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Sozialpolitik
Soziale Gruppen
Die SVP reichte ihre Volksinitiative „für die Ausschaffung krimineller Ausländer“ ein. – Einige Kantone starteten einen Pilotversuch mit Integrationsvereinbarungen für Immigranten. – Die Frauen in der Schweiz weisen eine der höchsten Erwerbsquoten Europas aus. – Der Nationalrat lehnte einen Vorstoss für die Einführung eines bezahlten Vaterschaftsurlaubs ab. – Bundesrat und Parlament sprachen sich für eine bessere Koordinierung der ausserschulischen Jugendarbeit aus. – Ein Forschungsbericht kam zum Schluss, dass die Solidarität zwischen den Generationen in der Schweiz gut funktioniert.
Allgemeine Fragen
Der Bundesrat beschloss, die Europaratskonvention gegen Menschenhandel zu unterzeichnen. Diese bekämpft alle Formen von Menschenhandel auf inner- und zwischenstaatlicher Ebene. Sie setzt rechtliche Standards im Strafrecht, in der Opferhilfe, im Ausländerrecht sowie im prozessualen und ausserprozessualen Zeugenschutz. Mit der Umsetzung der Konvention soll auch die Prävention gestärkt und somit die Nachfrage eingedämmt werden. Das Abkommen sieht in den Bereichen Opfer- und Zeugenschutz verbindlichere Bestimmungen sowie einen unabhängigen Überwachungsmechanismus vor, der die Umsetzung gewährleisten soll. Es geht damit weiter als das UNO-Protokoll zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels (sexuelle Ausbeutung, Zwangsarbeit, Organentnahme), das von der Schweiz bereits im Jahr 2006 ratifiziert worden ist. Die schweizerische Rechtsordnung steht mit dem Inhalt des Übereinkommens weitgehend in Einklang. Anpassungsbedarf besteht beim ausserprozessualen Zeugenschutz. Eine Anhörung bei den Kantonen hatte ergeben, dass diese die Unterzeichnung der Konvention befürworten und den nötigen Umsetzungsarbeiten positiv gegenüber stehen. Der Zeitpunkt der Ratifizierung der Konvention hängt von der Umsetzung einer Zeugenschutzregelung ab. Das EJPD wurde vom Bundesrat beauftragt, einen entsprechenden Vernehmlassungsentwurf zur gesetzlichen Regelung des ausserprozessualen Zeugenschutzes unter Einbezug der Kantone zu erarbeiten [1].
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Ausländerpolitik
Bei der Behandlung der Legislaturplanung 2007–2011 im Nationalrat verlangte die SVP-Fraktion die konsequente Ausweisung von Ausländern, welche kriminell werden, die christlich-abendländischen Werte nicht beachten oder die Sozialwerke missbrauchen. Zudem sei die Entwicklungszusammenarbeit an die Bedingung zu koppeln, abgewiesene Asylbewerber wieder aufzunehmen. Zu den Werten meinte Noser (fdp, ZH) als Vertreter seiner Partei, dass ganz klar sei, dass Ausländer die Gesetze des Landes zu befolgen haben, dass man von ihnen aber kein Glaubensbekenntnis verlangen dürfe. Der Antrag wurde mit 68 zu 40 Stimmen abgelehnt [2].
Mit einer parlamentarischen Initiative beantragte die SVP-Fraktion, das Ausländergesetz sei so zu ergänzen, dass Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen von Familien widerrufen werden können, wenn ihre minderjährigen Kinder straffällig werden. Bei schweren Delikten wie Vergewaltigungen, Messerstechereien, Morddrohungen gegenüber Lehrern usw. sollte der Widerruf der Bewilligung zwingend angeordnet werden, für leichtere Delikte wie z.B. Diebstahl wäre ein Bewilligungsentzug im Ermessen der Behörden. Die SVP versprach sich davon eine Signalwirkung auf Einwandererfamilien, das Verhalten ihrer Kinder strenger zu kontrollieren. Mit dem Argument, eine derartige Sippenhaft sei eines Rechtsstaates unwürdig, beantragte die Kommission, der Initiative keine Folge zu geben. Zudem verstosse das Ansinnen gegen die in der Verfassung festgelegten Prinzipien der Verhältnismässigkeit und der Gleichbehandlung. Die Initiative wurde mit 106 zu 36 Stimmen deutlich verworfen [3].
Diese SVP-Vorstösse entsprachen weitgehend den Forderungen, welche die Partei mit ihrer Volksinitiative „Für die Ausschaffung krimineller Ausländer“ („Ausschaffungsinitiative“) stellt. Sie verlangt darin, dass Ausländerinnen und Ausländer, unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz verlieren, wenn sie wegen eines Gewaltdelikts verurteilt worden sind oder missbräuchlich Sozialleistungen bezogen haben. Mitte Februar wurde sie mit 210 919 Unterschriften eingereicht. Bei der Präsentation sagte SVP-Präsident Maurer (ZH), die Bevölkerung habe genug von der erschreckenden Jugend- und Ausländerkriminalität. Die bestehenden Gesetze reichten aber für ein härteres Vorgehen gegen straffällige Ausländer nicht aus; deswegen brauche es die Möglichkeit eines richterlichen Landesverweises. Nach Auffassung mehrerer Staatsrechtler müsste die Volksinitiative für ungültig erklärt werden, da sie mit ihrer absoluten Formulierung gegen zwingendes Völkerrecht und Garantien der Bundesverfassung verstosse [4].
Der Bundesrat sprach sich dagegen aus, die Initiative für ungültig zu erklären, da sie seines Erachtens nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstösst. Eine Annahme der Initiative würde jedoch zu erheblichen Kollisionen mit dem nicht zwingenden Völkerrecht sowie mit der Bundesverfassung führen. Die Volksinitiative soll dem Parlament daher zur Ablehnung empfohlen werden. Ihr soll aber ein indirekter Gegenvorschlag durch eine Anpassung des Ausländergesetzes gegenübergestellt werden. Dieser soll insbesondere zu einer Vereinheitlichung der Praxis der Landesverweisung zwischen den Kantonen führen und die Widerrufsgründe für ausländerrechtliche Bewilligungen präzisieren [5].
