Wirtschaft
Geld, Währung und Kredit
Die Nationalbank lockerte den Kurs ihrer Geldpolitik. - Der Schweizer Franken verlor deutlich an Wert. - Nationalbank und Bundesrat schlugen vor, die Verfassungsvorschrift der Goldbindung des Frankens zu streichen. - Die Banken setzten den von Personalabbau begleiteten Restrukturierungsprozess fort. - Die Kritik aus den USA und aus Grossbritannien an der Funktion des schweizerischen Finanzplatzes während des 2. Weltkriegs verschärfte sich. Das Parlament beschloss die Einsetzung einer internationalen Historikerkommission zur Abklärung dieser Vorwürfe.
Geld- und Währungspolitik
Die Geldmengenpolitik der Nationalbank blieb grundsätzlich immer noch dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet, nahm aber bewusst
stärkere Rücksicht auf die konjunkturellen Gegebenheiten. Die schlechte Wirtschaftslage veranlasste sie zu einer expansiveren Politik als ursprünglich vorgesehen. Statt wie geplant um 1% wuchs die Notenbankgeldmenge zwischen dem vierten Quartal 1995 und dem vierten Quartal 1996 um 5%. Die am 26. September vorgenommene Senkung des Diskontsatzes auf den historischen Tiefstsatz von 1% signalisierte, dass die Nationalbank auch längerfristig mit niedrigen Zinsen rechnet. Sowohl von den Wirtschaftsverbänden als auch vom Bundesrat wurde dieser Entscheid als Beitrag zur Stimulierung der Wirtschaft begrüsst
[1].
Die Nationalbank kündigte an, dass sie
1997 ihren gelockerten geldpolitischen Kurs beibehalten wolle. Die Expansion der Notenbankgeldmenge solle wie bereits 1996 leicht über dem mittelfristigen Wachstumsziel von 1% liegen
[2].
Dieser expansive Kurs war auch vom Parlament gefordert worden. Unter dem Eindruck der anhaltend schlechten Wirtschaftslage hatte der Nationalrat in der Frühjahrssession seinem Wunsch nach
einer stärkeren Lockerung der Geldpolitik Ausdruck gegeben. Gegen den Antrag des Bundesrates, der vor dem Aufbau eines Inflationspotentials warnte, überwies er ein entsprechendes Postulat Kühne (cvp, SG), das zusätzlich auch noch eine Ausrichtung der Währungspolitik auf das Europäische Währungssystem (EWS) oder die DM anregte
[3].
Der seit Anfang 1993 anhaltende Anstieg des Kurses des Schweizer Frankens setzte sich im Berichtsjahr nicht fort. Der amerikanische Dollar erholte sich und konnte den im Vorjahr erlittenen Wertverlust im Vergleich zu anderen wichtigen Währungen wieder wettmachen. Die D-Mark verlor hingegen an Wert, wenn auch nicht im selben Ausmass wie der Schweizer Franken. Der Wertrückgang des Frankens setzte bereits zu Jahresbeginn ein und hielt praktisch während des ganzen Jahres an. Bis zum Dezember
verlor der Franken exportgewichtet fast 10% an Wert und glich damit den Anstieg der beiden vorangegangenen Jahre wieder aus. Am stärksten fiel die Kurskorrektur gegenüber dem britischen Pfund und der italienischen Lira aus (-20% resp. -17%), aber auch der US-Dollar verbesserte sich gegenüber dem Schweizer Franken innert Jahresfrist um 14,6%. Die für die Exportwirtschaft besonders wichtige D-Mark wurde im Vergleich zum Franken um rund 5% aufgewertet
[4].
Die politische Linke forderte weiterhin eine auch an
währungspolitischen Zielen orientierte Geldmengenpolitik. Eine sozialdemokratische Interpellation aus dem Jahr 1995 gab dem Nationalrat Gelegenheit darüber zu diskutieren. Die Vertreter der SP wiederholten ihre Forderung, neben stabilitätspolitischen vermehrt auch währungspolitische Ziele zu berücksichtigen. Bundesrat Villiger hielt dem entgegen, dass angesichts der Internationalität der Finanzmärkte eine autonome Beeinflussung der Wechselkurse durch eine expansive Geldmengenpolitik nicht mehr möglich sei und diese einzig zum Aufbau eines Inflationspotentials führen würde
[5].
Aus der unter der Frankenaufwertung der vorangegangenen Jahre besonders leidenden Tourismusbranche wurde die Schaffung eines "
Tourismusfrankens" mit von der Nationalbank garantierten fixen Wechselkursen angeregt. Der Bundesrat lehnte dieses Ansinnen als nicht praktikabel und zudem im Widerspruch zu internationalen Wirtschaftsverträgen (WTO und IWF) stehend ab
[6].
Die geplante
europäische Währungsunion (EWU) beschäftigte verstärkt auch die schweizerischen Politiker und Behörden. Bundesrat Villiger erklärte auf Anfrage, dass es nicht Sache der Schweizer Regierung sei, Urteile über die Wünschbarkeit und die Realisierungschancen dieses EU-Projekts auszusprechen. Der Bundesrat habe gemeinsam mit der Nationalbank die Kommission für Konjunkturfragen beauftragt, mögliche Szenarien in bezug auf die Auswirkungen der Währungsunion auf die Kursentwicklung des Schweizer Frankens auszuwerten. Gemäss einer ersten Einschätzung durch den Bundesrat dürfte es für die Schweiz am günstigsten sein, wenn die gemeinsame Währung unter Einhaltung der sogenannten Maastricht-Kriterien und mit strengen Auflagen für das zukünftige finanzpolitische Verhalten der Mitgliedsstaaten planmässig eingeführt würde. Auch von einer Verschiebung des Startzeitpunkts mit der Absicht, abzuwarten, bis genügend EU-Mitglieder die Eintrittsbedingungen erfüllen, seien für die Schweiz kaum negative Auswirkungen zu befürchten. Eine Aufweichung der Kriterien würde hingegen zu Währungsturbulenzen mit entsprechendem Aufwertungsdruck auf den Schweizer Franken führen
[7].
Die Kommission für Konjunkturfragen kam in ihrer Studie zu ähnlichen Schlüssen wie der Bundesrat. Sie forderte zudem die
Beibehaltung der autonomen, das heisst nicht auf die EWU ausgerichteten Geldpolitik der Nationalbank und den Verzicht auf eine Anbindung des Frankens an die DM oder den Euro
[8].
Auf dem schweizerischen
Geldmarkt setzte sich die Abwärtstendenz des Vorjahres nicht fort. Die Zinsen für dreimonatige Eurofrankenanlagen stiegen im ersten Halbjahr um 0,5 Prozentpunkte auf 2,5% an. Im zweiten Halbjahr reduzierten sie sich dann wieder bis auf 2,0% zu Jahresende. Die
langfristigen Zinssätze bewegten sich mehr oder weniger parallel dazu. Die Durchschnittsrendite für eidgenössische Obligationen stieg zuerst von 3,7% auf 4,3 % (Mai) und sank dann wieder bis auf 3,7% zu Jahresende. Die Hypothekarzinsen blieben weitgehend stabil. Erst gegen Jahresende kamen die Neuhypotheken leicht ins Rutschen
[9].
