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Grundlagen der Staatsordnung
Föderativer Aufbau
Progrès laborieux de la coopération intercantonale — Démarches visant à modifier la structure fédérative de la Confédération — La réunification des deux Bâle échoue devant le rejet par les citoyens de Bâle-Campagne de la nouvelle Constitution cantonale — La Commission des bons offices pour le Jura recommande l'introduction d'un statut d'autonomie avant que ne soit votée la question de la séparation ; inversément, le gouvernement bernois prévoit un plébiscite antérieur à cette introduction — Le Rassemblement jurassien persiste dans sa demande d'une médiation confédérale indépendante de Berne — La Troisième Force s'organise et se déclare en faveur des projets des Quatre Sages ; le Grand Conseil bernois par contre s'en tient au projet gouvernemental — Les séparatistes saluent l'entrée en scène de la Troisième Force et recommandent l'acceptation du projet bernois pour le Jura.
Beziehungen zwischen Bund und Kantonen und zwischen den Kantonen
Die Bemühungen, auf dem Weg eines kooperativen Föderalismus dringende interkantonale Aufgaben zu lösen, ohne sie dem Bund zu übertragen, ernteten wegen ihres langsamen Fortschreitens vermehrte Kritik [1]. Die 1967 gegründete Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit beschäftigte sich vorwiegend mit der Ausarbeitung von Studien, und ihr erster Präsident, Th. Chopard, vermerkte eine gewisse Ungeduld gegenüber den Kooperationsversuchen der Kantone, wie sie etwa in der Schulkoordinationsinitiative der BGB zum Ausdruck kam. Ein Vorstoss zum Ausbau der Stiftung mit Hilfe einer Verdoppelung der finanziellen Beiträge fand nicht bei allen Kantonen Zustimmung [2]. Besonderes Interesse erregte ein von der Stiftung veranstaltetes Seminar über modernes Management für Regierungsräte [3]. Von verschiedener Seite wurde gewünscht, dass sich der Bund stärker an den interkantonalen Zusammenarbeitsbestrebungen beteilige. Angesichts der hemmenden kantonalen Rivalitäten wurde die Einsetzung einer neutralen Koordinationsinstanz empfohlen, ja der Ständerat als das gegebene Bundesorgan für die Koordinationsaufgabe bezeichnet [4]. Abgesehen von der Förderung des Hochschulausbaus und der Schaffung einer Interkantonalen Mobilen Polizei, wo Bundesbeiträge stimulierend wirken, entwickelte sich die Zusammenarbeit der Kantone namentlich auch im übrigen Bildungswesen und bei der Heilmittelkontrolle; besondere regionale Kontakte pflegten die westschweizerischen Kantone und das Tessin [5].
In einzelnen Antworten zur Totalrevisionsumfrage traten Postulate auf, die auf eine radikalere Änderung der föderativen Struktur der Eidgenossenschaft abzielten : von der Obligatorischerklärung von Konkordaten für eine fernbleibende Minderheit über die Festsetzung gemeinsamer Gesetzgebungsbefugnisse von Bund und Kantonen auf bestimmten Gebieten bis zur Umkehrung der Kompetenzvermutung (Beschränkung der kantonalen Gesetzgebungskompetenz auf abschliessend aufgezählte Bereiche) und zur Abschaffung des Ständerates. Eine grössere Zahl von Stellungnahmen befürwortete eine Regelung für Änderungen im Bestand oder territorialen Umfang der Kantone, wie sie durch die Basler Wiedervereinigungsfrage und den Jurakonflikt nahegelegt wurde [6].
