StGB-Tatbestände mit Stalking ergänzen (Pa.Iv. 19.433)

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Im Rahmen der Beratung des Bundesgesetzes über den Schutz gewaltbetroffener Personen hatte die RK-NR bei der Bundesverwaltung ein «Aussprachepapier» in Auftrag gegeben, das die Frage der Kodifizierung eines Straftatbestands «Stalking» erörtern sollte. Nach Kenntnisnahme dieses Berichts sprach sich die Kommission im Mai 2019 mit 16 zu 5 Stimmen bei einer Enthaltung für eine Kommissionsinitiative aus, deren Ziel es war, die Tatbestände Drohung (Art. 180 StGB) und Nötigung (Art. 181 StGB) explizit um Verhaltensweisen wie Auflauern, mehrmaliges Belästigen oder Nachstellen zu ergänzen. Die Kommission entschied sich zu diesem Schritt, obwohl das Aussprachepapier ihr geraten hatte, «nicht allzu grosse Erwartungen in die Kodifizierung einer Stalking-Strafnorm» zu setzen; der Schutz der Opfer liesse sich dadurch «wohl nicht entscheidend verbessern», so das Resümee des Papiers. Als Vorteile einer solchen Anpassung des StGB waren im Bericht hingegen die Kodifizierung der bundesgerichtlichen Rechtssprechung sowie die Festschreibung, dass Stalking in seinem Gesamtzusammenhang und nicht nur in Form einzelner Delikte betrachtet werden muss, genannt worden.

Dossier: Verbesserung des Schutzes für Stalking-Opfer

Im Oktober 2019 stimmte die RK-SR mit 8 zu 4 Stimmen bei einer Enthaltung der Initiative ihrer Schwesterkommission zu, einen Straftatbestand «Stalking» zu kodifizieren. Sie teilte die Einschätzung ihrer Schwesterkommission, dass die explizite Verankerung der bundesgerichtlichen Rechtssprechung im Strafrecht von Vorteil sei und erhoffte sich die Schliessung allfälliger Strafbarkeitslücken.

Dossier: Verbesserung des Schutzes für Stalking-Opfer

Im Mai 2023 schickte die zuständige RK-NR einen Vorentwurf zur Kodifizierung eines Straftatbestandes «Stalking» im StGB in die Vernehmlassung. Das beharrliche Verfolgen, Belästigen oder Bedrohen führe dazu, dass die betroffene Person in ihrer Lebensgestaltungsfreiheit eingeschränkt werde. Daher schlug die Kommission vor, das so umschriebene und als «Nachstellung» verdeutschte Verhalten als separaten Straftatbestand ins StGB (neuer Art. 181b und Ergänzung Art. 55a Abs.1) sowie ins MStG (Ergänzungen Art. 46 Abs. 1 und Art. 150a) aufzunehmen. Dabei soll der Straftatbestand künftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet werden und so die bestehenden zivilrechtlichen Instrumente ergänzen.

Dossier: Verbesserung des Schutzes für Stalking-Opfer

Mit 80 eingegangenen Stellungnahmen stiess die Vernehmlassung zur Einführung eines Straftatbestandes «Stalking» im StGB und im MStG auf reges Interesse. Bis zum Ablauf der Frist im September 2023 äusserten sich alle 26 Kantone, 7 Parteien und 47 weitere Teilnehmende zum Entwurf, wie dem im Oktober 2023 veröffentlichten und im Februar 2024 ergänzten Ergebnisbericht zu entnehmen ist. Explizit auf eine Stellungnahme verzichtet haben die Bundesanwaltschaft, das BGer, das BStGer, der SAV, das SKJV und das Schweizerische Polizeiinstitut (SPI). Die grosse Mehrheit der Rückmeldungen fiel grundsätzlich positiv aus und besonders die Einführung einer eigenständigen Strafnorm zum Stalking wurde von fast allen Teilnehmenden sowohl aus strafrechtlichen als auch aus symbolischen Überlegungen heraus begrüsst. Drei Stellungnahmen (SVP, die Schweizerische Kriminalistische Gesellschaft und die Interessegemeinschaft geschiedener und getrennt lebender Männer) lehnten den Gesetzesentwurf insgesamt ab. Alle drei vereinte die grundsätzliche Haltung, dass die bestehenden straf- und zivilrechtlichen Tatbestände bereits ausreichten und ein neuer Straftatbestand keine Lücke schliesse, sondern höchstens zu Abgrenzungsproblemen führe. Rund ein Drittel der Stellungnahmen forderte die Umbenennung des Randtitels «Nachstellung» auf «Stalking», da dieser Begriff in der Alltagssprache etabliert und auch in juristischen Abhandlungen bereits gebräuchlich sei. Knapp die Hälfte der Stellungnehmenden, darunter diverse Frauenrechtsorganisationen, kritisierte den im Vorentwurf verwendeten Begriff «beharrlich» zur Beschreibung von wiederholten Einzelhandlungen. Sie forderten, diesen durch «wiederholt» zu ersetzen, weil «wiederholt» der Istanbul-Konvention entspreche und objektiver definiert sei. Uneinigkeit herrschte zudem bei der vorgeschlagenen Formulierung der Tathandlung (Verfolgen, Belästigen und Bedrohen), wobei diverse Anregungen für eine Erweiterung der Tathandlungsliste eingereicht wurden. Unter anderem die SP forderte die Aufnahme des Begriffs «Nachstellen», um einen gewissen gerichtlichen Spielraum zu ermöglichen, falls Fälle über die «klassischen» Tathandlungen bei Stalking hinausgehen sollten. Ebenfalls umstritten war die Einordnung des neuen Straftatbestandes als Erfolgsdelikt, weil die tatsächlichen Konsequenzen für die betroffene Person präzisierungsbedürftig und sehr subjektiv seien. Bei Erfolgsdelikten würde die Strafe anhand des «Erfolgs» durch das Stalking bewertet. Darum bevorzugte rund ein Viertel der Stellungnehmenden eine Umwandlung des Straftatbestandes in ein Gefährdungsdelikt, wo die blosse Gefährdung der betroffenen Person durch die Handlung bereits als Straftat ausreicht. 11 Teilnehmende, darunter 9 Kantone und die Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz (SSK), befürworteten hingegen die Ausgestaltung der Strafnorm als Tätigkeitsdelikt, um einen besseren Opferschutz zu ermöglichen. Somit würde die Handlung an sich bereits strafbar.

