Année politique Suisse 1989 : Grundlagen der Staatsordnung
Wahlen
Bei den Wahlen in kantonale Parlamente verlor vor allem die FDP weitere Mandate. — Die Auto-Partei setzte ihren Erfolgskurs fort, ohne sich aber im Welschland auf Parlamentsebene zu etablieren. — Auch die Grünen verzeichneten weitere Erfolge. — In der Westschweiz gehörte die extreme Rechte zu den Verlierern, während die PdA ihre Position hielt und auf kommunaler Ebene sogar einen Erfolg verzeichnete. — Sowohl im Regierungsrat von Neuenburg als auch in der Exekutive und in der Legislative der Stadt Lausanne eroberten die Linken und Grünen die Mehrheit.
Wahlen in kantonale Parlamente
Die diesjährigen Gesamterneuerungswahlen in sechs Kantonalparlamente (AG, GE, GR, NE, SO und VS) haben verschiedene, zum Teil gegenläufige Tendenzen aufgezeigt. In den Kantonen Aargau und Solothurn sowie in den zwei welschen Ständen Genf und Neuenburg haben insbesondere die Freisinnigen Sitze eingebüsst, jedoch in unterschiedlichem Ausmass. Während von diesen Verlusten im Aargau und Solothurn vor allem die Auto-Partei und die Grünen profitieren konnten, waren es in den welschen Kantonen die Sozialdemokraten und die Grünen. Die SP Aargau hat mit ihren massiven Verlusten der prophezeiten Trendwende zum Wiederaufstieg oder zumindest einer Stabilisierung auf tiefem Niveau widersprochen.
Die
Auto-Partei konnte nach St. Gallen, Schaffhausen und Thurgau nun auch im Aargau und in Solothurn gleich in Fraktionsstärke ins Parlament einziehen. Ihre Präsenz wurde freilich durch die steigende Zahl der Grünen mehr oder weniger kompensiert; damit verstärkte sich die Polarisierung der schweizerischen Parteienlandschaft in bezug auf umweltpolitische Anliegen weiter. Die rechtsnationalistischen Anliegen der Vigilance und der NA scheinen hingegen bei den Wählern zur Zeit überhaupt nicht anzukommen, so auch in Genf, wo die Vigilance auf einen Schlag mehr als die Hälfte ihres Stimmenanteils und zehn Sitze verloren hat. Offenbar hat die AP aber kaum von diesen Stimmenverlusten profitiert, sondern ihre Wählerschaft zum Teil bei den bürgerlichen Parteien, zum Teil im Lager der unzufriedenen, parteiungebundenen und apolitischen Stimmberechtigten gefunden
[1].
Zwischen der Welschschweiz und der Deutschschweiz sind einige Unterschiede feststellbar. So konnte in den welschen Kantonen die SP — bei konstantem Wähleranteil der PdA — wieder Stimmen hinzugewinnen. Dass die AP in der Westschweiz nicht Fuss fassen konnte, dürfte mit einer aktiven Integrationsstrategie der bürgerlichen Parteien zu tun haben; mindestens in Genf, wo die AP 6,3% der Stimmen erreichte, verhinderte allerdings allein das in der Westschweiz übliche hohe Quorum den Einzug ins Parlament. Die grünen Parteien haben in beiden Sprachgebieten weitere Fortschritte erzielt. Die parteipolitischen Verhältnisse in den beiden Bergkantonen Wallis und Graubünden blieben weitgehend stabil. Immerhin gesellten sich neue Parteien — die Liberalen im Wallis sowie die Christlichsozialen (CSP) und die Demokratisch-soziale Partei (DSP) in Graubünden — zu den etablierten Parteien. Hingegen konnten weder grün-alternative Gruppierungen noch die AP in diesen beiden Kantonen Parlamentssitze erobern.
Die
Frauenvertretung hat in allen betroffenen Kantonen zugenommen, allerdings unterschiedlich stark: Mit 32% ist sie jetzt in Genf am höchsten, mit 5% im Bündnerland zusammen mit Glarus und Schwyz am tiefsten. In Appenzell Ausserrhoden ist das kantonale Frauenstimmrecht an der Landsgemeinde angenommen worden. Kurz darauf sind auch zwei freisinnige Frauen bei Ersatzwahlen als erste Ausserrhoder Kantonsrätinnen gewählt worden
[2].
Bei den aargauischen Grossratswahlen haben die Regierungsparteien mit Ausnahme der SVP massive Sitzverluste zugunsten von kleineren Parteien hinnehmen müssen. So konnte die Auto-Partei auf Anhieb 12 Sitze erobern, während die Grünen ihre Fraktion von 5 auf 11 Mitglieder ausbauten. Für die traditionsgemäss stabilen Verhältnisse im Aargau kamen die per saldo 18 Sitzverluste der Regierungsparteien einem politischen Erdrutsch gleich. Die FDP hatte die grössten Verluste in ihren bisherigen Stammlanden, den Kleinstädten Aarau, Lenzburg, Zofingen und Brugg zu beklagen. Ein grosser Teil der 12 Sitzgewinne der AP ging wohl auf Kosten der 1985 auf ihrem Höhepunkt angelangten FDP.