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Territoriale Fragen
In diesen beiden Auseinandersetzungen fielen bedeutsame Entscheide. Die jahrzehntelangen Bemühungen um eine Wiedervereinigung der beiden Basel fanden praktisch ihr Ende in einem eindeutigen Nein der basellandschaftlichen Stimmbürger zu den vom gemeinsamen Verfassungsrat ausgearbeiteten Vorlagen. Nachdem das Bundesgericht auf eine Beschwerde aus dem Baselbiet verfügt hatte, dass auf Grund des basellandschaftlichen Wiedervereinigungsartikels die Verfassung für den neuen Kanton nicht ohne die ihr beigefügten Hauptgrundzüge der Gesetzgebung in Kraft treten könne, entschloss sich der Verfassungsrat im Juni, die beiden Rechtsgrundlagen zwar getrennt zur Abstimmung zu bringen, die beiden Entscheidungen aber in ihrer Wirkung miteinander zu verkoppeln [7]. Darauf setzten beide Halbkantone den Volksentscheid auf den 7. Dezember an [8]. Im lebhaften Abstimmungskampf hoben die Gegner namentlich die wirtschaftliche Erstarkung des Kantons Baselland seit den 30er Jahren und die Erfolge der Zusammenarbeit mit Baselstadt hervor, zudem warnten sie vor den Komplikationen einer langen Übergangszeit, in welcher die neue Gesetzgebung zu schaffen wäre, die alten Kantone aber noch weiterzufunktionieren hätten; die Befürworter betonten die Rationalisierungsmöglichkeiten und das grössere politische Gewicht eines vereinigten Kantons und machten die Beschwerlichkeit und Ungewissheit der interkantonalen Kooperation geltend [9]. Während in Baselstadt alle Parteien die Japarole ausgaben, reihten sich in Baselland im Unterschied zu früheren Abstimmungen auch die Freisinnigen und die Christlichsozialen in eine bürgerliche Gegnerfront ein [10]. Dass der Umengang allgemein als ein Entscheid für oder gegen die Wiedervereinigung verstanden wurde, zeigte sich darin, dass sich die Stimmenzahlen in den vier Sachfragen (Verfassung, Hauptgrundzüge, Wahlgesetz und Geschäftsordnung des Kantonsrates) nur ganz geringfügig voneinander unterschieden. Baselstadt brachte eine gegenüber den 30er Jahren nur um weniges schwächere annehmende Mehrheit auf, dagegen schlug in Baselland das Verhältnis um: bei ähnlich hoher Stimmbeteiligung wie 1958 und 1960, als es um die Aufnahme eines Wiedervereinigungsartikels in die Verfassung gegangen war, verstärkten sich die Gegenstimmen sowohl in den ablehnenden oberen Bezirken wie vor allem auch im stadtnahen Bezirk Arlesheim, der in den früheren Entscheiden den Ausschlag gegeben hatte; wenn sich die Baselbieter Stimmbürger damals mit Dreifünftelmehrheit wiedervereinigungsfreundlich geäussert hatten, so stimmte nunmehr die durch Zuwanderung und Frauenstimmrecht auf das Zweieinhalbfache angewachsene Aktivbürgerschaft mit ebensolcher Mehrheit wiedervereinigungsfeindlich [11]. Die Eindeutigkeit des Verdikts gab in beiden Halbkantonen Anlass zu Vorstössen für eine Aufhebung der Wiedervereinigungsbestimmungen in den Kantonsverfassungen, um die darin vorgesehene Wahl eines zweiten Verfassungsrates, die man als sinnlos betrachtete, zu vermeiden [12]. Als Ersatz für die Vereinigung wurde eine engere Partnerschaft vorgeschlagen, ja deren Institutionalisierung durch ein die Kantonsverwaltungen kontrollierendes Regionalparlament angeregt [13]. Aus Baselstadt ertönte der Ruf nach Erhebung der beiden Basel zu Ganzkantonen [14].
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Wenn sich somit die Baselbieter gegen eine Veränderung des 1848 festgelegten bundesstaatlichen Gefüges entschieden, so wurden in der Jurafrage weitere Schritte zur Ermöglichung einer solchen Veränderung getan, wobei allerdings offen blieb, ob diese die Zahl der traditionellen Bundesglieder vermehren oder aber die innere Struktur eines einzelnen Kantonalstaates umgestalten solle. Die Entwicklung wurde vor allem dadurch beschleunigt, dass mit der von alt Bundesrat Petitpierre präsidierten Kommission der Guten Dienste, den sog. Vier Weisen, praktisch ein eidgenössisches Organ in Aktion getreten war, das allerdings in der bernischen Regierung auch eine grosse Bereitschaft zur Begehung neuer Wege fand. Die separatistische Bewegung sah sich erstmals um die Initiative gebracht und einer Belastungsprobe ausgesetzt, wozu die Organisierung einer Dritten Kraft das Ihre beitrug. Gewissermassen als Abschluss der rein bernischen Bemühungen um eine Beilegung des Konflikts nahm der Grosse Rat im Februar vom Bericht der Kommission der 24 zustimmend Kenntnis. In Erwartung der Vorschläge der Vier Weisen verzichtete man auf eine eigentliche Debatte [15].
