Volksbegehren «für einen wirksamen Mieterschutz» (76.063)

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Im Zusammenhang mit der Angespanntheit des Wohnungsmarktes blieb die Gestaltung des Mietwesens ein Gegenstand politischer Auseinandersetzung. Namentlich in den grösseren Agglomerationen unseres Landes konnte eine zunehmende Sensibilisierung für Mieterfragen beobachtet werden. So erstaunte es weiter kaum, dass die 1972 durch Mieterverbände lancierte Volksinitiative für einen wirksamen Mieterschutz mit 142'000 gültigen, vorwiegend aus der Westschweiz stammenden Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht wurde. Dem Volksbegehren sagte der Hauseigentümerverband in der Folge den schärfsten Kampf an. Der Mieterverband Zürich unterbreitete dem Bundesrat eine Eingabe, in der um eine rasche Verbesserung der Rechtsstellung des Mieters ersucht wurde. Mit einer als Postulat entgegengenommenen Motion forderte der Sozialdemokrat Muheim (sp, LU) die Regierung auf, eine Totalrevision der Gesetzesbestimmungen über die Miete im OR einzuleiten. Eine Motion seines St. Galler Kollegen Hans Schmid (sp, SG), welche für die Einfrierung der Mietzinse eintrat, wurde dagegen von der Volkskammer abgelehnt. Auch 1973 konnte der weit überwiegende Teil der Einsprachen im Mietwesen durch die im Vorjahr eingeführten paritätischen Schlichtungsstellen erledigt werden, was die Mietgerichte weiter entlastete. Doch liess das Vertrauen der Mieter in diese Schlichtungsstellen noch sehr zu wünschen übrig, da die Furcht vor Repressalien verbreitet war. Für die im neuen Verfassungsartikel 34 septies als Alternative zu einem generellen Mieterschutz vorgesehene Allgemeinverbindlicherklärung von Rahmenmietverträgen unterbreitete das EVD einen Gesetzesentwurf zur Vernehmlassung. Danach sollen Rahmenmietverträge dann allgemeinverbindlich erklärt werden, wenn sie auf die Mehrheit der Mietverhältnisse im örtlichen und sachlichen Geltungsbereich Anwendung finden.

Dossier: Mietzinse: Bestimmung der Missbräuchlichkeit und Anfechtung

Da der Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen im Juli 1977 ausläuft, sah sich der Bundesrat aufgrund von Art. 34 septies BV genötigt, Ersatz zu schaffen. Gleichzeitig hatte er nun aber auch zur Mieterschutzinitiative Stellung zu nehmen. Die Wiedereinführung der Mietpreiskontrolle lehnte er unter Hinweis auf frühere Erklärungen ab, und den Kündigungsschutz gedachte er im Rahmen der geplanten Revision der mietrechtlichen Bestimmungen des Obligationenrechts zu erweitern. Deshalb empfahl er im Juni den Räten eine Verwerfung des Volksbegehrens, jedoch nicht ohne ihnen einen Gegenvorschlag zu unterbreiten. Formell sollte dieser darin bestehen, dass die Kompetenz des Bundes zur Missbrauchsgesetzgebung definitiv auf das ganze Land ausgedehnt würde. Nach Art. 34 septies BV beschränkte sich diese Befugnis auf Mangelgebiete, und nur der befristete Preisüberwachungsbeschluss erlaubt seit Ende 1972 die gleichmässige Erfassung sämtlicher Gemeinden. Materiell trug aber der Bundesrat den aus Mieterkreisen und Linksparteien gestellten Begehren dadurch Rechnung, dass er für den neuen Missbrauchsbeschluss im Oktober einige Verschärfungen beantragte. Der Mieter sollte vor allem die Weitergabe von Kostensenkungen beanspruchen können und im Falle einer Anfechtung des Mietzinses vor einer nachträglichen Kündigung besser geschützt sein.

