Botschaft zum UNO-Migrationspakt (BRG 21.018)

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Anfang Februar 2021 legte der Bundesrat den Räten seine Botschaft zum UNO-Migrationspakt vor und beantragte zugleich die Abschreibung dreier inhaltlich identischer Motionen (Mo. 18.4093; Mo. 18.4103; Mo. 18.4106), welche den Bundesrat damit beauftragt hatten, dem Parlament den Antrag auf Zustimmung zum Migrationspakt in Form eines Bundesbeschlusses zu unterbreiten. Der Bundesrat hatte beschlossen, dies in Form eines einfachen Bundesbeschlusses zu tun, da es sich beim Migrationspakt nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt und dieser somit nicht dem fakultativen Referendum untersteht. Der Migrationspakt, ein Soft-Law-Instrument, war im Dezember 2018 von der UNO-Generalversammlung verabschiedet worden und will durch gemeinsam getragene Prinzipien und Zielsetzungen die weltweite Migration künftig sicherer machen und geordneter steuern. Laut Botschaft entsprechen die Grundsätze des Pakts – Partnerschaft und internationale Zusammenarbeit bei gleichzeitig souveräner nationalstaatlicher Migrationssteuerung – der Ausrichtung der Schweizer Migrationspolitik und stünden auch in Einklang mit der Aussenpolitischen Strategie 2020-2023 sowie der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2016-2019. Der Bundesrat legte in der Botschaft dar, dass die 23 Ziele des Migrationspakts grundsätzlich mit der Schweizer Rechtsordnung und Praxis kompatibel seien und nur punktuell Abweichungen bestünden. Da diese aber ausschliesslich freiwillige Umsetzungsinstrumente beträfen, entständen mit der Zustimmung zum Migrationspakt weder ein innenpolitischer Handlungszwang noch finanzielle Verpflichtungen. Aus Sicht des Bundesrats entsprächen Ziele wie die Bekämpfung von Menschenhandel, Rückkehr und Reintegration oder auch sichere Grenzen den Interessen der Schweiz und seien zudem für die Erreichung der UNO-Nachhaltigkeitsziele von Bedeutung. Die Schweiz sei angesichts der volatilen Migrationslage auf internationale Zusammenarbeit angewiesen. Die Botschaft legte dar, dass sich viele migrationspolitische Herausforderungen der Schweiz auf inadäquate Systeme und fehlende Kapazitäten auf Seiten der Herkunftsländer zurückführen liessen. Daher sei auch die Stärkung der Migrationspolitik anderer Länder für die Schweiz von grossem Interesse. Ein Verzicht auf Zustimmung hätte für die Schweiz langfristig negative Folgen, befürchtete der Bundesrat. Insbesondere die bilateralen Beziehungen mit Ländern wie Nigeria, Tunesien oder Marokko, welche den Migrationspakt als Referenzpunkt für ihre eigene Migrationspolitik verwenden werden, könnten sich dadurch verschlechtern. Auch auf multilateraler Ebene würde ein Verzicht die Schweiz benachteiligen, da sie ihre Interessen in multilateralen Gremien schlechter vertreten könnte und die Rolle des internationalen Genfs geschwächt würde. Der Bundesrat gab zu bedenken, dass die Schweiz in diesem Fall auch keine Möglichkeit hätte, einzelne Themen weiterzuentwickeln, die im UNO-Migrationspakt nur ungenügend ausgeführt wurden.
Bereits vor Beginn der parlamentarischen Beratungen kündigte sich allen voran bei den bürgerlichen Parteien Widerstand gegen das internationale Übereinkommen an. In der NZZ äusserte sich Nationalrat Kurt Fluri (fdp, SO) besorgt über die politische Verbindlichkeit des Pakts und befürchtete, dass dieser die Migration insgesamt fördere. Auch die SVP kritisierte das Abkommen und bezeichnete dieses als «realitätsfremde internationale Vereinbarung», die schädlich sei für die Schweiz. Die Partei zweifelte auch an der Unverbindlichkeit des Soft-Law-Instruments. Die Erfahrung zeige, dass aus derartigen Vereinbarungen Rechtsansprüche abgeleitet würden, gab die SVP zu bedenken. Laut Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL) zeige die Diskussion über den Migrationspakt vor allem, dass Handlungsbedarf in Bezug auf den Umgang mit Soft Law bestehe. Gemäss geltendem Recht besässen die Räte nämlich gar keine Kompetenz, um über den Beitritt zum Migrationspakt zu entscheiden, so die Mitte-Nationalrätin. Nationalrat Sommaruga (sp, GE) – ein Befürworter des Migrationspakts – zeigte sich damit unzufrieden, dass der Bundesrat die Unterzeichnung des Vertrags von der Zustimmung des Parlaments abhängig macht. Er warf Bundesrat Cassis daher vor, dass dieser es verpasst habe, dem Bundesrat die Unterzeichnung aufzuzwingen. Die Schweiz riskiere bei einer Ablehnung durch das Parlament den Unmut der anderen Staaten.

