. Januar eingesetzte parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) hatte nicht bloss den Auftrag, die Umstände zu untersuchen, welche zu diesem Rücktritt geführt hatten. Abgeklärt werden sollten auch die Verdächtigungen, welche in einem Teil der Presse in Bezug auf die Amtsführung im EJPD und auf das Vorgehen der Bundesbehörden bei der Bekämpfung des Drogenhandels und der Geldwäscherei geäussert worden waren.

In Bezug auf die Bekämpfung des internationalen Drogenhandels konstatierte die PUK, dass der Vorwurf, die Bundesbehörden seien durch das organisierte Verbrechen unterwandert, nicht zutreffe. Allerdings seien die Methoden dieser Kriminellen, welche sich des schweizerischen Finanzplatzes zur Tarnung ihrer illegalen Geschäfte bedienten, von den Behörden und dabei insbesondere vom Bundesanwalt nicht rechtzeitig erkannt worden. Mit einem vom Parlament überwiesenen Postulat verlangte die PUK eine entsprechende Umorientierung und eine verbesserte Koordination mit den kantonalen Ämtern. Im Weiteren wurde dem Bundesanwalt vorgeworfen, dass er es unterlassen habe, die personelle Unterdotierung der Drogenbekämpfungsstelle bei der Bundesanwaltschaft (BA) durch Stellenverschiebungen zu beheben. Auf einen formellen Antrag zur Behebung dieses Missstandes konnte die PUK verzichten, da der Nationalrat bereits Ende 1988 und der Ständerat in der Sommersession 1989 eine entsprechende Motion Cavadini (fdp, TI; Mo. 88.811) überwiesen hatten.

Weit brisanter waren die Erkenntnisse der PUK im Bereich des Staatsschutzes. Diese seit 1976 von 66 auf 94 Mitarbeiter (+42%) ausgebaute Dienststelle der Bundesanwaltschaft, welche gemäss einem Bundesratsbeschluss von 1958 mit der «Beobachtung und Verhütung von Handlungen, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden» sowie der gerichtspolizeilichen Ermittlung bei der Verfolgung von diesbezüglichen strafbaren Taten beauftragt ist, hatte seit jeher als «Dunkelkammer der Nation» gegolten. Der konkrete Inhalt und der Umfang ihrer Ermittlungen waren nicht nur vor der Öffentlichkeit, sondern auch vor den Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) des Parlaments weitgehend geheim gehalten worden.

Die GPK des Nationalrates hatte zwar noch vor der Einsetzung der PUK die Bundesanwaltschaft inspiziert und Einblick in eine vom Bundesanwalt ausgesuchte «Mustersammlung ausgewählter Karteikarten» erhalten. Aufgrund dieser Karten (Fichen) mit Kurzeinträgen über Personen und Verweisen auf allfällige ausführlichere Dossiers hatte sie den Eindruck erhalten, dass an der Arbeit der politischen Polizei grundsätzlich nichts zu beanstanden sei. Immerhin rügte sie die unterschiedliche Qualität der auf diesen Fichen enthaltenen Informationen und insbesondere die grosse Anzahl der Karteikarten. Vonseiten der Linken war, allerdings meist ohne konkrete Beweise, der Bundesanwaltschaft immer wieder vorgeworfen worden, dass sie sich nicht auf die Verhinderung und Aufklärung von politisch motivierten Straftaten beschränke, sondern – aus einer sehr einseitigen politischen Optik heraus – vor allem die legalen politischen Aktivitäten von kritischen Bürgerinnen und Bürgern im Visier habe.

Genau diese Vorwürfe, also die grosse Anzahl erfasster Personen, die sehr unterschiedliche Qualität der Informationen und die systematische Erfassung von oppositionellen demokratischen Aktivitäten wurden nun durch die PUK, welche uneingeschränkten Zugang zu den Akten hatte, bestätigt. Die PUK stellte in ihrem am 24. November vorgestellten Bericht fest, dass in der Registratur der Bundespolizei rund 900'000 Karteikarten (Fichen) geführt werden, von denen sich etwa je ein Viertel auf in der Schweiz wohnhafte Inländer und Ausländer beziehen, rund ein Zehntel auf Organisationen und der Rest auf nicht landesansässige Ausländer. Auf diesen Fichen befinden sich Einträge, welche zum Teil auf Beobachtungen von nachrichtenpolizeilichen Organen des Bundes, der Kantone oder des Auslandes beruhen, zum Teil auch auf anonyme private Denunziationen zurückgehen. Da die Informationen weder überprüft, noch nach einer bestimmten Zeit eliminiert wurden, wimmelt es gemäss PUK in diesen Fichen von Belanglosigkeiten, Falschmeldungen und Informationen über normale politische, berufliche oder private Aktivitäten. Als besonders verwerflich beurteilte die PUK, dass die von der Bundespolizei zusammengetragenen Angaben nicht bloss als Referenz zur Beurteilung von Stellenbewerbern und -inhabern in der Bundesverwaltung dienten, sondern auch an private Stellen weitergegeben worden waren. Die Stichproben der PUK bestätigten ebenfalls den Vorwurf der politischen Einäugigkeit: Von Interesse für die Bundespolizei waren vor allem Personen aus dem linken politischen Spektrum (inkl. SP). Dabei wurde mit dem Einbezug von Organisationen und Personen, welche sich in den Bewegungen gegen die Kernenergie und die Gentechnologie oder für Friedenspolitik, Umweltschutz und Frauenrechte betätigten, das Feindbild laufend aktualisiert und erweitert.

