Verfassungsartikel über Radio und Fernsehen

Als PDF speichern

Auch im abgelaufenen Jahr war der Bundesrat nicht in der Lage, einen Verfassungsartikel über Radio und Fernsehen samt einem Entwurf für die Ausführungsgesetzgebung vorzulegen. Die Verzögerung, die Kritik hervorrief, war bedingt durch unterschiedliche Vorstellungen über den Inhalt der Radio- und Fernsehfreiheit, die sich auch in der Öffentlichkeit manifestierten. Neben zahlreichen auf Einzelfälle beschränkten Vorstössen im Parlament wurde insbesondere ein Postulat Schürmann (k.-chr., SO) überwiesen; dieses enthielt die Forderung, es seien vermehrt politische, wirtschaftliche und soziale Fragen am Fernsehen zu behandeln, wobei möglichst viele Meinungen berücksichtigt werden sollten.

Für Radio und Fernsehen genehmigte der Bundesrat eine Erhöhung der Konzessionsgebühren auf Neujahr 1973. Im Vordergrund standen jedoch qualitative und strukturelle Fragen. Scharfe Kritik der SVP an einzelnen Informationssendungen des Deutschschweizer Fernsehens und die Forderung von Vertretern der SVP an den Bundesrat, bei der Ausarbeitung des Verfassungsartikels für die beiden Massenmedien wirksamere Kontrollinstanzen vorzusehen, führten wie schon im Vorjahr zu einer Fernsehdebatte im Parlament, die im wesentlichen dieselben gegensätzlichen Argumentationen brachte wie diejenige von 1971. Angesichts der kontroversen Stellungnahmen hatte die juristische Expertenkommission, die auf Grund der Vernehmlassungen aus den Jahren 1968 und 1969 einen Artikel ausarbeiten sollte, Mühe, zu einem gemeinsamen Vorschlag zu kommen. Der Bundesrat entschloss sich deshalb, diesen den interessierten Kreisen noch einmal zur Meinungsäusserung zu unterbreiten.

Radio und Fernsehen mit ihrer Vielzahl von staatspolitischen, kulturpolitischen, rechtlichen, technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Problemen blieben für Beobachter wie Beteiligte weiterhin in vieler Hinsicht unbewältigte Medien. Die Arbeiten für eine Verfassungsgrundlage kamen in das Stadium eines Bundesratsentwurfs. Das EVED hatte im Januar einen neuen, die bisherigen Diskussionen berücksichtigenden Entwurf zu einem Artikel 36quater BV über Radio und Fernsehen ins Vernehmlassungsverfahren geschickt. Aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen, die nochmals das breite Spektrum der medienpolitischen Konzeptionen aufzeigten, konnte der Bundesrat schliesslich einen nur mehr leicht modifizierten Text verabschieden. Die endgültige Definierung der bisher umstrittensten Punkte bleibt freilich der noch zu erwartenden Ausführungsgesetzgebung überlassen. Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) setzte ihre Reorganisation fort und stiess dabei verschiedentlich auf Unbehagen und Kritik. Die Erneuerung der Organisationsstruktur entsprach nicht dem Vorschlag der mit umfassenden Reformstudien beauftragten Unternehmensberatungsfirma Hayek, der in vielen Augen den neuen Funktionen – besonders der Technik – besser Rechnung getragen hätte.