Auf einem Tiefpunkt angelangt ist die SP, welche 1981 mit 51 Sitzen noch die stärkste Partei war und jetzt mit 37 Sitzen nur noch knapp vor der SVP liegt. Es scheint, dass die Hinwendung zu einer betont gewerkschaftlichen Linie nicht honoriert worden ist; ein deutliches Zeichen hierfür war die Abwahl des Präsidenten des kantonalen Gewerkschaftsbundes, H. Buchbinder, und jene des Badener Gewerkschaftsführers Bernasconi. Die Wahlanalysen in den einzelnen Bezirken zeigten, dass die Grünen auf Kosten der SP zulegen konnten. Die SP hat zudem in jenen Wahlkreisen, in welchen sie mit den Grünen eine Listenverbindung eingegangen war, besser abgeschnitten als dort, wo sich die einzelnen Bezirksparteien gegen diese Allianz gewehrt hatten.
Auch die CVP schrumpfte auf die geringste Vertretung seit 1945 und behielt noch 42 Sitze. Verluste an Wählerstimmen verzeichnete sie sowohl in ihren Stammlanden Baden, Rheinfelden und Muri als auch in den reformierten Gemeinden des westlichen Aargaus. Neu hinzugekommen ist jedoch die der CVP nahestehende "Junge Liste Zurzach", die mit einem Sitz vertreten ist. Als einzige Regierungspartei hat die SVP Sitze zulegen können (3) und erreichte neu 34 Mandate. Es scheint, dass die SVP zusammen mit der AP teilweise von den Stimmenverlusten der CVP profitieren konnte. Die kleinen Parteien der Mitte, LdU und EVP, konnten ihre Sitzstärken von 9 resp. 6 Mandaten halten.
Die Auto-Partei profilierte sich im verkehrsreichen Aargau als Sammelbecken jener Protestwähler, denen die bürgerlichen Parteien umweltpolitischen Forderungen gegenüber zu kompromissbereit sind. Im Wahlkampf gesellten sich allerdings auch noch Fremdenfeindlichkeit und allgemeine Staatsverdrossenheit hinzu. In bezug auf die Stimmenverteilung im Kanton lagen die Rand- und Pendlerbezirke Rheinfelden, Muri, Bremgarten und Baden klar an der Spitze. Politisch sind die neuen Grossräte der AP unbeschriebene Blätter.
Die
Grünen konnten ihre Position von 5 auf 11 Sitze ausbauen. Sie hatten dieses Jahr eine einzige Liste präsentiert; der SAP nahestehende Personen, die vor vier Jahren unter dem Namen ALU angetreten waren, unterstützten die gemeinsame grüne Liste
[3].
Ähnliche Tendenzen wie im Kanton Aargau waren in Solothurn zu beobachten. Die FDP erlitt mit dem Verlust von 11 ihrer bisher 64 Mandate einen für solothurnische Verhältnisse riesigen Einbruch, während die beiden gegenläufigen Flügelparteien, die Auto-Partei und die Grünen, diese Sitze absorbierten. Die AP erreichte einen Wähleranteil von 4,3% und ist neu im Grossen Rat in Fraktionsstärke mit sieben Mandaten vertreten. In Bezirken, wo die geplante N5 ebenso wie Stadtumfahrungen für eine verstärkte verkehrs- und umweltpolitische Polarisierung der Wähler sorgten, haben sowohl die AP als auch die Grünen ihre Vertretungen in fast gleichem Masse ausbauen können. Die CVP verlor zwei Sitze und hält mit 27% Wähleranteil noch 42 Sitze. Die SP gewann als einzige Regierungspartei ein Mandat und erreichte 33 Sitze.
Trotz der Niederlage der Freisinnigen verfügen die beiden grossen bürgerlichen Parteien FDP und CVP im neuen Parlament mit 95 von 144 Sitzen immer noch über eine komfortable Mehrheit. Mit der Neuwahl für die Legislaturperiode 1989-93 ist der Solothurner Kantonsrat zu 43% erneuert worden. Zu dieser bisher höchsten Erneuerungsquote führten 56 Wiederwahlverzichte und 6 Nichtwiederwahlen. Die Frauen konnten ihre Vertretung von 14 auf 16 steigern
[4].
