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Sozialpolitik
Sozialversicherungen
Das Volk lehnte die Initiative „Für ein flexibles AHV-Alter“ ab. – Das Parlament verabschiedete die beiden Finanzierungsbeschlüsse der 5. IV-Revision. – Die beiden Räte beschlossen eine Änderung des BVG zur Senkung des Umwandlungssatzes. – Das Volk lehnte den Verfassungsartikel „Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung“ ab. – Das Parlament verabschiedete das Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung. – Der Bundesrat veröffentlichte seine Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung. – Der Bundesrat beantragte eine Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes.
Allgemeine Fragen
Eine parlamentarische Initiative Teuscher (gp, BE) verlangte mit einer Revision des Erwerbsersatzgesetzes die Einführung eines Vaterschaftsurlaubes von mindestens acht Wochen bei einer Entschädigung von 80% des bisherigen Erwerbseinkommens. Die Kommission des Nationalrates beantragte mit 15 zu 8 Stimmen der Initiative keine Folge zu leisten. Die Mehrheit war der Meinung, dass eine solche Vaterschaftsversicherung in der heutigen Situation nicht finanzierbar sei und keine sozialpolitische Priorität darstelle. Eine links-grüne Minderheit verwies auf die Umfrage „Perspektiven Schweiz“, bei welcher 80% der Bevölkerung einen besseren Vaterschaftsurlaub gewünscht hatten, als denjenigen, der heute arbeitsvertraglich geregelt ist. Der Nationalrat lehnte die Initiative mit 69 zu 111 Stimmen ab [1].
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Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
Der Nationalrat besprach die 2006 vom SGB eingereichte Initiative „Für ein flexibles AHV-Alter“ in einer Marathon-Eintretensdebatte, bei der es auch um die 11. AHV-Revision ging. Rund 30 Ratsmitglieder ergriffen das Wort, wobei die verschiedenen Lager die gleichen Argumente benutzten, wie bereits in früheren Debatten um das Rentenalter. Die Fraktionen der SP und der Grünen befürworteten die Initiative, weil sie zu mehr sozialer Gerechtigkeit führe und ihre Kosten tragbar seien. Zudem hoben sie hervor, dass eine Frühpensionierung heute das Privileg von Gutverdienenden mit dickem Polster aus der zweiten Säule sei. Die Gegner führten vor allem finanzielle Argumente an. Nach Meinung der bürgerlichen Fraktionen zielte die Initiative in Wirklichkeit auf eine Senkung des Rentenalters ab, was der demographischen Entwicklung zuwiderlaufe und die AHV in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten bringe. Den Minderheitsantrag, die Initiative zur Annahme zu empfehlen, lehnte der Nationalrat schliesslich mit 123 zu 66 Stimmen ab [2].
Eine sehr ähnliche Diskussion wie im Nationalrat entstand auch im Ständerat. Hier forderte ebenfalls eine links-grüne Minderheit, die Initiative zur Annahme zu empfehlen. Die Initiative war ihrer Meinung nach finanzierbar und zielte nicht auf eine generelle Senkung des Rentenalters ab, sondern ermöglichte es allen Beschäftigten sich vorzeitig pensionieren zu lassen. Auch hier wies das bürgerliche Lager darauf hin, dass die Initiative der demographischen Entwicklung keine Rechnung trage und viel zu teuer sei. Den Minderheitsantrag lehnte die kleine Kammer mit 27 zu 8 Stimmen ab [3]. In der Schlussabstimmung gingen sowohl der Nationalrat als auch der Ständerat mit dem Bundesrat einig. Der Nationalrat empfahl die Initiative mit 127 zu 61 Stimmen zur Ablehnung und der Ständerat noch deutlicher mit 32 zu 7 Stimmen [4].
Am 30. November stimmte das Volk mit einer Mehrheit von 58,6% gegen die Volksinitiative „Für ein flexibles AHV-Alter“. Die vom SGB eingereichte Initiative war von der SP, den Grünen, der EVP, den SD und der CSP unterstützt worden. Die Befürworter der Initiative argumentierten damit, dass es darum gehe, Gerechtigkeit bei der Frühpensionierung zu schaffen. Bis anhin hatten sich eine solche in der Schweiz nur gut verdienende Menschen leisten können. Mit der Initiative sollte eine Frühpensionierung auch für die Gruppe der tieferen Einkommensklassen möglich werden, die eine solche aufgrund gesundheitlicher Probleme oft dringender nötig hätten. Zu den Gegnern der Vorlage zählten alle anderen Parteien und die Arbeitgeberverbände. Sie argumentierten vor allem mit der fehlenden Finanzierbarkeit eines solchen Vorschlags, insbesondere auch aufgrund der demographischen Entwicklung [5].
Die Ablehnung der Initiative war in der Deutschschweiz besonders deutlich. Am deutlichsten Nein sagte Appenzell-Innerrhoden mit 74,9%. Am besten schied die Initiative in der Deutschschweiz im Kanton Basel-Stadt mit 53,5% Nein-Anteil ab. Lediglich vier Kantone (TI, NE, GE und JU) stimmten dem Begehren zu. Die Vox-Analyse ergab, dass insbesondere soziodemographische Merkmale wie die Sprachregion und das Alter das Stimmverhalten beeinflussten. So wurde die Flexibilisierung des Rentenalters von denjenigen Altersgruppen am stärksten angenommen, die davon in absehbarer Zeit profitieren hätten können. Wie so oft bei sozialpolitischen Vorlagen ergab sich ein „Röstigraben“. Während die Deutschschweizer Stimmenden die Initiative mit 61% klar ablehnten, war diese in der Westschweiz mit 51% nur knapp verworfen worden. Auch die ideologische Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Achse hatte einen massgeblichen Einfluss auf den Stimmentscheid [6].
Volksinitiative „Für ein flexibles AHV-Alter“
Abstimmung vom 30. November 2008

Beteiligung: 47,6%
Ja: 970 221 (41,4%) / Stände: 4
Nein: 1 374 598 (58,6%) / Stände: 16 6/2

Parolen:
Ja: SP, GP (1*), EVP (2*), CSP, PdA, SD, Lega; SGB, Travail.Suisse.
Nein: FDP, CVP, SVP, LP, EDU, FP, GLP, BDP; eco, SGV, SBV.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
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Um unheilige Allianzen zwischen der Linken und der SVP zu verhindern, die allenfalls schon im Parlament zu einem Absturz der Neuauflage der 11. AHV-Revision führen könnten, beschloss der Bundesrat Ende 2005 die beiden Revisionspakete anders zu bündeln: Anstatt die Vorlage in eine Leistungs- und eine „technische“ Seite aufzuteilen, fasste er mit Ausnahme der Überbrückungsrente alle Neuerungspunkte in einer ersten Botschaft zusammen, während die zweite allein die Vorruhestandsleistung betrifft. In der ersten Botschaft stehen der Fortbestand des Systems und die Erweiterung der Flexibilisierungsmöglichkeiten beim Altersrücktritt im Vordergrund. Im Einzelnen ging es um eine Anpassung der Renten, die Vereinheitlichung des Rentenalters von Männern und Frauen, die Erweiterung der Vorbezugs- und Aufschubsregelungen, die Aufhebung des Freibetrages für erwerbstätige Rentner und Rentnerinnen und die Erleichterung der Durchführung der Versicherung durch verschiedene technische Massnahmen [7].
