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Sozialpolitik
Sozialversicherungen
Les Chambres admettent le principe du caractère obligatoire de la prévoyance professionnelle — Le gouvernement propose un nouvel article sur l'AVS/AI reposant sur le principe des trois piliers ; il présente en outre un projet relatif à la huitième révision de l'AVS.
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsicherung
Der im Vorjahr abgefasste Bericht der eidgenössischen Expertenkommission unter dem Präsidium von E. Kaiser über die Förderung der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsicherung wurde vom Bundesrat ohne wesentliche Abänderung übernommen und den Räten unterbreitet [1]. In der ausserordentlichen Januarsession nahm der Nationalrat in zustimmendem Sinne Kenntnis vom Bericht und beauftragte den Bundesrat mit der Ausarbeitung einer Botschaft, welche für die Arbeitnehmer das Obligatorium der sogenannten zweiten Säule (berufliche Kollektivvorsorge) bringen soll [2]. Ziel soll ein ausreichendes Ersatzeinkommen aus der ersten (staatliche AHV) und der zweiten Säule anstelle der Basisrenten sein. Diese Regelung garantiert die Synthese zwischen staatlicher und privater Vorsorge. Nur die Vertreter der Kommunisten traten für eine vollständig etatistische Lösung ein [3]. Sie fanden bei gewissen Einwänden Unterstützung aus sozialistischen aber auch aus gewerblichen Kreisen, ohne dass sich jedoch diese Bedenken zu einem Nein gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag verdichtet hätten. Noch reibungsloser passierte der Bericht die Debatte im Ständerat, obwohl Linkskreise starke Opposition erwartet hatten [4]. In beiden Kammern wurde eine gleichlautende Motion überwiesen, welche die Aufnahme des Dreisäulenprinzips in Artikel 34quater der Bundesverfassung sowie eine entsprechende Ausführungsgesetzgebung forderte [5].
Inzwischen hatte die Eidg. AHV-IV-Kommission eine neue Fassung von Artikel 34quater der Bundesverfassung entworfen, der die Dreisäulenkonzeption verankert, wobei die erste Säule auf dem Umlageverfahren, die zweite auf dem Kapitaldeckungsverfahren und die dritte auf der Selbstvorsorge beruht [6]. Umsichtig hatte die Kommission Elemente der überparteilichen und der sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Initiative sowie verschiedener anderer Vorstösse kombiniert. Im März unterbreitete das EDI den Entwurf, der formell als Gegenvorschlag zum PdA-Volksbegehren von 1969 galt, dem Vernehmlassungsverfahren [7]. Keine Vernehmlassung sprach sich gegen die Ausarbeitung einer Verfassungsvorlage aus. Auch die Dreisäulenkonzeption wurde gesamthaft gesehen positiv aufgenommen. Auseinandergehende Standpunkte zeigten sich beim Problem des Gleichgewichts zwischen erster und zweiter Säule, bei der Erwähnung der Selbstvorsorge, die die Sozialdemokraten und Gewerkschafter als überflüssig empfanden, bei den Selbständigerwerbenden oder beim Problem der Übertrittsgeneration, wo die Freisinnigen eine Übergangsphase von 15 Jahren wünschten, die Sozialdemokraten eine solche dagegen ganz ablehnten [8]. Der Schweizerische Gewerbeverband verlangte u.a. die Errichtung eines obligatorischen Ausgleichsystems zur Ausrichtung von als Teuerungszulagen gedachten Zusatzleistungen sowie den Verzicht auf staatliche Kassen im Fall eines Obligatoriums der zweiten Säule [9]. Im November legte der Bundesrat die entsprechende Botschaft fast unverändert vor [10].
