Volksabstimmung über den Ausbau der Volksrechte (Pa.Iv. 99.436)

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Die damit befassten Subkommissionen der SPK beider Räte beschlossen, wie die im Sommer 1999 gescheiterten Pläne des Bundesrats für eine Reform der Volksrechte weiter verfolgt werden sollen. Auf die für das damalige Scheitern verantwortliche Erhöhung der Unterschriftenzahl für Initiative und Referendum soll ebenso verzichtet werden wie auf eine Verkürzung der Sammelfristen. Festhalten möchte man jedoch an der Einführung einer „allgemeinen Volksinitiative“. Damit könnte eine Forderung in allgemeiner Form eingebracht werden, über die genaue Formulierung und die Frage, ob das Anliegen auf Gesetzes- oder Verfassungsstufe zu behandeln sei, würde dann das Parlament entscheiden.

Dossier: Ausbau der Volksrechte (Allgemeine Volksinitiative, Fakultatives Staatsvertragsreferendum) (2003)

Die SPK-SR konkretisierte ihre früher geäusserte Absicht, wenigstens die kaum umstrittenen Anliegen aus dem im Rahmen der Verfassungstotalrevision gescheiterten „Reformpaket Volksrechte“ weiter zu verfolgen. Mit einer parlamentarischen Initiative beantragte sie die Einführung der „allgemeinen Volksinitiative“, deren Ziele auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe realisiert werden können. Ist das Parlament mit der als Anregung formulierten allgemeinen Initiative einverstanden, arbeitet es eine entsprechende Vorlage auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe aus, welche dann dem obligatorischen resp. bei einem Gesetz dem fakultativen Referendum unterstellt ist. Sind die Initianten mit der Umsetzung ihrer Idee durch das Parlament nicht zufrieden, sollen sie sich beim Bundesgericht beschweren dürfen. Lehnt die Bundesversammlung die Initiative ab, findet darüber eine Volksabstimmung statt. Im Unterschied zum ursprünglichen Vorschlag des Bundesrats soll es dem Parlament aber in diesem Fall erlaubt sein, einer allgemeinen Initiative noch vor dem Volksentscheid einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Damit könnte verhindert werden, dass sich die Stimmberechtigten zweimal (zuerst zur Initiative und später dann noch zum Gegenvorschlag) an die Urne begeben müssen. Als zweite Neuerung schlug die SPK eine Ausweitung des fakultativen Staatsvertragsreferendums auf alle Abkommen vor, die wichtige rechtsetzende Normen enthalten oder zum Erlass von Gesetzen verpflichten. Bisher waren nur Verträge dem fakultativen Referendum unterstellt, welche eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführen. Die SPK des Ständerats, welche ja seinerzeit einer Heraufsetzung der Unterschriftenzahl zugestimmt hatte, wollte auch jetzt nicht ganz auf die Erschwerung des Initiativrechts verzichten. Sie beantragte eine Verkürzung der Sammelfrist für Volksinitiativen von achtzehn auf zwölf Monate.

Dossier: Ausbau der Volksrechte (Allgemeine Volksinitiative, Fakultatives Staatsvertragsreferendum) (2003)

Der Bundesrat war grundsätzlich mit diesen Neuerungen einverstanden. Er unterstützte aber einen Antrag der Kommissionsminderheit, dass analog zum Referendumsrecht auch eine Volksinitiative (inkl. die neue allgemeine Volksinitiative) von acht Kantonen eingereicht werden kann. Bei der Unterschriftenzahl vertrat er ebenfalls eine etwas andere Position als die SPK: Damit das neue Instrument der allgemeinen Volksinitiative auch benutzt wird, soll es mit einer Unterschriftenzahl von bloss 70'000 attraktiver sein als die normale Volksinitiative. Parallel dazu beantragte er, die für ein Referendum erforderliche Unterschriftenzahl auf 70'000 heraufsetzen.

Dossier: Ausbau der Volksrechte (Allgemeine Volksinitiative, Fakultatives Staatsvertragsreferendum) (2003)

Der Ständerat beriet die Vorlage in der Herbstsession. Er stimmte der Einführung der allgemeinen Volksinitiative zu. Hingegen sprach er sich knapp gegen eine Verkürzung der Sammelfrist für Volksinitiativen auf zwölf Monate aus; die erforderliche Unterschriftenzahl wurde gemäss dem Antrag der SPK auch für die allgemeine Volksinitiative auf 100'000 festgelegt. Der Bundesrat vermochte sich mit seinem Antrag durchzusetzen, neu auch den Kantonen das Recht auf die Einreichung einer Volksinitiative zu erteilen. Erfolgreich war der Bundesrat ebenfalls mit seinem Antrag, dass bei völkerrechtlichen Verträgen, welche zwingende Rechtsreformen verlangen, die einzelnen Revisionen im Sinne einer Paketlösung dem Referendum entzogen werden können; dem fakultativen Referendum unterstellt wäre dann nur noch der Vertrag an sich. Die Möglichkeit, dass das Parlament einer allgemeinen Volksinitiative sofort einen Gegenvorschlag gegenüberstellen und gleichzeitig mit der Initiative dem Volk unterbreiten kann, wurde in dem Sinne präzisiert, dass dies nur bei vom Parlament abgelehnten Volksinitiativen möglich sein soll.

