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Grundlagen der Staatsordnung
Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein
Der Nationalrat nahm den Bericht über die Verbesserung der Verständigung unter den Sprachgruppen zustimmend zur Kenntnis. - Der Bundesrat konnte sich noch nicht für ein Projekt der geplanten Landesausstellung entscheiden. - Bundesrat Koller stellte sein Konzept für die Totalrevision der Bundesverfassung vor.
Grundsatzfragen
Mit der Veröffentlichung des Schlussberichts konnte das Nationale Forschungsprogramm (NFP 21) über "Kulturelle Vielfalt und nationale Identität" abgeschlossen werden. Der vom Basler Geschichtsprofessor Georg Kreis unter dem Titel "Die Schweiz unterwegs" publizierte Forschungsbericht geht in 47 thematisch weit gestreuten Untersuchungen der Frage nach Befinden und Selbstverständnis in der Schweiz nach. Der Bericht enthält eine historische Betrachtung des Aufbaus des eidgenössisch-schweizerischen Nationalgefühls, legt jedoch sein Hauptaugenmerk auf die nationale Identitätsfindung in der jüngeren Vergangenheit. Diese wird anhand des Beziehungsgeflechts zwischen zunehmender politischer und wirtschaftlicher Internationalisierung und darauf reagierendem Rückzug auf lokale Strukturen analysiert, unter besonderer Beachtung der Stellung der verschiedenen Sprachgruppen zueinander. Als Möglichkeit, die beschriebenen Herausforderungen in Zukunft zu bewältigen, stellt sich für den Herausgeber, der auch den Titel seines Buches in dieser Hinsicht verstanden wissen will, in erster Linie die Annahme und mitgestaltende Fortentwicklung der gesellschaftlichen Dynamik dar [1].
An zwei Anlässen äusserte sich EMD-Vorsteher Kaspar Villiger zum gegenwärtigen Zustand des schweizerischen politischen Systems. An dessen Pfeilern - dem föderalistischen Aufbau, der direktdemokratischen Partizipation der Schweizer Bevölkerung, dem parlamentarischen Milizsystem sowie der parteimässigen Zusammensetzung der Bundesregierung - wollte Villiger nicht rütteln. Trotz mancher unübersehbarer Nachteile bewahre und befestige nämlich gerade dieses System den Zusammenhalt des Landes, indem es die zentrifugalen und partikularen Interessen binde [2].
Die Frage nach dem Grad des Vertrauens der Schweizer Bevölkerung in den Bundesrat erhielt nach der Ablehnung aller drei Abstimmungsvorlagen vom 12. Juni neue Relevanz. Eine Auswertung der im Rahmen der VOX-Umfragen durchgeführten diesbezüglichen Erhebungen ergab, dass das Vertrauen in die Landesregierung seit 1991 kontinuierlich abnimmt. Verantwortlich dafür seien neben der Zunahme der äusseren Konflikte die wachsende wirtschaftliche Krise im Lande selbst sowie die Unsicherheit über die internationale Stellung der Schweiz, insbesondere im Rahmen der europäischen Integration. Besonders stark nahm die Skepsis bei den Angehörigen der Parteien des äusseren rechten Randes zu. Den grössten Vertrauensverlust erlitt der Bundesrat hingegen bei den Wählern und Wählerinnen von SVP und LP, wo der Grad der Zustimmung vom positiven in den negativen Bereich absackte [3]. Eine Ende des Jahres von anderer Seite durchgeführte Umfrage wies dagegen wieder einen leichten Vetrauenszuwachs aus [4].
Die Ursachen der zunehmenden Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung suchte eine Auftragsstudie des Bundes zu ergründen. Dabei stellen die Autoren sowohl im Bereich der als bedrohlich empfundenen Erscheinungen als auch bei den Möglichkeiten, selber aktiv zu werden, zu Beginn der 90er-Jahre eine Zäsur fest. Die Sicherung des Arbeitsplatzes, der sozialen Sicherheit, aber auch die Frage der Gleichberechtigung haben die Sorge um die Umwelt als Hauptanliegen abgelöst. Gleichzeitig werden die Möglichkeiten eigenen oder staatlichen politischen Handelns pessimistischer beurteilt. Besonders in den Städten kamen die Fragen der Asylpolitik, der Kriminalität und des Drogenkonsums als neue wichtige Formen der Bedrohung hinzu.