Die immer dringlicher werdende Eingliederung von Radio und Fernsehen in die Verfassungsordnung kam 1974 nur mühsam voran. Der Bundesrat hatte 1973 einen Entwurf vorgelegt, der gegenüber der Version von 1968 wesentlich ausführlicher war und neu mehrere Grundsätze programmpolitischer Natur festhielt (z. B. Wahrung und Förderung der geistigen, sozialen, kulturellen und religiösen Werte der Bevölkerung). Die Gesetzgebung sollte ferner die Freiheit der Institutionen – öffentlichen oder privaten Rechts – in der Schaffung und Verbreitung der Programme gewährleisten. Der Ständerat, der den Text als erste Kammer hätte beraten müssen, war nicht in der Lage, das schwierige Traktandum zu erledigen. Seine vorberatende Kommission unter dem Vorsitz von R. Broger (cvp, AI) beschloss im Februar, vor der definitiven Beratung Hearings durchzuführen. Aussprachen mit Fachleuten und ein vielbeachteter Besuch in den Zürcher Fernsehstudios, wo sich die Ratsherren umstrittene Filme vorführen liessen, führten schliesslich zu einer eigenen, gegenüber dem Entwurf des Bundesrates leicht abweichenden Fassung des Artikels 36 quater. Neu wurde die Bestimmung aufgenommen, dass der Gesetzgeber auf die Stellung und die Aufgabe anderer Informationsträger, vor allem auf die Presse, Rücksicht zu nehmen habe – ein Ansatz zu einer umfassenden Medienpolitik, der im Hinblick auf die Neufassung von Art. 55 BV (Presseartikel) begrüsst wurde und auch eine Handhabe gibt, die pressepolitisch unerwünschte Werbung im lokalen Kabelfernsehen zu verbieten. Mit dem Vorschlag der Schaffung einer unabhängigen Beschwerdeinstanz wurde ein in medienpolitischen Diskussionen schon mehrfach geäussertes Begehren wieder aufgenommen. In der Fassung der Kommission werden ferner neu die ,Interessen der Kantone und die Achtung vor der Persönlichkeit erwähnt. Eine Erkrankung des Kommissionspräsidenten Broger verzögerte schliesslich die Behandlung im Rat.

Trotz der gespannten Lage kamen die parlamentarischen Beratungen des neuen Verfassungsartikels für Radio und Fernsehen bis auf wenige, materiell unbedeutende Fragen zu einem Abschluss. Verantwortlich für die umgehende Behandlung waren nicht zuletzt die Probleme des Kabelfernsehens, die dringlich nach einer Lösung verlangten. Rufe nach einer umfassenden verfassungsrechtlichen Ordnung des gesamten Kommunikationsbereichs mussten demgegenüber in den Hintergrund treten. Der Ständerat überwies der Grossen Kammer Ende Januar einen sehr detaillierten Entwurf, dessen wesentlichste Punkte wir bereits erwähnt haben. Besondere Beachtung fand die Befürwortung einer unabhängigen Beschwerdeinstanz, welche hauptsächlich von den Westschweizer und Tessiner Standesherren, die allgemein liberalere Auffassungen vertraten, bekämpft worden war. Im Nationalrat verdeutlichten längere Debatten einmal mehr die Standpunkte. Einem Lager konservativ-bürgerlicher Ratsherren, welche die umstrittenen Medien als mächtige «vierte Gewalt» einer stärkeren Kontrolle zu unterwerfen suchten, standen vorwiegend linke, aber auch liberale und christlich-soziale Exponenten gegenüber, welche die unerlässliche Kritikfunktion der Medien unterstrichen und insbesondere auch die Verankerung der Freiheit der Programmschaffenden forderten. Dass es in dieser Frage zu keinem schwerwiegenden Bruch kam, war in einer wichtigen Verhandlungsphase einem differenzierten Kompromissvorschlag von A. Müller-Marzohl (cvp, LU) zu verdanken, der eine freiheitliche Gestaltung der Programme «im Rahmen der Richtlinien» vorschlug. Die Grosse Kammer straffte im übrigen die Vorlage in einigen Punkten und übertrug ausserdem dem Bund die im Hinblick auf das Kabelfernsehen bedeutsame Kompetenz, für die Verbreitung von Programmen Konzessionen zu erteilen. Die Kommentatoren fanden für die Debatten und für deren Ergebnisse nicht überall gute Worte. Hans Tschäni sprach gar von einer überempfindlichen, engdenkenden Politikergeneration, die das Risiko der Freiheiten nicht mehr akzeptiere.