Die Nettobeanspruchung des schweizerischen
Kapitalmarktes ging im Berichtsjahr zurück. Zurückzuführen war dies vor allem auf die im Vergleich zum Vorjahr massiv höheren Rückzahlungen
[10].
Die im letzten Jahr nicht abschliessend behandelte Motion der Finanzkommission des Nationalrats für eine
Erhöhung der Obergrenze der Gewinnausschüttung der Nationalbank von gegenwärtig 600 Mio Fr. wurde mit dem Einverständnis des Bundesrats in Postulatsform überwiesen. Ein Antrag Aregger (fdp, LU), den Vorstoss auch in dieser Form abzulehnen, unterlag mit 70 zu 48 Stimmen
[11]. Eigentlich hatte die Nationalbank vorgesehen, wegen den Buchverlusten auf den Devisenreserven für das Rechnungsjahr 1995 lediglich 142 Mio Fr. Gewinn an den Bund und die Kantone abzuliefern. Die Kritik an ihrer Anlagepolitik und die anschliessenden Diskussionen (siehe unten) führten dann jedoch zu einer Korrektur. Durch die Aktivierung von stillen Reserven (d.h. konkret durch die Bewertung von handelbaren Terminkontrakten und Wertpapieren zu Marktpreisen) konnte für das Jahr ein einmaliger ausserordentlicher Ertrag von 1,56 Mia Fr. ausgewiesen werden, was die nachträgliche Erhöhung der Gewinnbeteiligung 1995 um 458 auf 600 Mio Fr. erlaubte
[12].
Die Frage einer
gewinnbringenderen Bewirtschaftung der Devisenreserven der Nationalbank stand weiterhin auf der politischen Traktandenliste. Der Lausanner Ökonomieprofessor von Ungern-Sternberg warf der SNB vor, sie hätte mit einer attraktiveren Anlagepolitik in den letzten Jahren zusätzliche Milliardenbeträge erwirtschaften und damit auch die Ausschüttungen an die öffentliche Hand erhöhen können. Die FDP-Fraktion regte mit einer Interpellation eine Lockerung der Anlagevorschriften im Nationalbankgesetz an, welche heute die maximale Anlagedauer auf 12 Monate festlegen. Der Bundesrat gab bekannt, dass sich als Reaktion auf diese Kritik eine aus Angehörigen der eidgenössischen Finanzverwaltung und der Nationalbank gebildete Arbeitsgruppe mit dieser Frage, aber auch mit der Überprüfung der Golddeckung der Währung befasst. Diese Arbeitsgruppe veröffentlichte am 20. Dezember ihren Bericht. Sie kam darin zum Schluss, dass die Anlagepolitik geändert werden sollte. Insbesondere müssten stille Reserven in Zukunft in Rückstellungen umgewandelt, die Anlagevorschriften gelockert und der Golddeckungssatz von 40% auf 25% reduziert werden. Damit könnte die SNB ihren jährlich an den Bund und die Kantone zu verteilenden Gewinn um rund 400 Mio Fr. steigern
[13]. Nationalrat Ledergerber (sp, ZH) reichte eine parlamentarische Initiative mit ähnlichen Zielen ein. Dabei präzisierte er auch, wie die von ihm auf rund 5 Mia Fr. pro Jahr veranschlagten Gewinne zu verwenden wären: zu je einem Drittel für die Arbeitslosenversicherung, für die Tilgung der Schulden des Bundes und für die Kantone
[14].
Die Nationalbank hatte sich zuvor ebenfalls dafür ausgesprochen, die
Verfassungsvorschrift der Goldbindung des Frankens zu streichen (die Pflicht, Franken gegen Gold einzutauschen, war bereits 1953 aufgehoben worden). Diese Reform würde es der SNB zum Beispiel erlauben, einen Teil ihrer Goldreserven zu verkaufen und den Ertrag gewinnbringend anzulegen
[15]. Im Entwurf für eine
neue Bundesverfassung wurde diesem Anliegen Rechnung getragen. Anstelle der Verpflichtung, dass der Notenumlauf durch Gold- und Devisenbestände gedeckt sein muss, soll die Vorschrift treten, dass die Notenbank zur Bildung ausreichender Devisenreserven verpflichtet ist
[16].
Eine Gruppe von politisch wenig bekannten Genfern lancierte im April eine
Volksinitiative "für die Finanzierung aufwendiger und langfristiger Infrastrukturvorhaben". Diese sieht vor, in Zukunft die stillen Reserven der Nationalbank, welche sich aus der Unterbewertung der Aktiven ergeben, dem Bund zur Verfügung zu stellen. Konkret visiert das Volksbegehren die
Goldreserve der Nationalbank an, welche gemäss den Übergangsbestimmungen der Initiative
zu 80% des Marktwertes bilanziert werden soll. Als Verwendungszweck der Aufwertungsgewinne nennt die Initiative die Finanzierung der geplanten neuen Alpenbahntransversalen (NEAT)
[17].
Gemäss Art. 39 BV verfügt der Bund über das
Monopol zur Ausgabe von Banknoten, wobei er den praktischen Vollzug an eine zentrale, unter seiner Mitwirkung verwaltete Aktienbank delegieren kann. Bisher hatte das Parlament die Schweizerische Nationalbank für eine Zeitdauer von jeweils 10 oder 20 Jahren mit dieser Aufgabe betraut. Der Bundesrat beantragte dem Parlament, den auf 20. Juni 1997 auslaufenden Beschluss von 1976 um weitere 20 Jahre zu verlängern. Beide Parlamentskammern verabschiedeten den Beschluss diskussionslos und einstimmig
[18].
Im September legte der Bundesrat eine Botschaft für eine
Teilrevision des Münzgesetzes vor. Die Revision betrifft die Regelungen für die Ausgabe von
Gedenkmünzen, deren Ertrag der Bund zur Unterstützung nationaler kultureller Projekte verwendet. Um das vorhandene Marktpotential besser auszunützen, soll es dem Bund in Zukunft erlaubt sein, diese Gedenkmünzen zu einem höheren Preis als dem Nennwert zu verkaufen. Damit würde zum bisherigen Prägegewinn (Nennwert minus Herstellungs- und Vertriebskosten) auch noch ein marktabhängiger Zusatzertrag kommen. Der Ständerat stimmte diesem Vorschlag in der Dezembersession diskussionslos zu
[19].