Für Änderungen im Ausländer- und im Asylgesetz zur Umsetzung der Übernahme des Schengen- und Dublin-Besitzstandes siehe oben, Teil I, 2 (Europe: UE).
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Ende 2008 lebten 1,67 Mio Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz und damit 4,3% mehr als ein Jahr zuvor. Bei der Zusammensetzung der ausländischen Wohnbevölkerung wirkte sich das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU aus. So nahm die ausländische Wohnbevölkerung aus dem EU/EFTA-Raum mit +6,8% deutlich stärker zu als jene aus Drittstaaten und stieg auf 1 026 495. Innerhalb der EU-Länder war die Zuwachsrate bei den zehn neuen vorwiegend osteuropäischen Mitgliedstaaten mit +16,7% (knapp 4000 Personen) am höchsten. Bei den Staatsangehörigen, die nicht aus dem EU/EFTA-Raum stammen, blieb die Zahl mit +0,4% fast auf Vorjahresniveau; wobei zu berücksichtigen ist, dass aus diesen Staaten besonders viele Personen eingebürgert worden sind, welche damit aus der Ausländerstatistik verschwinden. Diese Entwicklung entspricht der Zuwanderungspolitik des Bundesrats und dem Zulassungssystem im neuen Ausländergesetz, wonach aus Nicht-EU-Staaten nur noch besonders qualifizierte Erwerbstätige rekrutiert werden können. Mit 44,6% war die nicht kontingentierte Erwerbstätigkeit der häufigste Einwanderungsgrund vor dem Familiennachzug mit 31,1%. In absoluten Werten nahm 2008 die Zahl der Deutschen erneut am stärksten zu; dahinter folgten Portugal, Frankreich, Grossbritannien und Polen, welches mit 1608 Einwanderern das Gros aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten stellte. Rückläufig war demgegenüber der Stand der Bevölkerung aus denjenigen Staaten, aus denen die meisten Eingebürgerten stammen: Serbien (-7400) und in deutlich geringerem Ausmass auch Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Sri Lanka und Türkei. Den höchsten Anteil an der Bevölkerung haben die Ausländer im Kanton Genf (35,1%), den niedrigsten im Kanton Uri (9,1%). Mit 45 287 Personen lag die Zahl der Einbürgerungen knapp über jener des Vorjahres, wobei die Serben erneut den grössten Anteil ausmachten [6].
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Der Bundesrat will gezielter gegen Ehen bei rechtswidrigem Aufenthalt in der Schweiz vorgehen. Die geplanten Gesetzesänderungen verpflichten zum einen die ausländischen Brautleute, vor ihrer Heirat ihren rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz nachzuweisen. Zum anderen ist vorgesehen, dass die Zivilstandsämter Zugriff auf das Zentrale Migrationssystem (ZEMIS) erhalten und dass sie der zuständigen Migrationsbehörde die Identität der Brautleute mitteilen, die sich rechtswidrig in der Schweiz aufhalten. Die neuen Bestimmungen sollen sinngemäss auch für Männer und Frauen gelten, die eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft eintragen lassen wollen. Nach Ansicht des Bundesrates kann mit diesen Massnahmen die unterschiedliche Praxis in den einzelnen Kantonen vereinheitlicht werden [7].
Eine parlamentarische Initiative Heer (svp, ZH), die im Fall des Familiennachzugs aus „problematischen“ Ländern zusätzlich zu Zivilstandsakten zwingend DNA-Profile zur Feststellung von Abstammung und Identität verlangen wollte, wurde vom Nationalrat mit 117 zu 51 Stimmen abgelehnt. Die Kommissionsmehrheit machte geltend, derartige Tests seien im Zweifelsfall bereits mit dem neuen Ausländergesetz möglich; obligatorische Untersuchungen ohne hinreichenden Verdacht auf Vorliegen irgendeines Straftatbestandes verstiessen gegen das verfassungsmässige Grundrecht auf den Schutz der Privatsphäre und würden wohl auch die Europäische Menschenrechtskonvention verletzen. Die Beschränkung des obligatorischen Tests auf die so genannten Problemländer würde überdies eine rechtsungleiche Behandlung bewirken [8].
Zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten Bulgarien und Rumänien siehe oben, Teil I, 2 (Europe: UE). Zum Ansinnen der SVP, die Kriterien für eine Einbürgerung zu verschärfen, sowie zu der vom Volk abgelehnten Einbürgerungsinitiative der SVP siehe oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht).
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2007 hatte der Ständerat eine Motion angenommen, welche den Erlass eines Rahmengesetzes zur Integration verlangte. Auf Antrag des Bundesrates, der das Anliegen in weiten Teilen durch die Inkraftsetzung des neuen Ausländergesetzes auf den 1. Januar 2008 als erfüllt erachtete, hatte der Nationalrat die Motion in einen Prüfungsauftrag umgewandelt, eine Änderung, welcher die kleine Kammer nun oppositionslos zustimmte. Allerdings wurde dabei betont, dass die Abschwächung nicht mit einer Abwertung des Anliegens verwechselt werden dürfe. Die Integration insbesondere der ausländischen Jugendlichen sei eine zentrale Herausforderung für die heutige Schweiz [9].
Seinerseits hatte der Nationalrat, gegen den Willen des Bundesrates, der auf Schwierigkeiten bei der Umsetzung verwies, eine Motion der SP-Fraktion gutgeheissen, welche den Bundesrat beauftragt, in Zusammenarbeit mit den Kantonen einen nationalen Aktionsplan Integration zu erarbeiten. Insbesondere soll diese Integrationsoffensive die schulischen und sprachlichen Defizite der Kinder mit Migrationshintergrund beheben helfen. Für Eltern (insbesondere die Mütter) sollen zudem bedarfsgerechte Sprachlernangebote konzipiert werden. Obgleich der Bundesrat auch zwischenzeitlich nicht von seiner Position abgerückt war, wurde die Motion vom Ständerat mit 26 zu 5 Stimmen angenommen [10].