Erstrat war der Nationalrat. Er diskutierte die erste Botschaft der Neuauflage der 11. AHV-Revision zusammen mit der oben beschriebenen AHV-Initiative. Eine Kommissionsminderheit Rechsteiner (sp, BS) hatte zunächst das Nichteintreten verlangt, zog diesen Antrag dann aber wieder zurück, in der Hoffnung, dass die Revision den Handlungsspielraum für die Flexibilisierung nutzen und nicht auf Kosten der Frauen gehen wird. Eine Rückweisung an den Bundesrat beantragte auch die FDP-Fraktion und zwar mit dem Auftrag, eine neue umfassende AHV-Revisionsvorlage auszuarbeiten, die eine echte Flexibilisierung des Rentenalters sowie gezielte Anreize für den Verbleib von älteren Personen im Erwerbsleben beinhaltet. Pelli (fdp, TI) präsentierte dazu ein neues Modell, das im Nationalrat aber keinen Anklang fand und mit 33 zu 154 Stimmen abgelehnt wurde. Die Lager bei der Eintretensdebatte und deren Argumente waren auch bei der 11. AHV-Revision gleich geblieben wie bei der SGB-Initiative. Auf der einen Seite setzte sich das links-grüne Lager für die Flexibilisierung und die Vermeidung eines Sozialabbaus ein, auf der anderen Seite zeigten sich die Bürgerlichen hauptsächlich besorgt über die langfristige Finanzierung der AHV und setzten sich für eine "intelligente" Flexibilisierung und Konsolidierung der ersten Säule ein [8].
In der Detailberatung folgte der Nationalrat der Mehrheit seiner Kommission und verwarf alle Minderheitsanträge. Die schliesslich angenommene Regelung sieht vor, das Rentenalter der Frauen auf 65 anzuheben und die Flexibilität der AHV zu verbessern, jedoch ohne sozialen Ausgleich. Der Nationalrat distanzierte sich vom Bundesrat bei der Rentenanpassung. Dieser hatte vorgesehen, die Rentenanpassung auszusetzen, wenn der Stand des Ausgleichsfonds unter 45% sinkt. Die grosse Kammer fand diese Bestimmung überflüssig und legte fest, die Renten nur dann anzupassen, wenn die Teuerung seit der letzten Anpassung um 4% gestiegen ist. Zum flexiblen Rentenalter lagen fünf verschiedene Konzepte vor. Die Kommissionsmehrheit unterstützte die Idee einer Kürzung um den vollständigen versicherungstechnischen Gegenwert der vorbezogenen Rente. Die vier verschiedenen Minderheitsanträge sahen vor, bis zu einer bestimmten Lohngrenze einen einheitlichen Kürzungssatz vorzusehen, danach diesen Satz progressiv zu erhöhen und ab einer bestimmten Obergrenze die versicherungstechnische Kürzung anzuwenden. Die Mitglieder der SVP- und der FDP-Fraktion lehnten jegliche soziale Abfederung ab, mit der Begründung, dass die demographische Entwicklung die AHV früher oder später vor schwerwiegende finanzielle Probleme stellen werde. Auch die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre erhitzte, insbesondere aufgrund des vorher beschlossenen fehlenden sozialen Ausgleichs, die Gemüter. Sowohl die Befürworter als auch die Gegner dieser Erhöhung argumentierten mit der Gleichstellung. Für die Bürgerlichen rechtfertigte die längere Lebenserwartung der Frauen die Gleichbehandlung in Bezug auf das Rentenalter. Nach Ansicht der Linken wäre es völlig verfehlt, dass die Frauen mit einer Erhöhung des Rentenalters für die Finanzierung der AHV herhalten müssen, während sie in der Arbeitswelt nicht gleichgestellt sind. Die Erhöhung des Frauenrentenalters passierte den Nationalrat mit 120 zu 69 Stimmen. Der Nationalrat änderte zudem in Anlehnung an einen Minderheitsantrag Maurer (svp, ZH) das Gesetz über die berufliche Vorsorge in einem wichtigen Punkt: Es wird künftig möglich sein, vor dem ordentlichen Rentenalter eine Rente aus der beruflichen Vorsorge zu beziehen, auch wenn die betreffende Person die Erwerbstätigkeit nicht vollständig aufgibt. Der Nationalrat nahm den Antrag gegen den Willen von Bundesrat Couchepin, der GP, der SP und einem Teil der CVP mit 97 zu 88 Stimmen an. Bei der Gesamtabstimmung kündigten die SP, die Grünen und die CVP-Fraktion an, dass sie die Revision nicht unterstützen, wenn das Frauenalter ohne eine soziale Kompensation erhöht wird. Da sich die Christlichdemokraten schliesslich doch für die Revision aussprachen, passierte die Vorlage die Gesamtabstimmung mit 97 zu 89 Stimmen [9].
Die zweite Botschaft der 11. AHV-Revision beschäftigte sich mit der Einführung einer Vorruhestandsleistung, die als Ergänzung des Rentenvorbezugs in der AHV gedacht war. Diese Vorruhestandsleistung betrifft Frauen und Männer über 62 Jahren, die es sich heute aus finanziellen Gründen nicht leisten können, vorzeitig in den Ruhestand zu treten. Es handelt sich dabei um Personen des unteren Mittelstandes, die in zu guten finanziellen Verhältnissen leben, um nebst der vorbezogenen Altersrente der AHV Ergänzungsleistungen zu erhalten, die jedoch mit gekürzten Leistungen der 1. und 2. Säule kein angemessenes Leben führen können. Diese Vorruhestandleistung ist nicht als Versicherungsleistung ausgestaltet, sondern bedarfsabhängig. Deshalb soll sie auch nicht in das Bundesgesetz über die AHV aufgenommen werden, sondern in dasjenige über die Ergänzungsleistungen der AHV. Finanziert werden die Vorruhestandleistungen aus den Einsparungen, die mit der Erhöhung des Frauenrentenalters erzielt werden. Daher wird sie nur mit dem Inkrafttreten der Erhöhung des Frauenalters eingeführt [10].
Die Kommission des Nationalrates hatte mit 9 zu 4 Stimmen beschlossen, dem Plenum zu empfehlen, nicht auf die Vorlage einzutreten. Der Kommissionssprecher Bortoluzzi (svp, ZH) begründete diesen Entscheid damit, dass die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung als nicht geeignet erachtet wurde, weil die Leistungen im freien Personenverkehr gelegentlich „exportiert“ werden müssten. Zwar präzisierte die Botschaft, dass die Vorruhestandsleistung bedarfsabhängig sei und daher unter gewissen Umständen vom Auslandexport ausgeschlossen werden könne, der Nationalrat verzichtete aber im Anschluss an die Erklärung seiner Kommission darauf, sich zu der Vorlage zu äussern und beschloss diskussionslos das Nichteintreten [11].
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Invalidenversicherung
Eine Motion Bortoluzzi (svp, ZH) wollte den Bundesrat beauftragen, bis Ende 2008 eine Botschaft für eine 6. IV-Revision vorzulegen. Dabei soll es darum gehen, die IV strukturell zu sanieren, um alle, trotz der 5. IV-Revision weiterhin bestehenden Missbräuche zu bekämpfen, und damit eine massive Senkung der Rentnerzahlen zu erzielen. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, da bereits die 5. IV-Revision Sparmassnahmen enthält und das Parlament weitergehende Massnahmen abgelehnt hatte. Die Vorschläge des Motionärs hätten zudem keinen Einfluss auf die laufenden Renten, sondern nur auf die Neurenten. Ausserdem müsse vor einer weiteren Revision unbedingt abgewartet werden, welche Wirkungen die 5. IV-Revision entfaltet. Der Nationalrat folgte dem Bundesrat und lehnte die Motion ab [12].
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Die Massnahmen der 5. IV-Revision, welche letztes Jahr nach einem Referendum vom Volk gutgeheissen worden waren, reichen nicht aus, um die IV und deren finanzielle Defizite zu sanieren. Da weitere Spar- und Entlastungsmassnahmen politisch nicht realisierbar und sozial nicht vertretbar waren, erachtete es der Bundesrat als unerlässlich, zusätzliche Einnahmequellen für die IV zu erschliessen. Er schlug daher eine Erhöhung der Lohnprozente um 0,1 Prozentpunkte auf 1,5% vor und zur längerfristigen Sanierung der IV die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes um linear 0,8%. Gegen den Widerstand des links-grünen Lagers hatten die Räte 2006 beschlossen, das Paket aufzubrechen und die Finanzierungsbeschlüsse separat von der 5. IV-Revision zu behandeln [13].
