Volksinitiative Volkssouveränität statt Behördenpropaganda (BRG 05.054)

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Wesentlich weiter als die parlamentarische Initiative Fehr will eine anfangs Jahr von einem Komitee lancierte Volksinitiative „Volkssouveränität statt Behördenpropaganda“ gehen. Sie will dem Bundesrat und den Spitzenkadern der Bundesverwaltung während Abstimmungskampagnen jegliche in Zusammenhang mit der Abstimmung stehende Medienauftritte verbieten. Zugelassen wäre nur noch eine einmalige kurze Information über den Abstimmungsgegenstand durch den Departementsvorsteher. Nicht erlaubt wäre auch die Finanzierung, Erarbeitung und Bereitstellung von Informations- und Propagandamaterial durch die Bundesverwaltung.

Die 2003 lancierte VolksinitiativeVolkssouveränität statt Behördenpropaganda“ wurde im August mit 106'344 gültigen Unterschriften eingereicht. Noch vor der Veröffentlichung der Botschaft an das Parlament gab der Bundesrat bekannt, dass er diese Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfehlen werde. Die Absicht der SPK des Nationalrats, die amtliche Abstimmungsbroschüre (Bundesbüchlein) in Zukunft statt vom Bundesrat von einem Ausschuss des Parlaments schreiben zu lassen, scheiterte am Veto der SPK des Ständerats, welche die Unterstützung einer entsprechenden parlamentarischen Initiative ablehnte.

Der Bundesrat beantragte dem Parlament, die Volksinitiative „Volkssouveränität statt Behördenpropaganda“ ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Die von der Initiative verlangten massiven Einschränkungen für den Bundesrat und die Bundesverwaltung würden seiner Meinung nach eine sachliche Information der Stimmenden stark beeinträchtigen, da diese praktisch ausschliesslich auf die von Privaten verbreiteten Informationen und Behauptungen angewiesen wären. Insbesondere verbiete es die Initiative den Behörden, Stellung zu Falschaussagen zu nehmen. Damit wäre nach Ansicht des Bundesrates die freie Meinungsbildung nicht nur beeinträchtigt, sondern sogar gefährdet. Die in letzter Zeit geschaffenen verwaltungsinternen Richtlinien für die Öffentlichkeitsarbeit sowie die Gerichtspraxis habe zudem dafür gesorgt, dass sich das Engagement von Regierung und Verwaltung im Vorfeld von Volksabstimmungen in Grenzen halte und die Bürgerinnen und Bürger nicht von einer behördlichen Propagandawelle überrollt würden. Die Initiative wurde vom rechtskonservativen Verein „Bürger für Bürger“ lanciert, die SVP war daran nicht direkt beteiligt, unterstützte aber die Unterschriftensammlung.

Die SPK des Ständerates folgte diesen Argumenten des Bundesrates und beantragte bei einer Enthaltung (Reimann, svp, AG), die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen, was das Plenum in der Herbstsession denn auch mit 34 zu 3 Stimmen tat. Sowohl im Referat der SPK-Sprecher als auch in der Diskussion im Plenum kam allerdings zum Ausdruck, dass bei den Gegnern des Volksbegehrens ebenfalls ein gewisses Unbehagen vorhanden ist über die Rolle, welche die Behörden und dabei insbesondere die Verwaltung seit einigen Jahren in Abstimmungskampagnen spielen. Auf Antrag ihrer SPK überwies die kleine Kammer eine Motion des Nationalrats aus dem Jahre 2003 in Postulatsform (03.3179). Diese verlangt gewisse rechtliche Leitplanken für den Auftritt der Bundesstellen in Abstimmungskämpfen. Eine Mehrheit der SPK der beiden Räten war sich aber einig, dass der Bundesrat bei allen Volksabstimmungen aktiv informieren und dabei „klar und objektiv die Haltung der Bundesbehörden“ vertreten solle. Eine entsprechende parlamentarische Initiative Burkhalter (fdp, NE) (04.463) fand in beiden Kommissionen Unterstützung, wurde im Plenum aber noch nicht behandelt. Die SPK des Nationalrats beschloss zudem, der Volksinitiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber zu stellen und die Behandlung der Initiative bis zu dessen Vorliegen zu sistieren.

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats legte ihren in Form einer parlamentarischen Initiative gehaltenen Entwurf für einen indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative „Volkssouveränität statt Behördenpropaganda“ vor (VI: 05.054). Diese gilt als Umsetzung der parlamentarischen Initiative Burkhalter (fdp, NE). Im Wesentlichen geht es dabei um die Aufnahme der bereits heute in Leitlinien festgelegten Grundsätze der Behördeninformation bei Volksabstimmungen in das Gesetz über die politischen Rechte. Diese Informationen sollen sachlich, transparent und verhältnismässig sein. Als Besonderheit soll der Bundesrat verpflichtet werden, umfassend zu eidgenössischen Volksabstimmungen zu informieren und dabei – das wäre eine Neuerung – immer den Standpunkt des Parlaments zu vertreten. Der Bundesrat sah weiterhin keinen Anlass, die bisher praktizierten Regeln von Leitlinien- auf Gesetzesstufe zu befördern und sprach sich dezidiert dagegen aus, dass die Regierung in jedem Fall die Haltung des Parlaments vertreten müsse. Der Nationalrat befasste sich in der Dezembersession mit diesen Vorschlägen. Gegen die Anträge der SVP, welche ihre eigene Volksinitiative bevorzugt, und des Bundesrates beschloss er Eintreten. In der Frage, ob der Bundesrat auch dann den Standpunkt der Bundesversammlung vertreten müsse, wenn er damit nicht einverstanden ist, beschloss der Rat auf Antrag Müller (fdp, AG) eine weniger rigide Lösung, indem er ihm untersagte, in diesem Fall eine abweichende Empfehlung abzugeben. Dieser Beschluss stützte sich auf ein Gutachten des EJPD, welches der Regierung die Propagierung einer vom Parlamentsentscheid abweichenden Parole untersagt, ihr aber erlaubt, sich in diesem Falle zurückzuhalten. Des weiteren verlängerte das Parlament die Behandlungsfrist für die Volksinitiative um ein Jahr.

