Zuletzt aktualisiert: 29.03.2017, 11:22 Uhr

Dossier: Ausbau der Volksrechte (Allgemeine Volksinitiative, Fakultatives Staatsvertragsreferendum) (2003) Als PDF speichern

Beseitigung von Mängeln der Volksrechte (Pa.Iv. 99.436)

Die damit befassten Subkommissionen der beider Räte (SPK-NR und SPK-SR) beschlossen, wie die im Sommer 1999 gescheiterten Pläne des Bundesrats für eine Reform der Volksrechte weiter verfolgt werden sollen. Auf die für das damalige Scheitern verantwortliche Erhöhung der Unterschriftenzahl für Initiative und Referendum soll ebenso verzichtet werden wie auf eine Verkürzung der Sammelfristen. Festhalten möchte man jedoch an der Einführung einer «allgemeinen Volksinitiative». Damit könnte eine Forderung in allgemeiner Form eingebracht werden, über die genaue Formulierung und die Frage, ob das Anliegen auf Gesetzes- oder Verfassungsstufe zu behandeln sei, würde dann das Parlament entscheiden.

Die SPK-SR konkretisierte ihre früher geäusserte Absicht, wenigstens die kaum umstrittenen Anliegen aus dem im Rahmen der Verfassungstotalrevision gescheiterten «Reformpaket Volksrechte» weiter zu verfolgen. Mit einer parlamentarischen Initiative beantragte sie die Einführung der «allgemeinen Volksinitiative», deren Ziele auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe realisiert werden können. Ist das Parlament mit der als Anregung formulierten allgemeinen Initiative einverstanden, arbeitet es eine entsprechende Vorlage auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe aus, welche dann dem obligatorischen resp. bei einem Gesetz dem fakultativen Referendum unterstellt ist. Sind die Initianten mit der Umsetzung ihrer Idee durch das Parlament nicht zufrieden, sollen sie sich beim Bundesgericht beschweren dürfen. Lehnt die Bundesversammlung die Initiative ab, findet darüber eine Volksabstimmung statt. Im Unterschied zum ursprünglichen Vorschlag des Bundesrats soll es dem Parlament aber in diesem Fall erlaubt sein, einer allgemeinen Initiative noch vor dem Volksentscheid einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Damit könnte verhindert werden, dass sich die Stimmberechtigten zweimal (zuerst zur Initiative und später dann noch zum Gegenvorschlag) an die Urne begeben müssen. Als zweite Neuerung schlug die SPK eine Ausweitung des fakultativen Staatsvertragsreferendums auf alle Abkommen vor, die wichtige rechtsetzende Normen enthalten oder zum Erlass von Gesetzen verpflichten. Bisher waren nur Verträge dem fakultativen Referendum unterstellt, welche eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführen. Die SPK des Ständerats, welche ja seinerzeit einer Heraufsetzung der Unterschriftenzahl zugestimmt hatte, wollte auch jetzt nicht ganz auf die Erschwerung des Initiativrechts verzichten. Sie beantragte eine Verkürzung der Sammelfrist für Volksinitiativen von achtzehn auf zwölf Monate.

Der Bundesrat war grundsätzlich mit diesen Neuerungen einverstanden. Er unterstützte aber einen Antrag der Kommissionsminderheit (SPK), dass analog zum Referendumsrecht auch eine Volksinitiative (inkl. die neue allgemeine Volksinitiative) von acht Kantonen eingereicht werden kann. Bei der Unterschriftenzahl vertrat er ebenfalls eine etwas andere Position als die SPKSPK: Damit das neue Instrument der allgemeinen Volksinitiative auch benutzt wird, soll es mit einer Unterschriftenzahl von bloss 70'000 attraktiver sein als die normale Volksinitiative. Parallel dazu beantragte er, die für ein Referendum erforderliche Unterschriftenzahl auf 70'000 heraufsetzen.

