Änderung des Zivilgesetzbuches (Gewaltfreie Erziehung; BRG 24.077)

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In Erfüllung einer Motion Bulliard-Marbach (mitte, FR) präsentierte der Bundesrat im September 2024 seine Botschaft zur Änderung des Zivilgesetzbuches zur Verankerung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung. Darin griff er den bereits zwei Jahre zuvor in Erfüllung eines Postulats Bulliard-Marbach skizzierten Weg auf und schlug vor, im ZGB den Grundsatz der gewaltfreien Erziehung als programmatische Norm festzuschreiben. Diese Norm soll Leitbildcharakter haben, aber keinen neuen Rechtsanspruch des Kindes auf gewaltfreie Erziehung begründen. Konkret sollen die Bestimmungen zur elterlichen Erziehung im Artikel 302 ZGB durch ein Verbot von Körperstrafen und die Ausübung anderer erniedrigender Handlungen erweitert werden. Zudem sollen niederschwellige Hilfs- und Beratungsangebote für Eltern und Kinder ausgebaut werden.

Im Rahmen der Vernehmlassung zum Vorentwurf waren 77 Stellungnahmen (26 Kantone, 7 Parteien, 44 Organisationen und Weitere) eingegangen, die den Entwurf mehrheitlich begrüssten. Als einzige Vernehmlassungsteilnehmende lehnte die SVP den Entwurf vollumfänglich ab, da sie die Schaffung einer Norm mit Leitbildcharakter als nicht notwendig erachtete. Auf der anderen Seite begrüssten die Parteien die Mitte, FDP, GLP und die Grünen sowie 11 Kantone und 2 Organisationen den Entwurf vollumfänglich. Auch wenn sie die grundsätzliche Stossrichtung unterstützten, hatten viele Vernehmlassungsteilnehmende Änderungen am Entwurf gefordert. So verlangten unter anderem die SP, die EVP, sechs Kantone (BL, GE, OW, SO, TI, VD), die EKKJ, die SODK, die Vereinigung der Kinderärzt:innen (pädiatrie schweiz) und diverse Kinderrechts- und -schutzorganisationen die explizite Verankerung eines Rechts des Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung oder zumindest dessen Erwähnung in der Botschaft zur Gesetzesvorlage. Besagte Organisationen sowie etwa die SODK, die EKFF, die EKKJ und zwei Kantone (FR, JU) bemängelten zudem die im Vorentwurf enthaltene Formulierung von «anderen Formen entwürdigender Gewalt» – gewisse Gewaltformen würden so nicht als entwürdigend und somit vermeintlich als erlaubt angesehen. Um Klarheit zu schaffen, sei der Bundesrat angehalten, in seiner Botschaft auszuführen, was genau unter gewaltfreier Erziehung gemeint sei. Diese Forderung wurde neben den genannten Organisationen auch von der SP, sechs Kantonen (BS, GR, LU, SH, VD, ZH) und den Universitäten Lausanne und Genf sowie von pädiatrie schweiz unterstützt. Auch psychische (SP; BS, GR, SH, VD, ZH sowie 20 Organisationen/Interessierte) und sexuelle Gewalt (12 Organisationen) oder das Miterleben von Gewalt (insieme Schweiz; pädiatrie schweiz) sollten nach deren Willen namentlich aufgeführt werden.

Als Reaktion auf die Vernehmlassungsergebnisse ersetzte der Bundesrat in seiner Botschaft den Begriff «entwürdigende Gewalt» durch «andere Formen erniedrigender Behandlung», um einen Auffangtatbestand zu schaffen. Auf die explizite Nennung des Verbots von psychischer Gewalt verzichtete der Bundesrat nach wie vor, stellte in seiner Botschaft jedoch klar, dass diese sowohl unter das generelle Gewaltverbot als auch unter die anderen Formen erniedrigender Behandlung fallen könne. Einer expliziten Verankerung des Rechts des Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung stand der Bundesrat ablehnend gegenüber und verwies auf seine Ausführungen im eingangs erwähnten Postulatsbericht. Auch bezüglich der Beratungsangebote blieb der Bundesrat bei seiner ursprünglichen Fassung. Er stellte in seiner Botschaft jedoch klar, dass diese Formulierung umfassend zu verstehen und somit eine breite Form von fachgerechter Unterstützung mitgemeint sei. In der Vernehmlassung hatten verschiedene Teilnehmende gefordert, dass die entsprechende Formulierung zu den Hilfs- und Beratungsangeboten ausgeweitet werden sollte.