Dossier: Uno-Migrationspakt

Im April 2021 entschied die APK-SR einstimmig, die Beratung der Botschaft zum UNO-Migrationspakt zu sistieren, bis die Subkommission der beiden aussenpolitischen Kommissionen ihre Arbeit zum Thema «Soft Law» abgeschlossen hat. Obwohl das Parlamentsgesetz vorsieht, dass die aussenpolitischen Kommissionen über «wesentliche» Vorhaben – darunter können auch Soft Law-Abkommen fallen – informiert oder konsultiert werden müssen, geschah das in der Vergangenheit nicht immer, wie das Beispiel des UNO-Migrationspakts zeigt. Die Subkommission sollte vorgängig ermitteln, ob das Kriterium der «Wesentlichkeit» in diesem Fall durch die Bundesverwaltung korrekt angewendet wurde und ob die Mitwirkung der Kommissionen zweckmässig und im internationalen Rechtsvergleich ausgeprägt sei.
Diesen Sistierungsantrag unterbreitete die Kommission der kleinen Kammer in der darauffolgenden Sommersession. Ihr Sprecher, Marco Chiesa (svp, TI), betonte dabei, dass die Subkommission damit beschäftigt sei zu ermitteln, ob ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf hinsichtlich der Beteiligung des Parlaments im Soft Law-Bereich vorliege. Chiesa bezeichnete den Migrationspakt als ein Beispiel für Soft Law, das über einen «relativ ausgeprägt[en]» Gestaltungswillen verfüge, das also bereits «an der Grenze zum Hard Law» sei. Die Subkommission sei bemüht, in der ersten Jahreshälfte 2022 einen Lösungsansatz zu präsentieren, so Chiesa. Nationalrat Minder (parteilos, SH), der ebenfalls Mitglied der besagten Subkommission war, erklärte, dass man aufgrund der Komplexität des Themas auch die PVK mit einem internationalen Rechtsvergleich habe beauftragen müssen. Er warnte davor, den Migrationspakt vorschnell anzunehmen und damit ein Präjudiz zu schaffen. Zudem zweifelte er daran, dass die mit der Corona-Pandemie verbundene angespannte Arbeitsmarktlage den richtigen Rahmen für eine Diskussion über den Migrationspakt biete. Aussenminister Cassis zeigte Verständnis für das Vorhaben der ständerätlichen Kommission und fügte an, dass der Bundesrat jederzeit bereit sei, die Diskussion über den Migrationspakt fortzuführen. Der Ständerat folgte daraufhin der Empfehlung seiner Kommission und sistierte das Geschäft.

Dossier: Uno-Migrationspakt

Im Vorfeld der Herbstsession 2021 beantragte die SPK-NR dem Nationalrat mit 14 zu 10 Stimmen, die Beratung der Botschaft zum UNO-Migrationspakt für ein Jahr zu sistieren. Kommissionssprecher Romano (mitte, TI) erklärte den Ratsmitgliedern, man müsse die Rückmeldungen der Subkommissionen zur Handhabung von «Soft-Law-Instrumenten» und zu den parlamentarischen Mitwirkungsrechten abwarten. Kurt Fluri (fdp, SO) – ebenfalls Sprecher der SPK-NR – wies darauf hin, dass der Ständerat bei einer nationalrätlichen Ablehnung der Sistierung seinen Sistierungsbeschluss einfach wiederholen könnte, womit die Sistierung dann sowieso beschlossen wäre. Er warnte vor dem Anliegen der Minderheit Glättli (gp, ZH), die Sistierung abzulehnen, da man bei einem Meinungsumschwung im Ständerat Gefahr laufe, dass der Migrationspakt behandelt werde, ohne dass die Resultate der Subkommissionen vorlägen. Minderheitsführer Glättli griff in der Ratsdebatte insbesondere die SVP-Fraktion frontal an und äusserte sein Unverständnis über die Zustimmung der Partei zur Sistierung. Diese habe sich in den vergangenen Jahren eindeutig gegen den Migrationspakt positioniert und sogar eine Volksabstimmung gefordert. Er warf der SVP vor, die Sistierung nur zu befürworten, um nicht über eine Frage diskutieren zu müssen, «bei der ihr offensichtlich inhaltlich die Argumente ausgegangen» seien. Bundesrat Cassis signalisierte die Bereitschaft des Bundesrats, die Debatte über den Migrationspakt jederzeit wieder aufzunehmen. Schliesslich nahm der Rat den Sistierungsantrag der Kommissionsmehrheit mit 105 zu 77 Stimmen (ohne Enthaltungen) an. Die Gegenstimmen stammten von den Fraktionen der SP, der Grünen und der Grünliberalen.