Die Eidg. AHV-IV-Kommission formulierte auch die Anträge zur 8. AHVRevision und zwar im folgenden Sinn [11]: Die bisherigen Basisleistungen der AHV/IV werden zu existenzsichernden Leistungen ausgebaut. Das bedingt eine Erhöhung der Renten in zwei Stufen: für einfache Renten ab 1973 von monatlich 220 bis 440 Fr. auf 400 bis 800 Fr. und ab 1975 linear um 15 %. Dementsprechend steigen auch die Renten für Ehepaare. Verschiedene Wünsche von seiten der Frauenverbände, so insbesondere der unbedingte Anspruch der Ehefrau auf die halbe Ehepaarrente, werden berücksichtigt. Die Ergänzungsleistungen, deren stufenweise Ablösung eingeleitet wird, werden auf 6000 Fr. im Jahr (zur Zeit 4800 Fr.) ab 1973 und auf höchstens 7200 Fr. ab 1975 limitiert. Da die verschiedenen Leistungsverbesserungen starke Mehraufwendungen bewirken, müssen die Beiträge erhöht werden [12]: in einer ersten Stufe ab 1973 von global 5,8 auf 8,0 Lohnprozente und in einer zweiten Stufe (frühestens 1975) bis zu 8,6 Lohnprozenten. Diese Beiträge sollen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern wie bisher je zur Hälfte getragen werden. Für Selbständigerwerbende drängt sich eine spezielle Lösung auf. Im Oktober verabschiedete der Bundesrat die Botschaft betreffend die 8. AHV-Revision. Darin war auch die IV angemessen berücksichtigt, indem für Geburts- und Kindheitsinvalide und bei den Taggeldern neue Sonderregelungen getroffen wurden [13]. Einige vom Nationalrat überwiesene Postulate wurden bei diesen Verbesserungen mitberücksichtigt [14].
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Kranken- und Unfallversicherung
Im Zuge einer Totalrevision der Kranken- und Unfallversicherung (KUVG) hielt eine Subkommission für Strukturfragen der 1969 vom EDI eingesetzten Expertenkommission im September 1970 in Flims eine Sitzung ab [15]. Sie stellte grundlegende Anträge über eine künftige Neuordnung der Krankenversicherung, welche inoffiziell als « Flimser Modell » bekannt wurden. Dieses postulierte für die Spitalbehandlung der gesamten Bevölkerung sowie für die Krankengeldversicherung der Arbeitnehmer ein Bundesobligatorium. Ferner sollte die grundsätzlich freiwillige Versicherung der ambulanten Krankenpflege auch gewisse Zahnbehandlungskosten als Pflichtleistungen übernehmen. Die Finanzierung sollte durch lohnprozentuale Beiträge entsprechend der AHV/IV erfolgen. Die FDP hatte in ihrem Wahlprogramm ähnliche Problemlösungen angeboten [16]. Das Konkordat der Krankenkassen befürwortete mit gewissen Vorbehalten das Modell [17]. Dagegen beklagten sich die Sozialdemokraten, die im Vorjahr ein entsprechendes Volksbegehren eingereicht hatten, über einen verwässerten Kompromiss [18]. Sie wurden sekundiert vom Gewerkschaftsbund [19]. Aus entgegengesetzten Gründen opponierte die Ärzteschaft: Der Vorschlag leiste einem staatlichen Gesundheitsdienst Vorschub, der die individuelle Verantwortlichkeit abnutze [20]. Die von der Schweizerischen Ärztekammer angekündigte Lancierung einer Initiative zur Finanzierung der Krankenversicherung durch eine zusätzliche Besteuerung von Tabak und Alkohol unterblieb [21].
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[1] Vgl. BBI, 1970, II, S. 557 ff., sowie SPJ, 1970, S. 141 f.; vgl. auch Documenta Helvetica, 1971, Nr. 2, S. 67 ff.
[2] Sten. Bull. NR, 1971, S. 19 ff.; NZZ, 4244, 27. u. 28.1.71; 48, 30.1.71; NZ, 41, 27.1.71; 43, 28.1.71; NBüZ, 25, 28.1.71; 36, 6.2.71; JdG, 21, 27.1.71; 22, 28.1.71; Tw, 21-24, 27.-31.1.71; 27, 3.2.71.
[3] Vgl. VO, 21, 27.1.71; 22, 28.1.71; 24, 30.1.71. Vgl. auch La Brèche, 33, 28.10.71.
[4] Sten. Bull. StR, 1971, S. 186 ff.; NZZ, 128, 18.3.71; Tat, 65, 18.3.71; Bund, 64, 18.1.71; JdG, 64, 18.1.71.