Les positions au sujet de l'article sur la radio et la télévision étaient clairement délimitées: les socialistes et l'extrême-gauche se sont opposés au projet, les partis bourgeois l'ont soutenu et l'Alliance des indépendants a laissé la liberté de vote. L'article proposé a cependant été rejeté par 696'039 non contre 531'328 oui, avec une participation de 33.5 pourcent. Trois cantons et un demi-canton seulement l'ont accepté: AI, FR, TI, UR. Après la décision populaire, le conseiller aux Etats Broger (pdc, AI) s'est élevé contre une «pause de réflexion du Conseil fédéral» trop longue. Il a souligné, dans son intervention parlementaire, l'urgence de donner à la télévision par câble une base légale qui devrait être élaborée aussi rapidement que possible, vu les demandes en suspens


Votation du 26 semptembre 1976

Participation: 33.51%
Oui: 531'328 (43.3%) / Cantons: 3.5
Non: 696'039 (56.7%) / Cantons: 18.5

Consignes de vote:
– Oui: PDC, PEV, PLR (1*), PLS, MRS, DS, UDC; UPS, USP, USAM, TravS
– Non: PST, POCH, PSS
– Liberté de vote: AdI; USS
*entre parenthèses: nombre de sections cantonales divergentes

Der neue Verfassungsartikel für Radio und Fernsehen böte auch die Grundlage zu einer befriedigenden Ordnung für das Kabelfernsehen. Aufgrund der seit 1977 geltenden Regelung wurden mehrere Versuche bewilligt. Darunter ist derjenige in Baden hervorzuheben, der von einer wissenschaftlichen Untersuchung begleitet wird und bis 1981 dauern soll. Abgelehnt wurde dagegen die «Züri Vision», ein von der Rediffusion, dem «Tages-Anzeiger» und dem Ringier-Verlag eingereichtes Projekt im Hinblick auf die Zürcher Wahlen. Das Departement Ritschard schrieb dazu unter anderem, dass das Kabelfernsehen das Informationsangebot ergänzen und die Vielfalt der Informationsträger vermehren sollte. Es werde medienpolitisch nicht richtig eingesetzt, wenn es bestehende Konzentrationen noch verstärke.

Die beiden Varianten für einen Radio- und Fernsehartikel statuieren kein rechtliches Monopol bezüglich der Trägerschaft der elektronischen Medien. Das EVED kommentierte, es müsste zumindest die Möglichkeit mehrerer untereinander konkurrierender Veranstalter offen gelassen werden. 1978 verlängerte der Bundesrat allerdings die Konzession der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) um drei (nicht wie bis anhin um fünf) Jahre, obwohl in zwei parlamentarischen Vorstössen eine Kündigung derselben gefordert worden war. Die SRG war im Berichtsjahr mehrfach ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Selbst Bundespräsident W. Ritschard warf der Institution in einem Brief mangelnde Öffentlichkeitsarbeit, Zugeknöpftheit zwischen den verschiedenen Stufen des Kaders und Intrigen statt Solidaritätsbeweisen vor.

Die Ausarbeitung eines neuen Verfassungsartikels für Radio und Fernsehen war rasch an die Hand genommen worden: Anfang Dezember, zwei Jahre nach dem Scheitern der letzten Vorlage, schickte das EVED zwei Vorschläge in die Vernehmlassung. Die erste Variante, ein reiner Kompetenzartikel, strebt eine offene verfassungsrechtliche Grundlage an. Sie sagt nichts über die Ausführungsgesetzgebung aus. In der zweiten Variante werden Radio und Fernsehen als Medien verstanden, deren staats- und gesellschaftspolitische Rollen ausdrücklich formuliert sein sollen. Im Zentrum steht jedoch die Mündigkeit des Radio- und Fernsehkonsumenten; die beiden Medien haben zur selbständigen Meinungsbildung der Zuhörer und Zuschauer beizutragen.