Einen
deutlichen Linksrutsch haben die Neuenburger Kantonswahlen gebracht. Im Grossrat verzeichneten die Liberalen und die Freisinnigen zusammen 10 Sitzverluste und verfügen neu über 34 resp. 25 Mandate. Gewinner waren die SP und vor allem die Grünen. Die gemässigten Neuenburger Grünen "Ecologie et liberté" konnten mit einem Schlag sechs Sitze erobern, davon vier in der Stadt Neuenburg. Die SP eroberte drei von den vier im Jahre 1985 verlorenen Sitzen zurück. Eine gleichbleibende Sitzzahl verzeichnete der kommunistische POP (Parti ouvrier populaire) mit vier Mandaten. Die zehn Sitzverluste der bürgerlichen Parteien und die Sitzgewinne namentlich der Grünen wurden teilweise den Listenverbindungen unter Grünen und Linken zugeschrieben; solche wiederum waren die einzige Möglichkeit für kleinere Gruppierungen, das gesamtschweizerisch aussergewöhnlich hohe Quorum von 10% zu überwinden. Der Landesring hingegen schaffte diese Hürde nicht und konnte keine Rückkehr in den 1985 verlassenen Grossen Rat feiern
[5].
Entgegen den Erwartungen eines rot-grünen "Umsturzes" haben die Grossratswahlen in Genf nur relativ geringe Veränderungen bewirkt. Im bürgerlichen Lager der "Entente genevoise" haben die Liberalen drei Sitze gewonnen und sind mit neu 22 Mandaten die stärkste Partei geblieben. Auch die CVP konnte einen Sitz gewinnen (neu: 14). Dagegen hat die FDP zwei weitere Sitze verloren und ist mit 13 Sitzen auf dem tiefsten Stand seit dem Beginn des Schrumpfungsprozesses im Jahre 1942 (damals 35 Sitze) gesunken. Die Radikalen sind die Opfer verschiedener Faktoren geworden: Einerseits spielte eine neu eingeführte Amtszeitbeschränkung auf 12 Jahre eine Rolle; diese hatte wegen der einseitigen Altersstruktur Rekrutierungsschwierigkeiten der Partei zur Folge. Andererseits hatte die FDP unter einem schlechten Ruf wegen der Nähe zu Spekulantentum und Drogengeldwäscherei gelitten.
Gewonnen haben vor allem die Grünen, welche mit fünf zusätzlichen Sitzen gleich stark wie die Freisinnigen wurden. Ebenso hat die SP drei Sitze zurückgewonnen, nachdem sie 1985 acht Mandate verloren hatte. Bezeichnenderweise gehören die drei Sozialdemokraten mit den besten Wahlergebnissen (Christian Grobet, David Lachat und Nils de Dardel) alle zum engeren Umfeld der "ASLOCA", der Genfer Mieterschutzvereinigung. Die Unzufriedenheit mit der seit Jahren akuten Wohnungsnot und den hohen Spekulationsgewinnen hat sich offensichtlich auf die Kandidatenauswahl ausgewirkt. Die PdA, welche mit der SP eine Listenverbindung eingegangen war, konnte ihre acht Sitze halten.
Verlierer waren neben der FDP vor allem die Vigilance, welche zehn von den zwölf im Jahre 1985 gewonnenen Sitzen wieder einbüsste. Ihr Stimmenanteil sank von 19% auf etwas über 8%. Das Resultat der erstmals im Kanton mit der höchsten Autodichte kandidierenden Auto-Partei ist bloss als relativer Misserfolg zu interpretieren, hat sie doch die 7%-Hürde nur knapp verpasst. Mit einem um 0,7% höheren Stimmenanteil hätte sie auf einen Schlag sieben Sitze erobern können und wäre als Siegerin dagestanden.
Für den Erfolg der Grünen haben sicher auch viele Wähler der Mitte gesorgt: Die Genfer Grünen, ebenso wie die Waadtländer GPE, werden im allgemeinen als weniger radikal eingestuft als die Mehrzahl der Grünen in der Deutschschweiz. Ein Wahlbündnis zwischen Linken und Grünen war nicht zustandegekommen. Im neuen Parlament verfügen weder die bürgerliche Entente noch die links-grünen Kräfte über die absolute Mehrheit. In bezug auf die Vertretung der Frauen hat Genf den Kanton Basel-Stadt wieder überholt: dank sieben zusätzlichen Mandaten stieg der
Frauenanteil auf 32,0%
[6].