Gemäss einer von einem Meinungsforschungsinstitut im Auftrag einer Tageszeitung durchgeführten Umfrage wurden die beiden letzten Probleme von über 50% der Bevölkerung als dringlich angesehen. Die im Bundesbericht ebenfalls erwähnte Frage der Einwanderung beschäftigte danach dagegen nur etwas mehr als einen Drittel der Befragten. Die Verfasser der Bundesstudie warnen denn auch selbst vor einer Verquickung dieser drei Problembereiche, da sie besonders leicht Spielraum für die politische Konstruktion von Feindbildern böten. Auch dürfe eine als dramatisch empfundene lokale Bedrohung nicht zu einer gesamtnationalen Gefahr hochstilisiert werden [5].
Eben diese Sorge bewegt offensichtlich auch viele Romands. In einer Rede vor dem lokalen Business Club betonte der Genfer Regierungsrat Peter Tschopp, die Probleme Zürichs dürften nicht zu denen der gesamten Schweiz gemacht werden. Es sei an Genf, dem anderen grossen urbanen Pol der Schweiz, den eidgenössischen politischen Diskurs insbesondere in der Aussen- und Europapolitik mitzubestimmen [6]. Der jurassische FDP-Nationalrat Alain Schweingruber forderte gar, den Bundesbehörden den Kampf gegen die Drogenkriminalität in der Stadt Zürich zu übertragen. Die entsprechenden Motion wurde von 28 Parlamentsmitgliedern unterzeichnet. Von diesen kamen 19 allein aus der Romandie, zwei aus dem Tessin [7].
Verständigungsschwierigkeiten bestehen offensichtlich nicht allein zwischen den einzelnen Landesteilen, sondern auch zwischen "Elite" und einfacher Bevölkerung. Dies geht zumindest aus einer Lausanner Studie hervor, in welcher mehrere hundert Mitglieder der Führungsschichten befragt wurden. Danach schätzen diese den gegenwärtigen Zustand und die Zukunftsaussichten des Landes generell pessimistischer ein als der Grossteil der Bevölkerung. Besonders deutlich werden die Unterschiede in der Beurteilung der internationalen Öffnung der Schweiz sowie in der Wertschätzung der zentralen staatlichen Werte, wie etwa der direktdemokratischen Partizipation. Die Studie, 1993 erstmals durchgeführt, soll jährlich wiederholt werden [8].
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Von den anfänglich vier Projekten für eine Landesausstellung wurde das Walliser Vorhaben im Januar zugunsten der geplanten Durchführung der Olympischen Winterspiele im Jahr 2002 zurückgezogen [9]. Dagegen stellten Genf und Neuenburg Anfang März bzw. Ende April ihre Pläne öffentlich vor. Das "Swiss Expo" benannte Projekt auf Genfer Boden dreht sich um drei thematische Pole: in einem ersten, dem "Erbe der Schweiz" gewidmeten Schwerpunkt sollen traditionelle Kultur und Brauchtum aufgezeigt werden; der zweite, "die Schweiz, lebendiges Modell für Europa" überschriebene Bereich soll den Blick von der Vergangenheit auf eine Zukunft in und mit Europa richten, während der dritte Pol dem Gehirn als Ausdruck menschlicher Fähigkeiten und Kommunikation gewidmet ist [10]. Die Neuenburger "Odyssee 2000" dagegen steht thematisch unter dem Leitbegriff der "Zeit". Sie umfasst räumlich den Neuenburger-, Murten- und Bielersee sowie die Aare bis Solothurn, wobei sowohl an den Ufern wie auf den Gewässern selbst Ausstellungspavillons vorgesehen sind [11].
