Gesetzesinitiative und Einheitsinitiative 1987

Nachdem sich 1985 das EJPD in einer «Modell-Studie» für eine Totalrevision der Bundesverfassung zugunsten der Schaffung der Gesetzesinitiative auf Bundesebene ausgesprochen hatte, deponierten die Nationalräte Jaeger (ldu, SG) und Ruf (na, BE) entsprechende Vorstösse in Form von parlamentarischen Initiativen. Obwohl in der vorberatenden Kommission Befürworter geltend machten, dass damit ein Beitrag zur Entlastung der Verfassung geleistet werden könnte, obsiegten die Gegner mit einer Stimme Mehrheit.

Die Ausdehnung des Initiativrechts des Volkes auf den Bereich der Gesetzgebung ist 1987 am Veto der bürgerlichen Mehrheit im Nationalrat gescheitert. Die im Vorjahr eingereichten entsprechenden parlamentarischen Initiativen Jaeger (ldu, SG) und Ruf (na, BE) (86.224) wurden vor allem mit föderalistischen Argumenten bekämpft: Die Ausschaltung des Parlaments aus dem Entscheid über bestimmte Gesetzesänderungen würde die Position der Kantone, die ihren Einfluss heute über den Ständerat einbringen können, unzumutbar schwächen. Bereits 1961 war eine entsprechende Volksinitiative der SP deutlich abgelehnt worden. Es wird jedoch allgemein als Problem anerkannt, dass die bestehende Beschränkung des Initiativrechts zu einer Überlastung der Verfassung mit Gegenständen führt, welche auf Gesetzgebungsstufe abzuhandeln wären. Praktisch als Gegenvorschlag zur Gesetzesinitiative reichte denn auch die SVP-Fraktion einen Vorstoss für die Einführung der sogenannten Einheitsinitiative ein (87.224). Bei diesem Instrument würde das Parlament entscheiden, ob eine eingereichte Volksinitiative auf Gesetzes- oder Verfassungsstufe verwirklicht werden soll. Kurz nach der SVP reichte auch Nationalrat Ruf eine entsprechende parlamentarische Initiative ein (87.227).

Parlamentarische Initiative 2004 zur Einführung der Gesetzesinitiative (04.458)

Die SPK des Nationalrats sprach sich gegen eine parlamentarische Initiative Gross (sp, ZH) für die Einführung der Gesetzesinitiative aus. Mit der vom Volk gutgeheissenen allgemeinen Volksinitiative werde es nach Ansicht der SPK in Zukunft möglich sein, ein auf Gesetzesstufe umzusetzendes Anliegen mit einer Volksinitiative zu verlangen, ohne dass dazu noch ein neues Volksrecht eingeführt werden müsse.

Die parlamentarische Initiative Gross (sp, ZH) für die Einführung der Gesetzesinitiative wurde vom Nationalrat mit 97 zu 74 relativ knapp abgelehnt. Der Initiant hatte vergeblich argumentiert, es gelte, angesichts der Probleme mit der allgemeinen Volksinitiative, den Bürgerinnen und Bürgern ein griffiges Instrument zur Verfügung zu stellen, das sich in allen Kantonen bewährt habe. Ausserdem verlängerte der Nationalrat die Frist zur Ausarbeitung einer Vorlage für die Einführung des Finanzreferendums (pa. Iv. der SVP, 03.401) bis zur Herbstsession 2008.

Einführung neuer Volksrechte (Gesetzesinitiative, Ausserordentliches fakultatives Referendum und Ratsreferendum)

Verschiedene Vorstösse von links und rechts, die die Einführung neuer Volksrechte forderten, hatten in den Räten keine Chance. Eine parlamentarische Initiative Tschümperlin (sp, SZ), welche die Einführung der Gesetzesinitiative auch auf Bundesebene verlangt, wurde genauso abgelehnt wie die beiden parlamentarischen Initiativen Reimann (svp, SG), die ein ausserordentliches fakultatives Referendum (09.443) und ein Ratsreferendum (09.444) vorgesehen hätten. Eine qualifizierte Minderheit der Bundesversammlung hätte bei ersterem verlangen können, dass ein Beschluss zwingend dem fakultativen Referendum unterstellt wird. Mit dem Ratsreferendum wäre es einer qualifizierten Minderheit möglich gewesen, für ein fakultatives Referendum eine Volksabstimmung zu erzwingen.