Dossier: Mietzinse: Bestimmung der Missbräuchlichkeit und Anfechtung

Der Nationalrat stimmte im Dezember den Vorschlägen der Exekutive ohne wesentliche Änderungen zu. Die Linke vermochte weder die Initiative durchzusetzen noch eine Verstärkung des Kündigungsschutzes in den Gegenvorschlag oder in den Missbrauchsbeschluss einzufügen; ebensowenig gelang es ihr, die Bewertung angefochtener Mietzinse allein auf die Höhe der Kosten zu gründen und eine Berücksichtigung der «orts- oder quartierüblichen» Preislage auszuschalten. Die dem Hauseigentum nahestehenden Kreise begnügten sich im wesentlichen damit, die Vorschläge des Bundesrates für die Missbrauchsbekämpfung zu verteidigen; sie brachten dabei auch einige mieterfreundliche Korrekturen, die von einer Mehrheit der vorberatenden Kommission unterstützt wurden, zu Fall. Als jedoch der Gewerbepolitiker Fischer (fdp, BE) beantragte, den Beschluss zum definitiven Gesetz zu erheben, um damit die gegen die Mieterinteressen behaupteten Stellungen zu konsolidieren, drang er nicht durch.
Die in Art. 34 septies BV gebotene Möglichkeit, das Mietverhältnis auf allgemeinverbindlich erklärte Kollektivverträge abzustützen, befindet sich im EJPD noch in Prüfung. Am Schweizerischen Juristentag wies der Vizedirektor der Justizabteilung, Prof. H. Hausheer, auf die Grenzen dieses Rechtsinstruments hin: es vermöge den angestrebten Interessenausgleich nur herbeizuführen, wenn die Partner über eine genügende Organisationsmacht verfügten.

Dossier: Mietzinse: Bestimmung der Missbräuchlichkeit und Anfechtung

Gleichzeitig mit der Zustimmung zum Missbrauchsbeschluss empfahl der Ständerat das aus welschen Mieterschutzkreisen lancierte Volksbegehren «für einen wirksamen Mieterschutz» zur Ablehnung und hiess den Gegenvorschlag des Bundesrates gut. Die Anträge zweier Westschweizer Parlamentarier, dem angespannten Wohnungsmarkt in einzelnen Regionen Rechnung zu tragen und den Gegenvorschlag mit einem Kündigungsschutz zu erweitern, blieben erfolglos. Die Initiative forderte eine umfassende Mietzinskontrolle mit Bewilligungspflicht für Erstvermietungen sowie eine Erweiterung des Kündigungsschutzes. Der Gegenvorschlag begnügte sich damit, das Einschreiten gegen Missbräuche vom Kriterium der Wohnungsnot unabhängig zu machen.

Dossier: Mietzinse: Bestimmung der Missbräuchlichkeit und Anfechtung

Initiative und Gegenvorschlag kamen am 25. September zur Abstimmung. Die Stimmbeteiligung betrug 51.7 Prozent. Die meisten bürgerlichen Parteien, die Arbeitgeberverbände und der Schweizerische Hauseigentümerverband hatten sich im Abstimmungskampf für den Gegenvorschlag entschieden. Sämtliche Linksparteien und die Nationale Aktion, Mieterschutzorganisationen, der Schweizerische Gewerkschaftsbund und der Pächterverband unterstützten das Volksbegehren. Ein doppeltes Nein empfahlen die Liberaldemokraten, die Republikaner und die Westschweizer Hauseigentümer. Die Gegner staatlicher Eingriffe in den Wohnungsmarkt versuchten die Initiative als Angriff auf die soziale Marktwirtschaft und das Privateigentum zu entlarven. Sie warnten vor einer weiteren Bürokratisierung des Mietwesens, die den Verwaltungsapparat aufblähen, die Privatinitiative lahmlegen und das bestehende Überangebot an Wohnungen in eine allgemeine Wohnungsnot verwandeln würde. Demgegenüber betonten die Befürworter der Initiative die schwache Position der Mieter im sog. freien Wohnungsmarkt. Nachdem die Vermieter jahrelang den bestehenden Wohnungsmangel bei der Auswahl der Mieter und der Preisgestaltung zu ihren Gunsten ausgenützt hätten, seien sie nun nicht bereit, Mietzinsen und Vermietungspraxis der veränderten Situation anzupassen.
Die Abstimmung endete mit einer Überraschung. Zwar wurde die Initiative «für einen wirksamen Mieterschutz» wie erwartet verworfen (42.2% Ja). Annehmende Mehrheiten gab es nur in den drei Westschweizer Kantonen Genf, Neuenburg und Waadt sowie im Kanton Basel-Stadt. Abgelehnt wurde aber auch der von den Gegnern der Initiative kaum bestrittene Gegenvorschlag der Bundesversammlung (41.2% Ja). Während einige Kommentatoren im Resultat eine deutliche Absage an jegliche Art von Staatsintervention im Wohnungswesen erblickten, machten andere mit Recht darauf aufmerksam, dass sich im doppelten Nein weniger der Wille zur Zementierung des gegenwärtigen Zustandes als die Eigenheit des Abstimmungsverfahrens widerspiegle. Weil der gültige Abstimmungsmodus ein Ja zur Initiative und zum Gegenvorschlag verbietet, wurden die Befürworter einer Neuerung auf die beiden Vorlagen aufgesplittert. Obwohl sich über 80 Prozent der Stimmbürger gegen den Status quo ausgesprochen haben, bleibt in Sachen Mieterschutz auf eidgenössischer Ebene vorläufig alles beim alten.

Dossier: Mietzinse: Bestimmung der Missbräuchlichkeit und Anfechtung