Im Vorjahr hatte der Nationalrat eine Motion Haller (svp, BE) angenommen, welche den Bundesrat beauftragt, dafür zu sorgen, dass im Rahmen der Visumserteilung, des Familiennachzugs und des Ehevorbereitungsverfahrens allen ausländischen Personen, die ihren ehelichen Wohnsitz in der Schweiz haben werden, schriftliche Informationen über zentrale schweizerische Rechtsvorschriften in einer für die Betroffenen verständlichen Sprache zur Verfügung gestellt werden. Der Ständerat überwies diese Motion diskussionslos [11].
Die Kantone Basel-Stadt, Basel-Land, Solothurn und Zürich starteten einen Pilotversuch mit Integrationsvereinbarungen. Teil dieser Vereinbarung ist es, die Erteilung einer Aufenthalts- oder Kurzaufenthaltsbewilligung künftig mit der Bedingung zu verknüpfen, dass ein Sprach- oder Integrationskurs besucht wird. Das BFM, welches den Versuch begleitet, will so das Erlernen der Landessprache sowie Kenntnisse über die gesellschaftlichen Verhältnisse und das Rechtssystem in der Schweiz fördern. Im Sinn eines Anreizes können die Kantone gut integrierten Ausländerinnen und Ausländern die Niederlassungsbewilligung vorzeitig erteilen [12].
Im Vorjahr hatte der Nationalrat eine Motion der SVP-Fraktion angenommen, welche den Bundesrat beauftragt, in den Kriminalstatistiken des Bundes in Zukunft auch das Herkunftsland des Täters aufzuführen. Der Ständerat stimmte ebenfalls zu. Bundesrätin Widmer-Schlumpf erläuterte in diesem Zusammenhang noch einmal die Haltung des Bundesrates, wonach die Herkunft nur bei Ausländern und nicht bei Eingebürgerten erhoben wird [13].
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Flüchtlingspolitik
Im Jahr 2008 wurden in der Schweiz 16 606 Asylgesuche eingereicht. Das waren 5762 mehr als im Jahr 2007. Der Gesamtbestand der Personen im Asylprozess betrug zum Jahresende 40 794 Personen und hat sich damit gegenüber dem Vorjahr um 0,7% verringert. Am zahlreichsten vertreten unter den neuen Asylsuchenden waren wie bereits im Vorjahr Personen aus Eritrea (2849; 2007: 1188), gefolgt von Somalia (2014; 2007: 464). Auf den nächsten Rängen kamen Irak und Sri Lanka.
Im Berichtsjahr wurden 11 062 Asylgesuche erstinstanzlich erledigt, d.h. 992 mehr als im Jahr 2007. In 3073 Fällen wurde ein Nichteintretensentscheid gefällt (2007: 2671), 2261 Personen erhielten Asyl (2007: 1537) und 4483 Gesuche wurden abgelehnt (2007: 3800). Weitere 1245 Gesuche wurden zurückgezogen oder abgeschrieben. Die Anerkennungsquote (Asylgewährung) stieg 2008 auf 23% an [14].
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Bei der Fortsetzung der Differenzbereinigung beim Zwangsanwendungsgesetz hielt der Nationalrat in der Frühjahrssession mit 92 zu 85 Stimmen am Einsatz des Tasers fest, obgleich Bundesrätin Widmer-Schlumpf davor warnte, durch diesen Entscheid zu einem in diesem Zusammenhang eigentlich unwichtigen Punkt könnte das gesamte dringend notwendige Gesetz gefährdet werden. Da damit eine Pattsituation entstanden war, musste sich die Einigungskonferenz für die eine oder andere Variante aussprechen. Mit 19 zu 17 Stimmen folgte sie dem Nationalrat; ein Antrag, die Verwendung des Tasers zumindest stark einzuschränken, unterlag mit 14 zu 11 Stimmen. Gegen den Widerstand der SP-Vertreter, die für eine Ablehnung des Gesetzes plädierten, gab der Ständerat nach und votierte mit 26 zu 13 Stimmen für den Beschluss der Einigungskonferenz. Bundesrätin Widmer-Schlumpf versuchte die Gegner des Entwurfs dadurch zu besänftigen, dass sie versprach, der Bundesrat werde in der entsprechenden Verordnung die Verwendung des Tasers nur sehr zurückhaltend gestatten. Im Nationalrat machten beide Seiten noch einmal ihre Argumente geltend; das links-grüne Lager beantragte erfolglos die Ablehnung der Vorlage. Im Ständerat passierte das Gesetz in der Schlussabstimmung mit 26 zu 9 Stimmen bei 7 Enthaltungen, im Nationalrat mit 123 zu 61 bei 10 Enthaltungen. Vorher hatte Leuenberger (gp, GE) noch einmal aufgerufen, dem durch die Einfügung des Tasers pervertierten Gesetz die Gefolgschaft zu verweigern; Meyer-Kälin (cvp, FR), eine entschiedene Gegnerin des Tasers, appellierte im Gegensatz dazu, trotzdem dem Gesetz zuzustimmen, da es eine längst überfällige Regelung der bei Zwangsausschaffungen zulässigen Mittel bringe [15].
Ständerat Marty (fdp, TI), der sich vehement gegen die Aufnahme des auswirkungsmässig noch kaum evaluierten Tasers in dieses Gesetz gewehrt hatte, reichte daraufhin ein Postulat ein, das den Bundesrat ersucht, einen diesbezüglichen Bericht zu erstellen. Nachdem Bundesrätin Widmer-Schlumpf zugesichert hatte, dass diese Überprüfung im Verordnungsentwurf bereits vorgesehen sei, wurde das Postulat diskussionslos verabschiedet [16].
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Bei der Behandlung der Personenfreizügigkeit in der Legislaturplanung 2007–2011 regte die Kommission des Nationalrats eine Ergänzung an, wonach bei der Ausweitung auf Rumänien und Bulgarien die Rückübernahmeabkommen mit diesen Ländern zu verbessern seien. Dieser Antrag wurde mit 126 zu 37 klar angenommen. Ein revidiertes Abkommen konnte Bundesrätin Widmer-Schlumpf in den folgenden Monaten mit beiden Staaten unterzeichnen. Bei einem Arbeitsbesuch in Bosnien-Herzegowina vereinbarte sie auch mit diesem Staat ein entsprechendes Abkommen [17].