Banken
Die Bilanzsumme der schweizerischen Banken wuchs 1996 um 14%, wobei das Wachstum bei den drei Grossbanken überdurchschnittlich ausfiel. Infolge von als einmalig bezeichneten Rückstellungen und Wertberichtigungen für unsichere Kredite wiesen sie allerdings trotz stark angestiegener Bruttogewinne Verluste in Milliardenhöhe aus (zusammen rund 4,1 Mia Fr.)
[20].
Im Bankensektor ging die im Zeichen der
Konzentration und Internationalisierung stehende Umstrukturierung weiter. Zwischen 1990 und Ende 1995 nahm die Zahl der Beschäftigten in der Schweiz um rund 8500 ab, am ausgeprägtesten fiel dieser Abbau bei den Regional- und Kantonalbanken aus. Dieser Prozess ist aber noch bei weitem nicht abgeschlossen. Die aus der SKA hervorgegangene CS Holding kündigte an, im Rahmen einer umfassenden Umstrukturierung innerhalb von zwei Jahren 130 Geschäftsstellen und 3500 Arbeitsplätze aufzuheben; der SBV und die SBG gaben den Abbau von 1700 resp. 800 Stellen im Inland während der nächsten drei Jahre bekannt
[21].
Mit 50 zu 35 Stimmen überwies der Nationalrat gegen den Willen des Bundesrats ein Postulat Béguelin (sp, VD), das verlangt, dass der
Eidg. Bankenkommission keine Verwaltungsratsmitglieder von Banken angehören dürfen. Bundesrat Villiger hatte vergeblich darauf hingewiesen, dass die Kommission einerseits auf Bankfachleute angewiesen sei, und andererseits mit Ausstandsregeln Interessenkonflikte verhindert würden
[22].
Der Nationalrat überwies eine Motion Vollmer (sp, BE) für eine gesetzliche Verankerung des
Einlegerschutzes für Bankkunden. Der Bundesrat erklärte, dass er die brancheninterne Regelung der Banken für als grundsätzlich genügend erachte, aber doch gewisse Lücken bestehen würden. Er habe deshalb die Verwaltung beauftragt, im Zusammenhang mit einem geplanten Bundesgesetz über die Bankenliquidation Möglichkeiten zur Schliessung dieser Lücken zu überprüfen
[23].
In der Frühjahrssession lehnte der Nationalrat die bernische Standesinitiative für die Möglichkeit der Beschränkung der Staatsgarantie bei den Kantonalbanken mit denselben Argumenten ab, wie es im Vorjahr der Ständerat getan hatte. Eine Motion Rychen (svp, BE), welche die Bestimmung des Umfangs der Staatsgarantie den Kantonen selbst überlassen wollte, wandelte er in ein Postulat um. Als Hauptargument gegen die bernische Initiative und gegen die verbindliche Motionsform wurde angeführt, dass sonst die Bankkunden getäuscht würden, da bei ihnen der Name "Kantonalbank" unauflöslich mit der Sicherheit der Staatsgarantie verbunden sei. Die Eidg. Bankenkommission hatte sich in ihrem Jahresbericht für 1995 dafür ausgesprochen, den Kantonen die Führung von Kantonalbanken ohne oder mit reduzierter Staatshaftung zu erlauben. Als Postulat überwies der Nationalrat auch eine Motion seiner Wirtschaftskommission, welche die Schaffung rechtlicher Voraussetzungen für den Zusammenschluss von Kantonalbanken und der Bildung eines gemeinsamen Pools für die Deckung der Staatsgarantie forderte. Die Kommission würde darin einen Weg sehen, die Kantone davon abzuhalten, ihre Kantonalbanken aus Angst vor finanziellen Belastungen zu privatisieren. Bundesrat Villiger gab in dieser Debatte bekannt, dass die Regierung im Gegensatz zu der in ihrem Bericht vom Frühjahr 1995 geäusserten Meinung nun doch einen gewissen Handlungsbedarf erkennen könne und deshalb eine Expertenkommission einsetzen werde. Diese Kommission nahm im Juni ihre Arbeit auf.
Im Berichtsjahr wurden die Untersuchungsberichte zu den Geschäftspraktiken der
Kantonalbanken Solothurns und Appenzell Ausserrhodens veröffentlicht. Als Ursachen für die vor allem in den achtziger Jahren erlittenen grossen Verluste wurden in beiden Fällen ein sehr risikofreudiges Verhalten der Geschäftsleitung einerseits und eine äusserst mangelhafte Kontrolle durch die Aufsichtsorgane andererseits bezeichnet
[25]. Die Appenzeller beschlossen an ihrer Landsgemeinde auf Antrag der Regierung praktisch einstimmig den Verkauf ihrer Bank, welche seit 1985 rund 200 Mio Fr. Verluste eingefahren hatte, an eine Privatbank (SBG). Sie folgten damit dem Beispiel der Solothurner, welche diesen Schritt 1994 vollzogen hatten. Der Kanton St. Gallen beschloss in einer sehr knapp ausgegangenen Volksabstimmung (51,4% Ja), seine Kantonalbank teilweise zu privatisieren; der Staat soll allerdings 51% des Aktienkapitals behalten und weiterhin Garantie für die Einlagen leisten. Gegen den letztjährigen Beschluss des Kantonsrats hatten Vertreter der Linken und der FP aus allerdings unterschiedlichen Motiven (die Linke war gegen, die FP für eine vollständige Privatisierung) das Ratsreferendum ergriffen
[26]. Im Kanton Bern leitete der Regierungsrat dem Parlament eine analoge Vorlage für die Umwandlung der Kantonalbank in eine Aktiengesellschaft zu
[27].
Die Forderung von jüdischen Organisationen, dem Vorsitzenden des Bankenausschusses des US-Senats, D'Amato, und auch von der amerikanischen Regierung nach Aufklärung über allfällige Vermögenswerte von Nazi-Opfern bei Schweizer Banken intensivierte sich und erfuhr gleichzeitig eine Ausweitung auf sämtliche Finanztransaktionen vor, während und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg. Immerhin stand die Schweiz nicht mehr ganz allein im Kreuzfeuer der Kritik, da die interessierten Organisationen und Personen ankündigten, dass sie ihre Suche nach verschwundenen Guthaben auch auf andere Staaten (namentlich Norwegen, Schweden und Frankreich) ausdehnen wollten. Englische und amerikanische Medien konzentrierten aber ihre massiven Angriffe weiterhin auf die Schweiz. Einige gingen so weit, sie als Nation von damals wie heute skrupellosen und uneinsichtigen Kriegsprofiteuren, ja sogar als verkappte Verbündete der deutschen Nazis zu charakterisieren
[28]. Um der schweizerischen Position im publizistischen Trommelfeuer aus den USA und Grossbritannien einigermassen Gehör zu verschaffen, aber auch um das direkte Gespräch mit den Protagonisten zu suchen, ernannte Bundesrat Cotti Ende Oktober den Diplomaten
Thomas Borer zum Leiter einer speziellen Task-Force. Borer vertrat die Schweiz denn auch an einem Hearing vor dem Bankenausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses im Dezember, an welchem Senator D'Amato die Schweiz im allgemeinen und die im Jahresverlauf beschlossenen Massnahmen zur Abklärung von Vorwürfen und Klagen im speziellen wieder massiv angriff und, gemeinsam mit Kongressabgeordneten und dem World Jewish Congress (WJC), die Kooperationsbereitschaft der Schweiz und ihrer Banken in Zweifel zog
[29].