Dossier: Uno-Migrationspakt

Die bundesrätliche Botschaft zum UNO-Migrationspakt stand in der Herbstsession 2024 auf der Agenda des Ständerates. Dort informierte Kommissionssprecher Benedikt Würth (mitte, SG) über die Vorgeschichte und den Inhalt dieses Geschäfts. Nach der anfänglichen Sistierung hatte sich die APK-SR 2024 materiell mit dem Geschäft auseinandergesetzt. Dabei sei sich die Kommission über «den materiellen Gehalt des Paktes» sowie über dessen Wirkung auf das Schweizer Rechtssystem nicht einig geworden. Die Mehrheit der Kommission habe die Auffassung vertreten, dass der Migrationspakt Auswirkungen auf die Rechtsauslegung haben könne, obwohl der Bundesrat davon ausgehe, dass der Pakt keine unmittelbare Konsequenz für das Rechtssystem der Schweiz zeitige. Zudem vertrete die Kommissionsmehrheit die Auffassung, dass die Zielsetzung des Pakts – die Förderung der Migration – nicht im Interesse der Schweiz sei. Daher beantragte die Kommission, in Art. 1 des Bundesbeschlusses über den Migrationspakt zwar Kenntnis von den Leitprinzipien und Zielen des Paktes zu nehmen, in Art. 2 jedoch festzuhalten, dass die Schweiz dem Migrationspakt nicht zustimmt und sich der Stimme enthält.
Anschliessend begründeten Daniel Jositsch (sp, ZH) und Carlo Sommaruga (sp, GE) die Position der Minderheit I Jositsch auf Zustimmung zum Entwurf des Bundesrates. Dieser hatte beantragt, dass die Bundesversammlung die Leitprinzipien und Ziele des Pakts befürwortet und der Unterstützung des Pakts zustimmt. Jositsch hielt fest, dass der Pakt lediglich ein «zaghafter Versuch» sei, eine Kooperation in der globalen Migrationspolitik herzustellen. Sommaruga ergänzte, dass die Schweiz weiterhin die Freiheit habe, ihre nationale Migrationspolitik eigenständig festzulegen.
Dies zog wiederum Marco Chiesa (svp, TI) in Zweifel, welcher mit seiner Minderheit II beantragte, dass die Bundesversammlung die Leitprinzipien und Ziele und auch die Zustimmung zum UNO-Migrationspakt seitens der Schweiz ablehnt. Chiesa legte dar, dass die Zustimmung zum Pakt gleichbedeutend sei mit der Bedrohung der Souveränität der Schweiz in Sachen Migrationspolitik. Zudem bringe die Integration einer zunehmenden Anzahl von Migrantinnen und Migranten grosse wirtschaftliche Belastungen mit sich.
Abschliessend gab Aussenminister Ignazio Cassis zu bedenken, dass es sich beim Migrationspakt lediglich um einen Referenzrahmen handle, mit dem ein gemeinsames Verständnis für Migration erreicht werden solle. Zudem werde im Pakt auch darauf hingewiesen, dass sich Herkunfts-, Transit- und Zielländer die Verantwortung für die Migration teilen. Schliesslich bestehe das wichtigste Ziel darin, die irreguläre Migration zu verringern.
In den anschliessenden Abstimmungen setzte sich der Mehrheitsantrag gegen die beiden Minderheiten Jositsch und Chiesa durch. In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat den Entwurf mit 26 zu 7 Stimmen und 11 Enthaltungen an. Die Ablehnungen stammten von Mitgliedern der SVP, die Enthaltungen aus den Reihen von rot-grün.