Dossier: Ausbau der Volksrechte (Allgemeine Volksinitiative, Fakultatives Staatsvertragsreferendum) (2003)

Der Nationalrat behandelte als Zweitrat die Verfassungsänderungen zur Einführung der „allgemeinen Volksinitiative“ und zur Ausweitung des fakultativen Staatsvertragsreferendums auf alle Abkommen, die wichtige rechtsetzende Normen enthalten oder zum Erlass von Gesetzen verpflichten. Die vom Ständerat vor einem Jahr neu in das Reformpaket aufgenommene Kantonsinitiative, die von acht Kantonen eingereicht werden kann, wurde vom Nationalrat mit 86:60 Stimmen gestrichen. Die SVP-Fraktion beantragte erfolglos, auf die allgemeine Volksinitiative zu verzichten, da damit das sonst bei Volksinitiativen verlangte Ständemehr umgangen werden kann (wenn das Parlament eine Umsetzung auf Gesetzesebene beschliesst). Keinen Erfolg hatte auch die SP, die zusammen mit dem Bundesrat für eine Unterschriftenzahl von 70'000 statt 100'000 plädierte. Gescheitert ist die SP auch mit ihrem Versuch, das als „Mini-Reform“ charakterisierte Vorhaben doch noch etwas auszupolstern: der Nationalrat lehnte sowohl die Einführung der ausformulierten Gesetzesinitiative, wie sie in allen Kantonen ausser dem Jura besteht, als auch das neue Instrument der Volksmotion für die Aussenpolitik ab. Mit letzterem hätten 10'000 Stimmberechtigte dem Parlament beantragen können, den Bundesrat zu beauftragen, in internationalen Gremien bestimmte Anliegen zu vertreten. In der Gesamtabstimmung stimmte die Linke der Reform der Volksrechte gleichwohl zu. Im Gegensatz dazu lehnten die SVP und die Liberalen die Vorlage geschlossen ab. In der zweiten Runde der Differenzbereinigung verzichtete der Ständerat knapp (19:16 Stimmen) auf die Kantonsinitiative. In der Schlussabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 102:67 Stimmen an. Die Hauptopposition kam aus der SP-Fraktion. Diese hatte aus Protest gegen die ihrer Ansicht nach zu hohe Unterschriftenzahl für die allgemeine Volksinitiative (100'000) Nein gestimmt. Dagegen gestimmt hatten auch die Liberalen, während sich die Grünen der Stimme enthielten; im Ständerat gab es sieben Gegenstimmen.

Dossier: Ausbau der Volksrechte (Allgemeine Volksinitiative, Fakultatives Staatsvertragsreferendum) (2003)

Die Volksabstimmung über die Verfassungsänderungen zur Einführung der „allgemeinen Volksinitiative“ und zur Ausweitung des fakultativen Staatsvertragsreferendums fand am 9. Februar statt. Die Kampagne vermochte keine hohen Wellen zu werfen. Von der SP und der GP wurde die Vorlage wie bereits im Parlament bekämpft, da sie die Ausgestaltung der allgemeinen Volksinitiative mit den verlangten 100'000 Unterschriften als zu wenig attraktiv betrachteten. Das bürgerliche Lager war gespalten: Die FDP und die CVP empfahlen zwar Zustimmung, Parlamentarier aus ihren Reihen wirkten aber auch beim Kontra-Komitee mit und einige Kantonalsektionen der FDP gaben die Nein-Parole aus. Die SVP und die Liberalen lehnten die Reform ab, wobei ihr Hauptargument die potentielle Umgehung des Ständemehrs bei der Umsetzung einer Initiative auf Gesetzesebene war.


Bundesbeschluss über den Ausbau der Volksrechte
Abstimmung vom 9. Februar 2003

Beteiligung: 29%
Ja: 934'005 (70,4%) / 20 6/2 Stände
Nein: 393'638 (29,6%) / 0 Stände

Parolen:
— Ja: FDP (6*), CVP, SD, FP, EDU; SBV.
— Nein: SP (1*), SVP (4*), LP, GP, EVP; SGB.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen


Bei einer sehr niedrigen Stimmbeteiligung von 29% stimmte das Volk der Reform der Volksrechte mit einem Ja-Stimmenanteil von 70% deutlich zu. In allen Kantonen wurde die Reform angenommen: am deutlichsten in Freiburg mit 77%, am schwächsten in Schaffhausen mit 56%. Die Vox-Analyse ergab, dass der Vorlage von den Stimmberechtigten keine grosse Bedeutung zugemessen worden war. Unterschiede im Stimmverhalten gab es kaum; insbesondere hatten die Linke und die SVP ihre eigene Anhängerschaft mit ihrer Nein-Parole nicht zu überzeugen vermocht. Zur niedrigen Stimmbeteiligung (sie war bisher nur zweimal noch schlechter gewesen) hatte auch beigetragen, dass neben dieser Vorlage nur noch eine kaum bestrittene Revision des Krankenversicherungsgesetzes zur Abstimmung kam.

Dossier: Ausbau der Volksrechte (Allgemeine Volksinitiative, Fakultatives Staatsvertragsreferendum) (2003)