Das Vernehmlassungsverfahren zum neuen Verfassungsartikel über Radio und Fernsehen, der wegen des Tempos der technischen Entwicklung der Medien-Gesamtkonzeption vorgezogen werden muss, wurde Mitte Jahr abgeschlossen. Mit Ausnahme der FDP, der SVP und des Arbeitgeberverbandes, die einen reinen Kompetenzartikel befürworteten, sprachen sich die andern Stellungnahmen für eine inhaltsreichere Verfassungsaussage aus. Mehrheitlich wurde auch die Schaffung einer unabhängigen Beschwerdeinstanz gefordert. Die SRG selbst würde zwei getrennte Artikel begrüssen, um zu verhindern, dass die Kompetenzfrage nochmals der inhaltlichen Regelung zum Opfer fällt. Sie hatte zu Jahresbeginn ihre neuen Statuten genehmigt, die im wesentlichen die Öffnung der bis anhin geschlossenen Mitgliederorganisationen der Westschweiz, die Erleichterung der Neugründung von Mitgliedergesellschaften und die Vergrösserung des Zentralvorstands brachte. Die SRG meinte damit die Grundvorschläge der Hayek-Reformstudie aus dem Jahre 1973 verwirklicht zu haben, ihre Kritiker waren sich jedoch darin einig, dass sie damit begraben worden seien. Sie bemängelten insbesondere, dass eine repräsentative Zusammensetzung der Mitgliedgesellschaften und der Gremien weiterhin nicht gewährleistet ist und dass die zentralistischen Tendenzen eher verstärkt worden sind. Ende Jahr revidierten auch die Regionalgesellschaften der deutschen und rätoromanischen sowie der französischen Schweiz (DRS und SRTR) ihre Statuten, wobei letztere zur Bildung von sieben Kantonalgesellschaften aufrief, die die beiden bisherigen Trägerorganisationen in Genf und Lausanne ersetzen sollen. Die im Vorjahr vom Nationalrat überwiesene Motion Oehler (cvp, SG), die sich gegen eine 15-prozentige SRG-Gebührenerhöhung wandte, wurde vom Ständerat abgelehnt; dieser forderte jedoch in einem Postulat, dass die zusätzlichen Einnahmen zur Verbesserung der Programmqualität verwendet werden. In entsprechendem Sinne wurde die Gebührenerhöhung dann vom Bundesrat mit etlicher Verspätung im Herbst in Kraft gesetzt. Oehler gab sich damit jedoch nicht zufrieden und verlangte in einer neuen Motion die Zuständigkeit des Parlaments zur Festsetzung der SRG-Gebühren.

In einzelnen Fällen reagierten die SRG und viele Medienschaffende empfindlich aus Furcht vor Übergriffen des Staates. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats prüfte die Aufsicht des Bundes über die SRG und kam zum Schluss, dass diese im administrativen und finanziellen Bereich verstärkt werden sollte. Obwohl die Kommission ausdrücklich festhielt, dass sie kein Staatsfernsehen anstrebe, wurde sie einer solchen Tendenz verschiedentlich beschuldigt, zumal der Kommissionsbericht auch Auswirkungen auf die bevorstehende Anpassung der SRG-Konzession haben könnte. Sodann veranlasste die unsachgemässe Kürzung eines Fernsehinterviews mit dem damaligen iranischen Vizepremierminister Entezam den Bundesrat zur Einleitung einer Untersuchung, obschon der Fehler sofort eingestanden und korrigiert wurde. Insbesondere der Vorwurf, dass das Interview überhaupt inopportun gewesen sei und die äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet habe, sowie die Forderung nach einer wirksameren Überwachung von Konzeption, Realisation und Ausstrahlung von Informationssendungen stiess auf vehemente Pressekritik, wobei sich vor allem die welsche Presse für die Informationsfreiheit einsetzte. Gegen eine weitere vom EVED registrierte Konzessionsverletzung am Westschweizer Fernsehen erhob die Generaldirektion SRG Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Andere Beschwerden gegen Radio- und Fernsehsendungen wurden abgewiesen, wobei das Unbehagen über die SRG-internen Beschwerdeinstanzen bestehen blieb. Um die Entscheide des EVED in Beschwerdesachen breiter abzustützen, verfügte Bundesrat Ritschard im Sommer die Einsetzung einer fünfköpfigen verwaltungsunabhängigen Beschwerdeinstanz, die als beratendes Organ seines Departements fungieren soll. Zu ihrem Präsidenten wurde der Publizist Oskar Reck gewählt. Die Schaffung einer SRG-externen unabhängigen Beschwerdeinstanz forderte in der Dezembersession eine Motion von Ständerat Guntern (cvp, VS), die überwiesen wurde.