Seit 2002 besteht zwischen Bund und Kantonen eine Zusammenarbeit zum Thema „Controlling der Integration von Flüchtlingen“. Im April wurde der Schlussbericht veröffentlicht. Die gesammelten Daten, die einerseits auf der Befragung der Flüchtlinge und andererseits auf Aussagen der Sozialbehörden beruhen, beschlugen die Schwerpunktthemen berufliche Integration und Ausbildung, soziale Integration, Gesundheit und Spracherwerb. In der Studie wurde die Flüchtlingsbevölkerung zu drei verschiedenen Zeitpunkten beobachtet: Bei der Eröffnung des positiven Asylentscheids, ein Jahr später sowie fünf Jahre nach der Einreise in die Schweiz. Dank dieser Differenzierung nach Zeitpunkten konnte aufgezeigt werden, dass die Aufenthaltsdauer in der Schweiz beträchtliche Auswirkungen auf die Integration der Flüchtlinge hat. Rund zwei Drittel von ihnen unterhalten regelmässigen Kontakt zur schweizerischen Wohnbevölkerung. Die Bereitschaft zum Spracherwerb und zum Besuch von Ausbildungsveranstaltungen nimmt insbesondere nach einem positiven Asylentscheid zu, wobei die Sprachkompetenz der Männer im Allgemeinen höher liegt als jene der Frauen. Die finanzielle Abhängigkeit der Flüchtlinge von der Sozialhilfe nimmt im Lauf der Zeit bei einigen deutlich zu, bei anderen nimmt sie ab [18].
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Frauen
2007 hatte der Nationalrat dem Bundesbeschluss über die Genehmigung des Fakultativprotokolls vom Oktober 1999 zum UNO-Übereinkommen vom Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau gegen einen Nichteintretensantrag der SVP zugestimmt. Der Ständerat hiess das Protokoll nun bei einer Enthaltung gut, worauf es definitiv verabschiedet werden konnte, im Ständerat einstimmig und im Nationalrat mit 180 zu 5 Stimmen, die alle aus der SVP kamen [19].
Im Vorjahr hatte der Ständerat gegen den Willen des Bundesrates, der das bestehende gesetzliche Instrumentarium als genügend erachtete, eine Motion gutgeheissen, welche eine aktivere Rolle des Bundes bei der Verhinderung von Zwangsheiraten resp. arrangierten Heiraten verlangt. Der Nationalrat stimmte dem verbindlichen Auftrag zu, modifizierte ihn aber in dem Sinn, dass die Massnahmen lediglich Zwangsheiraten betreffen sollen, da arrangierte Heiraten ja auch in beiderseitigem Einverständnis der betroffenen Personen zustande kommen können, und überdies der Nachweis, dass die Ehe das Resultat von Absprachen ist, kaum erbracht werden könnte; arrangierte Ehen, die nicht freiwillig geschlossen werden, erfüllten ohnehin den Tatbestand der Zwangsheirat. Der Ständerat übernahm nach kurzer Diskussion diese Änderung [20].
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Nach den Wahlen von Ende Oktober 2007 liegt der Anteil der Frauen im Nationalrat bei 29,5%. Dieser Wert ist zwar nach wie vor tief, doch im internationalen Vergleich befindet sich die Schweiz im oberen Mittelfeld. In Schweden, Norwegen und Finnland sind Frauen in den nationalen Parlamenten mit Anteilen zwischen 38% und 47% am besten vertreten. Auch Österreich und Deutschland weisen mit 32% leicht höhere Frauenanteile auf als die Schweiz, Italien und Frankreich mit 17% bzw. 19% dagegen tiefere. Dies ergab eine Untersuchung des BFS zur Gleichstellung von Frau und Mann [21].
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Dieser Bericht des BFS zur Stellung der Frauen in der Schweiz zeigte auch, dass die Schweiz eine hohe Beteiligung der Frauen am Erwerbsleben ausweist. Mit einer Frauenerwerbsquote von 59% im Jahr 2005 verzeichnete sie im Vergleich zu ihren Nachbarländern den höchsten Wert. In Europa lagen die Werte nur für Dänemark, Norwegen und Island noch höher. Bemerkenswert für die Schweiz ist auch die Zunahme der Frauenerwerbsquote: Seit 1990 ist sie um 10 Prozentpunkte gestiegen. Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass die hohe Erwerbsbeteiligung der Frauen in der Schweiz mit einem vergleichsweise grossen Anteil (57%) an Teilzeitbeschäftigung einhergeht. Nach den Niederlanden hat die Schweiz den höchsten Anteil von Frauen, die einer Teilzeiterwerbstätigkeit nachgehen. Nur 22% der Frauen sind in Kaderfunktion tätig gegenüber 37% der Männer.
Wird die Erwerbsbeteiligung nach Alter untersucht, zeigt sich in der Schweiz bei den Frauen zwischen 30 und 40 Jahren ein vorübergehender Rückgang. Dieses Muster weist darauf hin, dass sich viele Frauen aufgrund familiärer Pflichten während einiger Jahre aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen, um später wieder einzusteigen. Im Vergleich zum Jahr 1990 ist der Knick in der Schweiz schwächer geworden, aber er bleibt dennoch deutlich sichtbar. In den Nachbarländern ist dieses Phänomen auch in Österreich feststellbar, jedoch weniger ausgeprägt. In Deutschland und Frankreich dagegen zeigt sich bei den Frauen während der Familiengründungsphase eine Stagnation, aber kein Rückgang der Erwerbsbeteiligung. Wieder ein anderes Muster weist Italien auf, wo die Erwerbsquote bei den Frauen ab 35 Jahren stetig abnimmt. Diese Unterschiede stehen im Zusammenhang mit den Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren: In vielen europäischen Ländern können Frauen und oft auch Männer längere Mutterschafts- bzw. Elternurlaube beziehen und von besseren Kinderbetreuungsmöglichkeiten profitieren, so dass es für Frauen einfacher ist, durchgehend erwerbstätig zu bleiben [22].