Zeit für seine Entscheidung liess sich auch der Bundesrat. Nachdem er sich von Seiten der Initianten über die geplanten Vorhaben hatte informieren lassen, sprach er sich im Juni zunächst einmal gegen ein Veranstaltungsdatum im Jahre 1998 und für das Jahr 2001 aus. Damit wird die Landesausstellung von den sich 1998 jährenden Staatsjubiläen getrennt, was aufgrund der zur Verfügung stehenden Zeit als unausweichlich erschien [12]. Eine nach Eingang der drei verbleibenden Projekte - das Vorhaben des Kantons Tessin war bereits 1993 eingereicht worden - zu deren Evaluation gebildete interdepartementale Arbeitsgruppe sprach sich zwar deutlich für die Neuenburger Veranstaltung aus, doch konnte auch sie den Bundesrat noch nicht zu einer Entscheidung veranlassen. Vor einer solchen soll zunächst noch eine Machbarkeitsstudie erstellt werden, um insbesondere die finanziellen und ökologischen Auswirkungen der Projekte zu überprüfen [13].
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Ende Oktober beauftragte der Bundesrat das EDI und das EJPD, eine Botschaft zur Ausgestaltung der Staatsfeierlichkeiten im Jahr 1998 zu erarbeiten. Vorgesehen sind Gedenkfeiern zum 150jährigen Bestehen des Bundesstaats und zum 200. Jahrestag der Gründung der Helvetischen Republik. Der für die moderne Schweiz wenig bedeutsamen formellen Loslösung der 13örtigen Eidgenossenschaft vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation anno 1648, welche 1948 angesichts des eben beendeten Zweiten Weltkriegs noch gewürdigt worden war, soll dagegen 1998 nicht mehr gedacht werden [14].
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Der Nationalrat behandelte im Frühjahr die von den Kommissionen beider Räte erstellten Berichte hinsichtlich einer besseren Verständigung unter den verschiedenen Sprachregionen der Schweiz. Die darin aufgeführten Vorschläge wurden durchwegs positiv beurteilt, der Bericht selbst zustimmend zur Kenntnis genommen. Unbehagen wurde in der fünfstündigen Diskussion an der Verwendung der Deutschschweizer Dialekte, gerade auch in den Medien, geäussert. Mit schlichtem Unverständnis reagierten insbesondere die Abgeordneten aus der Romandie auf die ablehnende Haltung der Deutschschweizer gegenüber dem Hochdeutschen. Nicht zuletzt sei es oft gerade die Verwendung der Schweizer Mundarten, welche die Verständigung unter den Sprachgruppen erschwere [15].
Nach dieser grundsätzlichen Diskussion behandelte der Nationalrat eine Reihe parlamentarischer Vorstösse zu diesem Thema. Wie bereits der Ständerat überwies auch er eine in beiden Räten eingereichte gleichlautende Motion der beiden Ratskommissionen, welche die Landesregierung bei all ihren Beschlüssen zu besonderer Beachtung der sprachlichen und regionalen Verständigung verpflichtet. Damit konnte sich der Bundesrat nicht durchsetzen, welcher die Vorschläge zwar seinerseits begrüsste, jedoch für deren Überweisung als Postulat plädiert hatte [16]. Er überwies weiter eine Motion des Ständerats, welche im Anschluss an die Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zum EWR eingereicht worden war und den Bundesrat beauftragt, im Zusammenwirken mit gesellschaftlichen und kulturellen Organisationen Massnahmen zu treffen, um die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften nachhaltig zu fördern [17].
Erfolg hatte auch eine parlamentarische Initiative von Robert (gp, BE). Darin wird der Bund aufgefordert, Bemühungen der Kantone zur Förderung der zweisprachigen Erziehung im Rahmen der Landessprachen zu unterstützen. Der Antrag Maspolis (lega, TI), der Initiative keine Folge zu geben, wurde deutlich verworfen [18]. Eine weitere parlamentarische Initiative von Borel (sp, NE) für den Empfang mindestens eines Radioprogramms in jeder der drei Amtssprachen in der ganzen Schweiz wurde von der zuständigen Ratskommission in ein eigenes Postulat umgewandelt und dergestalt vom Plenum überwiesen [19].