Nachdem der Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung durch Anhebung des Mehrwertsteuersatzes im März 2007 vom Nationalrat abgelehnt worden war, fand im Berichtsjahr erneut eine Eintretensdebatte in Bezug auf den Vorschlag des Ständerates und dessen Kommission statt. Eine Minderheit Borer (svp, SO) wollte nicht auf den Beschluss eintreten mit der Begründung, dass der Druck auf die Verwaltung aufrechterhalten werden müsse, damit die bereits vorgesehenen Massnahmen effizient umgesetzt werden. Die Mehrheit des Nationalrates war aber der Meinung, dass eine Zusatzfinanzierung notwendig sei und beschloss schliesslich mit 122 zu 64 Stimmen bei 3 Enthaltungen und der Unterstützung aller Fraktionen ausser der SVP das Eintreten. Bei Artikel 196 über die befristete proportionale Mehrwertsteuererhöhung schuf der Nationalrat eine wesentliche Differenz zum Ständerat. Eine Minderheit Schenker (sp, BS) sprach sich für eine befristete proportionale Mehrwertsteuererhöhung aus, sah jedoch eine Anhebung des Normalsatzes um 0,7% statt der vom Ständerat angenommenen 0,5% vor. Diesen Antrag lehnte der Nationalrat mit 59 zu 123 Stimmen ab. Ein weiterer Minderheitsantrag Triponez (fdp, BE) sprach sich in Bezug auf die Höhe des Normalsatzes für 0,4% aus. Diesen von der SVP, der FDP und einer Minderheit der CVP-Fraktion unterstützten Antrag nahm die grosse Kammer mit 95 zu 86 Stimmen an. Die Vorlage passierte die Gesamtabstimmung mit 108 zu 45 Stimmen [14].
Der Ständerat hielt bei Artikel 196 an einer proportionalen Erhöhung der MWSt fest, allerdings wollte er sie nicht ganz so stark anheben, wie er noch im Dezember 2007 beschlossen hatte. Er folgte dem Antrag seiner Kommission, den Normalsatz um 0,4 auf 8%, den reduzierten Satz um 0,1 auf 2,5% und den Sondersatz für Beherbergungsleistungen um 0,2 auf 3,8% zu erhöhen. Die Minderheitsanträge Fetz (sp, BS), welcher am früheren Beschluss des Ständerates festhalten wollte und Hess (fdp, OW), welcher dem Beschluss der linearen Erhöhung des Nationalrates folgen wollte, lehnte der Ständerat beide ab. Ausserdem formulierte er den Absatz 3 von Artikel 196 neu, um die Vorlage mit der Schaffung eines IV-Fonds zu verknüpfen. Nach der neuen Formulierung kommt die befristete Mehrwertsteuererhöhung nur dann zur Anwendung, wenn ein selbständiger IV-Fonds geschaffen wird, also wenn das Bundesgesetz zur Sanierung der IV in Kraft tritt [15]. Der Nationalrat folgte daraufhin diskussionslos den Beschlüssen des Ständerates. In der Schlussabstimmung nahm der Ständerat die Vorlage mit 39 zu 2 Stimmen und der Nationalrat mit 126 zu 58 Stimmen an [16].
Der Nationalrat startete die Diskussion um den Entscheid des Ständerates vom Vorjahr über die Schaffung eines unabhängigen IV-Fonds mit der Ablehnung eines Minderheitsantrages Maurer (svp, ZH), der die Vorlage an den Bundesrat zurückweisen wollte, mit dem Auftrag, einen Entwurf auszuarbeiten, welcher einen selbständigen IV-Fonds und EO-Fonds errichtet, hierfür aber keine Mittel aus dem AHV-Fonds verwendet und keine Anpassung der Mehrwertsteuersätze vorsieht. Ebenfalls abgelehnt wurde ein Minderheitsantrag Rechsteiner (sp, SG), der verlangte, dass der Bund einen Sonderbeitrag von 5 Mia Fr. an die Entschuldung der IV leisten soll. Zwei Minderheitsanträge waren in Bezug auf Artikel 2 zu klären. Eine Minderheit Bortoluzzi (svp, ZH) forderte, dass der Bund dem Ausgleichsfonds der IV 5 Mia Fr. als ordentliche Ausgabe aus dem Staatshaushalt überweise. Die Kommission des Nationalrates schlug vor, die Version des Ständerates zu übernehmen, mit der Ausnahme, dass die 5 Mia aus dem AHV Fonds als verzinsliches Darlehen an den IV-Ausgleichsfonds überwiesen werden sollen. Der Nationalrat folgte in dieser Frage seiner Kommission. In Bezug auf die Übernahme des Zinsaufwandes folgte der Nationalrat ebenfalls seiner Kommission und beschloss, dass der Bund nicht wie vom Ständerat beschlossen vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2016 nur zwei Drittel des jährlichen Zinsaufwandes auf dem IV-Verlustvortrag übernimmt, sondern für den gesamten Zinsaufwand aufkommt. Gegen den Willen des links-grünen Lagers präzisierte der Nationalrat, dass die 6. IV-Revision neben anderen Vorschlägen auch eine ausgabenseitige Sanierung der IV beinhalten müsse. In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 123 zu 54 Stimmen an. Die Opposition kam von Seiten der SVP [17].
In der Differenzbereinigung ging es vor allem darum, ob der Beitrag von 5 Mia Fr. gemäss der Variante des Nationalrates als verzinsliches Darlehen oder wie vom Ständerat gefordert als einmalige à-fonds-perdu Zahlung erfolgen sollte. Der Ständerat sprach sich dafür aus, dass im Gegenzug zu der einmaligen Zahlung Artikel 2 so zu ändern sei, dass zwecks Abbaus der IV-Schuld der Betrag, der über das Startkapital von 5 Mia Fr. hinausgeht, während des Zeitraums der befristeten Mehrwertsteuererhöhung jährlich an den AHV-Ausgleichsfonds überwiesen wird. Da sich die beiden Kammern nicht einigen konnten, wurde eine Einigungskonferenz einberufen, welche das Modell des Ständerates befürwortete. Sowohl der Ständerat als auch der Nationalrat folgten anschliessend den Anträgen der Einigungskonferenz. Der Nationalrat nahm das Bundesgesetz zur Sanierung der IV mit 133 zu 57 Stimmen an und der Ständerat tat dies einstimmig [18].
Der Ständerat stimmte der 2007 vom Nationalrat überwiesenen Motion Müller (fdp, SG) ebenfalls zu. Diese forderte den Bundesrat auf, Massnahmen zu ergreifen, damit den Patienten der Invalidenversicherung bei öffentlichen und öffentlich subventionierten Spitälern grundsätzlich die gleichen Tarife und Kosten verrechnet werden wie denjenigen der obligatorischen Krankenversicherung. Er überwies auch die Motion Robbiani (cvp, TI) für die Anpassung der Vollzugsbestimmungen zum Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [19].
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Berufliche Vorsorge
Der Ständerat beriet die vom Bundesrat 2007 vorgeschlagene Strukturreform der beruflichen Vorsorge als Erstrat in der Herbstsession. Die ständerätliche Kommission hatte die Vorlage ohne Gegenstimmen verabschiedet. In der Eintretensdebatte begrüssten alle Redner die Vorlage. Der Ständerat nahm beide Vorlagen in der Gesamtabstimmung einstimmig an [20].