Die Grossratswahlen bestätigten einmal mehr die ausserordentlich
stabilen parteipolitischen Verhältnisse im Wallis. Die mächtige CVP verlor nur einen Sitz und behielt mit 80 Sitzen im 130köpfigen Parlament eine komfortable Mehrheit; die Christlichdemokraten ("Schwarzen") und die Christlichsozialen ("Gelben") des Oberwallis mussten je einen Sitz an die SP abtreten, dafür gewann die CVP im französischsprachigen Kantonsteil ein Mandat. Die FDP hat die Wahlen ohne Sitzveränderung überstanden: Sie behielt 32 Sitze, wovon 3 im Oberwallis. Dank der zwei Sitzgewinne im Oberwallis, die vielleicht auf die Sogwirkung der SP-Staatsratsliste Bodenmann/Balmer-Fitoussi zurückzuführen waren, besetzt die SP neu 14 Mandate. Die erstmals an Grossratswahlen beteiligte Liberale Partei erreichte zusammen mit der liberalen und unabhängigen Liste von Martigny und dem ihr nahestehenden "Mouvement démocrate d'Hérens" vier Sitze. Der erstmals und einzig im Bezirk Sitten. angetretene "parti écologique" verfehlte das hohe Quorum von 8%. Obwohl im neuen Parlament neun statt sechs Frauen vertreten sind, blieb der Frauenanteil mit 6,9% sehr klein
[7].
Bei den Bündner Grossratswahlen sind ebenfalls nur wenige Veränderungen eingetreten. Im 120köpfigen Parlament blieb die SVP, welche einen Sitz gewann und damit 41 Mandate erhielt, stärkste Partei, knapp vor der CVP mit unverändert 38 Sitzen. Die FDP hat auch in diesem Kanton Verluste erlitten; mit drei Mandaten wenigèr behielt sie noch deren 27. Die SP gewann zwei Sitze und erreichte mit sechs Sitzen Fraktionsstärke; diese Gewinne gingen zu Lasten der 1987 abgespaltenen Demokratisch-sozialen Partei (DSP), welche nur noch vier Sitze erhielt. Als Überraschung galt der Einzug der erstmals antretenden Christlichsozialen Partei (CSP) mit drei Sitzen. Ausserdem behielten die Davoser Unabhängigen Demokraten ihren einzigen Sitz. Alle übrigen Gruppierungen wie "Bewegung Graubünden", die Linke Alternative, der Landesring und die Freie Liste gingen leer aus. Der Frauenanteil blieb mit 5% (6 Grossrätinnen) weiterhin deutlich unter dem schweizerischen Mittel.
Die grösste Überraschung war der Misserfolg der erstmals angetretenen Auto-Partei, welche keinen Sitz erhielt. Zu einem grossen Teil wurde ihr Scheitern auf die hohe Hürde des Majorzwahlsystems zurückgeführt. Negativ für kleine Parteien wirkte sich auch aus, dass unter den 39 Wahlkreisen 18 Einer-, 7 Zweier- und 5 Dreierwahlkreise sind, und dass in 28 Wahlkreisen die Mandatsträger weiterhin oder wieder in Landsgemeinden erkoren werden
[8].
Wahlen in kantonale Regierungen
Bei den Gesamterneuerungs- und Ersatzwahlen in die kantonalen Regierungen hat eine kleine
Verschiebung von zwei Sitzen (NE und BL) zugunsten von links-grünen Kräften stattgefunden. Beide Male ging der Verlust auf das Konto des Freisinns. In Obwalden wird ausserdem ein Regierungsratsmandat bis April 1990 vakant bleiben. Der Frauenanteil in den Regierungen blieb nach wie vor gering. In diesem Jahr konnte keine Frau einen zusätzlichen Sitz gewinnen
[9].
Bei den jährlich stattfindenden Regierungsratswahlen an den beiden Appenzeller Landsgemeinden wurden in Innerrhoden wie erwartet sämtliche 9 CVP-Regierungsräte bestätigt. An der Landsgemeinde von Ausserrhoden kam es bei der Ersatzwahl für den altershalber zurückgetretenen Regierungsrat Jost Leuzinger (sp) zu einer Kampfwahl. Der Kandidat der SP, Oberrichter Werner Niederer besiegte den von einem überparteilichen Komitee nominierten René Betschart deutlich. Die übrigen sechs Regierungsräte wurden im Amt bestätigt
[10].
Bei der Bestimmung des Nachfolgers von FDP-Finanzdirektor Paul Nyffeler kam es zu einer Kampfwahl zwischen dem von den bürgerlichen Parteien unterstützten Jean-Luc Nordmann (fdp) und dem von den Linken und Grünen unterstützten Sozialdemokraten Peter Schmid. Mit einem hauchdünnen Mehr von 372 Stimmen gelang es Peter Schmid, die seit 1963 bestehende "Zauberformel" (2 FDP, je ein SP, CVP, SVP) zu knacken. Mit rund 31% blieb die Stimmbeteiligung bei dieser Kampfwahl aber weit unter den Erwartungen
[11].