Nach Auswertung und Diskussion der Vernehmlassungsergebnisse entschied sich die RK-NR dazu, die neue Strafnorm grundsätzlich als Antragsdelikt auszugestalten und somit die Strafverfolgung von einer Anzeige abhängig zu machen. Jedoch sollen diejenigen Taten von Amtes wegen verfolgt werden, die in einer Paarbeziehung begangen wurden. In allen anderen Punkten blieb die Kommission bei ihrer ursprünglichen Variante und nahm den revidierten Erlassentwurf im Februar 2024 mit 22 zu 2 Stimmen an.

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In seiner Stellungnahme vom 15. Mai 2024 anerkannte der Bundesrat das Bedürfnis nach der Einführung von «Stalking» als Straftatbestand, warnte jedoch vor zu hohen Erwartungen an die konkreten juristischen Auswirkungen der neuen Strafnorm. Einzelne Handlungen des Stalkings seien für sich allein oft nicht strafrechtlich relevant, womit es in der Realität schwierig einzuschätzen sei, ab wann das Opfer strafrechtlich wirksam in der eigenen Lebensgestaltung eingeschränkt werde. Die Regierung verlangte daher eine dahingehende Präzisierung der Nachstellung, dass diese nur dann gegeben sei, wenn das Opfer «auf unzumutbare Weise» eingeschränkt werde. Zudem beantragte sie, dass auch bei Stalking-Fällen in Paarbeziehungen die Taten nur auf Antrag des Opfers verfolgt werden sollen, da nur die betroffene Person selbst beurteilen könne, ob ihr Sicherheits- oder Freiheitsgefühl beeinträchtigt worden sei. Weil das Zivilrecht greife, falls Delikte nicht im MStG abgedeckt werden, und weil bei Stalking mit Folgedelikten ausserhalb des Militärdienstes gerechnet werden müsse, beantragte der Bundesrat, die von der Kommission angedachten Anpassungen im MStG ersatzlos zu streichen. Ausserdem sei mit einem allfälligen Mehraufwand und höheren Kosten für die Strafverfolgung zu rechnen. In der französischen Version beantragte der Bundesrat zudem folgende zwei Änderungen im Wortlaut: Der Randtitel «harcèlement» soll ohne den Zusatz «obsessionel» auskommen und bei der Formulierung des Tatbestandes (Art. 181b Abs. 2 StGB) soll analog dem Antrag der Minderheit Docourt (sp, NE) «harcèlement» mit «importune» ersetzt werden.