Nationalrätin Leutenegger Oberholzer (sp, BL) hatte 2006 eine parlamentarische Initiative eingereicht, welche analog zu den Arbeitsinspektoraten die Einführung eines Lohninspektorats verlangte, um den verfassungsmässig verankerten Anspruch des Rechts auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit durchzusetzen. Die Mehrheit der Kommission machte geltend, Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern seien nicht einfach nur eine Frage der Geschlechter, sondern ebenso sehr der Ausbildung und der Berufserfahrung. Die Initiative wurde mit 109 zu 63 Stimmen klar abgelehnt [23].
Eine Evaluation des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) zum 1999 in Kraft getretenen Gleichstellungsgesetz (GIG) ergab, dass vor allem kleinere und mittlere Unternehmen in Sachen Gleichstellung noch kaum aktiv geworden sind. Mit finanziellen Anreizen will der Bund dieser Trägheit entgegen wirken. Für das Projekt, das ab 2009 in einer auf acht Jahre befristeten Pilotphase anläuft, wird der Bund im Schnitt 1 Mio Fr. pro Jahr zur Verfügung stellen. Bisher beschränkte sich die Förderung des Bundes auf Gleichstellungsprojekte von nicht gewinnorientierten Organisationen und Institutionen. Ziel der Finanzhilfen ist, dass Frauen auf allen Hierarchiestufen sowie in allen Branchen und Berufen gleichberechtigt Zugang zum Erwerbsleben erhalten. Diskriminierungen am Arbeitsplatz wie Lohnungleichheit, Benachteiligung von Teilzeitarbeit, geringe Aufstiegsmöglichkeiten, Diskriminierung bei Mutterschaft und sexuelle Belästigung sollen abgebaut oder verhindert und die Familienfreundlichkeit von Unternehmen gefördert werden [24].
Gemäss einer Studie des EBG ist jeder zweite Arbeitnehmende in der Schweiz ein potentielles Opfer von sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz. In der Mehrzahl sind dies Frauen, die Teilzeit arbeiten, ausländischer Herkunft sind oder erst seit kurzer Zeit im Betrieb arbeiten. Die Belästigungen gehen in erster Linie auf das Konto von Arbeitskollegen, seltener auf jenes von Kunden oder Patienten. Klagen vor Gericht sind in diesem Bereich relativ selten, da die Betroffenen dies einerseits als weitere Demütigung empfinden und andererseits Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben. Bei der Präsentation des Berichts erklärte Bundespräsident Couchepin, dass sexuelle Belästigung neben dem menschenrechtlichen auch einen für die Volkswirtschaft negativen Effekt habe: Sie fördere Demotivation am Arbeitsplatz, Absentismus und führe ganz generell zu einem schlechten Arbeitsklima [25].
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Familienpolitik
Bei der Beratung des Legislaturprogramms des Bundesrates für die Jahre 2007–2011 wollte der Ständerat ein klares Zeichen für eine kohärente Familienpolitik setzen. Insbesondere sollten die Voraussetzungen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, für die Unterstützung einkommensschwacher Familien und für die wirtschaftliche Entlastung des Mittelstandes geschaffen werden [26]. Im Nationalrat beantragte die Kommission Zustimmung zum Ständerat, allerdings in einer etwas offeneren Form, wonach die wirtschaftliche Situation von Familien und generell des Mittelstandes verbessert werden soll; es gehe nicht nur um steuerliche Entlastungen, sondern auch um eine gezielte Förderung in den Bereichen Bildung und Forschung sowie um Massnahmen zur Schaffung neuer Arbeits- und Ausbildungsplätze, womit auch die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefördert werde. Die SVP wollte diesen Passus streichen, verlangte dafür aber einen Bericht über Massnahmen zur Stärkung der Ehe und Partnerschaft sowie der Familie. Mit 121 zu 36 Stimmen folgte die grosse Kammer deutlich ihrer Kommission [27].
Nationalrätin Meyer Kälin (cvp, FR) hatte im Vorjahr eine parlamentarische Initiative eingereicht mit dem Ziel, das auslaufende Programm des Bundes zur Anstossfinanzierung von Kinderkrippen durch eine steuerliche Begünstigung von Investitionen von Privaten (vor allem Arbeitgebern) zur Förderung der ausserhäuslichen Betreuung von Kindern abzulösen. Die Kommission war ebenfalls der Ansicht, dass bei den Betreuungsplätzen für Kinder nach wie vor ein Missverhältnis von Angebot und Nachfrage besteht, und es deshalb wichtig ist, ausserfamiliäre Einrichtungen für Kinder gerade auch im Vorschulalter zu schaffen. Sie stellte aber auch fest, dass das Initiativanliegen bereits erfüllt ist: Die Kosten eines Unternehmens, welches eine Krippe oder eine andere Betreuungsstätte für Kinder finanziert oder einrichtet, gelten bereits heute als geschäftsmässig begründeter Aufwand. Auch Privatpersonen können ihre Zuwendungen an gemeinnützige Kinderbetreuungseinrichtungen schon heute steuerlich zum Abzug bringen. Deshalb beantragte sie Ablehnung der Initiative. Mit 156 zu 31 Stimmen wurde der Vorstoss verworfen [28].
Ebenfalls mit einer parlamentarischen Initiative wollte Maury Pasquier (sp, GE) erreichen, dass Eltern, die ein Kind unter acht Jahren adoptieren, analog zum Mutterschaftsurlaub bei einer Geburt einen über die Erwerbsersatzordnung finanzierten Adoptionsurlaub beziehen können. Gerade die ersten Wochen nach erfolgter Adoption seien für beide Seiten kritisch und ausschlaggebend für den Erfolg. Insbesondere bei Adoptionen aus dem Ausland, die in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung zugenommen haben, habe das Kind meistens mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen, welche nur mit zeitlich intensiver Zuwendung überwunden werden könnten. Die Mehrheit der SGK-NR erachtete das Begehren als gerechtfertigt, eine Minderheit aus FDP und SVP beantragte hingegen, der Initiative keine Folge zu geben. Sie machte geltend, mehr noch als die natürliche Geburt sei eine Adoption ein freiwilliger Entscheid der Eltern, weshalb man erwarten könne, dass auch deren Folgen in Selbstverantwortung getragen werden. Nachdem die Schwesterkommission des Ständerates signalisiert hatte, dass sie die Initiative nicht unterstützen werde, wurde diese mit 70 zu 67 Stimmen abgelehnt [29].