Was sich bereits bei den Grossratswahlen angekündigt hatte, bestätigte sich vier Wochen später bei den Regierungsratswahlen. Die parteipolitische Zusammensetzung der Regierung blieb für die nächsten vier Jahre unverändert: Je zwei Liberale, Christlichdemokraten und Sozialisten sowie ein Radikaler. Neu wurden Guy-Olivier Segond (fdp), Claude Haegi (lp) und Olivier Vodoz (lp) gewählt. Dominique Föllmi (cvp) erzielte das beste Resultat aller Kandidaten. Überraschend wenig Stimmen erhielten die beiden Sozialdemokraten Christian Grobet und Bernard Ziegler, welche ziemlich weit abgeschlagen die beiden letzten Plätze belegten. Nationalrat Laurent Rebeaud (gp) schaffte den Sprung in den Regierungsrat nicht.
Angesichts der Bedrohung durch die Kandidatur des Grünen Rebeaud einigten sich die in der "Entente genevoise" vereinigten bürgerlichen Parteien, diesmal wieder geschlossen aufzutreten. Die FDP verzichtete deshalb darauf, den 1985 an die CVP verlorenen Sitz zurückzuerobern. Die Stimmbeteiligung von nur 33,2% bedeutete für Genf ein neues Rekordtief
[12].
Für den auf den Sitz von Bundesrat Villiger in den Ständerat nachrückenden freisinnigen Regierungsrat Robert Bühler ist der Rechtsanwalt Ulrich Fässler (fdp) als Nachfolger gewählt worden. Seine Gegenspielerin von der Unabhängigen Frauenliste, die 33jährige Arztgehilfin und Studentin Andrea Z'Graggen, erreichte immerhin 25% der Wählerstimmen; sie wurde von den Grünen und der SP unterstützt. Der laue Wahlkampf spiegelte sich auch in der sehr niedrigen Stimmbeteiligung von 20,9% wieder
[13].
Noch spektakulärer als im Neuenburger Grossrat war der
Linksrutsch im Regierungsrat. Im ersten Wahlgang erreichten die bisherigen Regierungsräte Pierre Dubois (sp), Francis Matthey (sp) und Jean Cavadini (lp) das absolute Mehr. Im zweiten Durchgang wurden der bisherige Jean-Claude Jaggi (lp) und der neue, parteilose, aber von Grünen und Linken unterstützte Michel von Wyss gewählt. Letzterer übertraf knapp die einzige Frau, welche für einen Exekutivsitz kandidiert hatte, die freisinnige Marie-Françoise Bouille. Damit sind die Radikalen erstmals seit 1848 nicht mehr in der Exekutive vertreten. Auf gesamtschweizerischer Ebene ist Neuenburg neben Bern der zweite von einer
rot-grünen Mehrheit regierte Kanton geworden. Analog zu Bern ist allerdings auch hier das Parlament weiterhin mehrheitlich bürgerlich zusammengesetzt. Dass der Olivenhändler, Hausmann und Sozialwissenschafter von Wyss den Sprung in die Regierung schaffte, hatte sicher, neben der Honorierung seines ökologischen Engagements, auch Gründe, die bei den bürgerlichen Parteien selbst zu suchen sind. In den Analysen erwähnt wurden etwa die ungeschickte Wahlkampagne der Freisinnigen sowie die Rolle von bürgerlichen Politikern bei spekulativen Grundstückgeschäften in der Stadt Neuenburg
[14].
Der Solothurner Regierungsrat wurde in corpore, auf einer gemeinsamen Liste, problemlos wiedergewählt. Volkswirtschaftsdirektor und Landammann Max Egger (cvp, seit 1985) erreichte das beste Wahlresultat. Es folgten Erziehungsdirektor Fritz Schneider (fdp, seit 1981), Bau- und Landwirtschaftsdirektorin Cornelia Füeg (fdp, seit Februar 1988), Sanitäts- und Polizeidirektor Rolf Ritschard (sp, seit Mai 1988) und an letzter Stelle Finanzdirektor Alfred Rötheli (cvp, seit 1973)
[15].
Bei der Bestimmung des Nachfolgers des verstorbenen Baudirektors Heinrich Kistler (sp) kam es unerwarteterweise zu einer Kampfwahl. Der offizielle sozialdemokratische Kandidat Richard Wyrsch wurde zuerst parteiintern durch eine wilde Kandidatur von Josef Birchler, Gemeindevizepräsident von Brunnen, konkurrenziert; letzterer zog seine Kandidatur, jedoch schon im März zurück. Darauf nominierte die SVP ihren Kampfkandidaten Albert Meile. Das Kritische Forum Schwyz seinerseits verzichtete auf eine eigene Kandidatur, um den SP-Sitz nicht zu gefährden. Gewählt wurde mit deutlichem Vorsprung der SP-Kandidat Richard Wyrsch; sein Kontrahent Meile errang mit 35,6% der Wählerstimmen einen Achtungserfolg. Die seit 1944 geltende parteipolitische Zusammensetzung des Regierungsrates (4 CVP, 2 FDP, 1 SP) blieb damit erhalten
[16].