Der Regierungsrat hatte in seinem Programm vom 17. März 1967 [16] zwei Wege ins Auge gefasst, auf denen eine Lösung gesucht werden sollte: einerseits die Durchführung verschiedener Reformen im Rahmen der bernischen Zuständigkeit und anderseits die Veranstaltung eines Plebiszits, in welchem die Stimmbürger der jurassischen Amtsbezirke endgültig über die Bildung eines eigenen Kantons abstimmen würden. Um die Ausgestaltung dieser beiden Wege und um die Frage der Priorität ergaben sich nun Meinungsverschiedenheiten zwischen der Kommission Petitpierre und der bernischen Regierung. Die Vier Weisen vertraten die Auffassung, dass die Reformpläne für den Jura sich zu einem Autonomiestatut verdichten sollten, das geeignet wäre, die Einheit des Juras zu erhalten und damit die Jurafrage dauerhafter zu lösen, als es ein Entscheid über die blosse Alternative Trennung oder Aufrechterhaltung des Status quo vermöchte. Sie schlugen deshalb vor, dass ein solches Jurastatut auch bundesrechtliche Neuerungen einschliesse und dass seiner Einführung eindeutig der zeitliche Vorrang vor einem Trennungsverfahren gegeben werde; in der Trennungsfrage sodann hielten sie eine Differenzierung nach Amtsbezirken für erforderlich, damit nicht eine knappe gesamtjurassische Mehrheit über das Schicksal einer regional konzentrierten Minderheit entscheide. Der bernische Regierungsrat akzeptierte die Idee des Autonomiestatuts und das Prinzip des amtsbezirkweisen Plebiszits; er beharrte aber darauf, dass über die Trennungsfrage schon vor der rechtsgültigen Verabschiedung des Jurastatuts abgestimmt werde.
Die beiden Instanzen gaben kurz nacheinander ihre Stellungnahmen bekannt: die Kommission der Guten Dienste im Juni; die bernische Regierung im Juli [17]. Die Vier Weisen veröffentlichten einen ersten Bericht, in welchem die Ausarbeitung eines Autonomiestatuts unter Mitwirkung aller Betrdffenen vorgeschlagen wurde. Als Hauptelemente eines solchen Statuts, über dessen Inhalt sie einen weiteren Bericht ankündigten, empfahlen sie einen besonderen jurassischen Wahlkreis für die Bestellung der Regierungs- und der Nationalräte, einen jurassischen Rat mit vorwiegend konsultativen Befugnissen sowie ein jurassisches Verwaltungszentrum. Die Trennungsfrage sollte unmittelbar nach der Einführung des Statuts zur Abstimmung gebracht werden. Der bemische Regierungsrat dagegen beantragte einen Verfassungszusatz, der das Trennungsverfahren festlegte: Volksbefragung über die Trennung im Gesamtjura (auf Grund eines Volksbegehrens oder auf Anordnung der Regierung) nach einer grundsätzlichen Stellungnahme des Grossen Rates zu einem Regierungsratsbericht über das Jurastatut — Initiativrecht der einzelnen Amtsbezirke und danach auch der an der Trennungslinie gelegenen Gemeinden zur Bestimmung ihrer Kantonszugehörigkeit, wobei Laufen der Anschluss an einen dritten Kanton freistünde — Wahl eines Verfassungsrates im Gebiet eines allfälligen jurassischen Kantons — Ausarbeitung einer Verfassung und Genehmigung derselben durch die Stimmberechtigten dieses Gebiets. Zur Gewährleistung freier Volksentscheide war vorgesehen, die erforderlichen Urnengänge unter eidgenössische Kontrolle zu stellen und den Regierungsrat zur Anordnung der brieflichen Stimmabgabe zu ermächtigen.