Laufend wurden, namentlich von D'Amato, an Pressekonferenzen neue, auf angeblich bisher geheime Dokumente gestützte
Enthüllungen präsentiert. Bei einem Teil davon handelte es sich um unüberprüfte Vermutungen in zeitgenössischen Berichten der amerikanischen Geheimdienste (z.B. Bankkonto für die Tantiemen für Hitlers "Mein Kampf")
[30]. Der grösste Teil betraf aber Tatbestände, welche bereits vor Jahrzehnten im schweizerischen Parlament diskutiert worden waren (z.B. Washingtoner Abkommen, nachrichtenlose Konten und diesbezüglicher Vertrag mit Polen) und oft auch nicht nur in wissenschaftlichen Publikationen untersucht, sondern auch in den Massenmedien dargestellt worden waren (Flüchtlingspolitik, Goldhandel der Nationalbank) und zum Teil sogar Eingang in die schweizerischen Schulbücher gefunden hatten
[31]. Dies gilt zum Beispiel auch für den vom
britischen Aussenministerium im September veröffentlichten Bericht über das von den Nazis vor allem bei den Nationalbanken eroberter Staaten geraubte Gold, dessen Kauf durch die Nationalbanken der Schweiz und anderer neutraler Staaten sowie dessen teilweise Auslieferung an die Siegermächte nach dem Krieg. Verwirrung stiftete dieser Bericht allerdings insofern, als darin US-Dollars mit Schweizer Franken verwechselt worden waren. Die in den Washingtoner Verhandlungen von 1946 von einem schweizerischen Delegationsmitglied genannte Summe von 550 Mio Fr., von der die Schweiz gemäss dem Washingtoner Abkommen rund die Hälfte an die Alliierten abtrat, wurde dadurch auf 550 Mio US$ oder 2,2 Mia Fr. vergrössert. Dies führte vor allem in den britischen Medien zu neuen Anschuldigungen, dass die Schweiz nach dem Krieg die Alliierten belogen habe und immer noch grosse Mengen (1,7 Mia Fr. in damaligem oder 7 Mia Fr. in heutigem Wert) von geraubtem Gold horte. Gestützt auf diese Information verlangte Senator D'Amato erfolglos vom US-Aussenminister Warren, Druck auf die Schweiz zur Neuaushandlung des Washingtoner Vertrags von 1946 auszuüben. Das englische Aussenministerium musste später seine Verwechslung eingestehen
[32].
Grundsätzlich gilt es, in der Diskussion drei Arten von Vermögenswerten auseinanderzuhalten: Die von Deutschland in den eroberten Staaten (insbesondere Belgien und Holland) beschlagnahmten Goldreserven der Nationalbanken (sogenanntes Raubgold), die von Deutschland oder den nationalsozialistischen Organisationen geraubten oder unter Zwang angeeigneten Vermögenswerte der Opfer des Holocaust (Raubgut) und die bei den Banken deponierten Guthaben von Holocaust-Opfern (nachrichtenlose Konten).
Im Februar veröffentlichte die Schweizerische Bankiervereinigung die ersten Ergebnisse einer
Umfrage über vor 1945 eröffnete Konten und Depots, welche seit mindestens zehn Jahren nachrichtenlos sind. Dabei wurden im Gegensatz zu den Abklärungen von 1962 die nachrichtenlosen Konten sämtlicher ausländischer Kunden, und nicht nur diejenigen von wahrscheinlichen Opfern antisemitischer oder rassistischer Verfolgung erfasst. Festgestellt wurden 775 Konten oder Depots im Werte von knapp 40 Mio Fr. Die jüdischen Organisationen in den USA - welche auch schon von versteckten Milliardenbeträgen gesprochen hatten - kritisierten diese Erhebung als unhaltbar
[33]. Parallel dazu liefen die
vom Ombudsman der Bankiervereinigung koordinierten Nachforschungen nach den Erbberechtigten von nachrichtenlosen Konten. Dieser veröffentlichte gegen Jahresende einen ersten Zwischenbericht. Von den zwischen 1. Januar und 30. September bei ihm eingegangenen rund 1000 Auskunftsbegehren stammten etwa 70% von Angehörigen von Nazi-Opfern. Unter den bisher abgeklärten knapp 900 Anfragen stiess man in elf Fällen auf bestehende nachrichtenlose Konten. Dreimal betraf es Vermögenswerte von Holocaust-Opfern, in zwei weiteren Fällen handelte es sich um Guthaben von Personen aus Rumänien, die während des Kriegs enteignet worden waren, und deren Nachfahren sich unter dem kommunistischen Regime nicht um das Erbe kümmern konnten. Der Gesamtwert dieser fünf Guthaben belief sich auf 11 000 Fr. Die kleine Ausbeute dieser Suchaktion wurde auch mit der Effizienz der 1962 durchgeführten ersten Erhebung begründet
[34].
Im Anschluss an ein Hearing zu dieser Frage vor dem von Alfonse D'Amato präsidierten Bankenausschuss des amerikanischen Senats einigten sich die Schweizerische Bankiervereinigung, die World Jewish Restitution Organization (WJRO) und der World Jewish Congress (WJC) - letzterer hatte die Banken zuvor wegen ihres "einseitigen" Vorprellens bei der Suche nach nachrichtenlosen Konten heftig kritisiert -, auf ein gemeinsames Vorgehen. In einem am 2. Mai unterzeichneten "Memorandum of Understanding" beschlossen sie die Einsetzung eines paritätisch zusammengesetzten
unabhängigen Komitees zur Abklärung von nachrichtenlosen Vermögenswerten bei Schweizer Banken. Zum Vorsitzenden wurde Paul A. Volcker, ehemaliger Präsident des US-Federal-Reserve-Board, gewählt. Dabei wurde auch ausgemacht, dass dieses Komitee internationale Revisionsfirmen beauftragen wird, das von der Bankiervereinigung auf den 1. Januar eingeführte neue System zur Suche nach nachrichtenlosen Konten zu kontrollieren. Diese Revisionsfirmen wurden im November bestimmt
[35]. Die Eidg. Bankenkommission gab ihrerseits die Anweisung, dass die bankengesetzlich vorgeschriebenen Revisionsstellen überprüfen müssen, ob die Banken das neue Suchsystem korrekt anwenden. Der Nationalrat beauftragte den Bundesrat, ihm jährlich über den Stand dieser Ermittlungen Bericht zu erstatten
[36]. Im erwähnten "Memorandum of Understanding" ersuchten die beteiligten Parteien zudem den Bundesrat, abzuklären, ob Vermögenswerte, welche Holocaust-Opfern geraubt wurden, den Weg in die Schweiz gefunden haben. Der Bundesrat sicherte seine Mithilfe bei der Abklärung dieser Frage zu
[37].