Der Ständerat übernahm den indirekten Gegenvorschlag des Nationalrats zur Volksinitiative „Volkssouveränität statt Behördenpropaganda“ (04.463) nur zögerlich. In einem ersten Umgang folgte er dem Nichteintretensantrag seiner Kommission. Diese stiess sich konkret an der Vorschrift, dass der Bundesrat keine vom Parlamentsbeschluss abweichende Meinung vertreten dürfe. Grundsätzlich erachtete sie es aber ohnehin als unmöglich, dem Bundesrat in einem Gesetz Detailvorschriften über sein Verhalten während einer Abstimmungskampagne zu machen. Da der Nationalrat seine Haltung nicht änderte, gab der Ständerat in der zweiten Runde nach. Er schwächte die Weisung an den Bundesrat allerdings insofern ab, dass dieser bloss keine abweichende Empfehlung abgeben darf. Diese Version fand auch in der grossen Kammer Zustimmung. Als Zweitrat empfahl auch der Nationalrat, gegen den Widerstand der SVP, die Volksinitiative selbst zur Ablehnung.

Am 1. Juni stimmte das Volk über die von rechtsbürgerlichen Kreisen eingereichte VolksinitiativeVolkssouveränität statt Behördenpropaganda“ ab. Das Begehren verlangte zur Hauptsache, dass sich die Landesregierung in Zukunft, abgesehen von einer kurzen Verlautbarung, nicht mehr im Vorfeld von Volksabstimmungen äussern darf. Die Kampagne war sehr lau. Ein aus Vertretern aller grossen Parteien ausser der SVP gebildetes Komitee trat als Gegner in Erscheinung. Für die Initiative setzten sich nur die SVP und die kleinen Rechtsaussenparteien EDU, SD und Lega ein. Dabei trat die SVP kaum in den Vordergrund und verwendete ihre Propagandamittel in erster Linie zugunsten der gleichzeitig zum Entscheid vorgelegten Einbürgerungsinitiative.


Abstimmung vom 1. Juni 2008

Beteiligung: 45,2%

Ja: 538 928 (24,8%) / 0 Stand
Nein: 1 634 196 (75,2%) / 20 6/2 Stände

Parolen: Ja: SVP (2)*, EDU (1)*, SD, Lega, FPS.
Nein: FDP, CVP, SP, GP, GLP, EVP, LP, CSP, PdA; Economiesuisse, SGV, SGB, Travail.Suisse.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen


Die Initiative wurde deutlich, mit mit 1'634'196 Nein gegen 538'928 Ja (75%) abgelehnt, kein einziger Kanton stimmte zu. Sogar der notorisch behördenkritische Kanton Schwyz verwarf sie mit 59% Nein-Stimmen. Überdurchschnittlich stark war die Ablehnung in den städtischen Agglomerationen und in der Westschweiz. In der französischsprachigen Schweiz sprachen sich weniger als 20% für das Volksbegehren aus. Mit der Ablehnung der Volksinitiative trat der im Vorjahr vom Parlament beschlossene indirekte Gegenvorschlag in Kraft.

Die VOX-Analyse zur «Maulkorbinitiative» zeigte praktisch keine Unterschiede beim Stimmentscheid hinsichtlich soziodemographischer Merkmale, wohl aber hinsichtlich politischer Einstellungen. Die Autorinnen und Autoren der Nachbefragungsanalyse machten entsprechend eine «starke ideologische Spaltung» aus: Massiv verworfen wurde die Initiative von Personen, die der SP und der CVP nahe standen, grossmehrheitlich angenommen hingegen von SVP-Anhängerinnen und -Anhängern. Diese Beobachtung spiegelte sich auch in der Selbsteinschätzung auf der Links-Rechts-Achse: Die Wahrscheinlichkeit für ein Nein war umso kleiner, je weiter rechts sich eine befragte Person einschätzte. Zudem sagte eher «Ja», wer der Regierung misstraute, wer die Glaubwürdigkeit des im Vorjahr als Bundesrat nicht wiedergewählten Christoph Blochers (svp, ZH) als gross einschätzte und wer sich mehr für eine traditionelle und weniger für eine moderne Schweiz erwärmen konnte.
Als Motiv für ihr «Ja» gaben die Befragten einerseits den Wunsch an, der Bundesrat solle in seiner Kommunikation neutraler bleiben und die Bevölkerung weniger beeinflussen, andererseits erhofften sie sich mit der Initiative freiere Meinungsbildung. Auf der Nein-Seite wurden sehr ähnliche Argumente vorgebracht: Die Annahme der Initiative hätte für deren Gegnerinnen und Gegner eher Zensur bedeutet; entsprechend wurde ein Nein als Verteidigung der freien Meinungsbildung empfunden. Zudem müsse der Bundesrat als wichtige Informationsquelle seine Meinung darlegen können.