In der öffentlichen Diskussion um das Juraproblem ging es aber nicht nur um den Umfang des Jurastatuts und die Priorität von Statut oder Plebiszit, sondern auch um die Frage, ob eine Lösung im Rahmen der bemischen Kantonssouveränität oder auf Grund einer ausserbernischen Vermittlung zwischen Bern und den Repräsentanten des Juras zustandekommen solle. Das Rassemblement jurassien (RJ) beharrte darauf, dass zwischen den bernischen Behörden und ihm eine solche Vermittlung erfolge, und es erklärte die Kommission Petitpierre wegen ihrer formellen Einsetzung durch die bernische Regierung als untauglich für diese Aufgabe; es sprach aber auch dem Bundesrat, dem es die « Besetzung » des Juras im Jahre 1968 und das Verbleiben des zur Demission aufgeforderten Chefs des EMD auf seinem Posten zur Last legte, sein Misstrauen aus, indem es Ende März die Exekutiv- und Legislativbehörden des Bundes und sämtlicher Kantone um eine « médiation confédérale » ersuchte. Generalsekretär Béguelin präzisierte in einer Rede in Sitten, dass damit die Aktion einer Gruppe von Kantonen gemeint sei; er unterliess es nicht, einzelne Kantone direkt zu einem solchen Vorgehen aufzufordern [18]. Angesichts dieser Versteifung der separatistischen Haltung, die durch neue Drohungen und Demonstrationen unterstrichen wurde [19], setzten sich auch nichtjurassische Kreise für eine ausserbernische Vermittlung ein, so im alten Kantonsteil das Junge Bern und in der Westschweiz ein Kongress der welschen konservativ-christlichsozialen Parteien [20]. Eine Andeutung im Fastenmandat des Bischofs von Basel wurde im gleichen Sinn interpretiert [21]. Die antiseparatistischen Organisationen dagegen wiederholten in einer Erklärung, die sie im Mai parallel zum Mediationsgesuch des RJ an die Regierungen und die Parlamentarier der Eidgenossenschaft und der Kantone richteten, ihre Forderung nach einem Plebiszit in den jurassischen. Amtsbezirken, das die Abneigung der Mehrheit gegen eine Kantonstrennung offenkundig machen sollte [22].
Mit ihren Vorschlägen und Anregungen empfahl die Kommission Petitpierre ein Vorgehen, das sich im Rahmen der bernischen wie der schweizerischen Rechtsordnung bewegte; dementsprechend wandte sie sich entschieden gegen die separatistische Forderung, dass bei einem Plebiszit auch die ausserhalb des Juras niedergelassenen Jurassier, nicht aber die in den Jura eingewanderten Deutschschweizer mitstimmen sollten. Sie betonte aber ihren Willen, ungeachtet ihrer Ernennung durch die bernische Regierung als unabhängiges Vermittlergremium zu wirken [23]. Das persönliche Ansehen der Vier Weisen und der Mangel an aussichtsreichen Lösungsmöglichkeiten trügen dazu bei, dass ihr Bericht trotz seinen ungewöhnlichen Ratschlägen ein sehr positives Echo fand [24]. Selbst auf separatistischer Seite, wo man namentlich die Stellungnahme zur Stimrnberechtigungsfrage zurückwies und ausserdem über eine Verurteilung der Kampfmethoden des RJ durch die Vier Weisen ungehalten war, fehlte es nicht an einer gewissen Anerkennung [25]. Umgekehrt wurden in der altbernischen Presse einige Vorbehalte in bezug auf Gestaltung und Priorität des Autonomiestatuts erhoben [26]. Die Anträge des bernischen Regierungsrates vermochten dagegen im alten Kantonsteil und auch in jurassischen Antiseparatistenkreisen mehr Zustimmung zu ernten [27], während ausserkantonale Stimmen zu bedenken gaben, dass ein verfrühtes Plebiszit oder eine zu selbständige Gestaltung des Jurastatuts durch Bern die Wirkung eines solchen Statuts beeinträchtigen könnte [28]. Es wurde allerdings auch darauf hingewiesen, dass die altbernischen Stimmbürger ihrerseits für die beantragte Lösung erst gewonnen werden müssten [29].