Als Postulat überwiesen wurde auch die Forderung der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats, die vom Bundesrat ein grösseres Engagement bei Fremdsprachenaufenthalten für Schüler und Lehrlinge sowie eine auf ökonomisch schwache Gebiete hin angelegte regionale Wirtschaftspolitik forderte [20]. Kein Erfolg war schliesslich einem Minderheitsantrag der Verständigungskommission des Nationalrats beschieden, welcher zur Verbesserung der Kompetenz im Hochdeutschen für alle Lehrkräfte einen obligatorischen Aufenthalt im deutschsprachigen Ausland vorsah. Das entsprechende Postulat wurde auf Antrag des Bundesrats deutlich abgelehnt [21].
Unter dem Titel "CH-Forum 98" nahm der Kanton Solothurn eines der vom Nationalrat im Rahmen der Verständigungsberichte diskutierten Projekte auf. In den kommenden Jahren soll auf dem als Begegnungszentrum landesweit etablierten Schloss Waldegg eine Reihe von Veranstaltungen zur Frage eines erneuerten nationalen Dialogs durchgeführt werden. Mit bislang 17 vorgesehenen Beiträgen, die thematisch von der Frage nach der Stellung der ausländischen Mitbürger bis zum Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie reichen, sind die Diskussionsbereiche weit abgesteckt. Den Beginn machte im November eine gut besetzte Tagung über die "Dialogfähigkeit der Schweiz", in deren Mittelpunkt die Frage nach den Ursachen der zunehmenden aussenpolitischen Abschottung sowie innenpolitischen Grabenbildung und allfällige Möglichkeiten zu deren Überwindung stand. Das "CH-Forum 98" versteht sich als Beitrag des Kantons Solothurn zu den Staatsfeierlichkeiten im Jahre 1998 [22].
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Totalrevision der Bundesverfassung
Nach dem Willen des Bundesrats soll die Totalrevision der Bundesverfassung bis zum Jubiläumsjahr 1998 abgeschlossen sein. Anlässlich einer Medienkonferenz legte die Landesregierung Ende Juni ihre Vorstellungen über den Zeitplan und die Grundsätze der Revision vor. Danach soll bis 1995 ein Entwurf erarbeitet werden, welcher im Jahr darauf dem Parlament zugeleitet und, bei positiver Aufnahme, 1998 verabschiedet werden könnte. Thematisch sind drei Schwerpunkte vorgesehen: Neben der Nachführung des geltenden Verfassungsrechts auch Reformen in den Bereichen der Volksrechte und des Justizwesens. Wie Bundesrat Koller ausführte, müssten diese Reformen insbesondere auf die Schaffung eines neuen Gleichgewichts zwischen Landesregierung, Parlament und Volk sowie auf eine verlässliche Einbettung der Schweiz in das internationale Beziehungsnetz hin ausgerichtet sein.
Der Bundesrat sieht die revidierte Verfassung freilich nicht als geschlossenes System. In die erwähnten Reformblöcke sollten, wie in einem offenen Baukasten, auch später weitere Elemente eingebaut werden können. Ausserdem werden parallel zu der Arbeit in den drei Reformbereichen, mit denen jeweils eine eigene Kommission befasst ist, Neuerungen bei der Regierungs- und der Parlamentsreform sowie dem Verhältnis zwischen Bund und Kantonen erarbeitet. All diese Reformbestrebungen, welche bislang unterschiedlich weit gediehen sind, sollen unter der Oberleitung Bundesrat Kollers koordiniert und letztlich in der revidierten Bundesverfassung zusammengeführt werden. Zur Offenheit der neuen Verfassung soll schliesslich auch eine nach Appenzeller Vorbild als "Volksdiskussion" beschriebene, breit angelegte öffentliche Vernehmlassung beitragen [23].