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In der Sommersession 2024 behandelte der Nationalrat erstmals die Kodifizierung eines Straftatbestandes «Stalking», die von einer Kommissionsmotion der RK-NR gefordert worden war. Mit 159 zu 30 Stimmen – letztere allesamt aus der SVP-Fraktion – wurde entgegen der Minderheit Bühler (svp, BE) Eintreten beschlossen.
Wie Kommissionssprecherin Sibel Arslan (basta, BS) anschliessend ausführte, beantragte die Kommission analog zum Vorschlag und der Begründung des Bundesrates, die Strafnorm nicht ins MStG aufzunehmen, da es sich dabei um Fortsetzungsdelikte über die Zeit des Militärdienstes hinaus handle und daher das StGB sowieso zur Anwendung käme. Dies wurde so einstimmig vom Nationalrat bestätigt. Entgegen des bundesrätlichen Antrags beantragte die RK-NR sodann, Stalking in Paarbeziehungen von Amtes wegen zu verfolgen, da es sich dabei um häusliche Gewalt handle, die dementsprechend geahndet werden müsse. Eine Minderheit Steinemann (svp, ZH) hatte ähnlich wie der Bundesrat erfolglos damit argumentiert, dass die betroffene Person in jedem Fall selber über eine Anzeige entscheiden können sollte. Mit 127 zu 61 Stimmen bei einer Enthaltung, wobei nur die SVP-Fraktion für den bundesrätlichen Vorschlag votierte, bestätigte der Nationalrat die Variante der Kommission. Weiter war die RK-NR auch mit der bundesrätlichen Präzisierung der Einschränkung der Lebensgestaltung des Opfers «auf unzumutbare Weise» nicht einverstanden. Kommissionssprecherin Arslan erklärte, dass diese Ergänzung gegenüber des Kommissionsentwurfes eine zusätzliche Schwelle einbaue und suggeriere, dass ein gewisses Mass an Einschränkung der Lebensgestaltung zu tolerieren sei. Zudem sei «unzumutbar» rechtlich sehr schwammig. Die Volkskammer folgte mit 135 zu 53 Stimmen ebenfalls ihrer Kommission, wobei erneut nur die SVP-Fraktion für die bundesrätliche Variante stimmte. Eine Minderheit Arslan scheiterte daran, «Stalking» als Randtitel einzuführen. Mit 130 zu 59 Stimmen blieb der Nationalrat bei «Nachstellung», wobei Links-Grün unterlag.
In der Gesamtabstimmung nahm die Volkskammer als Erstrat die Vorlage mit 151 zu 29 Stimmen bei 9 Enthaltungen an, wobei die Gegenstimmen und Enthaltungen ausschliesslich von der SVP-Fraktion stammten – mit Ausnahme einer Enthaltung von Maja Riniker (fdp, AG). Das Geschäft ging in den Ständerat.
Die Parlamentsdebatte wurde medial aufmerksam verfolgt und die Arbeit am neuen Straftatbestand beispielsweise in Le Temps in einem Meinungsbeitrag positiv gewürdigt.

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Im Dezember 2024 behandelte die kleine Kammer als Zweitrat die Einführung eines eigenen Straftatbestandes «Stalking», wie dies von der RK-NR gefordert worden war. Der Ständerat beschloss mit 32 zu 7 Stimmen bei einer Enthaltung Eintreten, wobei eine Minderheit um Pirmin Schwander (svp, SZ) unterlag. Dieser hatte vergeblich gegen Eintreten argumentiert, da ein neuer Straftatbestand aus seiner Sicht in der Realität nichts zum Schutz von Opfern beitrage und die zu Stalking gehörenden Straftatbestände im StGB bereits existierten. Kommissionssprecherin Céline Vara (gp, NE) hatte ihrerseits betont, dass Stalking aufgrund der sozialen Medien zugenommen habe und der Handlungsbedarf in der Vernehmlassung bestätigt worden sei.
In der Detailberatung folgte die kleine Kammer den Anträgen ihrer Kommission und schuf damit zwei Differenzen zum Nationalrat, mit welchen der neue Straftatbestand nur auf Antrag des Opfers hin strafrechtlich verfolgt und somit von einer Strafverfolgung von Amtes wegen für Fälle innerhalb von Paarbeziehungen abgesehen werden soll. Zudem wurde die Definition des Straftatbestandes dahingehend geändert, dass die Verhaltensweise des Täters oder der Täterin an sich strafbar werde, wenn sie die Lebensweise des Opfers potenziell einschränken könnte. Dieses sogenannte Gefährdungsdelikt verhindere, dass das Opfer eine Einschränkung der freien Lebensweise nachweisen muss, so Kommissionssprecherin Vara.
Namens des Bundesrates hatte sich Beat Jans im Plenum gegen diese Änderungen ausgesprochen und gleichzeitig vor generell überhöhten Erwartungen gegenüber der Strafnorm gewarnt: In der gerichtlichen Praxis werde auch mit der neuen Gesetzgebung eine Verurteilung aufgrund von Beweisschwierigkeiten und der Abgrenzung zu bestehenden Strafnormen schwierig bleiben. Der vom Nationalrat gemachte Vorschlag der Streichung des Straftatbestandes im MStG wurde stillschweigend übernommen.
In der Gesamtabstimmung stimmten einzig die Vertreterinnen und Vertreter der SVP-Fraktion sowie Daniel Jositsch (sp, ZH) gegen den Entwurf, welcher mit 32 zu 7 Stimmen angenommen wurde. Das Geschäft ging damit zurück an den Nationalrat.

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