Nachdem der Ständerat im Vorjahr eine vom Nationalrat knapp überwiesene Motion Nordmann (sp, VD) für einen bezahlten Vaterschaftsurlaub abgelehnt hatte, beriet die grosse Kammer nun eine parlamentarische Initiative Teuscher (gp, BE) zu diesem Thema. Sie machte in ihrem 2006 eingereichten Vorstoss die konkrete Vorgabe, die Erwerbsausfallentschädigung solle analog zum Mutterschaftsurlaub 80% des vorangehenden Lohnes betragen und während acht Wochen ausgerichtet werden. Mit dieser starren Formulierung hatte der Vorstoss keine Chance und wurde mit 111 zu 60 Stimmen deutlich abgelehnt. Einzig GP und SP sowie eine kleine Minderheit aus der CVP-Fraktion, in erster Linie Frauen, stimmten zu [30].
Für die Gleichstellung von Witwen und Witwern in der AHV siehe oben, Teil I, 7c (AHV).
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Da er im Vorjahr einer analogen Motion Zeller (fdp, SG) bereits zugestimmt hatte, überwies der Nationalrat diskussionslos eine Motion Schiesser (fdp, GL) der kleinen Kammer für die rasche Schaffung eines zentralen Kinder- und Bezügerregisters. Damit soll verhindert werden, dass beide Elternteile, ob aus Nichtwissen oder aus missbräuchlicher Absicht, einen Antrag auf Kinderzulagen stellen können, wenn sie beispielsweise nicht den gleichen Familiennamen tragen oder in unterschiedlichen Kantonen erwerbstätig sind. Der Ständerat seinerseits überwies ebenso diskussionslos die Motion Zeller der grossen Kammer [31].
Das Bundesgesetz über die Familienzulagen (FamZG) tritt per 1. Januar 2009 in Kraft. Bis dahin mussten die Kantone ihre diesbezüglichen Gesetzgebungen an den vom FamZG vorgegebenen Rahmen anpassen. Alle Kantone haben diesen Prozess abgeschlossen und ihre Regelungen angepasst [32].
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Kinder- und Jugendpolitik
Im Nachgang zu den Revisionen des Ausländer- und des Asylgesetzes hatte Roth Bernasconi (sp, GE) eine parlamentarische Initiative eingereicht, die verlangte, einzelne Artikel der beiden Gesetze so abzuändern, dass sie nicht gegen die entsprechenden Artikel aus dem UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes verstossen. Ihre Begründung war, dass die neuen Zwangsmassnahmen gravierende Auswirkungen auf das Wohl des Kindes haben könnten, welchem in der Konvention oberste Priorität eingeräumt werde. Weil noch kaum Erfahrungen mit der praktischen Umsetzung der revidierten Gesetze bestehen, beantragte die Kommission mit 93 zu 56 Stimmen erfolgreich, der Initiative keine Folge zu geben. Gleichzeitig ersuchte sie aber den Bundesrat mit einem diskussionslos angenommenen Postulat, einen diesbezüglichen Bericht vorzulegen, sobald verlässliche statistische Daten aus den Kantonen vorliegen [33].
Im Vorjahr hatte der Nationalrat gegen den Willen des Bundesrates zwei Motionen (Amherd, cvp, VS und Galladé, sp, ZH) angenommen, die ein Bundesgesetz über die Kinder- und Jugendförderung sowie den Kinder- und Jugendschutz verlangten. Der Bundesrat hatte vor einem verbindlichen Auftrag die Ergebnisse eines Berichtes zur Opportunität eines Rahmengesetzes zur Kinder- und Jugendpolitik abwarten wollen. Dieser war 2001 mit einem Postulat initiiert worden. Da der Bericht „Strategie für eine schweizerische Kinder- und Jugendpolitik“ mittlerweile vorlag, präsentierte die Kommission dem Ständerat nun eine modifizierte Version der Motion Amherd. Ausgehend vom Bericht hatte sich der Bundesrat für eine Revision des Bundesgesetzes über die Förderung der ausserschulischen Jugendarbeit ausgesprochen. Mit dieser Revision sollen verschiedene Ziele erreicht werden, nämlich die Koordination und Harmonisierung der Massnahmen von Bund, Kantonen und Gemeinden, die Definition der Zusammenarbeit von Bund, Kantonen, Gemeinden und Partnerorganisationen und – sofern notwendig – die Schliessung von Lücken in Spezialgesetzen. Im Einverständnis mit der Motionärin schlug die Kommission nun vor, sich dieser Stossrichtung anzuschliessen, durch Überweisung der Motion aber den politischen Druck aufrecht zu erhalten. Die Motion Galladé, die primär eine fundierte Analyse des Ist-Zustands gefordert hatte, beantragte sie hingegen abzulehnen, da sie vom Bericht erfüllt sei. In beiden Punkten folgte der Ständerat seiner Kommission [34].
Der Bund geht beim Kinderschutz neue Wege und verstärkt seine Aktivitäten über eine so genannte Public Private Partnership (PPP). Zu diesem Zweck gründete das Bundesamt für Sozialversicherungen zusammen mit privaten Partnern den Verein PPP. Dieser soll ab 2010 ein nationales Kinderschutzprogramm umsetzen, das die betroffenen öffentlichen und privaten Stellen einbezieht. Seine Aufgabe umfasst Bedürfnisabklärungen, verstärkte Koordination zwischen den Akteuren, Koordination der Finanzierung und Projektevaluation [35].
Bei der Diskussion des Legislaturprogramms 2007–2011 konnte sich im Nationalrat ein links-grüner Antrag für eine speziell auf Jugendliche ausgerichtete Gewaltprävention dank Unterstützung einer Mehrheit aus der CVP und der FDP mit 91 zu 75 Stimmen durchsetzen. Der Ständerat stimmte diskussionslos zu [36].