Einer indirekten Aufforderung im Bericht der Vier Weisen Folge leistend, organisierten sich im Sommer Kreise der sog. « Dritten Kraft » in einem « Mouvement pour l'unité du Jura » (MUJ), das den Versuch unternahm, den Empfehlungen jenes Berichts noch umfänglicher zum Durchbruch zu verhelfen [30]. Es setzte sich dafür ein, dass die Kommission der Guten Dienste vom Bundesrat als Vermittlungsorgan anerkannt und dass ein mit ihrer Hilfe ausgearbeitetes Autonomiestatut vor dem Trennungsplebiszit in beiden Kantonsteilen zur Abstimmung gebracht werde. Vertreter der neuen Gruppe traten mit der Juradelegation des Regierungsrates in Kontakt [31]; es wurde auch erreicht, dass die Jurassische Deputation dem Grossen Rat mit knappem Mehr eine Umstellung der Prioritäten in der Juravorlage beantragte [32]. Der Rat lehnte freilich im September eine solche Änderung ab, nachdem die Regierungssprecher geltend gemacht hatten, dass das geplante Jurastatut aus zahlreichen Einzelmassnahmen bestehen werde, über die man das Volk nicht in einem Zug abstimmen lassen könne; die Juravorlage der Regierung wurde darauf in erster Lesung ohne Gegenstimmen gutgeheissen [33]. Im Sinne der Dritten Kraft forderte endlich der christlichsoziale Waadtländer Nationalrat Mugny den Bundesrat dazu auf, der Kommission der Guten Dienste den Auftrag zu erteilen, sie möchte in' der Frage des Autonomiestatuts die Initiative ergreifen; Bundespräsident von Moos zeigte jedoch keine Bereitschaft, die Kommission mit einem eidgenössischen Auftrag auszustatten, der über eine Leistung guter Dienste hinausginge, und der Nationalrat wies einen Antrag des Separatisten Wilhelm auf Diskussion zurück [34].
Das Auftreten einer organisierten Dritten Kraft vermochte zwar kein weiteres Entgegenkommen der bernischen und der eidgenössischen Behörden zu bewirken, wohl aber veranlasste es die separatistische Bewegung zu einer elastischeren Taktik. Um die Jahresmitte hatten verschiedene Anzeichen auf eine neue Verschärfung der Spannung hingedeutet: das RJ hatte im Mai seine Organisation gestrafft und als Führungsorgan ein elfköpfiges Exekutivbüro geschaffen, in welches vier Vertreter des Bélier, nicht aber der gemässigte Nationalrat Wilhelm gewählt wurden [35]; am 1. August war es in der Ajoie zu Zusammenstössen gekommen [36], worauf antiseparatistische Kreise die erneute Aufstellung bewaffneter Garden androhten [37], und obendrein kündigte ein neuer Front de Libération Jurassien Anschläge gegen Speicherkraftwerke an [38]. Die Vier Weisen sahen sich genötigt, öffentlich vor einer Politik des Hasses und der Gewalt zu warnen [39]. Die Bildung des MUJ wurde aber von der separatistischen Führung begrüsst [40]. Die von der Dritten Kraft angestrebte Autonomie bezeichnete Béguelin als Etappe auf dem Weg zu einem Kanton Jura, umgekehrt zeigte er immer deutlicher auch eine gewisse Bereitschaft, über eine Kantonsbildung im Nordjura zum separatistischen Endziel vorzustossen. Das hinderte ihn freilich nicht, an den Forderungen nach einer unabhängigen Vermittlung und nach einem Ausschluss der deutschsprachigen Einwanderer von der Beteiligung am Plebiszit festzuhalten [41]. Im Dezember fanden die separatistischen Führer Gelegenheit, ihre Vermittlungskonzeption im Bundeshaus vorzutragen; sie überreichten den Präsidenten der eidgenössischen Räte zuhanden des Bundesrates einen Plan, nach welchem eine verselbständigte und im Einvernehmen mit Bern und dem RJ umgebildete Kommission Petitpierre in erster Linie auf eine Vereinbarung über das Selbstbestimmungsverfahren hinarbeiten sollte [42]. Zehn Tage zuvor hatten vor demselben Bundeshaus Demonstranten des Bélier, dessen Agitation sich zunehmend gegen die Armee wandte, Zivilverteidigungsbücher verbrannt und die Demission des Bundespräsidenten gefordert [43]. Der Bundesrat stellte fest, dass die Vier Weisen zur Prüfung der Frage einer eidgenössischen Vermittlung legitimiert seien [44].