[5] NR Hofstetter (fdp, SO): Sten. Bull. NR, 1971, S. 30 u. 69 ff.; StR Reimann (cvp, AG): Sten. Bull. StR, 1971, S. 190 u. 198 ff.
[6] Tw, 17, 22.1.71; NZZ (sda), 35, 22.1.71; vgl. hierzu u. a.: NZZ, 361, 6.8.71; 365, 9.8.71; 374, 13.8.71; 398, 27.8.71.
[7] NZZ, 133, 21.3.71; 145, 28.3.71; Lib., 143, 20.21.3.71; BN, 118, 20./21.3.71; JdG, 66, 20./21.3.71; Vat., 68, 23.3.71; Lb, 73, 29.3.71; Tw, 75, 31.3.71. Vgl. SPJ, 1970, S. 139 f.
[8] Vgl. die Stellungnahmen von SBG und SP: AZ, 152, 3.7.71; NZZ, 392, 24.8.71; Gewerkschaftliche Rundschau, 63/1971, S. 193 ff. FDP: Lb, 157, 10.7.71; NZZ (sda) 317, 12.7.71. CVP: NZN, 163, 16.7.71. LdU: NZZ (sda) 331, 20.7.71. VSA: NZZ (sda), 228, 18.5.71. Vorort und Zentralverband schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen: NZN, 161, 14.7.71; NZZ, 380, 17.8.71. Bankiervereinigung: Schweizerische Handelszeitung, 28, 15.7.71. Überparteiliches Komitee « Gesichertes Alter »: Lb, 156, 9.7.71.
[9] Schweizerische Gewerbe-Zeitung, 23, 4.6.71; 34, 20.8.71; vgl. auch unten, S. 184. Gewerbeverband des Kantons ZH: NZZ, 222, 14.5.71.
[10] BBl, 1971, II, S. 1597 ff.
[11] Vgl. hierzu und zum folgenden: BBl, 1971, II, S. 1057 ff.; TA, 238, 12.10.71; 240, 14.10.71; 247, 22.10.71; Lb. 237, 12.10.71; 246-248, 22.-24.10.71; VO, 236, 13.10.71; 245, 23.10.71; Bund, 240, 14.10.71; 247, 23.10.71: 248, 24.10.71; TdG, 239, 14.10.71; 246, 22.10.71; 247, 23./24.10.71.
[12] Vgl. oben, S. 88 (Tabaksteuer für AHV).
[13] BBl, 1971, II, S. 1098 ff.; Tw, 248, 23./24.10.71..
[14] J. Hofstetter (fdp, SO): Sten. Bull. NR, 1971, S. 957 ff. (Invalidenrenten); K. Bachmann (cvp, SZ): ebd, S. 1284 f. (Teilrentenordnung AHV und IV); M. Chopard (sp, AG): ebd., S. 1285 f. (Renten für Frühinvalide); K. Flubacher (fdp, BL): ebd., S. 1373 f. (Massnahmen für sonderschulentlassene, nicht eingliederungsfähige Invalide).
[15] Hierzu und zum folgenden: TA. 158, 10.7.71; 248, 23.10.71; 303, 28.12.71; Vat., 163, 17.7.71; Ostschw., 261, 8.11.71; 253, 29.10.71; GUIDO BERNASCONI, « Neuordnung der Krankenversicherung nach 'Flimser Modell'?», in Gewerkschaftliche Rundschau, 63/1971, S. 305 ff.; vgl. auch: PIERRE GILLIAND, «Les dépenses hospitalières et le 'marché' de la santé publique en Suisse, 1950-1968, 1980 », in Revue économique et sociale, 29/1971, S. 37 ff.
[16] Zielsetzungen 71, S. 18 ff.; Lb, 72, 27.3.71.
[17] NZZ (sda), 537, 17.11.71.
[18] SPJ, 1970, S. 142 f.; Tw, 42, 20./21.2.71; 173, 28.7.71; 304, 29.12.71; AZ, 158, 10.7.71.
[19] Mitteilung SGB, Bern, 2.12.71; NZZ (sda), 565, 3.12.71.
[20] NZZ, 532, 15.11.71; Bund, 272, 21.11.71; TA (upi), 305, 30.12.71.
[21] NZZ (sda), 61, 7.2.71; vgl. SPJ, 1970, S. 143.
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