Der Bundesrat erklärte sich am 29. Mai im Einklang mit der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats bereit, rasche Massnahmen für eine
umfassende Aufklärung der Rolle des schweizerischen Finanzplatzes vor, während und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg einzuleiten. Er kündigte an, mit dieser Aufgabe eine internationale Historikerkommission zu beauftragen. Ein im Sommer durchgeführtes Vernehmlassungsverfahren ergab ausnahmslos Zustimmung zu diesen Plänen. Im September sprach der Bundesrat einen Kredit von 5 Mio Fr. zur Finanzierung dieser historischen Forschung
[38]. Die Bankiervereinigung hatte sich bereits vorher mit der Aufhebung des Bankgeheimnisses im Rahmen dieser historischen Abklärung einverstanden erklärt
[39].
Mit der Schaffung von
rechtlichen Grundlagen für die Tätigkeit dieser Historikerkommission und ihrem Auftrag befasste sich die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats. Sie übernahm im Mai eine im März 1995 eingereichte parlamentarische Initiative Grendelmeier (ldu, ZH) und legte Ende August eine eigene parlamentarische Initiative für einen
Bundesbeschluss vor. Dieser umreisst den Umfang der Untersuchung (Rolle des Finanzplatzes Schweiz während und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg) und räumt rechtliche Hindernisse für die Arbeit der vom Bundesrat eingesetzten Experten aus dem Wege. Die Kommission beantragte darin einen
grundsätzlichen Vorrang der Aufklärungsarbeiten vor Geheimhaltungspflichten von staatlichen Behörden, Banken, Versicherungen, Anwälten, Treuhändern und anderen juristischen und natürlichen Personen. Diese sollen zudem verpflichtet werden, den Experten Akteneinsicht zu gewähren und Vermögenswerte von Opfern des Nationalsozialismus zu deklarieren. Die Vernichtung oder das Verstecken von für die Untersuchung dienlichen Akten ist ihnen untersagt. Der Beschluss regelt aber auch die Geheimhaltungspflichten der Experten. Sie unterstehen - insbesondere was die durch Aufhebung des Bankgeheimnisses erhaltenen Informationen betrifft - dem Amtsgeheimnis, über die Publikation von Untersuchungsmaterialien verfügt allein der Bundesrat. Dieser wiederum ist verpflichtet, den vollständigen Untersuchungsbericht der Historikerkommission zu veröffentlichen
[40]. Der Bundesrat, dessen im Mai eingesetzte interdepartementale Arbeitsgruppe mit der Nationalratskommission eng zusammengearbeitet hatte, erklärte sich mit diesen Vorschlägen einverstanden
[41].
Der
Nationalrat verabschiedete den Bundesbeschluss in der Herbstsession ohne Gegenstimme. Von allen Fraktionen wurde die Notwendigkeit einer lückenlosen Aufklärung der Vergangenheit betont. Eine solche liege - namentlich nach den zum Teil sehr undifferenzierten Anschuldigungen aus den USA und Grossbritannien - sowohl im Interesse des Landes als auch der Banken und der übrigen Wirtschaft. Während Rechsteiner (SG) als Sprecher der SP-Fraktion den Druck aus dem Ausland vorbehaltlos begrüsste, machte der Sprecher der FDP (Suter, BE), darauf aufmerksam, dass dahinter auch ganz konkrete Wirtschaftsinteressen des New Yorker bzw. Londoner Finanzplatzes gegen die im Rahmen der Globalisierung verstärkte Konkurrenz aus der Schweiz stecken dürften. Diese Kontroverse tauchte auch in den Fraktionserklärungen vor der Schlussabstimmung noch einmal auf, als Rechsteiner diesen Beschluss als Startpunkt für eine Debatte über den aktuellen Finanzplatz Schweiz bezeichnete. Dieser Verweis der SP auf Gegenwartsprobleme wurde - mit Hinweis auf den Streit um die Vermögen des philippinischen Ex-Staatschefs Marcos und des zairischen Präsidenten Mobutu - übrigens auch in der Eintretensdebatte im Ständerat von Plattner (sp, BS) und den CVP-Vertretern Schmid (AI) und Frick (SZ) gemacht
[42]. Nationalrat Ziegler (sp, GE) reichte unmittelbar nach der Debatte eine Motion für die Aufhebung der staatlich sanktionierten Verschwiegenheitspflicht der Bankangestellten (sogenanntes Bankgeheimnis) ein
[43].
Im
Ständerat war Eintreten ebenfalls unbestritten. Sämtliche Redner betonten die innen- und aussenpolitische Notwendigkeit einer gründlichen Aufklärung auch der negativen Aspekte der schweizerischen Politik im 2. Weltkrieg. Einige Sprecher nutzten die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass die oft diffamierenden Attacken gegen die Schweiz wohl weniger massiv ausgefallen wären, wenn diese besser in internationale Organisationen (namentlich UNO und EU) integriert wäre (so etwa die CVP-Vertreter Cottier (FR) und Gemperli (SG)). Der Rat stimmte dem Beschluss ebenfalls einstimmig zu, nahm in der Detailberatung aber einige Änderungen vor. Die wichtigste betraf die
Anonymisierung von Personendaten im Bericht, wenn überwiegende Interessen lebender Personen betroffen sind. Auf Antrag der Kommissionsmehrheit beschloss der Rat, dass der Entscheid des Bundesrates über die Anonymisierung vor einem Richter einklagbar sein müsse, wie es Art. 6 der Menschenrechtskonvention verlangt. Für den Nationalrat war diese Argumentation jedoch nicht überzeugend, da es ja nicht um eine rechtliche Untersuchung gehe, sondern um einen historischen Bericht. Er befürchtete insbesondere, dass mit diesem ausgebauten Persönlichkeitsschutz versucht werden könnte, die Veröffentlichung des Berichtes mit Gerichtsverfahren ungebührlich in die Länge zu ziehen. Aus dem gleichem Grund fügte er auch noch die explizite Bestimmung ein, dass das Bundesgesetz über den Datenschutz - welches Betroffenen unter Umständen ein Einsichtsrecht vor der Publikation hätte einräumen können - nicht anwendbar ist. Diese Entscheide wurden schliesslich auch von der kleinen Kammer übernommen. Der Beschluss wurde für dringlich erklärt und am 13. Dezember von beiden Räten einstimmig verabschiedet
[44]. Am 19. Dezember ernannte der Bundesrat die von
Jean-François Bergier geleitete neunköpfige internationale Expertenkommission (5 Schweizer, 4 Ausländer), welche acht Historiker und einen Juristen umfasst
[45].
