Unterschiede zwischen dem Schweizer und dem EU-Recht im Bereich des Arbeitnehmerschutzes

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In der Herbstsession 2022 behandelte der Nationalrat ein Postulat seiner aussenpolitischen Kommission, welches sich mit den «Unterschiede[n] zwischen dem Schweizer und dem EU-Recht im Bereich des Arbeitnehmerschutzes» beschäftigte. Die APK-NR verlangte vom Bundesrat einen Bericht, in dem dieser aufzeigen sollte, welche Anpassungen nötig wären, um das Schweizer Recht im Bereich des Arbeitnehmendenschutzes demjenigen der EU anzugleichen. Ausserdem sollte der Bericht aufzeigen, ob eine derartige Angleichung den Arbeitnehmendenschutz verbessern oder verschlechtern würde. Kommissionssprecher Molina (sp, ZH) erklärte, dass der Bundesrat nach dem Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen autonome Anpassungen des nationalen Rechts an dasjenige der EU geprüft habe, sich dabei aber auf die fünf vom damaligen InstA betroffenen Marktzugangsabkommen beschränkt habe. Die APK-NR wolle jedoch diese Untersuchungen auf weitere Bereiche ausweiten. Seine Kommissionskollegin Bulliard-Marbach (mitte, FR) fügte an, dass das Parlament eine gute Entscheidungsgrundlage für die anstehenden Verhandlungen mit der EU benötige und die Themen Personenfreizügigkeit und Arbeitnehmendenschutz im Mittelpunkt der Diskussionen stehen dürften. Eine Kommissionsminderheit Portmann (fdp, ZH) beantragte der grossen Kammer, den Vorstoss abzulehnen. Portmann vertrat die Ansicht, dass der Sozialbereich nicht Teil der Binnenmarktabkommen mit der EU sei und die Schweiz zurzeit eine liberale Regulierung des Arbeitsmarktes praktiziere. Eine derartige Analyse sei dementsprechend nicht relevant. Der Minderheitssprecher bezeichnete das Postulat als «Frontalangriff auf unseren noch halbwegs liberalen Arbeitsmarkt» und fürchtete sich vor einem «sozialistischen Arbeitsmarkt». Auch der Bundesrat zweifelte den Nutzen des Postulates an, da eine derartige Analyse lückenhaft ausfallen würde. Bundesrat Guy Parmelin wies darauf hin, dass das Schweizer System auf einer starken Sozialpartnerschaft und einem gemeinsamen Dialog mit allen Anspruchsgruppen beruhe, mithilfe derer man spezifische Branchenlösungen suche. Man beobachte die Entwicklungen im EU-Recht aufmerksam und berücksichtige diese, sofern sie zur Erreichung der Schweizer Ziele beitragen. Der Nationalrat stimmte schliesslich mit 90 zu 90 Stimmen (bei 1 Enthaltung) nach Stichentscheid von Nationalratspräsidentin Irène Kälin (gp, AG) für die Annahme des Postulats. SP, Grüne und Grünliberale stimmten dafür, SVP und FDP dagegen, die Mitte zeigte sich gespalten.

Die Unterschiede zwischen dem Schweizer und dem EU-Recht im Bereich des Arbeitnehmerschutzes standen im Mittelpunkt eines Postulatsberichts, welchen der Bundesrat im September 2024 publizierte. Die durchgeführte Analyse habe gezeigt, dass der Schutz der Arbeitnehmenden in der Schweiz weitgehend gleichwertig zu demjenigen in der EU sei. Die grössten Unterschiede bestünden im Bereich transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen und bei der Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben für Eltern. Es dränge sich jedoch keine Anpassung des Schweizer Rechts auf, da die Situation insgesamt ausgewogen sei. Die Entwicklungen des EU-Rechts würden weiterhin eng verfolgt und falls sinnvoll mitberücksichtigt. Weiter hielt der Bericht fest, dass bei den laufenden Verhandlungen über ein neues Abkommens-Paket kein «Einbezug der Schweiz in die europäische Säule sozialer Rechte» geplant sei. Hingegen strebe der Bundesrat im Rahmen dieser Verhandlungen eine Rechtsangleichung im Bereich der entsandten Arbeitnehmenden an das geltende EU-Recht an, damit ein unlauterer Wettbewerb verhindert werden könne.