Nachdem im Vorjahr der Vorschlag des Bundesrates für eine raschere Senkung des Mindestumwandlungssatzes in der beruflichen Vorsorge gescheitert war, befasste sich der Nationalrat damit. Eine linksgrüne Minderheit Rechsteiner (sp, BS) beantragte das Nichteintreten auf die Vorlage mit der Begründung, dass eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes inakzeptabel sei, solange die "Legal Quote" (Überschussbeteiligung der Versicherten) für die berufliche Vorsorge nicht geregelt sei. Ausserdem würde die zunehmende Lebenserwartung eine Reduktion des Mindestumwandlungssatzes nicht rechtfertigen. Mit 118 zu 62 Stimmen lehnte der Nationalrat, den Minderheitsantrag ab und trat auf die Vorlage ein. In der Detailberatung wich der Nationalrat nur in einem Punkt von der Vorlage des Bundesrates ab und zwar beim Zeitraum, über welchen die Senkung vorgenommen werden sollte. Die grosse Kammer folgte der Mehrheit ihrer Kommission und beschloss, die Senkung nicht wie vom Bundesrat vorgesehen innerhalb von drei, sondern von fünf Jahren umzusetzen. Einen Minderheitsantrag Bortoluzzi (svp, ZH), welcher den Mindestumwandlungssatz aus dem Gesetz streichen wollte, lehnte der Nationalrat ab, ebenso wie einen Antrag der Minderheit Rechsteiner (sp, BS). Dieser wollte mit einer Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes eine Regelung der „Legal Quote“ einführen, welche die Interessen der Versicherten durch eine klare, einheitliche Praxis schützte. Die Bürgerlichen betonten zwar ebenfalls die Wichtigkeit einer Diskussion dieser Frage, wiesen aber darauf hin, dass aufgrund der Komplexität der Thematik der Subkommission BVG mehr Zeit für Abklärungen eingeräumt werden sollte. In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 115 zu 57 Stimmen an. Die SP und die Grünen sprachen sich dagegen aus [21].
In der Differenzbereinigung folgte der Ständerat dem Nationalrat. Da die kleine Kammer die Vorlage in der Gesamtabstimmung als Erstrat abgelehnt hatte, musste sie die Beratung neu aufnehmen. Das Eintreten war nun aber vor dem Hintergrund der Finanzkrise unbestritten. Eine sozialdemokratische Minderheit, welche den Umwandlungssatz nur auf 6,5% senken und die Frage der "Legal Quote" regeln wollte, wurde zurückgezogen, weil sich die SGK des Nationalrates dem Problem annehmen wird. Der Ständerat nahm die Vorlage in der Gesamtabstimmung bei 3 Enthaltungen einstimmig an. In der Schlussabstimmung verabschiedete der Nationalrat die Vorlage mit 126 zu 62 Stimmen und der Ständerat mit 35 zu 1 Stimme bei 6 Enthaltungen [22].
Eine Motion der GPK des Nationalrates forderte, dass zur Verbesserung der Transparenz den Versicherten der zweiten Säule auf dem jährlichen, persönlichen Versicherungsausweis angegeben wird, ob und wie viel Überschussbeteiligung aus Versicherungsverträgen ihren Guthaben zugewiesen wurde. Bereits 2004 hatte die GPK den Bundesrat aufgefordert, die Transparenz über die Verwendung der Mittel der beruflichen Vorsorge bis auf die Stufe der Versicherten zu gewährleisten, um Missbräuchen vorzubeugen. Die Kommission stellte nun fest, dass nicht alle Vorsorgeeinrichtungen ihren Versicherten freiwillig die ihnen persönlich zugewiesenen Überschüsse ausweisen und möchte dies deshalb obligatorisch machen. Der Bundesrat wendete sich gegen die Motion, da er der Meinung war, dass die Vorsorgeeinrichtungen zu verschieden seien, um zugewiesene Beiträge von verschiedenen Einrichtungen miteinander vergleichen zu können. Eine solche Verpflichtung würde für mehr Verwirrung sorgen, als dass dadurch die Transparenz tatsächlich gefördert würde. Der Nationalrat leistete dem Bundesrat Folge und lehnte die Motion mit 57 zu 106 Stimmen ab [23].
Ebenfalls abgelehnt wurde ein Motion Thorens Goumaz (gp, VD), welche verlangte, dass die Pensionskassen bestimmen müssen, inwieweit sie sich in ihrer Anlagepolitik einer Strategie der Nachhaltigkeit verschreiben und dass diese Strategie öffentlich gemacht werden muss. Auch der Bundesrat begrüsste ein nachhaltig orientiertes Investitionsverhalten. Er erachtete es aber insbesondere aufgrund des Diversifikationserfordernisses nicht als zweckmässig, nachhaltige Anlageprodukte im Bereich der beruflichen Vorsorge speziell zu empfehlen. In Anlehnung an den Bundesrat lehnte der Nationalrat die Motion mit 70 zu 111 Stimmen ab [24].
Ebenfalls keinen Erfolg hatte eine Motion Rossini (sp, VS), welche den Bundesrat beauftragte, eine Statistik zu veröffentlichen, die für die 2. Säule und die Säule 3a die Zahl der Anspruchsberechtigten und die Aufgliederung der Rentenbeträge ausweist. Der Bundesrat wies in diesem Zusammenhang auf drei Aktivitäten hin, welche geplant sind. Priorität hat die Neurentenerhebung. Zudem sind ein Projekt zur Steuerdatenerhebung und eine Statistik zur Alterssicherung geplant. Da bereits mit dem Projekt der Neurentenerhebung ein grosser Teil der vom Motionär gewünschten Informationen vorliegen wird, beantragte der Bundesrat erfolgreich die Ablehnung der Motion [25].
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Krankenversicherung
Die sozialdemokratische Fraktion brachte in diesem Jahr gleich vier parlamentarische Initiativen zur Thematik der Krankenversicherung in den Nationalrat ein. Die erste davon befasste sich mit der Schaffung eines nationalen Reservefonds. Dieser soll für alle Kassen und die gesamte Schweiz geschaffen werden und zwar, weil die Reserven eine Rolle bei der Festlegung der Krankenkassenprämien spielen und die Höhe der Prämien beeinflussen. Durch das Wechseln von Krankenkassen, welches vom KVG gefördert wird (Wettbewerbsförderung unter den Kassen) sei es möglich, dass eine Prämienerhöhung nicht im Zusammenhang mit der Kostenentwicklung der Krankenkasse stehe und ein grosser Anteil der Prämien dazu verwendet werde, die Reserven sicherzustellen. Die Kommission des Nationalrates beantragte mit 14 zu 9 Stimmen die Ablehnung der Motion, weil sich das Volk am 11. März 2007 gegen die Schaffung einer Einheitskasse ausgesprochen hatte, was zeige, dass eine Zentralisierung im Bereich der Krankenversicherung unerwünscht sei. Der Nationalrat entschied mit 53 zu 93 Stimmen der parlamentarischen Initiative keine Folge zu leisten [26].
Eine weitere parlamentarische Initiative der SP-Fraktion forderte, dass die Versicherer politische Kampagnen nicht aus der sozialen Krankenversicherung finanzieren dürfen. Hauptziel der Initiative war es, dass Prämiengelder aus der Grundversicherung nicht zweckentfremdet werden. Die Kommission des Nationalrates beantragte mit 11 zu 10 Stimmen, der Initiative keine Folge zu leisten. Der Kommission lagen zwei Gutachten vor, welche zum Schluss kamen, dass die Verwendung von Prämiengeldern aus der sozialen Krankenversicherung für die Führung von Abstimmungskampagnen nach der geltenden Rechtsordnung nicht zulässig sei. Der SP-Vorstoss sei damit überflüssig. Es geht nun darum, dass das BAG seine Aufsichtsfunktion korrekt wahrnehmen könne. Das BAG hatte bereits eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche prüfen sollte, wie die direkte Aufsicht über die Krankenversicherer und die punktuelle Aufsicht über Santésuisse in diesem Bereich künftig wahrgenommen werden soll. Die grosse Kammer lehnte die parlamentarische Initiative mit 60 zu 90 Stimmen ab [27].