Im April tauchte erstmals die Idee eines
Fonds auf. Vertreten wurde sie von dem auf die Erforschung der Geschichte der Juden in der Schweiz spezialisierten Berner Historiker Jacques Picard. Er begründete seinen Vorschlag damit, dass es nach mehr als 50 Jahren unmöglich sein werde, alle individuellen Ansprüche befriedigend abzuklären. Deshalb solle zusätzlich auch ein substantieller Kollektivfonds eingerichtet werden, aus dem arme jüdische Gemeinden in Osteuropa, bedürftige Nachkommen von Holocaust-Opfern, aber auch Erinnerungsstätten und Forschungsinstitute zum Antisemitismus unterstützt werden könnten. Später nahm der Schweizerische Israelitische Gemeindebund diese Idee auf und präzisierte, dass diese Stiftung einerseits aus definitiv erbenlosen nachrichtenlosen Vermögen und andererseits aus den Gewinnen, welche die Nationalbank aus dem Goldgeschäft mit den Nazis erzielt hatte, gespiesen werden sollte
[46]. Im November forderte der englische Labour-Abgeordnete Granville Janner - der ebenfalls eine jüdische Organisation vertritt - die Schweiz auf, nicht bis zum Vorliegen des Berichts der Historikerkommission zuzuwarten, sondern als Zeichen der Wiedergutmachung rasch einen Fonds zur Entschädigung von Nazi-Opfern einzurichten
[47]. Am Rande eines Hearings vor dem Bankenausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses im Dezember tauchte die Idee eines Fonds - wie bei Janner mit dem spezifischen Zweck der Entschädigung von Holocaust-Opfern - erneut auf. Der Vorsitzende des WJC, Edgar Bronfman, und Senator D'Amato regten an, dass die Schweiz mit der Einrichtung eines solchen Fonds ein Zeichen für ihren guten Willen setzen könnte. In Gesprächen angetönt wurde dabei eine Summe von 250 Mio US$
[48]. Ein Postulat der freisinnigen Nationalrätin Nabholz (ZH) nahm die Idee eines Fonds auf und schlug vor, ihn aus den nicht beanspruchten nachrichtenlosen Vermögen zu bilden. Der Bundesrat gab bekannt, dass er - zumindest in naher Zukunft - auf diese Forderung nicht eintreten wolle und es für besser halte, zuerst Forschungsergebnisse der eingesetzten Expertenkommission abzuwarten. Bundespräsident Delamuraz bestätigte diese Haltung in einem Zeitungsinterview zum Jahresende und bezeichnete die diesbezüglichen Forderungen der amerikanischen jüdischen Organisationen als Erpressung und Lösegeldforderung
[49].
In New York reichten im Oktober Rechtsanwälte im Namen von Überlebenden des Holocaust eine
Gemeinschaftsklage (sogenannte class action) mit einer Schadenersatzklage von
20 Mia US$ gegen die Gesamtheit der Schweizer Banken ein. Die Anklage lautet auf Unterschlagung von Guthaben von Holocaust-Opfern und Mittäterschaft bei den Raubzügen der deutschen Nazis. Kurz darauf doppelte ein zweites Anwaltsteam mit einer identischen Klage gegen die drei schweizerischen Grossbanken vor demselben Gericht nach
[50]. Einer der beteiligten Anwälte rief Ende November in New York zu einem
Boykott der Schweizer Banken auf, der bis zum Abschluss der angestrengten Prozesse dauern soll. Der Jüdische Weltkongress (WJC) stellte sich nicht hinter diesen Aufruf; er gab lediglich bekannt, dass er sich Massnahmen vorbehalte, um Druck auf die Banken auszuüben
[51].
Die
Nationalbank, welche bereits anfangs der 80er Jahre einen Bericht über den Goldhandel während des 2. Weltkriegs hatte erstellen und publizieren lassen, begrüsste die Einsetzung der Historikerkommission durch das Parlament. SNB-Präsident Roth äusserte die Meinung, dass die damalige Bankleitung beim Ankauf von deutschem Gold zumindest naiv gutgläubig gehandelt habe, als sie der Zusicherung der deutschen Behörden glaubte, dass es sich nicht um bei anderen Nationalbanken geraubtes und mit einem neuen Prägestempel versehenes Gold handle. Den Gewinn, welchen die Nationalbank mit dem Kauf und Verkauf von deutschem Gold sowie der Verschiebung von Gold zwischen den bei ihr bestehenden Depots Deutschlands und anderer Staaten gemacht habe, bezifferte er auf rund 20 Mio Fr. Nach Angaben der Nationalbank befinden sich heute in ihren Tresoren keine Goldbestände mit Prägungen der deutschen Reichsbank mehr. Auch auf diese Aussagen reagierte der WJC sofort und behauptete, dass sich der Gewinn der Nationalbank auf mehr als 3 Mia US$ belaufen müsse
[52].
Ein US-Appellationsgericht in Kalifornien hiess die Rekurse der Schweizerischen Kreditanstalt und des Schweizerischen Bankvereins gegen die 1995 von einem Bezirksgericht verfügte Herausgabe von rund 475 Mio US$ an die Folteropfer des Marcos-Regimes gut. In der Begründung übernahm die Rekursinstanz die schweizerische Argumentation, dass für in der Schweiz eingefrorene Gelder nicht amerikanische, sondern schweizerische Gerichte zuständig sind
[53]. Im Januar fanden in Hongkong erstmals Gespräche zwischen der philippinischen Regierung, den Marcos-Erben sowie Vertretern der Folteropfer des Marcos-Regimes statt, um einen Ausweg aus dem Streit über die seit zehn Jahren in der Schweiz blockierten Gelder zu finden. Die Initiative zu diesen Gesprächen, an denen auch Vertreter der Justizbehörden der USA und der Schweiz teilnahmen, war von den Schweizer Grossbanken SKA und SBV ausgegangen. Sie brachten aber keine Einigung
[54]. Gegen Jahresende tauchte ein neuer Anspruchsberechtigter auf. Ein amerikanisches Gericht sprach einem offenbar von Marcos beraubten philippinischen Schatzsucher eine Entschädigung von nicht weniger als 40,5 Mia US$ zu
[55].
Ebenfalls weiterhin auf schweizerischen Banken eingefroren blieben die seit 1986 blockierten Vermögenswerte des ehemaligen haitischen Diktators
Duvalier. Das damals von der neuen Regierung angekündigte Begehren um Rechtshilfe ist bis heute nicht gestellt worden
[56].
Zur Geldwäscherei, zu den Massnahmen zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens und der Korruption sowie zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe siehe oben, Teil I, 1b (Staatsschutz resp. Strafrecht).