Im Thurgauer Regierungsrat trat Finanzdirektor Felix Rosenberg (cvp) infolge seiner Wahl zum PTT-Generaldirektor zurück. Bei der Ersatzwahl am 27. August sah sich der CVP-Kandidat Philipp Stähelin einem Kampfkandidaten gegenüber: Guido Leutenegger, Präsident des Thurgauischen Naturschutzbundes, stellte sich ebenfalls zur Wahl; er wurde vom Landesring und von einem Teil der Grünen unterstützt. Bei sehr niedriger Beteiligung gewann Stähelin die Wahl sehr deutlich; nur gerade ein Fünftel der Stimmberechtigten hatte sich an die Urne bemüht
[17].
Als Ersatz für den vorzeitig zurücktretenden Finanzdirektor Claudio Generali (fdp) bestimmte die FDP Dick Marty zum Nachfolger. Nach dem im Tessin geltenden Proporzwahlrecht müssen bei solchen Amtsübernahmen während der Legislatur die Nachfolger nicht durch das Volk gewählt werden. Dick Marty trat sein Amt am 24. April an. Er war bisher als Staatsanwalt des Sopraceneri vor allem durch seine Fahndungsarbeit im Falle der "Libanon-Connection" bekannt geworden
[18].
Bei den gleichzeitig mit den Grossratswahlen stattfindenden Regierungsratswahlen wurden im ersten Wahlgang lediglich drei der vier bisherigen CVP-Staatsräte gewählt (Bernard Bornet, Raymond Deferr, Richard Gertschen). Der christlich-soziale Regierungsrat Hans Wyer, früherer Parteipräsident der CVP Schweiz, verpasste das absolute Mehr ebenso wie der bisherige Bernard Comby (fdp). Diese relative Niederlage war einerseits der SP-Doppelkandidatur von Peter Bodenmann und Françoise Balmer-Fitoussi, welche beide einen bemerkenswerten Stimmenanteil erhielten, zu verdanken. Andererseits hatte Wyer als starker Mann in der Regierung im Laufe der Jahre einiges an parteiinterner Gegnerschaft auf sich gezogen. Dazu kam, dass die Solidarität der CVP mit der CSP weniger gut funktionierte als umgekehrt. Für den zweiten Wahlgang zogen die Sozialdemokraten ihre Kandidatur zurück und liessen somit die Plätze frei für Wyer und Comby
[19].
Kommunale Wahlen
Im neuen Parlament der Stadt Lausanne verfügen die Linken und Grünen mit 52 von 100 Sitzen über eine knappe Mehrheit. Zu verdanken haben sie diesen Erfolg in erster Linie dem Verschwinden der NA, welche mit einem Anteil von 3,2% das Quorum von 5% deutlich verfehlte und damit auf einen Schlag alle 16 Sitze, welche sie 1985 gewonnen hatte, wieder verlor. Der PdA hingegen genügte ein um 0,9% besseres Resultat als 1985, um das Quorum wieder zu erreichen und mit 6 Sitzen in die Legislative einzuziehen. Die der GPS angeschlossenen Grünen vermochten ihre Mandate um vier auf 16 zu erhöhen. Vom Aderlass der NA profitierten aber auch alle anderen bisher im Parlament vertretenen Parteien: Die Liberalen und die SP gewannen je zwei Sitze, die FDP und die CVP, welche mit der SVP eine gemeinsame Liste, das "Renouveau Centre", gebildet hatte, je einen.
Die Liste "Ecologie et Solidarité", welche von verschiedenen Grünen und Linken, unter anderem viele SAP-Mitglieder, getragen wurde, verfehlte das Quorum mit 4,3% Wählerstimmen knapp. Die fünf um Maurice Cardinaux versammelten, im Frühjahr von der SP abgespaltenen Vertreter einer neuen Demokratisch-Sozialen Fraktion im Stadtparlament, erreichten das Quorum auch nicht. Die SP konnte nicht nur die Mandate der fünf während der Legislaturperiode abgesprungenen Parlamentarier halten, sondern gewann noch zwei neue dazu.
Am schlechtesten von allen kandidierenden Parteien schnitt die Auto-Partei mit nur 2,8% Wählerstimmen ab. Dieses Resultat kann dahingehend interpretiert werden, dass die Automobilisten mit der Vertretung ihrer Interessen durch die lokalen bürgerlichen Parteien zufrieden sind
[20].