In der behördlichen Vernehmlassung stiess das Projekt auf grundsätzliche Zustimmung. Allerdings forderten die Kantone, entgegen dem Bestreben Bundesrat Kollers, sich zunächst auf die Revision der Volksrechte und der Justiz zu konzentrieren, die Frage des Föderalismus mit in die derzeitige Revision aufzunehmen. Noch einen Schritt weiter ging die Kommission des Nationalrats, welche in die laufende Verfassungsänderung auch die Parlamentsrevision eingebaut sehen möchte [24].
In der Herbstsession nahm der Nationalrat die Beratung über die Motion des Ständerats (Motion Josi Meier, cvp, LU) hinsichtlich einer Totalrevision der Bundesverfassung auf. Von der zuständigen Kommission wurde der Vorstoss einstimmig zur Annahme empfohlen. Im Plenum stellten sich auch alle stellungnehmenden Fraktionen hinter das Begehren, bevor die Debatte aus Zeitgründen auf die Wintersession verschoben wurde. Dort meldete Zbinden (sp, AG) Bedenken an: Ohne Klarheit in der zentralen Frage der Stellung der Schweiz zur EU solle eine Verfassungsrevision nicht in Angriff genommen werden; die jetzige Revision verbaue den Weg zu einer grundlegenden Veränderung. Explizite Unterstützung erhielt Zbinden allerdings nur von der Freiheitspartei, wenn auch aus anderen Gründen. Die übrigen Fraktionen unterstützten die Motion grundsätzlich, wobei die Grünen für die Einsetzung eines Verfassungsrates plädierten. Da sich zudem Bundesrat Koller für das Begehren aussprach, wurde die Motion des Ständerats mit deutlicher Mehrheit überwiesen [25].
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Kantonale Verfassungsrevisionen
Die eidgenössischen Räte genehmigten die Verfassungsrevisionen von zehn Kantonen, darunter auch diejenige des Kantons Nidwalden, welche der Landsgemeinde - im Hinblick auf die Erstellung eines Endlagers für Atommüll im Wellenberg - die Kompetenz zur Genehmigung der Konzessionserteilungen für die Benützung des Untergrunds zugesteht [26].
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In Innerrhoden nahm die Landsgemeinde am 24. April als ersten Schritt der unter dem Begriff "Appio" zusammengefassten Verfassungsänderungen die Einführung der Gewaltentrennung unter den politischen Behörden an. Damit wird die automatische Mitgliedschaft der Exekutiven von Kanton und Bezirken im Grossen Rat aufgehoben, dieser von 65 auf 46 Mitglieder verkleinert, und der regierende Landammann verliert das Privileg der Leitung des Parlaments. Als nächster Schritt ist die Reform der Verwaltungsstrukturen sowie eine Verkleinerung der Regierung auf sieben Mitglieder vorgesehen, wie sie vom Grossen Rat Ende November beschlossen worden ist [27].
In Ausserrhoden konnten hinsichtlich der neuen Kantonsverfassung sowohl die erste Lesung im Kantonsrat wie auch die als "Volksdiskussion" bezeichnete, die gesamte Wohnbevölkerung umfassende öffentliche Vernehmlassung abgeschlossen werden. Der daraus hervorgegangene Entwurf lehnt sich weitgehend an die von der ebenfalls aus breiten Teilen der Bevölkerung zusammengesetzten Verfassungskommission unterbreitete Vorlage an. Hinsichtlich der umstrittensten Punkte entschied sich der Kantonsrat in folgendem Sinne: Die neue Verfassung soll eine jedoch nicht als "Präambel" bezeichnete Einleitung mit der Nennung Gottes erhalten; das Amt des Regierungsrats ist in Zukunft mit der Zugehörigkeit zu einer Gemeindebehörde unvereinbar; entgegen dem Antrag der Verfassungskommission soll der Titel "Landammann" beibehalten und die Regierung weiterhin jährlich von der Landsgemeinde gewählt werden; der Kantonsrat wird auf 65 Mitglieder vergrössert; die Zahl der nötigen Unterschriften für Initiativen wird auf 300 erhöht; die Landsgemeinde verliert die Kompetenz zur Bestimmung von Budget und Steuerfuss, erhält dafür aber das Recht, den Ständerat zu wählen; die Entscheidung über die Einführung des aktiven kommunalen Stimm- und Wahlrechts für die ausländische Mitbevölkerung bleibt den Gemeinden vorbehalten, ausserdem soll diese Frage an der Landsgemeinde losgelöst von der Verfassung behandelt werden; die von der Verfassungskommission formulierten Sozialziele bleiben erhalten. Als letzte Instanz wird die Landsgemeinde 1995 über die neue Verfassung zu befinden haben [28].