Börse
Das neue
Börsengesetz konnte nicht wie ursprünglich geplant auf den 1. Juli in Kraft gesetzt werden. Grund dafür war die Kritik der Börsenorganisation und der Banken am Vernehmlassungsentwurf für die Vollzugsverordnungen. Diese hatten ihrer Ansicht nach dem im Gesetz festgelegten Grundsatz der möglichst weitgehenden Selbstregulierung zu wenig Rechnung getragen. Im Dezember beschloss der Bundesrat, das Gesetz und die teilweise überarbeiteten Verordnungen gestaffelt ab Februar 1997 in Kraft zu setzten
[57].
Im August wurde die
Elektronische Börse Schweiz (EBS) auch für den Handel mit inländischen Papieren in Betrieb genommen. Der dezentrale Ringhandel "à la criée" in Zürich, Basel und Genf wurde damit eingestellt
[58].
Weiterführende Literatur
Adler, O., Europäische Währungsunion: Bedeutung für Europa und die Schweiz, Zürich (Schweiz. Bankgesellschaft) 1996.
Baltensperger, E., "Die Europäische Währungsunion und ihre Bedeutung aus der Perspektive der Schweiz", in Aussenwirtschaft, 51/1996, S. 197 ff.
Kommission für Konjunkturfragen, Arbeitsgruppe EWU, Die Schweiz und die Europäische Währungsunion. Eine Analyse der wirtschaftlichen Aspekte, Bern 1996.
Lusser, M., Geldpolitik: Notenbank, Staat und Wirtschaft, Zürich 1996.
Lusser, M., "Auf dem Weg zu einer neuen schweizerischen Geldverfassung - Preisstabilität und Unabhängigkeit: die Anker der Notenbank", in Geld, Währung und Konjunktur, 1996, S. 154 ff.
Rajna, G. / Zimmermann, H., "Risikokontrolle und Regulierung der derivaten Finanzmärkte aus ökonomischer Sicht", in Zeitschrift für Schweizerisches Recht, 115/1996, I, S. 77 ff.
Blumer, A., Bankenaufsicht und Bankenprüfung: Grundkonzepte, Problembestand und Perspektiven der institutionellen Ausgestaltung ausgewählter Banküberwachungssysteme, Bern (Haupt, Diss. St. Gallen) 1996.
Bühlmann, J., Privatisierung von Kantonalbanken, dargestellt am Beispiel der Zürcher Kantonalbank, Zürich (Diss.) 1996.
Giger, H. et al. (Hg.), Schweizerisches Bankwesen im Umbruch, Bern (Haupt) 1996.
Meier-Schatz, Ch. (Hg.), Das neue Börsengesetz der Schweiz, Bern (Haupt) 1996.
Villiger, K., "Zum Schweizerischen Bankiertag 1996", in Documenta, 1996, Nr. 3, S. 4 ff.
Villiger, K., "La situation des banques cantonales", in Documenta, 1996, Nr. 2, S. 8 ff.
Picard, J., "Die Schweiz und die Vermögen verschwundener Nazi-Opfer. Die Vermögen rassisch, religiös und politisch Verfolgter in der Schweiz und ihre Ablösung von 1946 bis 1973", in Studien und Quellen: Zeitschrift des Schweizerischen Bundesarchivs, 1996, Nr. 22, S. 271 ff.
Rings, W., Raubgold aus Deutschland, Zürich 1996 (Neuauflage der Publikation von 1985, mit einem Nachwort von M. König).
Trepp, G., Swiss Connection, Zürich 1996.
[1] SNB,
Jahresbericht, 89/1996, S. 29 ff.; Presse vom 27.9.96.1
[2] SNB,
Jahresbericht, 89/1996, S. 34; "Die Geldpolitik im Jahre 1997", in
Geld, Währung und Konjunktur, 1996, S. 289 f.2
[3]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 450 ff. Vgl. dazu auch oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).3
[4] SNB,
Jahresbericht, 89/1996, S. 12 und 24.4
[5]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 228 ff. Vgl. auch
SPJ 1995, S. 116 f.5
[6]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1224 f. (Interpellation Loretan, cvp, VS).6
[7]
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 25 ff. (Stellungnahme zu einer als Postulat überwiesenen Motion Cottier (cvp, FR), welche eine entsprechende Abklärung forderte);
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 643 f. und 1223 f.7
[8]
Lit. Kommission für Konjunkturfragen; Presse vom 5.11.96. Vgl. auch
Lit. Roth.8
[9] SNB,
Jahresbericht, 89/1996, S. 24 f. und 27;
Die Volkswirtschaft, 69/1996, Nr. 10, S. 23* und 70/1997, Nr. 2, S. 23*.9
[10] SNB,
Jahresbericht, 89/1996, S. 24. Vgl. auch "Schweizer-Franken-Anleihen im Jahre 1996", in
Geld, Währung und Konjunktur, 1997, S. 73 ff.10
[11]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 448 ff. Vgl.
SPJ 1995, S. 117. Zur Kontroverse um die Goldgeschäfte der Nationalbank während des 2. Weltkriegs siehe unten, Banken.11
[12] SNB,
Jahresbericht, 89/1996, S. 64 f. und 70; Presse vom 21.12.96.12
[13] Ungern:
Bund, 2.2.96;
Bund,
NZZ und
TA, 4.6.96;
SHZ, 13.6.96. Interpellation und BR:
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 999 ff. Empfehlungen Arbeitsgruppe: Presse vom 21.12.96.13
[14]
Verhandl. B.vers, 1996, IV, Teil I, S. 36 f.14
[16]
BBl, 1997, I, S. 1 ff. (v.a. S. 303); SNB,
Jahresbericht, 89/1996, S. 36 f. und 87. Vgl. auch
Lit. Lusser (Auf dem Weg ...).16
[17]
BBl, 1996, II, S. 271 ff. Vgl. auch unten, Teil I, 6b (Chemins de fer).17
[18]
BBl, 1996, III, S. 23 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 602;
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2979 f.;
BBl, 1997, I, S. 821. Vgl.
SPJ 1976, S. 66.18
[19]
BBl, 1996, V, S. 58 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 951 f. Vgl. auch
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1868 ff. (Postulat Widrig, cvp, SG).19
[20] SNB,
Jahresbericht, 89/1996, S. 24 ff.;
NZZ, 13.3.97.20
[21] Umstrukturierung:
Bund, 5.7.96;
NZZ, 31.8.96;
BZ, 4.9.96;
SGT, 27.11.96. Grossbanken: Presse vom 3.7. (CS), 19.9. (SBV) und 27.11.96 (SBG).21
[22]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 452 f.22
[23]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1549 f.23
[25] AR: Presse vom 2.2.96;
SGT und
TA, 29.4.96. SO:
NZZ und
SZ, 19.9.96. Siehe auch
TA, 5.2.96.25
[26] AR:
SGT, 9.2., 27.2. und 26.3.96. SG:
SGT, 16.8., 30.8. und 23.9.96;
SPJ 1995, S. 118. Zu SO siehe
SPJ 1994, S. 106.26
[27]
Bund, 21.9.96. Vgl.