Der Ständerat beriet die Vorlage in der Herbstsession. Er stimmte der Einführung der allgemeinen Volksinitiative zu. Hingegen sprach er sich knapp gegen eine Verkürzung der Sammelfrist für Volksinitiativen auf zwölf Monate aus; die erforderliche Unterschriftenzahl wurde gemäss dem Antrag der SPK auch für die allgemeine Volksinitiative auf 100'000 festgelegt. Der Bundesrat vermochte sich mit seinem Antrag durchzusetzen, neu auch den Kantonen das Recht auf die Einreichung einer Volksinitiative zu erteilen. Erfolgreich war der Bundesrat ebenfalls mit seinem Antrag, dass bei völkerrechtlichen Verträgen, welche zwingende Rechtsreformen verlangen, die einzelnen Revisionen im Sinne einer Paketlösung dem Referendum entzogen werden können; dem fakultativen Referendum unterstellt wäre dann nur noch der Vertrag an sich. Die Möglichkeit, dass das Parlament einer allgemeinen Volksinitiative sofort einen Gegenvorschlag gegenüberstellen und gleichzeitig mit der Initiative dem Volk unterbreiten kann, wurde in dem Sinne präzisiert, dass dies nur bei vom Parlament abgelehnten Volksinitiativen möglich sein soll.

Verzicht auf die Einführung der allgemeinen Volksinitiative (Pa.Iv. 06.458)

Nachdem sich in einer Vernehmlassung fast niemand für die konkrete Umsetzung der 2003 in die Verfassung aufgenommenen allgemeinen Volksinitiative ausgesprochen hatte und sich auch die Räte nicht begeistert gezeigt hatten, beantragte die SPK des Nationalrats die Streichung dieser Verfassungsbestimmung. Der auch vom Bundesrat unterstützte Antrag hat die Rechtsform einer parlamentarischen Initiative und muss, da es sich um eine Verfassungsänderung handelt, sowohl vom Parlament als auch von Volk und Ständen genehmigt werden. Der Nationalrat stimmte dem Verzicht auf die allgemeinen Volksinitiative bei einer Gegenstimme (Lustenberger, cvp, LU) zu; der Ständerat bei einer Enthaltung. Lustenberger begründete seine Opposition damit, dass er als damaliges SPK-Kommissionsmitglied an der Entstehung dieses Instruments beteiligt gewesen war und von ihm immer noch überzeugt sei.

In der Volksabstimmung vom 27. September waren Volk und Stände damit einverstanden, auf die 2003 in die Verfassung aufgenommene allgemeine Volksinitiative wieder zu verzichten. Eine Kampagne fand nicht statt; gegen die Streichung ausgesprochen hatten sich nur die Lega und die PdA. Das Resultat fiel mit einem Ja-Stimmenanteil von 67,9% (1 307 237 Ja gegen 618 664) und keinem einzigen ablehnenden Kanton deutlich aus.

Abstimmung vom 27. September 2009

Beteiligung: 40,4%
Ja: 1 307 237 (67,9%) / 20 6/2 Stände
Nein: 618 664 (32,1%) / 0 Stände

Parolen:
– Ja: SVP, SP, FDP (1)*, CVP (2)*, GP (1)*, EVP, BDP, GLP, CSP, EDU (1)*, FPS, SD; SGV, SBV, Travail.Suisse.
– Nein: Lega, PdA.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Die VOX-Analyse zur Abstimmung über die allgemeine Volksinitiative vom 27. September 2009 zeigte für die Abstimmung, die praktisch ohne vorgängige Kampagne durchgeführt worden war, wenig verwunderliche Resultate. Mehr als 50 Prozent der Teilnehmenden konnten keine substantielle Antwort auf die Frage geben, worum es bei der Abstimmung überhaupt ging. Politische Merkmale, also die Parteiensympathie oder die Links-Rechts-Verortung, spielten keine Rolle für den Abstimmungsentscheid. Allerdings zeigte sich das Regierungsvertrauen als erklärungskräftig. Die Autoren der VOX-Studie führten dies darauf zurück, dass in Ermangelung anderer «Elitesignale» die Empfehlung des Bundesrats als einzige «Entscheidhilfe bei der Meinungsbildung» gedient habe. Eine weitere Stütze für diese Schlussfolgerung dürfte die «aussergewöhnlich hohe Zahl» von Befragten sein, die ihren Stimmentscheid mit der Empfehlung von Parlament und Regierung begründeten. Dass die Befragten vergleichsweise schlecht informiert waren, zeigte sich mitunter daran, dass mehr als ein Fünftel der befragten Nein-Stimmenden nicht mehr wussten, weshalb sie Nein gestimmt hatten, und dass sehr viele Befragte die vorgelegten Argumente nicht bewerten konnten (also mit «weiss nicht» antworteten). Die Autorenschaft der VOX-Analyse fasste zusammen, «dass infolge eines hohen Desinteresses und eines fehlenden Abstimmungskampfes die StimmbürgerInnen vom Entscheidmaterial überfordert waren».