Die SP-Fraktion verlangte zudem, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung klar von der privaten Zusatzversicherung getrennt werde, insbesondere bezüglich Rechtsstellung, Firmenbezeichnung, administrativer Organisation, Betriebsführung, Vermögen sowie Rechnungslegung und Bilanzierung. Die Kommission des Nationalrates beantragte mit 11 zu 7 Stimmen, die Initiative abzulehnen. Die Mehrheit war der Meinung, dass das gleichzeitige Angebot von Grund- und Zusatzversicherungen durch einen Versicherer Synergieeffekte mit sich bringt, was geringere Geschäftsführungskosten und letztendlich geringere Prämien zur Folge habe. Die Minderheit, welche die Initiative befürwortete, führte an, dass das Angebot der obligatorischen Grundversicherung und der Zusatzversicherer von einem einzigen Versicherer zu unerwünschten finanziellen Vermischungen führen könne, z.B. für Werbekosten oder die Unterstützung politischer Aktivitäten. Der Nationalrat lehnte die Initiative mit 56 zu 113 Stimmen ab [28].
Ebenfalls ohne Erfolg blieb die SP bei ihrer vierten parlamentarischen Initiative, welche durch eine Änderung des KVG garantieren wollte, dass die Prämien einer versicherten Person für die obligatorische Krankenversicherung zusammen mit den Prämien von Familienangehörigen, für die sie unterhaltspflichtig ist, 8% des Haushaltseinkommens nicht übersteigen. Die Prämienverbilligung sei entsprechend zu bemessen. Für die Kommission blieb zwar unbestritten, dass Krankenkassenprämien für Familien eine grosse finanzielle Belastung bedeuten können und es bezüglich des Anspruchs auf Prämienverbilligung Unterschiede zwischen den Kantonen gibt. Die Kommissionsmehrheit war jedoch der Ansicht, dass die Politik der Prämienverbilligung in den Kantonen nicht isoliert von anderen Leistungen betrachtet werden dürfe und die gesetzliche Festlegung eines Maximalbetrages durch die Krankenkassenprämien einem massiven Eingriff in die sozialpolitischen Gestaltungsmassnahmen der Kantone gleichkomme. Die Kommission des Nationalrates lehnte daher die parlamentarische Initiative mit 15 zu 8 Stimmen ab. Das Plenum des Nationalrates verwarf die Initiative ebenfalls mit 54 zu 109 Stimmen [29].
Auch eine parlamentarische Initiative Recordon (gp, VD) hatte keinen Erfolg im Nationalrat. Sie verlangte, dass nur noch aus den Versicherten gebildete Genossenschaften die obligatorische Krankenversicherung führen können. Dies verbunden mit den entsprechenden Mitentscheidungsrechten der Versicherten, beispielsweise beim Budget, beim Prämiensystem oder bei der Entlöhnung der leitenden Organe. Die Kommission des Nationalrates war der Meinung, dass Krankenkassen bei einer Grössenordnung von 500 000 bis 1 Mio Versicherten nicht mehr sinnvoll und effizient in Genossenschaftsform zu organisieren seien und empfahl die Initiative daher zur Ablehnung. Obwohl eine Minderheit der Meinung war, dass die Form der Genossenschaft wegen des besseren Einbezugs der Betroffenen mehr Transparenz bringe, lehnte der Nationalrat die parlamentarische Initiative mit 53 zu 103 Stimmen ab [30].
Ebenfalls erfolglos blieb eine Motion Maury Pasquier (sp, GE), welche forderte, dass in der Krankenversicherung die nötige Transparenz bei der Rechnungslegung und eine wirtschaftlich angemessene Entwicklung der Reserven der einzelnen Versicherer gewährleistet sein müssen. Der Bundesrat soll dabei prüfen, ob es zweckmässig wäre, die kantonalen und regionalen Reserven bei der Prämienberechnung zu berücksichtigen und eine Obergrenze für die Reserven einzuführen. Der Bundesrat arbeitete zwar an einem Vorprojekt, das die Rechnungsauslegung mit einem Wechsel vom Vorsichtsprinzip zum Marktwert verändern möchte, er lehnte die Annahme der Motion aber dennoch ab. Dem folgte nach einer kurzen Diskussion auch der Ständerat mit 9 zu 19 Stimmen [31].
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Am 1. Juni lehnte das Volk den Verfassungsartikel „Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung“ mit einer Mehrheit von 69,5% ab. Den direkten Gegenentwurf zur Volksinitiative der SVP unterstützten die beiden bürgerlichen Parteien SVP und FDP sowie die EDU und die Arbeitgeberverbände. Auch SantéSuisse und die Spitäler der Schweiz (H+) unterstützten den Gesundheitsartikel. Die Befürworter machten vor allem die Senkung der Kosten für das Gesundheitswesen und die Krankenkassenprämien geltend. Den Artikel stellten sie dabei vor allem als Massnahme zur Regelung des Wettbewerbes und Steigerung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen dar. Das Lager der Befürworter hatte allerdings einen schweren Stand, da es im Laufe des Abstimmungskampfes immer kleiner geworden war. 2007 hatte auch die CVP ihre Zustimmung zum Gesundheitsartikel ausgesprochen, sie änderte dann aber ihre Meinung und gab die Nein-Parole heraus. Auch das Nein der FDP war alles andere als konsistent, da 16 Kantonalsektionen eine andere Parole vertraten. Die SVP selbst kümmerte sich wenig um den Abstimmungskampf, da sie mit der Einbürgerungsinitiative beschäftigt war. Ablehnend standen der Initiative alle anderen Parteien wie auch die Arbeitnehmerverbände und die Mehrheit der Berufsverbände im Gesundheitsbereich gegenüber. Sie warnten vor der Zunahme der Macht der Krankenkassen und vor einer Zweiklassenmedizin [32].
Die Befürworter des Gesundheitsartikels fanden in keinem einzigen Kanton eine Mehrheit. Am deutlichsten war die Ablehnung in der Westschweiz, wo es Nein-Anteile von über 80% gab. Am meisten Zustimmung erhielt die Vorlage in Nidwalden, Schwyz und St. Gallen, wobei auch hier die Nein-Stimmen bei 55-58% lagen. Das knappste Resultat meldete der Kanton Nidwalden mit 55,4% Gegenstimmen. Gemäss Vox-Analyse waren politische Merkmale für den Stimmentscheid ausschlaggebender als soziodemographische. Unter diesen politischen Faktoren wirkten sich die Identifizierung mit einer Partei und die Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Achse am stärksten auf das Stimmverhalten aus. Bei der Begründung für den Stimmentscheid fiel auf, dass nur sehr wenige einen Grund für ihren Stimmentscheid nannten [33].
Verfassungsartikel „Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung“
Abstimmung vom 1. Juni 2008

Beteiligung: 44,8%
Ja: 661 312 (30,5%)%) / Stände: 0
Nein: 1 505 702 (69,5%) / Stände: 20 6/2

Parolen:
Ja: FDP (16*), SVP (4*), EDU (1*); eco, SGV, SBV.
Nein: CVP (1*), SP, LP, EVP, CSP, PdA, GP, SD, FP, Lega, DSP, GLP (1*); SGB, TravS.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
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Eine parlamentarische Initiative der Nationalrätin Menétrey-Savary (gp, VD) verlangte, dass bei Arztkonsultationen von fremdsprachigen Patientinnen und Patienten die Kosten für Dolmetscher von der öffentlichen Hand oder von der Grundversicherung zu übernehmen sind. Die Kommission des Nationalrates hatte dies im Herbst 2007 zwar noch befürwortet, änderte aber ihre Meinung wieder, nachdem die Ständeratskommission zu einem anderen Schluss gekommen war. Sie empfahl mit 14 zu 8 Stimmen der Initiative keine Folge zu leisten, da das Anbieten von Dolmetscherdiensten eine sozialpolitische Aufgabe sei und eine Verankerung dieses Anspruchs im KVG zusätzliche Kosten zur Folge hätte. Eine Minderheit wies darauf hin, dass das Verständnis zwischen Ärzten und Patienten eine der fundamentalen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung sei. Dank diesen Dolmetscherdiensten könne nicht nur die Qualität im Gesundheitswesen verbessert, sondern auch Kosten gespart werden. Der Nationalrat folgte der Meinung der Mehrheit seiner Kommission und lehnte die parlamentarische Initiative mit 56 zu 99 Stimmen ab [34].