Als Konsequenz forderte die PUK mit einer parlamentarischen Initiative ein verbessertes Oberaufsichtsrecht der Geschäftsprüfungskommissionen (Pa.Iv. 89.243). In besonderen Fällen sollen die GPK beider Räte (GPK-NR und GPK-SR) eine gemeinsame Delegation bestimmen können, welche, ähnlich wie eine PUK, auch als geheim klassierte Akten einsehen kann. Mit einer ersten Motion forderte sie zudem eine organisatorische Trennung zwischen der Funktion des Bundesanwalts als oberstem Ankläger und seiner Stellung als oberstem Verantwortlichen der Bundespolizei. Mit einer zweiten Motion verlangte sie die Erarbeitung von genauen Kriterien über die Erfassung von Daten durch die politische Polizei und die Schaffung von gewissen Datenschutzbestimmungen auch in diesem Bereich.

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Der Bericht enthält aber auch eine detaillierte Chronik der Ereignisse vor dem Eingeständnis des Telefongesprächs von alt-Bundesrätin Kopp mit ihrem Mann. Kein gutes Licht auf die Alt-Bundesrätin warfen die im PUK-Bericht gemachten Feststellungen über ihr Verhalten. So sei sie auf den Rat ihrer eingeweihten Chefbeamten, das ominöse Telefongespräch bekanntzugeben, bevor es von den Medien aufgedeckt werde, nicht eingetreten. Kurz bevor sie durch die Berichte in der Presse dann doch zu einem Geständnis gezwungen worden sei, habe sie versucht, die Schuld auf ihre persönliche Mitarbeiterin abzuwälzen. Für die in einigen Medien geäusserten schwerwiegenderen Verdächtigungen gegen Elisabeth Kopp im Zusammenhang mit ihrer Amtsführung als Justizministerin fand allerdings auch die PUK keine Anhaltspunkte. Alt-Bundesrätin Kopp war freilich mit der Darstellung nicht einverstanden. Über ihren Anwalt verlangte sie erfolglos, dass der PUK-Bericht zurückzuziehen und das Kapitel über die Umstände ihres Rücktritts zu streichen seien. Kurz darauf wandte sie sich dann allerdings in einem Schreiben an die eidgenössischen Räte. Darin gestand sie erstmals eigene Fehler zu und entschuldigte sich für ihr Verhalten zwischen dem Telefonanruf an ihren Mann und ihrem Rücktritt.

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Vom 19. bis 23. Februar 1990 fand unter grosser Anteilnahme der Medien vor dem Bundesstrafgericht in Lausanne die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens von alt Bundesrätin Elisabeth Kopp statt. Mitangeklagt waren ihre persönliche Mitarbeiterin Katharina Schoop und die ehemalige Mitarbeiterin im Bundesamt für Justiz, Renate Schwob. Die Richter hatten abzuklären, ob es sich bei den unbestrittenermassen an den Gatten von Elisabeth Kopp weitergegebenen Informationen um Amtsgeheimnisse gehandelt hatte, und, wenn ja, ob den Angeklagten eine vorsätzliche oder zumindest eventualvorsätzliche Verletzung des Amtsgeheimnisses – nur diese ist strafbar – nachgewiesen werden kann.

Das Gericht kam zum Schluss, dass es sich bei den Informationen um Amtsgeheimnisse gehandelt habe, da der zugrundeliegende Bericht für die Bundesanwaltschaft bestimmt gewesen sei. Da jedoch nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, dass Elisabeth Kopp um die amtliche Herkunft dieser Informationen wusste, wurde sie vom Vorwurf der vorsätzlichen Amtsgeheimnisverletzung freigesprochen. Nach Ansicht des Gerichts hatte sie es freilich zumindest an der erforderlichen Sorgfalt fehlen lassen, weshalb ihr vier Zehntel der Gerichtskosten auferlegt wurden. Das Verhalten der persönlichen Mitarbeiterin der alt Bundesrätin wurde ebenfalls als nicht strafbar taxiert. Zwar sei bei ihr der Tatbestand der vorsätzlichen Amtsgeheimnisverletzung gegeben, da sie um die Herkunft der Informationen gewusst habe. Ihr wurde aber ein Rechtsirrtum zugestanden, da sie geglaubt habe, zur Weitergabe an ihre Vorgesetzte und deren Mann berechtigt zu sein. Die dritte Angeklagte schliesslich wurde vollumfänglich freigesprochen, da sie nicht habe damit rechnen können, dass die Departementsvorsteherin und ihre persönliche Mitarbeiterin die weitergegebenen Informationen nach aussen tragen würden.

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