SPJ 1995, S. 118 f.27
[28] Vgl.
SPJ 1995, S. 119. Für eine Chronologie der Ereignisse siehe auch
Bund, 28.9.96. Andere Länder:
NZZ, 4.10. und 30.11.96;
TA, 25.10. und 28.11.96. Englische Medien siehe unten.28
[29] Task Force: Presse vom 24.10., 26.10. und 28.10.96. Hearing: Presse vom 12.12. und 13.12.96.29
[31]
BZ, 20.9.96. Vgl. dazu auch
NZZ, 25.5.96 sowie Th. Maissen in
NZZ, 14.9. und 16.9.96 (zum Washingtoner Abkommen);
NZZ, 25.10.96,
Bund, 26.10.96 und
TA, 28.10.96 (zum sog. Geheimvertrag mit Polen). Siehe auch
NQ, 30.4.96 sowie L. von Castelmur, "Meist schon lange bekannt und zugänglich", in
NZZ, 16.10.96. Vgl. ferner die Darstellung der Kriegszeit in B. Messmer et al. (Hg.),
Geschichte der Schweiz - und der Schweizer, Band, III, Basel 1983, S. 158 ff. (so etwa 158 f. zum Aussen- und Goldhandel oder 179 zur Flüchtlingspolitik). Vgl. auch die Diskussionsbeiträge von Trepp, Elam, Picard und König in
Widerspruch, 16/1996, Nr. 32, S. 133 ff.31
[32]
Guardian, 11.9.96; Presse vom 11.9. und 12.9.96;
TA, 13.9.96;
Ww, 19.9.96. Verwechslung:
NZZ, 14.9. und 18.9.96;
TA, 19.9.96;
NZZ und
BaZ, 18.1.97 (Korrektur des britischen Aussenministeriums). D'Amato:
NZZ, 25.9., 26.9., 28.9. und 4.10.96;
BZ, 2.10.96.32
[33] Presse vom 8.2.96;
Bund, 9.2.96; vgl. auch
BBl, 1996, IV, S. 1169 f. Zu den jüdischen Organisationen und speziell zum WJC siehe auch
BZ, 5.9.96.33
[34] Presse vom 13.11.96. Weitere 6 gefundene nachrichtenlose Konten im Wert von 1,6 Mio Fr. gehörten Personen, deren Schicksal nichts mit dem 2. Weltkrieg zu tun hatte (eines war seit 1929 nachrichtenlos,
SGT, 13.11.96). Zur Suchaktion von 1962 und zu den praktischen Problemen der jetzigen Nachforschung siehe auch
NZZ, 30.5.96;
TA, 15.5.96;
Bund, 10.9.96. Zum genauen Wortlaut der Richtlinien der Bankiervereinigung über die Behandlung nachrichtenloser Konten siehe
NZZ, 11.10.96.34
[35]
Bund, 18.4.96; Presse vom 24.4.96;
TA, 27.4.96 (Kommentar); Presse vom 3.5.96;
Bund, 27.7.96;
BZ, 20.11.96 (Einsetzung der Revisionsfirmen);
NZZ, 11.10.96 (vollständiger Text des Memorandums);
Bund, 12.11.96 (Arbeit des Volcker-Komitees). Vgl. auch
BBl, 1996, IV, S. 1168 ff. Zur Position jüdischer Organisationen siehe
Ww, 2.5.96 (I. Singer).35
[36] Presse vom 20.11.96;
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1670 f.36
[38]
NZZ, 30.5.96;
Bund, 17.9.96 (Kredit).38
[39]
NZZ, 28.5.96;
TA, 10.8.96.39
[40]
NZZ, 15.5.96;
BBl, 1996, IV, S. 1165 ff.;
Verhandl. B.vers, 1996, IV, Teil I, S. 26 f. Grendelmeier zog ihre Initiative in der Folge zurück. Zur Vernehmlassung zum Kommissionsentwurf siehe
NZZ, 18.8. und 20.8.96.40
[41]
BBl, 1996, IV, S. 1184 ff.41
[42]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1653 ff.; Presse vom 1.10.96. Finanzplatzprobleme:
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2484 f.;
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 909 (Schmid), 912 f. (Frick) und 913 (Plattner).42
[43]
Verhand. B.vers, 1996, IV, Teil II, S. 67.43
[44]
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 904 ff., 1045 ff., 1143 (Dringlichkeit) und 1192;
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2151 ff., 2274 (Dringlichkeit) und 2484 ff.; Presse vom 28.11.96.44
[45] Presse vom 20.12.96. Neben Bergier gehören der Kommission Wladislaw Bartoszewsky (Polen), Sybil Newton (USA), Saul Friedländer (Israel), Harold James (GB), sowie Georg Kreis, Jacques Picard, Jakob Tanner und der Jurist Joseph Voyame (alle Schweiz) an (siehe dazu
Documenta, 1996, Nr. 4, S. 27 ff.).45
[46]
WoZ, 26.4.96;
NZZ, 20.11.96. Die Idee mit den Nationalbankgewinnen ging auf einen Vorschlag des Historikers Klaus Urner zurück (
TA, 20.11.96).46
[48] Presse vom 12.12.96;
BaZ, 13.12.96;
SoZ, 15.12.96 (Interview mit Borer).48
[49] BR:
NZZ, 29.11.96; Presse vom 24.12.96;
24 Heures, 31.12.96 (Delamuraz). Zu den heftigen Kritiken an Delamuraz' Äusserungen siehe Presse vom Januar 1997 sowie
SPJ 1997. Postulat:
Verhandl. B.vers., 1996, IV, Teil II, S. 87; siehe auch
24 Heures, 24.12.96.49
[50] Presse vom 5.10. und 25.10.96;
NQ, 10.10.96. Für Details zu den beiden Klagen siehe auch
JdG, 11.10.96;
NQ, 30.10.96.50
[51]
NZZ, 27.11. und 29.11.96;
TA, 29.11.96;
Bund, 4.12.96 (WJC).51
[52]
SGT, 14.12.96;
NZZ, 18.12.96 (WJC). Siehe auch SNB,
Jahresbericht, 89/1996, S. 50.52
[53]
BaZ, 3.1. und 11.1.96 (vorläufige Gutheissung);
NZZ, 13.9.96 (definitiver Entscheid). Vgl.
SPJ 1995, S. 119 f.53
[54]
NZZ, 13.1.96;
TA, 16.1. und 20.1.96.54
[56]
Lib., 7.2.96. Vgl.
SPJ 1986, S. 78.56
[57]
NZZ, 11.5. und 3.12.96. Vgl.
SPJ 1995, S. 120.57
[58] Presse vom 2.8. und 3.8.96. Vgl.
SPJ 1995, S. 120.58