Einführung einer Gesetzesinitiative

Ein altes, immer wieder vorgebrachtes Begehren, die Einführung einer Gesetzesinitiative, war Gegenstand einer parlamentarischen Initiative Hiltpold (fdp, GE). Bereits 1987, 2004 und 2009 waren ähnliche Vorstösse eingereicht worden. Der Genfer Nationalrat machte geltend, dass die Volksinitiative als immer beliebteres Instrument nicht geeignet sei für Anliegen, die eine Gesetzesänderung anregen möchten: Detailbestimmungen hätten in der Verfassung nichts zu suchen, das Prozedere von Annahme einer Initiative bis hin zu einer Gesetzesvorlage sei lang und die Umsetzung häufig schwierig. Das könne aber nicht den Initianten angelastet werden, weil sie ja gar keine andere Möglichkeit hätten, als via Verfassungsinitiative Einfluss zu nehmen. Zudem existiere die Gesetzesinitiative auf kantonaler Ebene und werde dort geschätzt und ohne Probleme genutzt. Die SPK-NR lehnte das Begehren ab. Die Umsetzung wäre noch komplizierter als bei der 2009 wieder abgeschafften allgemeinen Volksinitiative. Zudem könnte die Bundesversammlung nicht mehr autonom entscheiden, auf welcher Stufe ein Begehren umgesetzt werden soll. Die Ausarbeitung von Gesetzestexten, die mit übergeordnetem Recht kompatibel sind, und vor allem die Überprüfung dieser Kompatibilität wären zu grosse Anforderungen an die Initiativkomitees und das Parlament. Ein weiteres in der Debatte vorgebrachtes Argument war die Schwächung der Kantone, weil eine Gesetzesinitiative kein Ständemehr bedingen würde. Der Nationalrat gab, seiner Kommission folgend, der Initiative mit 116 zu 61 Stimmen keine Folge. Obwohl das Anliegen von einem FDP-Parlamentarier stammte, wurde es nur von den geschlossenen Fraktionen der SP und der GP, sowie von drei FDP-Abgeordneten unterstützt. Acht Mitglieder der FDP-Fraktion enthielten sich der Stimme.

Einführung der Gesetzesinitiative (Pa.Iv. 21.423)

In schöner Regelmässigkeit (1986, 2004, 2009, 2013) werden Vorstösse deponiert, die die Einführung einer Gesetzesinitiative fordern. Die Urheberinnen und Urheber stammten dabei bereits aus allen politischen Lagern. Im März 2021 kam die Forderung aus dem linken Lager: Gabriela Suter (sp, AG) wollte mit der Einführung des in allen Kantonen verankerten Volksrechts ein «Demokratiemanko beseitigen», wie sie ihren Vorstoss betitelte. Mehr als die Hälfte der eidgenössischen Volksinitiativen hätten den Charakter von Gesetzesinitiativen, da sie Regelungen vorschlügen, die nicht auf Verfassungs-, sondern auf Gesetzesstufe angesiedelt werden müssten. Dies führe dann etwa mit Verweis auf die «Burka-Initiative» dazu, dass die Verfassung «Kleidervorschriften» beinhalte. Die Gesetzesinitiative funktioniere auf kantonaler Ebene seit mehr als 100 Jahren. Freilich müsste diskutiert werden, wie dieses neue direktdemokratische Instrument auf Bundesebene übertragen werden solle, ob also beispielsweise das Ständemehr gelten solle oder nicht. In dieser Phase der parlamentarischen Initiative gehe es aber zuerst einmal darum, den Handlungsbedarf zu bestätigen und den Willen für einen Ausbau der Beteiligungsrechte zu signalisieren, so Suter in der Debatte während der Sommersession 2022.
Die SPK-NR hatte den Vorstoss vor der Session mit 13 zu 9 Stimmen (1 Enthaltung) zur Ablehnung empfohlen. Weil ihm eine starke linke Kommissionsminderheit aber Folge geben wollte, war eine Debatte im Nationalrat nötig geworden. Minderheitssprecherin Samira Marti (sp, BL) betonte, sie könne nicht nachvollziehen, dass die Mehrheit der SPK-NR keinen Handlungsbedarf sehe: Gerade in den letzten Jahren seien so viele Volksinitiativen wie noch nie mit konkreten Regelungen angenommen worden, die «eigentlich nichts in der Verfassung verloren» hätten. Weil die Stimmberechtigten gar keine Möglichkeit hätten, konkrete und konstruktive Ideen einzubringen, aber Reformbedarf bestehe, würden wohl in den nächsten Jahren vermehrt als Volksinitiativen verpackte Gesetzesinitiativen eingereicht werden. Die ablehnende Kommissionsmehrheit wurde von Jean-Luc Addor (svp, VS) und Kurt Fluri (fdp, SO) vertreten. Eine Gesetzesinitiative würde das politische System ziemlich umkrempeln, warnte Addor. Der Stimmbevölkerung obliege die Nachkontrolle von Gesetzen, nicht aber die unmittelbare Gesetzgebung. Fluri zählte mögliche Probleme auf, die sich mit der Einführung dieses neuen Volksrechtes ergäben. So bräuchte es ein Kontrollorgan, das die Verfassungsmässigkeit und die Vereinbarkeit eines Vorschlags mit dem Völkerrecht kontrolliere. Dies sei – wie man bereits bei Volksinitiativen sehe – kein leichtes Unterfangen. Zudem müsste abgeklärt werden, ob ein Vorschlag dem Föderalismusartikel entspreche, ob es sich also tatsächlich um Bundeskompetenzen handeln würde. Die Frage, ob das Ständemehr gelten müsse oder nicht, sei ebenfalls nicht einfach zu beantworten. Die fehlende Verfassungsgerichtsbarkeit, die Rücksichtnahme auf den Föderalismus und die Frage nach dem Ständemehr stellten sich auf kantonaler Ebene nicht, weshalb es eben nicht zulässig sei, die Kantone als Vorbild für eine nationale Gesetzesinitiative ins Feld zu führen.
Mit 119 zu 70 Stimmen (1 Enthaltung) gab die Ratsmehrheit der parlamentarischen Initiative keine Folge. Damit ereilte den Vorstoss das gleiche Schicksal wie seine Vorgänger in den letzten rund 40 Jahren. Nur die geschlossen stimmenden Fraktionen von GP und SP sowie die drei EVP-Mitglieder aus der Mitte-EVP-Fraktion sahen diesbezüglich zum gegebenen Zeitpunkt Handlungsbedarf.