Dossier: Verankerung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetzbuch

Der Nationalrat behandelte den bundesrätlichen Entwurf zur Verankerung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung in der Sondersession 2025 als Erstrat. Neben der Verankerung einer programmatischen Bestimmung zur gewaltfeien Erziehung soll mit der Gesetzesanpassung im ZGB auch sichergestellt werden, dass die Kantone den Zugang zu Beratungsangeboten für Eltern und Kinder gewährleisten. Kommissionssprecherin Florence Brenzikofer (gp, BL) legte im Rat mit Verweis auf empirische Evidenz zu psychischer und physischer Gewalt an Kindern dar, dass der Handlungsbedarf «gross und akut» sei und betonte, dass die Änderung von allen tangierten Berufsverbänden begrüsst würde. Trotz der bestehenden Gesetzes- und Verfassungsartikel zum Schutze der Kindsentwicklung, bestünden in der Gesellschaft nach wie vor Unklarheiten, was unter einer gewaltfreien Erziehung zu verstehen sei, so die Kommissionssprecherin. Ihr Kommissionskollege Philippe Nantermod (fdp, VS) ergänzte, dass die geplante Änderung weder einen neuen Straftatbestand einführe noch den Eltern ein bestimmtes Erziehungsmodell vorschreibe. Die RK-NR hatte mit 20 zu 3 Stimmen (1 Enthaltung) empfohlen, auf den Entwurf einzutreten und mit 21 zu 3 Stimmen, dem Entwurf unverändert zuzustimmen. Dem Rat lag eine Minderheit Bühler (svp, BE) vor, die auf Nichteintreten plädierte. Der Minderheitssprecher erachtete die geplante Änderung aufgrund der bestehenden Bestimmungen im Strafgesetzbuch und im Kinderschutzrecht als unnötig, da dort körperliche Gewalt bereits unter Strafe stehe. Die nun darüberhinausgehenden Bestimmungen empfand er als Eingriff in die Erziehungsfreiheit der Eltern, die er dadurch um die Möglichkeit beraubt sah, ihren Kindern (mit Züchtigung) Grenzen zu setzen. Ausserdem befürchtete er, dass die geplanten Änderungen eine Beratungsindustrie («industrie du conseil») mit den entsprechenden administrativen und finanziellen Folgen schaffen würde.

Mit 134 zu 53 Stimmen (4 Enthaltungen) trat der Nationalrat auf den Entwurf ein. Im Anschluss verabschiedete er ihn in der Gesamtabstimmung unverändert mit 134 zu 56 Stimmen (2 Enthaltungen). Gegen den Entwurf stellte sich ein Grossteil der SVP-Fraktion. Das Geschäft geht somit an den Ständerat.

Dossier: Verankerung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetzbuch

In der Herbstsession 2025 befasste sich der Ständerat als Zweitrat mit dem Entwurf zur Verankerung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung im ZGB. Die kleine Kammer hatte dabei über eine Minderheit Schwander (svp, SZ) zu befinden, die neben den Eltern auch weitere sorge- und obhutsberechtigte Personen in die Pflicht nehmen wollte. Die Kommissionsmehrheit empfahl ihrem Rat jedoch, auf die Ausweitung zu verzichten, da die Rolle der Stief- und Pflegeeltern bereits anderswo im ZGB geregelt sei. Der Ständerat folgte in dieser Frage mit 34 zu 9 Stimmen (2 Enthaltungen) der Kommissionsmehrheit. In der darauffolgenden Gesamtabstimmung nahm die kleine Kammer den somit unveränderten Entwurf mit 33 zu 4 Stimmen (7 Enthaltungen) an. Während alle ablehnenden Stimmen von Mitgliedern der SVP stammten, enthielten sich auch einige Mitglieder weiterer bürgerlichen Parteien der Stimme.

In den Schlussabstimmungen passierte der Entwurf den Nationalrat unter Opposition der SVP-Fraktion mit 131 zu 63 Stimmen (2 Enthaltungen) und den Ständerat mit 33 zu 4 Stimmen (8 Enthaltungen). Von Kinderschutz Schweiz und anderen Interessenorganisationen wurde die gesetzliche Verankerung der gewaltfreien Erziehung als Meilenstein gefeiert.

Dossier: Verankerung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetzbuch