Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands. Finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik (BRG 23.059)

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Ende August 2023 verabschiedete der Bundesrat die Botschaft zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands zur finanziellen Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik. Damit sollte ein Nachfolgeinstrument für den 2020 ausgelaufenen Fonds für die innere Sicherheit im Bereich Aussengrenzen und Visa geschaffen werden. Dieser neue Fonds sollte einerseits die Effizienz der Grenzkontrollen erhöhen und damit illegale Einreisen weitestgehend verhindern. Andererseits sollte der Fonds auch Mittel bereitstellen, um legale Einreisen zu erleichtern. In dieses BMVI-Fonds genannte Instrument soll die Schweiz für die Periode 2021 bis 2027 insgesamt rund CHF 300 Mio. einzahlen. Im Gegenzug erhält sie über die gesamte Laufzeit hinweg rund CHF 50 Mio. für nationale Massnahmen. Diese Mittel sollen für die integrierte Grenzverwaltung und für die gemeinsame Visumpolitik aufgewendet werden.

Die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands zur finanziellen Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik stand in der Wintersession 2023 auf dem Programm des Nationalrates, der die Vorlage als Erstrat beriet. Min Li Marti (sp, ZH) und Jacqueline de Quattro (fdp, VD) stellten die Vorlage seitens der SPK-NR vor. Sie berichteten, dass in der Kommissionssitzung einige kritische Fragen zur Vorlage gestellt wurden, zum einen zur Höhe und zur weiteren Entwicklung der Kosten für die Schweiz, zum anderen zu Menschenrechtsverletzungen an den Schengen-Aussengrenzen. Diese beiden Thematiken wurden dann auch in den Fraktionsvoten der SVP respektive der Grünen aufgegriffen. Während die SVP-Fraktion aufgrund der ihres Erachtens unfairen Kostenschlüssels zulasten der Schweiz und des nicht funktionierenden Grenzschutzes gar nicht erst auf die Vorlage eintreten wollte (Minderheit Hess; svp BE), berichtete Marionna Schlatter (gp, ZH) seitens der Grünen-Fraktion, dass diese einen Solidaritätsbeitrag an die besonders belasteten Staaten an den EU-Aussengrenzen im Grundsatz befürworte, solange garantiert werde, dass die Gelder nicht zur Anwendung von menschenrechtswidrigen Praktiken verwendet werden. Aufgrund dieses Vorbehalts werde sich ein Grossteil der Fraktion der Stimme enthalten. Für die SP-Fraktion wies Priska Seiler Graf (sp, ZH) darauf hin, dass ihre Partei hinter der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes stehe. Auch die SP-Fraktion bitte jedoch den Bundesrat darauf hinzuarbeiten, dass «keine Schweizer Gelder an Staaten fliessen, welche systematisch Pushbacks durchführen.» Die FDP- und die Mitte-Fraktion sprachen sich vorbehaltlos für die Vorlage aus. Anschliessend verteidigte Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider den Verteilschlüssel: Dieser richte sich nach dem BIP der teilnehmenden Staaten, entsprechend sei es legitim, dass die Schweiz einen höheren Beitrag als andere Länder leiste. Zudem profitiere die Schweiz stark von effizienteren Kontrollen an den Schengen-Aussengrenzen, da diese zur Sicherheit der Schweiz beitrügen. Hinsichtlich der Bedenken der Grünen und der SP hielt Baume-Schneider fest, dass der Bundesrat die Einhaltung der Menschenrechte als äusserst wichtig erachte. Er habe daher unter anderem zwei Experten in das Grundrechtsbüro von Frontex entsandt.
Nach diesen Voten stimmte die grosse Kammer über Eintreten ab. Mit 103 zu 65 Stimmen bei 21 Enthaltungen trat der Nationalrat auf das Geschäft ein. Die ablehnenden Stimmen stammten wie angekündigt von der SVP-Fraktion, die Enthaltungen von den Grünen. Mit einem sehr ähnlichen Stimmenverhältnis (105:65; 21 Enthaltungen) wurde die Vorlage in der anschliessenden Gesamtabstimmung gutgeheissen.

Die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands zur finanziellen Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik beschäftigte den Ständerat in der Frühjahrssession 2024. Nachdem SiK-SR-Sprecherin Andrea Gmür-Schönenberger (mitte, LU) die Vorlage präsentiert hatte, äusserte SVP-Vertreter Pirmin Schwander (svp, SZ) grundsätzliche Bedenken gegenüber dem Schengener System und kritisierte, dass die Schweiz die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen, welche an den Schengen-Aussengrenzen geschehen, verschliesse. Das diesbezügliche Handeln der Schweiz sei kaum mehr mit der humanitären Tradition der Schweiz vereinbar. Anschliessend erläuterte Bundesrat Beat Jans die Vorlage im Detail und ging auch auf die Kritik von Pirmin Schwander ein. Jans betonte, dass sich der Bundesrat stets für die Einhaltung der Grundrechte stark mache; die Achtung der Grundrechte und des Non-Refoulement-Prinzips sei im Übrigen auch in der vorliegenden EU-Verordnung verankert.
Eintreten wurde ohne Gegenantrag beschlossen, in der Detailberatung lag jedoch ein Minderheitsantrag von Franziska Roth (sp, SO) zur Berichterstattung an das Parlament vor. In diesem Antrag forderte die SP-Politikerin, dass der Bundesrat die Bundesversammlung über die Resultate verschiedener Evaluationen zum Instrument für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik informiert. Dieser Antrag wurde mit 13 zu 27 Stimmen abgelehnt; dafür gestimmt hatten die Mitglieder der SP, der Grünen, der GLP sowie Pirmin Schwander.
Das Geschäft wurde in der Gesamtabstimmung mit 34 zu 1 Stimme und 4 Enthaltungen angenommen. Die ablehnende Stimme und die Enthaltungen stammten von Mitgliedern der SVP.

In den Schlussabstimmungen stimmte der Nationalrat dem Geschäft mit 100 zu 66 Stimmen bei 25 Enthaltungen zu. Die ablehnenden Stimmen stammten von der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion, die Enthaltungen von der ebenso geschlossen stimmenden Grünen-Fraktion. Der Ständerat stimmte der Vorlage mit 39 zu 5 Stimmen zu. Auch hier stammten die Ablehnungen aus den Reihen der SVP.