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Nach 17 Jahren Vorarbeit legte der Tessiner Staatsrat Ende Dezember den Entwurf für eine neue Kantonsverfassung vor, die vierte seit Bestehen des Kantons. Die heute gültige Verfassung ist seit 1830 in Kraft und damit die älteste der Schweiz. Die neue Konstitution bestätigt und ergänzt die anerkannten Menschen- und Sozialrechte. Neuerungen sind im Bereich der Volksrechte, der Wahl der politischen Instanzen sowie des Kirchenwesens vorgesehen, wobei der Regierungsrat für die umstrittensten Themen Varianten vorschlägt. So sieht der Entwurf keine eindeutige Regelung der generellen Einführung des Majorz- oder Proporzwahlrechts, der politischen und finanziellen Stellung der Kirchen, der Frage des Amtszwangs sowie der Einführung des aktiven kommunalen Stimm- und Wahlrechts für die ausländische Mitbevölkerung vor. Geplant ist dagegen eine Neuregelung des Wahlrechts der Ständeräte, deren einer vom Regierungsrat ernannt werden soll, und der Unvereinbarkeit zwischen kantonalen und eidgenössischen politischen Ämtern, weiter die Verdoppelung der nötigen Zahl der Unterschriften für Initiativen und Referenden, die Einführung des Finanzreferendums, die Möglichkeit, neben der Regierung auch das Parlament sowie die Gemeindebehörden abzuberufen und die Einreichung einer Gesetzesinitiative durch ein Viertel (62) der Gemeinden [29].
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Pläne für eine Totalrevision der Kantonsverfassung bestehen auch in den Kantonen Sankt Gallen, Schaffhausen und Zürich. In Sankt Gallen sprach sich der Grosse Rat für eine Totalrevision der Verfassung bis zum Jahr 2000 aus und damit gegen den Antrag der Regierung, die Konstitution schrittweise zu revidieren. Die dafür zuständige Verfassungskommission soll auf Mitglieder des Grossen Rats beschränkt bleiben, wobei es den einzelnen Arbeitsgruppen unbenommen bleibt, aussenstehende Persönlichkeiten beizuziehen [30]. In Schaffhausen befürwortete der Regierungsrat eine Motion der SP für eine Verfassungsrevision bis zum Jahre 2001, dem 500. Jahrestag des Beitritts zur Eidgenossenschaft. In Zürich legten sowohl die Grünen wie auch die EVP Projekte für eine Revision der 125jährigen Verfassung vor [31].
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Weiterführende Literatur
R. Bernhard (Red.), 700 Jahre sind erst ein Beginn, Aarau 1993 (Jahrbuch der Neuen Helvetischen Gesellschaft).
ders. (Red.), Die Schweiz als Wille und Vorstellung, Aarau 1994 (Jahrbuch der Neuen Helvetischen Gesellschaft).
H. Bickel e.a. (Hg.), Mehrsprachigkeit - eine Herausforderung, Aarau 1994 (Teilbericht des NFP 21).
S. Borner, Die Schweiz im Alleingang, Zürich 1994.
N. Bouvier / G.A. Craig / L. Gossman, Geneva, Zürich, Basel. History, culture and national identity, Princeton 1994.
C.H. Church, Where is Switzerland?, Canterbury 1994.