Der am gleichen Wochenende abgehaltene erste Wahlgang für die
Stadtregierung brachte für keinen Kandidaten das absolute Mehr. Im zweiten Wahlgang gewannen die Grünen einen Sitz auf Kosten des Freisinns. Mit der Wahl von drei Sozialisten, zwei Freisinnigen und je einem Grünen und einem Liberalen
erreichte die links-grüne Allianz auch in der Exekutive die Mehrheit. Somit wird die Stadt zum ersten Mal seit 1949 wieder von einer nichtbürgerlichen Mehrheit regiert. Gewählt wurden von der SP Yvette Jaggi, Jean-Jacques Schilt (beide bisher) und Pierre Tillmanns (neu), von der FDP Jacques Lienhard (bisher) und Olivier Chevallaz (neu), von den Grünen Daniel Brélaz (neu) und von den Liberalen Claude Rosset (neu)
[21].
Eine dritte Wahl fand am 26. November statt, in welcher das Amt der
Stadtpräsidentin vergeben wurde. Die als Favoritin geltende
Yvette Jaggi (1985 in den Stadtrat gewählt) gewann die Wahl mit knapp 52% der Stimmen gegen ihren neu in die Exekutive gewählten Kontrahenten der FDP, Olivier Chevallaz, Sohn des alt-Bundesrates und alt-Stadtpräsidenten Georges-André Chevallaz
[22].
Weiterführende Literatur
Amtsblätter und Statistiken der betreffenden Kantone und Städte.
Amt für Statistik, Bern, Die Gemeindewahlen in der Stadt Bern 1988: Wahlstatistik, Bern 1989.
Amt für Statistik, Luzern, Grossratswahlen 1987 (Statistische Beiträge des Kantons Luzern), Luzern 1989.
Bundesamt für Statistik, Nationalratswahlen 1987, hg. von der Sektion Kultur, Politik und Lebensbedingungen, Bern 1989.
J. Falter e.a. (Hg.), Wahlen und politische Einstellungen in der BRD: neuere Entwicklungen der Forschung, Frankfurt und Bern 1989.
Les femmes et la politique en Valais. Rapport de la commission d'étude sur la condition féminine en Valais, rédigé par C. Cretton-Deslarzes et I. Mengis-Imhasly, Sion 1988.
W. Greminger, Kleines Vademecum der Polit-Werbung, Zollikon 1989.
P. Laundy, Les Parlements dans le monde contemporain: mode d'élection, fonctionnement, structure, Lausanne 1989.
T. Poledna / C. Kaufmann, "Die parteiinterne Kandidatennomination — ein demokratisches Defizit? Eine Untersuchung am Beispiel der Nationalratswahlen im Kanton Zürich (1987)", in Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht, 90/1989, S. 281 ff.
E. Wiederkehr, Der gekaufte Sitz? Werbung und Wahlerfolg: Eine empirische Untersuchung der Wirkung von Zeitungswerbung bei den Nationalratswahlen 1987, Zürich 1989.
S. Widmer, Wahl- und Abstimmungsfreiheit, Diss. jur., Zürich 1989.
[1] Siehe dazu auch unten, Teil IIla (Auto-Partei).
[2] NZZ, 5.6.89; siehe auch oben, Teil I, 1 b (Grundrechte).
[3] Wahlen vom 5.3.89: AT, 6.3.89; Presse vom 7.3.89. Zur Grünen Liste: AT, 14.1.89. Wahlkampf: AT, 25.2.89; NZZ und SGT, 27.2.89. Letzte Wahlen: SPJ 1985, S. 31 f. Zu den vorverlegten Regierungsratswahlen vom 4.12.88 siehe SPJ 1988, S. 54.
[4] Wahlen vom 30.4.89: SZ, 1.5. und 2.5.89; BZ, 1.5.89; NZZ, 2.5.89. Wahlkampf: NZZ, 9.3. und 28.4.89; SZ, 18.4.89. Zu den Grünen: SZ, 25.2.89. Zur AP: SZ, 1.4.89; AT und BZ, 22.4.89. Letzte Wahlen: SPJ 1985, S. 32 f.
[5] Wahlen vom 9.4.89: Express, 10.4.89; NZZ, Suisse, 10.4.89; L'Hebdo, 13.4.89. Wahlkampf: Express, 28.2.89; Suisse, 2.3.89; NZZ, 4.4.89; L'Hebdo, 6.4.89. Letzte Wahlen: SPJ 1985, S. 34 f.
[6] Wahlen vom 15.10.89: Presse vom 16.10.89; Suisse, NZZ und JdG, 17.10.89; L'Hebdo, 19.10.89. Wahlkampf: JdG, 28.9., 30.9., 2.10., 3.10., 5.10., 6.10. und 7.10.89; L'Hebdo, 5.10.89. Frauenanteil: Suisse, 17.10.89. Zu den Grünen: L'Hebdo, 29.6.89. Letzte Wahlen: SPJ 1985, S. 35.
[7] Wahlen vom 5.3.89: NF, 6.3. und 7.3.89. Wahlkampagne: NF, 28.2. und 1.3.89; NZZ, 27.2.89; LNN, 28.2.89. Letzte Wahlen: SPJ 1985, S. 34.
[8] Wahlen vom 7.5.89: BüZ, 8.5. und 28.5.89; NZZ, 8.5.89. Wahlkampf: BüZ, 28.4.89; TA und BZ, 5.5.89; NZZ, 6.5.89. Letzte Wahlen: SPJ 1987, S. 60 f.
[9] Vgl. auch den Artikel über kantonale Regierungen in der Westschweiz in DP, 7.12.89.
[10] Wahlen an den Landsgemeinden vom 30.4.89: NZZ, 27.4. und 2.5.89; SGT, 1.5.89; vgl. SPJ 1988, S. 45 und 54. Zum Wahlkampf in AR: SGT, 21.4. und 1.5.89.
[11] Ersatzwahlen vom 22.1.89: BaZ, NZZ und LNN, 23.1.89; vgl. SPJ 1987, S. 59 und 62. Wahlkampf: BaZ, 4.1. und 13.1.89; TA, 14.1.89.
[12] Wahlen vom 12.11.89: Suisse und JdG, 13.11. und 14.11.89; NZZ, 15.11.89; L'Hebdo, 16.11.89. Wahlkampf: L'Hebdo, 30.3.89; Suisse und JdG, 1.11. und 2.11.89; DP, 9.11.89. Departementsverteilung: JdG, 18.11.89.
[13] Ersatzwahlen vom 29.10.89: LNN und Vat., 30.10.89; vgl. SPJ 1987, S. 59 und 62 f. Wahlkampf: Vat., 13.9.89; LNN, 21.10. und 23.10.89; NZZ, 26.10.89. Zur Kandidatur von A. Z'Graggen: Ww, 26.10.89.
[14] Erster Wahlgang vom 9.4.89: Express, NZZ und Suisse, 10.4.89. Zweiter Wahlgang vom 23.4.89: Express, 24.4.89; Presse vom 24.4. und 25.4.89. Wahlkampf: Express, 11.4. und 15.4.89; VO, 20.4.89. Zu von Wyss: L'Hebdo, 27.4.89; DP, 27.4.89. Departementsverteilung: Express, 10.5.89.
[15] Wahlen vom 30.4.89: SZ, 1.5., 2.5. und 18.5.89.
[16] Ersatzwahlen vom 30.4.89: LNN und Vat., 1.5.89; vgl. SPJ 1988, S. 45 und 56. Wahlkampf: Vat., 15.2.89; LNN, 22.2. und 5.4.89; NZZ, 28.4.89.
[17] Ersatzwahlen vom 27.8.89: SGT und NZZ, 28.8.89; vgl. SPJ 1988, S. 45 und 56. Wahlkampf: SGT, 1.7., 7.7. und 26.7.89.
[18] Amtsantritt vom 24.4.89: CdT und TA, 26.4.89; vgl. SPJ 1.987, S. 59 und 62. Nominierung: CdT, 20.1.89; NZZ, 20.1. und 21.1.89. Zu Marty vgl. auch SGT, 9.2.89.
[19] Wahlen vom 5.3. und 12.3.89: 1. Wahlgang: NF, 6.3. und 7.3.89; NZZ, 7.3.89. 2. Wahlgang: NF, Suisse, JdG und NZZ, 13.3.89. Departementsverteilung: NF, 21.4.89.
[20] Wahlen für das Stadtparlament vom 29.10.89: 24 Heures und Suisse, 30.10. und 31.10.89; DP, 9.11.89; Presse vom 31.10.89. Wahlkampf: Suisse, 7.9., 20.9. und 23.10.89; 24 Heures, 12.9., 20.10. und 21.10.89; NZZ, 21.10.89. Zur Demokratisch-Sozialen Partei siehe unten, Teil Illa (Sozialdemokratische Partei).
[21] Wahlen vom 29.10. und 12.11.89: 1. Wahlgang: 24 Heures und Suisse, 30.10. und 31.10.89; 2. Wahlgang: Presse vom 13.11. und 14.11.89; L'Hebdo, 16.11.89; DP, 16.11.89. Wahlkampf: 24 Heures und Suisse, 2.11.89; NZZ, 8.11.89; 24 Heures, 9.11.89. Amterverteilung: 24 Heures, 2.12.89.
[22] Wahlen vom 26.11.89: 24 Heures, Suisse, NZZ, 27.11.89; L'Hebdo, 30.11.89. Wahlkampf: L'Hebdo, 12.10.89; NZZ, 22.11.89; 24 Heures, 22.11. und 23.11.89.
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