Der bernische Grosse Rat, der dem Wunsch der Regierung nach Zeitgewinn entsprechend im Dezember zu einer Sondersession zusammentrat, bestätigte in der zweiten Lesung seinen ersten Entscheid [45]. Obwohl sich das RJ erneut in aller Schärfe gegen die Stimmberechtigung ansässiger Deutschschweizer wandte, gab es noch vor Jahresende für die Volksabstimmung die Japarole aus [46]. Damit vermied es, dass diese Abstimmung in bezug auf die jurassische Zukunft einen plebiszitären Charakter erhielt; mit einer gleichlautenden Stellungnahme der Antiseparatisten war zu rechnen [47]. Der separatistische Schachzug wurde aber auch als ein Erfolg der bernischen Politik gewertet, die dem RJ ein wenn auch nur taktisches Einlenken aufgenötigt habe [48].
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[1] NZZ, 305, 21.5.69; 714, 7.12.69; NZ, 467, 12.10.69.
[2] TdG, 90, 18.4.69; Lb, 89, 19.4.69. Im November löste der Genfer Staatsratspräsident G. Duboule Th. Chopard im Präsidium ab. Zur Schulkoordinationsinitiative vgl. unten, S. 138.
[3] NZZ, 654, 2.11.69.
[4] ULRICH HÄFELIN, « Der kooperative Föderalismus in der Schweiz », in Referate und Mitteilungen des Schweizerischen Juristenvereins, 103/1969, S. 549 ff., insbes. S. 731 ff.; Cl. Bonnard in GdL, 289, 11.12.69, u. 290, 12.12.69.
[5] Vgl. Gründung eines Institut romand de recherches et de documentation pédagogiques in Neuenburg (NZZ, 335, 5.6.69), Treffen der Grossratsbüros in Bellinzona (JdG, 239, 14.10.69). Zur Zusammenarbeit im Bildungswesen vgl. unten, S. 138 f. u. 141, bei der Heilmittelkontrolle unten, S. 126, zum Hochschulausbau unten, S. 133, und zur IMP oben, S. 18.
[6] Vgl. oben, S. 11, Anm. 17.
[7] BN, 241, 14./15.6.69; NZ, 266, 15.6.69; Vgl. SPJ, 1968, S. 28 u. 134.
[8] BN, 376, 10.9.69.
[9] BN, 382, 15.9.69; 492, 24.11.69; 494, 25.11.69; 496, 26.11.69; 498, 27.11.69; 500, 28.11.69; 505, 2.12.69; NZ, 545, 26.11.69.
[10] BN, 457, 1./2.11.69; NZ, 564, 8.12.69.
[11] In Baselstadt wurde die Verfassung bei 44 % Stimmbeteiligung mit 43 786 : 22 024 Stimmen angenommen, in Baselland bei 76 % Stimmbeteiligung mit 48 183: 33 222 Stimmen verworfen; vgl. BN, 513, 8.12.69; NZ, 564 u. 565, 8.12.69; NZZ, 716, 8.12.69.
[12] NZ, 575, 14.12.69; BN, 526, 16.12.69.
[13] NZ, 571, 11.12.69; 575, 14.12.69.
[14] Motion Dürrenmatt (lib., BS), im NR eingereicht am 8.12. (Verhandl. B.vers., 1969, IV, S. 24); vgl. dazu BN, 523, 13./14.12.69.
[15] Bund, 28, 4.2.69; NZZ, 71, 3.2.69.
[16] Vgl. Kommission der 24, Bericht zur Jurafrage, Biel 1968, S. 3 f.; ferner SPJ, 1967, S. 15.
[17] Die Vorschläge der Vier Weisen in Erster Bericht der Kornmission der guten Dienste für den Jura vom 13.5.1969 (vgl. dazu NZZ. 344, 9.6.69); über die Anträge der bernischen Regierung vgl. Bund, 157, 9.7.69; NZZ, 411, 8.7.69.
[18] Jura libre, 956, 2.4.69. Vgl. dazu Jura libre, 945, 15.1.69; 947, 29.1.69; TdG, 27, 1./2.2.69; NZZ, 105, 18.2.69; ferner SPJ, 1968, S. 19. Zur Forderung nach einem Rücktritt Bundesrat Gnägis siehe Jura libre, 936, 6.11.68. Über den Begriff der médiation confédérale vgl. auch PHILIBERT SECRÉTAN, «Le Jura, un problème national», in Civitas, 24/1968-69, S. 532 ff.
[19] In Vorträgen deuteten R. Béguelin und R. Schaffter die Möglichkeit weiterer Gewaltakte an (TLM, 67, 8.3.69; NZZ, 152, 10.3.69; GdL, 70, 25.3.69). 10 Separatisten deponierten ihre militärische Ausrüstung vor dem Bundesgerichtsgebäude (TdG. 70, 24.3.69). An der Maifeier in Moutier wurde Regierungsrat Huber am Reden gehindert, worauf Polizei eingesetzt wurde und die Demonstranten mit Antiseparatisten ins Handgemenge gerieten (TdG, 102, 2.5.69).
[20] TdG, 50, 28.2.69, und Bund, 50, 2.3.69 (Junges Bern); TLM, 117, 27.4.69 (welsche Konservativ-Christlichsoziale).
[21] GdL, 50, 1./2.3.69; Le Pays, 49, 28.2.69; Vat., 62, 15.3.69; NZZ, 188, 26.3.69.
[22] NZZ, 315, 27.5.69.
[23] Erster Bericht der Kommission der guten Dienste für den Jura vom 13.5.1969, S. 5 f. u. 13 f.
[24] PS, 128, 10.6.69; GdL, 132, 10.6.69; 134, 12.6.69; Lib., 207, 10.6.69; JdG, 132, 10.6.69; TdG, 133, 10.6.69; TLM, 166, 15.6.69; NZZ, 345, 10.6.69; Vat., 131, 10.6.69; Ostschw., 132, 10.6.69; Tw, 132, 10.6.69; BN, 241, 14./15.6.69; Sonntags-Journal, 24, 14./15.6.69.
[25] Vgl. Jura libre, 966, 11.6.69; 967, 18.6.69; NZZ, 358, 16.6.69.
[26] NBZ, 132, 10.6.69; Bund, 136, 15.6.69.
[27] NBZ, 157, 9.7.69; Tw, 157, 9.7.69; Bund, 157, 9.7.69; TLM, 190, 9.7.69.
[28] JdG, 157, 9.7.69; NZ, 308, 9.7.69; NZN, 156, 9.7.69; NZZ, 417, 10.7.69.
[29] Bund, 157, 9.7.69; BN, 285, 12./13.7.69. Als Alternative zur Vorlage der Regierung wurde eine Regionalisierung des ganzen Kantons vorgeschlagen (NBZ, 173, 28.7.69).
[30] PS, 187, 19.8.69; NZZ, 506, 19.8.69; Vgl. Erster Bericht der Kommission der guten Dienste für den Jura vom 13.5.1969, S. 7. Die eigentliche Konstituierung erfolgte am 16.12., wobei das freisinnige Element überwog (TLM, 351, 17.12.69, NZZ, 738, 21.12.69).