F. Couchepin, "Gouverner la Suisse, est-ce encore possible?", in Dokumenta, 1994, Nr. 2, S. 21 ff.
A. Koller, "550 Jahre Sankt Jakob an der Birs", in Dokumenta, 1994, Nr. 3, S. 10 ff.
G. Kreis, Die Schweiz unterwegs, Basel 1993 (Schlussbericht des NFP 21).
W. Linder, Swiss Democracy. Possible solutions to conflict in multicultural societies, London, New York 1994.
P. Saladin, Wozu noch Staaten?, Einsiedeln 1994 (Nationales Forschungsprogramm 28).
K. Villiger, "Gedanken zum politischen Vertrauensverlust", in Dokumenta, 1994, Nr. 2, S. 18 ff.
K. Villiger, "Die Schweiz zwischen Veränderung und Beharrung", in Documenta, 1994, Nr. 4, S. 2 ff.
B. Voutat (Hg.), Penser le politique, Lausanne 1993.
J. Ziegler, Le Bonheur d'être Suisse, Paris 1994.
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[1] NZZ, 5.4.94; BaZ, 9.4.94.1
[2] NZZ, 28.1. und 9.5.94.2
[3] D. Schloeth, Analyse der eidg. Abstimmungen vom 25. September 1994, Vox Nr. 54, Adliswil 1994, S. 28 ff.; TA, 15.6.94; Presse vom 16.6.94. Vgl. auch unten, Teil I, 1c (Regierung).3
[4] BZ, 28.10.94.4
[5] Auftragsstudie: SGT, 1.10.94. Meinungsumfrage: Blick, 15.8.94. Vgl. dagegen "Angstreport" in BZ, 19.4.94.5
[6] JdG, 20.1.94.6
[7] Verhandl. B.vers., 1994, III, S. 132. Vgl. Ww, 6.10.94; TA, 22.1.94; NZZ, 3.12.94.7
[8] Presse vom 25.3.94 (v.a. 24 Heures).8
[9] Suisse, 28.1.94. Vgl. SPJ 1993, S. 17.9
[10] Presse vom 8.3.94; NZZ, 9.3.94.10
[11] Presse vom 21.4.94.11
[12] Projekte: Presse vom 12.3., 19.3. und 21.6.94. BR: Presse vom 14.6.94.12
[13] NZZ, 8.11.94; 24 Heures 23.11.94; Presse vom 22.12.94. Vgl. zu diesem Thema auch den "Offenen Brief" der Befürworter des Genfer Projekts: TA, 7.11.94; Presse vom 8.11.94. Zum Tessiner Projekt siehe SPJ 1993, S. 17.13
[14] NZZ, 14.6. und 28.10.94.14
[15] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 362 ff.; Presse vom 16.3. und 17.3.94. Vgl. SPJ 1993, S. 15 f.15
[16] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 392 f.16
[17] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 394 f.17
[18] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 396 ff.18
[19] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 395 f. Vgl. unten, Teil I, 8c (Radio und Fernsehen).19
[20] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 393 f.20
[21] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 393.21
[22] Presse vom 8.11. und 14.11.94.22
[23] Presse vom 28.6. und 25.11.94. Zur Reform der politischen Institutionen vgl. unten, Teil I, 1c.23
[24] Presse vom 3.10. und 25.10.94.24
[25] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1644 ff. und 2439 ff. Vgl. SPJ 1993, S. 18.25
[26] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 969 ff. und 2325 f.; Amtl. Bull. StR, 1994, S. 86 ff. und 1036; LZ, 4.3.94. Siehe dazu unten, Teil I, 6a (Energie nucléaire).26
[27] SGT, 25.4., 17.11. und 18.11.94; NZZ, 25.11.94.27
[28] SGT, 17.1., 14.2., 2.3., 30.3., 12.4., 21.6., 24.6., 5.7.-7.7., 15.12. und 20.12.94; NZZ, 22.6. und 6.7.94. Vgl. SPJ 1993, S. 18.28
[29] CdT, 24.12.94; SGT, 27.12.94. Vgl. auch unten, Teil II, 1a.29
[30] NZZ und SGT vom 6.7.94; NZZ, 27.9.94; TA 11.10.94. Vgl. SPJ 1993, S. 18 f.30
[31] SH: SN, 7.9.94. ZH: Presse vom 2.12. und 7.12.94; NZZ, 3.12.94.31
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