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In der Wintersession 2024 war es am Nationalrat, über den Migrationspakt der UNO zu diskutieren. SPK-NR-Sprecher Christian Wasserfallen (fdp, BE) führte aus, dass die Mehrheit der Kommission (16 zu 8 Stimmen bei 1 Enthaltung) dem Entschluss des Ständerates folgen wolle, die Leitprinzipien und Ziele des Pakts zur Kenntnis zu nehmen, dem Pakt aber insgesamt nicht zuzustimmen. Die Kommission erachte es als Problem, dass im Pakt alle Arten der Migration gleich behandelt würden. Es sei aber nun mal so, dass in der Schweiz nicht alle Migrantinnen und Migranten die gleichen Rechte hätten. So erhalte ein «Asylmigrant» (Wasserfallen) beispielsweise nicht dieselben Rechte und nicht denselben Status wie Handwerkerinnen und Handwerker, die für die Arbeit in die Schweiz kommen. Zudem sei die Kommission überzeugt, dass der Pakt zwar keine rechtliche, jedoch eine politische Wirkung entfalten werde. Dadurch werde der Handlungsspielraum der Schweiz insbesondere bei der Migration von Asylsuchenden eingeschränkt.
Anschliessend stellten Andreas Glarner (svp, AG) sowie Balthasar Glättli (gp, ZH) ihre Minderheiten vor – in ähnlicher Form fanden sich diese bereits im Ständerat als Minderheit Chiesa (svp, TI) und Minderheit Jositsch (sp, ZH). Glarner sprach davon, dass der Pakt beabsichtige, die Migration in das jeweilige «Wunschland» klar zu erleichtern und dies «ungeachtet [der] Qualifikation oder Herkunft» der Migrantinnen und Migranten. Ausserdem werde mit der Zustimmung zum Pakt die Ausschaffungshaft zumindest in Frage gestellt und der Informationsaustausch zwischen den Sozial- und Migrationsbehörden gar untersagt. Schliesslich widerspreche der Pakt auch der Verfassung, indem er die eigenständige Regelung der Zuwanderung verhindere. Daher beantragte Glarner, die Leitprinzipien und Ziele des Migrationspaktes explizit abzulehnen und dem Pakt als Ganzes nicht zuzustimmen. Balthasar Glättli sah die Sache anders. Er betonte, dass die Schweiz auch bei Zustimmung zum Pakt weiterhin zwischen regulärer und irregulärer Migration differenzieren könne. Der Pakt enthalte lediglich Gedanken dazu, wie mit einer international abgestimmten Strategie die Hilfe vor Ort verbessert werden könne. Glättli stellte daher den Antrag, dem Entwurf des Bundesrates und damit auch dem Pakt zuzustimmen. Anschliessend äusserten sich die Fraktionen zum Geschäft. Währenddem sich die Fraktionen von SP, Grünen und GLP dem Antrag Glättli anschlossen und sich die SVP-Fraktion für den Antrag Glarner stark machte, forderten die Mitte- und die FDP.Liberalen-Fraktionen Zustimmung zum Antrag der Kommissionsmehrheit und somit zum Ständerat.
Abschliessend argumentierte Aussenminister Ignazio Cassis, dass der Migrationspakt kein Allheilmittel in Krisensituationen darstelle, er verfolge vielmehr das Ziel, ein gemeinsames Verständnis von Migration zu schaffen. Damit werde zudem der Grundsatz der geteilten Verantwortung zwischen Herkunfts-, Transit- und Zielländern postuliert. Die Erfahrungen anderer Länder hätten gezeigt, dass mit dem Pakt die Verständigung zwischen den betroffenen Staaten erleichtert werden kann. Aus diesen Gründen bitte der Bundesrat darum, seinem Antrag zu folgen und dem Pakt zuzustimmen.
Eintreten wurde sodann ohne Gegenantrag beschlossen. In den zwei Abstimmungen obsiegte der Mehrheitsantrag der Kommission gegenüber den beiden Minderheitsanträgen, wobei die Fraktionen gemäss ihren Voten in der Debatte abstimmten. In der Gesamtabstimmung wurde der Entwurf mit 124 zu 66 Stimmen (0 Enthaltungen) angenommen. Die Gegenstimmen stammten von der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion.

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