Eine Standesinitiative des Kantons Genf forderte, dass die medizinisch notwendigen Transportkosten sowie die Rettungskosten auch von der Krankenversicherung übernommen werden müssen, wie dies bereits im Rahmen der Unfallversicherung der Fall ist. Die Kommission des Nationalrates beantragte mit 13 zu 10 Stimmen, die Initiative abzulehnen. Dies, weil sie keinen Bedarf sah für eine Änderung, da im Rahmen der Krankenversicherung Notfalltransporte viel seltener sind als im Rahmen der Unfallversicherung. Der Ständerat hatte die Initiative bereits 2006 mit 23 zu 7 Stimmen abgelehnt. Auch eine Mehrheit des Nationalrates wollte die Krankenkassen nicht zu neuen Leistungen verpflichten und lehnte die Standesinitiative ebenfalls ab [35].
Bereits erfüllt war eine parlamentarische Initiative Maury Pasquier (sp, GE), welche verlangte, dass die Geburtshäuser in das KVG aufgenommen werden, damit die Krankenkassen die Kosten für die Schwangerschafts- und Geburtsbegleitung auch hier übernehmen. Der Nationalrat hatte die parlamentarische Initiative bereits 2006 angenommen. Im Rahmen der Vorlage zur Spitalfinanzierung waren auf Antrag der Kommission des Nationalrates die Geburtshäuser in das KVG aufgenommen worden. Damit war das Anliegen der Initiative bereits erfüllt und beide Ratskammern lehnten diese aus formellen Gründen ab [36].
Eine Motion Frick (cvp, SZ) wollte den Bundesrat beauftragen, eine Ergänzung des KVG vorzulegen, wonach die Krankenkassen unter einheitlicher Führung und Leitung für die obligatorische Grundversicherung in derselben Prämienregion jeweils dieselbe Prämie festlegen müssen. Die Motion bezweckte, die Jagd nach sogenannten guten Risiken und den Aufbau von Billigkassen zu unterbinden. Dem Bundesrat erschien der Vorschlag, eine einheitliche Prämie festzulegen, nicht der richtige Weg, um gegen diese Kassen vorzugehen. Er beantragte daher die Ablehnung der Motion. Die Kommission des Ständerates sprach sich hingegen mit 8 zu 3 Stimmen für deren Annahme aus, um den notwendigen Druck aufrechtzuerhalten, um gegen Billigkassen vorgehen zu können. Der Ständerat nahm die Motion knapp mit 18 zu 17 Stimmen an [37].
Da Versicherer seit drei Jahren verpflichtet sind, ihre Leistungen zu sistieren, sobald sie in einem Betreibungsverfahren ein Fortsetzungsbegehren gestellt haben, waren im Berichtsjahr faktisch 120 000 bis 150 000 Versicherte ohne Versicherungsschutz. Weil diese Personen trotzdem medizinische Leistungen in Anspruch nahmen, entstanden offene Spitalrechnungen im Umfang von über 80 Mio Fr. Die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) und der Krankenkassenverband Santésuisse fanden nun eine gemeinsame Lösung für das Problem dieser unbezahlten Spitalrechnungen. Während die Kantone in Zukunft 85% der Kosten übernehmen, welche Grundversicherte nicht bezahlen können, zahlen die Kassen die restlichen 15% und wollen in jedem Fall die Leistungserbringung gewährleisten [38].
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Nachdem das Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung bereits je zwei Mal im Ständerat und im Nationalrat behandelt worden war, hatte der Ständerat im Berichtsjahr immer noch vier inhaltliche Differenzen zu behandeln. Die Kommission beantragte, aus Kostengründen in allen Punkten an den ursprünglichen Beschlüssen festzuhalten. Ohne Diskussion beschloss der Ständerat daraufhin, eine einjährige Karenzfrist für den Anspruch auf eine Entschädigung beizubehalten. Die periodische Anpassung der Pflegebeiträge der Krankenversicherung an die Pflege, welche der Nationalrat vorgeschlagen hatte, sollte ebenfalls gestrichen werden. Der Ständerat beharrte ebenso darauf, dass der Übergang zur neuen Pflegefinanzierung kostenneutral erfolgen soll. Einzig um die Frage der Finanzierung der ärztlich verordneten Akut- und Übergangspflege entstand eine längere Diskussion. Die Kommissionsmehrheit wollte am Modell 60% Krankenversicherung, 20% öffentliche Hand und 20% zulasten der Patienten festhalten und damit den vom Nationalrat vorgeschlagenen Kostenverteiler ablehnen. Eine Kommissionsminderheit Maissen (cvp, GR) plädierte hingegen dafür, den Kostenverteiler des Nationalrates zu übernehmen (55% Kantone und 45% Krankenversicherer). Die Minderheit argumentierte damit, dass es richtig sei, wenn die Übergangspflege gleich finanziert werde wie die spitalinterne Behandlung. Die Mehrheit der Kommission sprach sich hingegen dafür aus, dass auch die Patienten und Patientinnen ein gewisses Mass an Solidarität gegenüber den jungen Steuerzahlern übernehmen und daher an der Finanzierung beteiligt werden sollten. Mit 23 zu 18 Stimmen nahm der Ständerat den Antrag der Mehrheit an [39].
Der Nationalrat gab in der weiteren Differenzbereinigung nur einmal nach und zwar akzeptierte er die einjährige Karenzfrist für den Anspruch auf eine Hilflosenunterstützung. Er verlangte jedoch mit einer Motion vom Bundesrat bis Ende 2009 eine Vorlage, welche die Leistungen der Hilflosenentschädigung mit jenen der Pflegefinanzierung koordiniert. Bei der Frage der Finanzierung der Akut- und Übergangspflege hielt der Nationalrat an seinem Vorschlag (45% Krankenversicherer, 55% Kantone) fest, ebenso wie bei der periodischen Anpassung der Pflegebeiträge. Hier sollen die Beiträge alle zwei Jahre angepasst werden, jedoch nicht wie ursprünglich beschlossen an die Kostenentwicklung der Pflege, sondern neu an die Teuerung gemäss Landesindex der Konsumentenpreise. Eine kostenneutrale Pflegefinanzierung, welche der Ständerat vorgeschlagen hatte, lehnte der Nationalrat erneut ab [40].
Der Antrag der Einigungskonferenz, übernahm bei der Akut- und Übergangspflege den Verteilungsschlüssel des Nationalrates (45% Krankenversicherer, 55% Kantone, analog Spitalfinanzierung). Diese Pflegeleistungen müssen jedoch bereits im Spital ärztlich angeordnet werden und der Kostenverteiler gemäss Spitalfinanzierung kommt lediglich während maximal zwei Wochen zur Anwendung. Bei der periodischen Anpassung der Pflegebeiträge setzte sich die Version des Ständerates durch, wonach der Bundesrat nicht verpflichtet ist, die Beiträge der Krankenversicherung periodisch anzupassen. Bei der Frage der kostenneutralen Einführung der Pflegefinanzierung wird eine solche für den Bereich der allgemeinen Pflege verlangt, nicht aber für die Akut- und Übergangspflege. Trotz Opposition von Maury Pasquier (sp, GE), welche die Bestimmungen zur Akut- und Übergangspflege als zu restriktiv empfand, nahm der Ständerat den Vorschlag der Einigungskonferenz mit 22 zu 6 Stimmen an. Der Nationalrat schloss sich daraufhin diskussionslos dem Vorschlag der Einigungskonferenz an [41]. In der Schlussabstimmung nahm der Ständerat das Gesetz mit 33 zu 8 Stimmen an. Im Nationalrat erklärten Goll (sp, ZH) und Müller (gp, AG), dass ihre Fraktionen das Gesetz ablehnen würden. Die grosse Kammer nahm das Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung schliesslich mit 126 zu 55 Stimmen an [42].