[31] TLM, 239, 27.8.69.
[32] TLM, 243, 31.8.69. Das Stimmenverhältnis betrug 18: 17.
[33] Verhandlungen vom 3.-9.9. (Bund, 206, 4.9.69; 207, 5.9.69; 210, 9.9.69; 211, 10.9.69). Dem Verfassungszusatz stimmten alle Fraktionen zu; die Einführung der brieflichen Stimmabgabe in das Gesetz über Abstimmungen und Wahlen wurde von mehreren Jurassiern abgelehnt.
[34] Sten. Bull. NR, 1969, S. 769 ff. Die Ablehnung des Antrages Wilhelm erfolgte mit 43: 34 Stimmen (vgl. GdL, 236, 10.10.69).
[35] Statutenrevision vom 18.5. (GdL, 114, 19.5.69; NZZ, 304, 21.5.69; Jura libre, 963, 21.5.69). Neu vorgesehen wurde die allfällige Bildung einer « jurassischen Oppositionsregierung ». Die Bestellung des Exekutivbüros erfolgte Ende Juni (GdL, 149, 30.6.69).
[36] In Bressaucourt (TLM, 214, 2.8.69; NZZ, 476, 6.8.69; 492, 13.8.69; PS, 180, 11.8.69; GdL, 186, 12.8.69; Bund, 267, 14.11.69).
[37] GdL, 185, 11.8.69; vgl. SPJ, 1967, S. 15. Im September wurde die Androhung widerrufen (GdL, 210, 9.9.69).
[38] NZ, 351, 4.8.69; TLM, 217, 5.8.69; Tw, 181, 6.8.69; JdG, 183, 8.8.69; Bund, 186, 12.8.69. Vgl. auch SPJ, 1966, S. 18.
[39] NZZ, 547, 5.9.69.
[40] Jura libre, 973, 20.8.69. Später sprach Béguelin der neuen Bewegung sein Vertrauen aus und befürwortete eine Mitarbeit von Mitgliedern des Rassemblement in ihren Reihen (TdG, 280, 29./30.11,69; TLM, 351, 17.12.69).
[41] Vgl. insbes. Erklärungen am Fest des jurassischen Volkes vom 14.9. (Jura libre, 977, 20.9.69), ferner Jura libre, 987, 26.11.69.
[42] TLM, 344, 10.12.69; NZZ, 720, 10.12.69; Bund, 289, 10.12.69. An der Vorsprache nahm auch NR Wilhelm teil (Le Pays, 285, 10.12.69).
[43] Bund, 281, 1.12.69; NZ, 552, 1.12.69. Als die Polizei mit Wasser und Tränengas eingriff, wurden Petarden gegen das Bundeshaus geworfen. Vgl. dazu NZZ, 606, 5.10.69.
[44] NZZ, 730, 16.12.69.
[45] Verhandlungen vom 10./11.12. (Bund, 290, 11.12.69; 291, 12.12.69). Verfassungszusatz und Revision des .Gesetzes über Abstimmungen und Wahlen wurden ohne Gegenstimmen genehmigt; Differenzen über den Inhalt eines Ausführungsdekrets über die briefliche Stimmabgabe veranlassten eine Vertagung der Dekretsberatung auf den Februar 1970. Am 1.3.1970 wurden beide referendumspflichtigen Vorlagen in der Volksabstimmung angenommen (Bund, 50, 2.3.70). Zum Begehren nach einer Sondersession vgl. Bund, 9.7.69.
[46] TLM, 364, 30.12.69; Jura libre, 992, 7.1.70.
[47] Sie erfolgte unmittelbar nach derjenigen des Rassemblement (TLM, 6, 6.1.70). Bereits im Oktober hatte sich die Union des patriotes jurassiens zur Annahme eines Autonomiestatuts durchgerungen (TLM, 278, 5.10.69; NZZ, 607, 6.10.69).
[48] Bund, 305, 30.12.69; NZZ. 27, 18.1.70. Vgl. auch NZZ, 18, 13.1.70, wo auf Schwankungen und Differenzen im separatistiscnen Lager hingewiesen wird.
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