Im Rahmen seiner grossen jugendpolitischen Debatte hatte der Nationalrat im Vorjahr eine Motion Allemann (sp, BE) angenommen, welche den Bundesrat gegen seine damals geäusserte ablehnende Haltung verpflichtet, in Zusammenarbeit mit den Kantonen eine gesamtschweizerisch einheitliche Meldepflicht für Vorfälle menschlicher Gewalt einzuführen. Die Regierung hatte die Ansicht vertreten, eine gesamtschweizerische Statistik zu Gewaltdelikten und deren Opfer könne durchaus sinnvoll sein, eine Meldepflicht insbesondere für Ärzte und Ärztinnen sei aber wegen des Berufsgeheimnisses problematisch und könnte sich auch als kontraproduktiv erweisen, da viele Opfer sich scheuen würden, die Tat zu thematisieren, wenn ihnen bewusst sei, dass die Information nicht vertraulich behandelt werde. Im Ständerat beantragte die Kommission einen leicht modifizierten Text, welcher es dem Bundesrat überlässt, mit den Kantonen einen geeigneten Weg zu finden, um diese Gewaltvorfälle zu erfassen; auf eine explizite Meldepflicht verzichtete der abgeänderte Text. In Ergänzung dazu stipulierte er aber, dass die erhobenen Fälle im Hinblick auf mögliche Präventionsmassnahmen auch statistisch ausgewertet werden. Dieser Antrag fand auch die Unterstützung des Bundesrates [37].
2006 hatte Vermot-Mangold (sp, BE) eine parlamentarische Initiative eingereicht, welche ein Gesetz verlangte, das Kinder vor Körperstrafe und anderen demütigenden Behandlungen schützt, welche ihre physische oder psychische Integrität verletzen. Die Rechtskommission des Nationalrats wollte der Initiative in der ersten Phase Folge geben; nachdem die Schwesterkommission des Ständerates aber Ablehnung signalisiert hatte, übernahm sie deren Argumentation, wonach die straf- und zivilrechtlichen Instrumente bereits genügend seien, es vielmehr um deren Umsetzung gehe, weshalb ein neues Spezialgesetz unnötig sei. Auf ihren Antrag wurde die Initiative mit 102 zu 71 Stimmen abgelehnt [38].
Zur Senkung des Stimmrechtalters auf 16 Jahre siehe oben, Teil I, 1b (Bürger- und Stimmrecht). Für die Strafbarkeit von Kindsmisshandlungen und Pädophilie sowie die Revision des Vormundschaftsrechts siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht resp. Zivilrecht).
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Alterspolitik
Ein Generationenbericht des Schweizerischen Nationalfonds kam zum Schluss, dass die Überalterung der Gesellschaft nicht zwangsläufig eine stärkere Belastung für die Jungen bedeutet. Da ältere Menschen mehr medizinische Hilfe benötigen, sorgen sie für die Schaffung oder den Erhalt von Arbeitsplätzen. Die Untersuchung der Lebenslagen der verschiedenen Generationen zeigte, dass die Solidarität zwischen Jungen und Alten in der Schweiz gut funktioniert. Rund 60% der über 80-Jährigen, die zu Hause leben, werden von Angehörigen gepflegt. Umgekehrt betreuen Grosseltern jährlich während 80 Mio Stunden Kleinkinder, eine Leistung, die mehrere Mia Fr. wert ist.
Als heikel wurden im Bericht die so genannten Generationenbilanzen bezeichnet. Diese würden stark von ökonomischen Prognosen und Änderungen der sozialpolitischen Rahmenbedingungen abhängen und zudem private Transfers zwischen den Generationen ausblenden. So seien beispielsweise im Jahr 2000 in der Schweiz 28,5 Mia Fr. in Form von Erbe umverteilt worden. Der Generationenbericht empfahl die Etablierung verschiedener intergenerationeller Initiativen. Als Beispiele dafür wurden die Erhöhung der Lebensarbeitszeit für Motivierte, eine breitere Finanzierung der Altersvorsorge sowie eine gezielte Gesundheitsförderung genannt. Dadurch würde sich die sozialpolitische Belastung nachkommender Generationen nicht oder nur moderat erhöhen. Grössere politische Reformvorhaben sollten zudem einer Generationenverträglichkeits-Prüfung unterzogen werden [39].
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Behinderte
Zu den Finanzierungsbeschlüssen für die IV siehe oben, Teil I, 7c (Invalidenversicherung).
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Weiterführende Literatur
Aarburg, Hans-Peter von / Gretler, Sarah Barbara, Kosova-Schweiz: die albanische Arbeits- und Asylmigration zwischen Kosovo und der Schweiz (1964-2000), Wiener Neudorf 2008.
Epiney, Astrid e.a., Die Anerkennung als Flüchtling im europäischen und schweizerischen Recht: ein Vergleich unter Berücksichtigung des völkerrechtlichen Rahmens, Freiburg (Institut für Europarecht) 2008.
Hermann, Mathias, Das Dublin-System: eine Analyse der europäischen Regelungen über die Zuständigkeit der Staaten zur Prüfung von Asylanträgen unter besonderer Berücksichtigung der Assoziation der Schweiz, Zürich (Diss. jur.) 2008.
Makarova, Elena, Akkulturation und kulturelle Identität: eine empirische Studie unter Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund in der Schweiz, Bern (Diss. phil.-hist.) 2008.
Müller-Jentsch, Daniel (Hg.), Die neue Zuwanderung: die Schweiz zwischen Brain-Gain und Überfremdungsangst, Zürich (Avenir Suisse) 2008.
Skenderovic, Damir / D’Amato, Gianni, Mit dem Fremden politisieren: Rechtspopulismus und Migrationspolitik in der Schweiz, Zürich 2008.
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Bundesamt für Statistik, Auf dem Weg zur Gleichstellung von Frau und Mann: Stand und Entwicklung, Neuenburg 2008.