Als weiteres Teilpaket der KVG-Revision hatte der Bundesrat dem Parlament im Jahre 2004 seine Botschaft zu Managed Care, also integrierten Versorgungsnetzen mit Budgetverantwortung, vorgelegt. Insbesondere sollte der heute geltende Vertragszwang zwischen Versicherern und Leistungserbringern aufgehoben werden, um kostengünstiger arbeitende Ärztenetzwerke nachhaltiger zu fördern. Dieser Teilbereich hatte aufgrund von Widerstand in der Ärzteschaft jahrelang in der Kommission des Ständerates verharrt. Erst in diesem Jahr konnten sich die beiden Kammern darauf einigen, den Zulassungsstopp für die Eröffnung neuer Arztpraxen bis 2009 weiterzuführen [43].
Die Botschaft des Bundesrates sah aber auch Neuerungen bei der Medikamentenpreisbildung vor. Dieses Jahr ging die Vorlage nun in die Differenzbereinigung. Hierbei behandelte der Ständerat vor allem die Frage der Definition von preisgünstigen Arzneimitteln und die entsprechende Versorgung. Die Kommissionsmehrheit des Ständerates empfand die Formulierung des Nationalrates als verwirrend, wonach bei der Beurteilung der Preisgünstigkeit nicht nur der möglichst geringe Aufwand für die Heilwirkung, sondern auch die Kosten für Forschung und Entwicklung angemessen berücksichtigt werden müssen. Der Ständerat stimmte dem Vorschlag seiner Kommission mit 25 zu 13 Stimmen zu, welche als Ersatz für den besagten Artikel vorschlägt, den Bundesrat zu beauftragen, für eine preisgünstige Arzneimittelversorgung in der obligatorischen Krankenversicherung zu sorgen. Im Nationalrat stiess diese Streichung der angemessenen Berücksichtigung von Forschung und Entwicklung auf taube Ohren. Die Kommissionsmehrheit verlangte an der früher vom Nationalrat beschlossenen Formulierung festzuhalten und siegte mit 111 zu 66 Stimmen. Der Ständerat strich zur Verabschiedung der Vorlage diesen Absatz 3. Die Kommission des Nationalrates hingegen schloss sich dem Streichungsvorschlag des Ständerates nicht an und machte einen neuen Vorschlag für den umstrittenen Absatz. Die Bedeutung dieses Absatzes war im Nationalrat sehr umstritten. Während Vertreter der SVP ihn als das Herzstück der Teilrevision betrachteten, war die SP gegenteiliger Ansicht und sah in ihm den überflüssigsten Teil der Revision. Der Nationalrat folgte der Kommissionsmehrheit und entschied sich mit 108 zu 65 Stimmen für die neue Formulierung.
Die damit notwendig gewordene Einigungskonferenz schloss sich dem Vorschlag des Ständerates an und beantragte mit 15 zu 10 Stimmen die Streichung des umstrittenen Absatzes. Der Ständerat folgte dem Antrag der Einigungskonferenz diskussionslos. Im Nationalrat beantragte eine Minderheit Bortoluzzi (svp, ZH), den Antrag der Einigungskonferenz abzulehnen. Das Ergebnis sei unbefriedigend, da ein wesentliches Element, nämlich der Aspekt der Wirtschaftlichkeit im Zulassungsverfahren, willkürlich aus der Revision herausgebrochen worden war. Eine Mehrheit der FDP stimmte ebenfalls gegen den Vorschlag der Einigungskonferenz. Die SP Fraktion warb für Zustimmung, konnte aber keine Mehrheit finden. Der Nationalrat lehnte den Antrag der Einigungskonferenz mit 97 zu 83 Stimmen ab. Damit war die Vorlage zu den Medikamentenpreisen gescheitert [44].
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Unfallversicherung
Im Mai veröffentlichte der Bundesrat seine Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG). Mit dem Inkrafttreten des UVG im Jahre 1984 wurde für sämtliche Beschäftigte in der Schweiz die obligatorische Versicherung von Berufsunfällen, Berufskrankheiten sowie Nichtberufsunfällen eingeführt. Zudem erfolgte neben der SUVA auch eine Zulassung von privaten Versicherern, Krankenkassen und öffentlichen Unfallkassen zur Durchführung der Versicherung. Auch wenn sich das UVG grundsätzlich bewährt hatte, drängte sich eine generelle Diskussion darüber seit langem auf. In neuester Zeit waren einerseits die unterschiedlichen Betrachtungsweisen und Finanzierungsanforderungen des UVG-Geschäfts der privaten Versicherungsgesellschaften und der öffentlich-rechtlichen Anstalt SUVA vermehrt zu Tage getreten. Andererseits zeigte sich, dass infolge der Verschärfung des Wettbewerbes unter den Versicherern verschiedene Punkte, welche früher einvernehmlich gelöst worden waren, neu geregelt werden müssen. Weiter stellte sich heraus, dass im Zuge der Einführung der obligatorischen beruflichen Vorsorge Überentschädigungen bei den Leistungen entstanden sind. Diese müssen nach Ansicht des Bundesrates vordringlich eliminiert werden. Inhaltlich befasste sich die Botschaft mit Änderungen bei den Leistungen, der Finanzierung und Organisation des UVG-Geschäfts sowie bei den Vorschriften über die Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten. Ferner werden die bisher vom Gesetzgeber im UVG nicht explizit vorgenommene Verankerung der Unfallversicherung der arbeitslosen Personen nachgeholt sowie die Organisation der SUVA erneuert und die ihr gestatteten Nebentätigkeiten geregelt. Die Revision des UVG wird in zwei Gesetzgebungspaketen beraten: Ein Teil zur Anpassung des Gesetzes zur Organisation der SUVA und ein anderer zu Themen, welche die versicherten Personen und alle UVG-Versicherer betreffen [45].
Eine Motion Bortoluzzi (svp, ZH) forderte eine Einschränkung der Kognition im UVG-Verfahren. Im Bereich der Unfallversicherung können, wie bis vor wenigen Jahren auch in der IV, zwei Gerichte mit voller Kognition über einen Fall urteilen. Damit geniessen Kunden eines UVG-Verfahrens einen stark verbesserten Verfahrensschutz gegenüber anderen Rechtsverfahren. Der Motionär wollte die Verfahren straffen und Fehlanreize zur Verfahrensverzögerung verhindern. Um dies zu erreichen sollte eine Kostenpflicht für UVG-Verfahren auf Bundesebene eingeführt werden. Der Bundesrat sprach sich für den ersten Teil der Motion aus und wollte die Prüfungsbefugnis des Bundesgerichtes für alle Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, unter Einschluss der Sozialversicherung, vereinheitlichen. Dies sollte im Rahmen der Revision des Unfallversicherungsgesetzes erfolgen. Den zweiten Punkt der Motion (Gerichtsgebühren einführen) sah er bereits erfüllt. Der Bundesrat beantragte die Annahme der Motion. Diese wurde aber im Nationalrat von Goll (sp, ZH) und Rossini (sp, VS) bekämpft und ihre Behandlung verschoben [46].
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Arbeitslosenversicherung
Im Herbst veröffentlichte der Bundesrat seine Botschaft zur Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG). Das AVIG vom 25. Juni 1985 war in Folge des starken Anstieges der Arbeitslosigkeit 1995 bedeutend revidiert worden (Schaffung der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV)). Im Jahre 2002 war ein neues Finanzierungskonzept eingeführt worden, dabei unterstellte man eine konjunkturabhängige Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 100 000 Personen. Diese Zahl hat sich nun als zu tief erwiesen. Trotz guter Konjunkturlage und einem Rückgang der Arbeitslosigkeit hatte die Arbeitslosenversicherung (ALV) 2007 mit der Rückzahlung der Fehlbeträge nicht beginnen können. Die Darlehensschuld beträgt weiterhin 4,8 Mia Fr. Die Revision strebt daher eine möglichst schnelle finanzielle Sicherung der ALV an. Die Grundleistungen sollen nicht verändert werden, hingegen sind dort Einsparungen geplant, wo aufgrund der heutigen gesetzlichen Vorgaben unerwünschte Ergebnisse resultieren. Konkret soll die Finanzierung der Versicherung auf eine höhere durchschnittliche Arbeitslosenzahl ausgerichtet sein. Für den Ausgleich der laufenden Rechnung wird der Beitragssatz deshalb um 0,2% erhöht. Die Kostensenkung soll vor allem mittels Stärkung des Versicherungsprinzips durch das Beseitigen von Fehlanreizen erzielt werden. Für die Entschuldung erfolgt zusätzlich die Einführung einer Beitragserhöhung von 0,1% und eines Solidaritätsbeitrages von 1% auf dem bisher nicht versicherten Einkommensteil zwischen dem Höchstbetrag und dem zweieinhalbfachen des versicherten Verdienstes [47].
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Weiterführende Literatur
Baumann, Meret, Das Solidaritätsprinzip im schweizerischen Sozialversicherungsrecht, Zürich (Diss. jur.) 2008.
Bonoli, Giuliano e.a. (Hg.), Les nouveaux défis de l'Etat social – Neue Herausforderungen für den Sozialstaat, Lausanne (Presses polytechniques et universitaires romandes) und Bern 2008.
Conrad, Christoph e.a. (Hg.), Auf der Kippe: Integration und Ausschluss in Sozialhilfe und Sozialpolitik  = Sur la corde raide : intégration et exclusion dans l'assistance sociale et la politique sociale, Zürich 2008.
Moser, Julia, Der schweizerische Wohlfahrtsstaat: Zum Ausbau des sozialen Sicherungssystems 1975–2005, Frankfurt (Diss. Bremen) 2008.
Riemer-Kafka, Gabriela, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bern 2008.
Trampusch, Christine, „Von einem liberalen zu einem post-liberalen Wohlfahrtsstaat: Der Wandel der gewerkschaftlichen Sozialpolitik in der Schweiz“, in Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 2008, S. 48-84.
Widmer, Dieter, Die Sozialversicherung in der Schweiz, Zürich (6., erg. und verb. Aufl.) 2008.
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Bonoli, Giuliano e.a., Anpassung der Rentensysteme in der OECD: Reformmodelle für die Schweiz?, Bern (Bundesamt für Sozialversicherung) 2008.
CHSS, 2008, S. 5-38 (Schwerpunktthema „Alterspolitik der Schweiz“).
CHSS, 2008, S. 370-379 (Schwerpunktthema „Vorsorge“).
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Evaluation der Führung und Beaufsichtigung der Arbeitslosenversicherung duch den Bund. Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 27. März 2008, Bern (Parlamentarische Verwaltungskontrolle) 2008.
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Krapf, Markus, „Selbsteingliederung und Sanktion in der 5. IV-Revision“, in Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge, 2008, S. 122-147.
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Duc, Jean-Louis, „En marge de la révision en cours de l‘assurance-accidents“, in Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge, 2008, S. 292-311.
Riemer-Kafka, Gabriela, „Die Stellung der Unfallversicherung im Rahmen des schweizerischen Sozialversicherungssystems“, in Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge, 2008, S. 202-222.
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[1] AB NR, 2008, S. 1812 ff.
[2] AB NR, 2008, S. 322 ff. und 379 f. Siehe SPJ 2006, S. 198.
[3] AB SR, 2008, S. 300 ff.
[4] AB NR, 2008, S. 1024; AB SR, 2008, S. 532.
[5]Presse vom 15.10.-29.11.08.
[6] BBl, 2008, S. 605 ff.; Presse vom 1.12.08; Krömler, Oliver / Milic, Thomas / Rousselot, Bianca, Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 30. November 2008, Zürich und Bern 2009.
[7] BBl, 2006, S. 1957 ff. Siehe SPJ 2005, S. 192 und 2006, S. 198.
[8] AB NR, 2008, S. 321 ff.
[9] AB NR, 2008, S. 348 ff. und 369 ff.
[10] BBl, 2006, S. 2061 ff.
[11] AB NR, 2008, S. 321 ff. und 379.
[12] AB NR, 2008, S. 466.
[13]Siehe SPJ 2007, S. 230.
[14] AB NR, 2008, S. 380 ff. und 405 ff.
[15] AB SR, 2008, S. 293 ff.
[16] AB NR, 2008, S. 750 f. und 1023; AB SR, 2008, S. 532. Die Vorlage muss als Verfassungsrevision noch von Volk und Ständen gutgeheissen werden.
[17] AB NR, 2008, S. 380 ff. und 405 ff. Siehe SPJ 2007, S. 231.
[18] AB SR, 2008, S. 435, 516 und 532; AB NR, 2008, S. 750 f., 871 f. und 1023.
[19] AB SR, 2008, S. 1045. Siehe SPJ 2007, S. 231 f.
[20] AB SR, 2008, S. 558 ff. und 564 ff. Siehe SPJ 2007, S. 232.
[21] AB NR, 2008, S. 1281 ff. Siehe SPJ 2007, S. 232 f.
[22] AB SR, 2008, S. 960 ff. und 1058; AB NR, 2008, S. 1975.
[23] AB NR, 2008, S. 83 f.
[24] AB NR, 2008, S. 1755.
[25] AB NR, 2008, S. 1553.
[26] AB NR, 2008, S. 297 f.
[27] AB NR, 2008, S. 298 ff.
[28] AB NR, 2008, S. 1065 ff.
[29] AB NR, 2008, S. 1355 ff.
[30] AB NR, 2008, S. 1176 f.
[31] AB SR, 2008, S. 1052 ff.
[32]Presse vom 4.5.-31.5.08. Siehe SPJ 2007, S. 235 f.
[33] BBl, 2008, S. 6161 ff.; Presse vom 2.6.08; Krömler, Oliver / Milic, Thomas / Rousselot, Bianca, Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 30. November 2008, Zürich und Bern 2009.
[34] AB NR, 2008, S. 793 ff.
[35] AB NR, 2008, S. 70 ff.
[36] AB NR, 2008, S. 1641; AB SR 2008, S. 437. Siehe SPJ 2006, S. 207
[37] AB SR, 2008, S. 809 ff.
[38]Presse vom 25.10.08.
[39] AB SR, 2008, S. 15 ff. Siehe SPJ 2007, S. 240 f.
[40] AB NR, 2008, S. 608 ff. Motion: AB NR, 2008, S. 611 f.
[41] AB SR, 2008, S. 435 f.; AB NR 2008, S. 870 f.
[42] AB SR, 2008, S. 531 f.; AB NR, 2008, S. 1022 f.
[43]Siehe SPJ 2007, S. 241 f. sowie oben, Teil I, 7b (Gesundheitspolitik).
[44] AB SR, 2008, S. 10 ff., 590 ff. und 778; AB NR, 2008, S. 746 ff., 1167 ff. und 1469 f. Siehe SPJ 2007, S. 242.
[45] BBl, 2008, S. 5395 ff.
[46] AB NR, 2007, S. 467.
[47] BBl, 2008, S. 7733 ff. Siehe SPJ 2007, S. 201. Vgl. auch Die Volkswirtschaft, 2008, Nr. 11, S. 56-62.
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