Bundesamt für Statistik, Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung im internationalen Vergleich: eine Auswahl von Gleichstellungsindikatoren in den Bereichen Bildung, Arbeit und Politik, Neuenburg 2008.
Frauenfragen, Nr. 1, 2008 („Schwerpunkt: Mehr Frauen in die Politik!“).
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Höpflinger, François e.a., Generationen – Strukturen und Beziehungen, Zürich 2008.
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Bertossa, Luca / Haltiner, Karl W. / Meyer Schweizer, Ruth, Werte und Lebenschancen im Wandel: eine Trendstudie zu den Lebens-, Bildungs-, Arbeits- und Politikorientierungen junger Erwachsener in der Schweiz = une étude des tendances relatives aux orientations des jeunes adultes vis-à-vis de l'existence, de la formation, de la profession et de la politique en Suisse = uno studio sui trend relativi agli orientamenti di vita e agli indirizzi formativi, professionali e politici dei giovani adulti in Svizzera, Zürich 2008.
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[1] Presse vom 3.7.08.
[2] AB NR, 2008, S. 706 ff.
[3] AB NR, 2008, S. 965 f. Einzig die Abgeordneten der SVP gaben der pa.Iv. ihre Stimme, allerdings nicht geschlossen: Gadient (GR) stimmte für den Antrag der Kommissionsmehrheit, 6 Fraktionsmitglieder enthielten sich der Stimme. Zu einem ähnlich gelagerten Vorstoss der SVP siehe SPJ 2007, S. 257.
[4] BBl, 2008, S. 1927 f.; Presse vom 16.2.08. Siehe SPJ 2007, S. 244.
[5] Presse vom 16.10.08.
[6] Presse vom 22.5.09. Siehe SPJ 2007, S. 245. Zu den Einbürgerungen siehe auch oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht).
[7] Presse vom 15.3.08. ZEMIS, die integrierte Datenerfassung von Ausländern und Asylsuchenden trat Anfang März in Kraft und soll die Zusammenarbeit zwischen den Behörden sowie zwischen Bund und Kantonen erleichtern (Presse vom 5.3.08).
[8] AB NR, 2008, S. 1351 ff. Mit Ausnahme der SVP lehnten alle Parteien die pa.Iv. ab, einzig bei der FDP gab es zwei Befürworter: Müller (SG) und Theiler (LU).
[9] AB SR, 2008, S. 106 ff. Siehe SPJ 2007, S. 246.
[10] AB SR, 2008, S. 362 f. Siehe SPJ 2007, S. 247.
[11] AB SR, 2008, S. 711. Siehe SPJ 2007, S. 245 f.
[12] Presse vom 23.1.08.
[13] AB SR, 2008, S. 744. Siehe SPJ 2007, S. 247.
[14] Bundesamt für Migration, Asylstatistik 2008, Bern-Wabern 2009.
[15] AB NR, 2008, S. 119 ff., 366 ff. und 482 f.; AB SR, 2008, S. 174 ff. und 207; BBl, 2008, S. 2311 ff. Siehe SPJ 2007, S. 248 f.
[16] AB SR, 2008, S. 367 f. Zur Verordnung, welche einen restriktiven Einsatz des Tasers sowie einen Evaluationsbericht vorsieht, siehe Presse vom 13.11.08.
[17] AB NR, 2008, S. 889 ff.; Presse vom 14.6., 4.11. und 22.11.08.
[18] Presse vom 22.4.08.
[19] AB SR, 2008, S. 164 f. und 207; AB NR, 2008, S. 484; BBl, 2008, S. 2333 f.
[20] AB NR, 2008, S. 229 f.; AB SR, 2008, S. 354 f. Siehe SPJ 2007, S. 251. Zur Stellungnahme der Eidg. Frauenkommission siehe Presse vom 18.12.08. Als Sofortmassnahme gegen Zwangsheiraten kündigte der BR an, künftig keine Eheschliessungen von Personen unter 18 Jahren mehr zu anerkennen (Presse vom 13.3.08). Zudem gab er seine Revisionsvorschläge für das ZGB und das Gesetz über das Internationale Privatrecht in die Vernehmlassung; Änderungen im Ausländerrecht drängen sich seiner Meinung nach nicht auf (Presse vom 6.11.08).
[21] Lit. BFS; Presse vom 12.1.08. Siehe auch Lit. Frauenfragen.
[22] Lit. BFS; Presse vom 12.1. und 8.3.08.
[23] AB NR, 2008, S. 94 ff. Abgestimmt wurde nach dem traditionellen links-rechts-Schema. Einzig drei CVP-Abgeordnete unterstützten die Initiative: Robbiani und Simoneschi-Cortesi (beide TI) sowie Schmid-Federer (ZH).
[24] Presse vom 8.3.08.
[25] Presse vom 16.1.08.
[26] AB SR, 2008, S. 259.
[27] AB NR, 2008, S. 706 ff.
[28] AB NR, 2008, S. 465. Nur die CVP stimmte mehrheitlich dafür.
[29] AB NR, 2008, S. 1153 f.
[30] AB NR, 2008, S. 1812 ff. Siehe SPJ 2007, S. 255.
[31] AB NR, 2008, S. 1165 f.; AB SR, 2008, S. 1045. Siehe SPJ 2007, S. 255.
[32] Presse vom 19.12.08. Siehe dazu auch unten, Teil II, 5e.
[33] AB NR, 2008, S. 982 ff. Zur UNO-Kinderrechtskonvention siehe SPJ 2007, S. 256.
[34] AB SR, 2008, S. 1045 f. Siehe SPJ 2007, S. 256. Zum Bericht siehe Presse vom 3.9.08.
[35] Presse vom 11.6.08.
[36] AB NR, 2008, S. 717 ff. und 753 ff.; AB SR, 2008, S. 587.
[37] AB SR, 2008, S. 744 f. Siehe SPJ 2007, S. 257.
[38] AB NR, 2008, S. 1632 f. SP und GP stimmten geschlossen dafür; von den bürgerlichen Parteien stimmten nur gerade neun aus der CVP sowie Gadient (bdp, GR) dafür.
[39] Lit. Höpflinger; Presse vom 9.8.08.
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