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Parteien, Verbände und Interessengruppen
Verbände und übrige Interessenorganisationen
Der Vorstand des Schweizerischen Gewerbeverbands nominierte einen SVP-Politiker zum neuen Präsidenten. – Der Bauernverband sprach sich für einen Abbruch der Verhandlungen mit der EU über ein Agrarfreihandelsabkommen aus. – Die Gewerkschaften engagierten sich mit Volksinitiativen gegen eine Liberalisierung der Post und für mehr Ferien. – Die GSoA unterlag in der Volksabstimmung über ihre Initiative für ein Verbot des Waffenexports deutlich.
 
Für die Parolen der Spitzenverbände zu den eidgenössischen Volksabstimmungen siehe die Tabelle parolen_2009.pdf.
Unternehmer
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse setzte sich in der Volksabstimmung vom 8. Februar erfolgreich für die Weiterführung der Personenfreizügigkeit mit der EU und ihrer Ausdehnung auf die neuen Mitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien ein. In der Innenpolitik warnte er davor, die Wirtschaftskrise mit massiven staatlichen Konjunkturförderungsprogrammen zu bekämpfen und damit die Staatsverschuldung in die Höhe zu treiben [1].
Die im Vorjahr eingeleitete Stärkung des Einflusses der SVP auf die Politik des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV) bestätigte sich. Im September nominierte der SGV-Vorstand den Zürcher SVP-Nationalrat Bruno Zuppiger einstimmig zum Nachfolger für den 2010 zurücktretenden Verbandspräsidenten Edi Engelberger (fdp, NW) [2].
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Landwirtschaft
Die Delegierten des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV) bekräftigten ihre Ablehnung eines Agrarfreihandelsabkommens mit der EU und forderten, mit 306 gegen eine Stimme, den Bundesrat auf, die im Vorjahr aufgenommenen Verhandlungen abzubrechen. Einen entsprechenden parlamentarischen Vorstoss der SVP-Fraktion unterstützten im Nationalrat nur die SVP und die Grünen [3].
Mit der vollständigen Abschaffung der Milchkontingentierung auf den 1. Mai und dem daraus resultierenden Produktionszuwachs geriet der Milchpreis unter starken Druck. Die Unzufriedenheit der Milchproduzenten manifestierte sich unter anderem in einem Aufruf zu einer Protestdemonstration Ende August in Sempach (LU) bei der Schlachtkapelle. Brisant war dieser von den Initianten als „Bauernaufstand“ bezeichnete Anlass, weil er nicht nur von einer unter dem Namen „Big_M“ auftretenden Gruppe von Milchbauern und dem von SVP-Nationalrat Kunz (LU) präsidierten „Bäuerlichen Komitee Schweiz“ organisiert wurde, sondern auch von der nationalen SVP. Letztere warb mit ihrem Präsidenten Toni Brunner (SG) heftig für den Anlass. Vertreter der ebenfalls landwirtschaftsnahen CVP waren im Organisationskomitee nicht vertreten und protestierten gegen eine Instrumentalisierung der Unzufriedenheit der Bauern durch die SVP. Aber auch der Schweizerische Bauernverband war an der Organisation nicht beteiligt. Dies wirkte sich negativ auf die Teilnehmerzahl aus. Die Presse übernahm zwar die vom SVP-Pressedienst deklarierte Zahl von 10 000 Manifestanten, auf den im Internet publizierten Fotos waren aber nur etwa 2000 Personen auszumachen [4].
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Arbeitnehmer
Die Gewerkschaften sahen weiterhin den Kampf gegen die Liberalisierung der Wirtschaft als eines ihrer Hauptaktionsgebiete an. Im November lancierte die Gewerkschaft Kommunikation eine Volksinitiative „Für eine starke Post“. Diese wehrt sich für die Beibehaltung des Briefmonopols der Schweizerischen Post und gegen die Ersetzung von Poststellen durch Agenturen, welche nicht vom Personal des Staatsbetriebs geführt werden [5].
Die Gewerkschaft Travail Suisse reichte im Sommer ihre Volksinitiative für sechs Wochen Ferien für alle Erwerbstätigen ein [6].
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) verlangte erfolglos während des ganzen Jahres einen stärkeren Einsatz des Staates zur Überwindung der Wirtschaftskrise. Im September unterstrich er seine Forderungen mit der Durchführung einer grossen Protestkundgebung in Bern, für welche er rund 25 000 Personen mobilisieren konnte [7].
In ein Dilemma gerieten sowohl der SGB als auch Travail Suisse bei der Abstimmung über die Volksinitiative für ein Verbot des Exports von Kriegsmaterial. An sich war ihnen die von der politischen Linken unterstützte Initiative der GSoA nicht unsympathisch. Sie mussten aber auch die Ängste vor einem Stellenabbau in den direkt betroffenen Betrieben und ihren Zulieferern berücksichtigen. Beide Dachverbände entschieden sich daher für eine Freigabe der Stimme. Von den Unterverbänden des SGB empfahl die Unia, bei der auch die Angestellten der Maschinenindustrie organisiert sind, ein Ja und der VPOD, dem Arbeiter der staatlichen Rüstungsbetriebe angehören, ein Nein [8].
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Die drei zum SGB gehörenden und zusammen rund 83 000 Mitglieder zählenden Gewerkschaften VPOD (öffentliches Personal), Comedia (Druckereiberufe) und Gewerkschaft Kommunikation (GeKo, Post und Telekommunikation) haben ihre im Vorjahr angekündigten Fusionspläne begraben. Als Hauptgrund gaben sie die zu grossen Unterschiede bei den Strukturen und Bedürfnissen an. Die Spitzen der Comedia und der GeKo einigten sich, die Möglichkeit einer Vereinigung ohne den VPOD abzuklären [9].
Dem SGB gelang es im Berichtsjahr seine Mitgliederzahl zu steigern. Zu Jahresende zählte er 377 327 Personen (+2,4%). Davon waren über 100 000 Frauen, fast doppelt so viele wie 1980. Ihr Anteil an den Mitgliedern des SGB stieg damit auf 26,8%. Für den Mitgliederzuwachs des SGB im Jahr 2009 war vor allem die Assoziierung der genferischen branchenübergreifenden und rund 11 000 Mitglieder zählenden Gewerkschaft SIT verantwortlich; aber auch sieben Unterverbände des SGB, darunter zum ersten mal seit ihrer Gründung auch die Unia, verzeichneten Zunahmen [10].
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Andere Interessenorganisationen
Im September reichte die AUNS ihre Volksinitiative für eine Ausweitung des obligatorischen Staatsvertragsreferendums und für ein obligatorisches Finanzreferendum für grössere Ausgaben im Rahmen von internationalen Verträgen ein [11].
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) reichte im Juni ihre Volksinitiative gegen die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge ein. Am 29. November erlitt sie in der Volksabstimmung über ihre Initiative für ein Kriegsmaterialexportverbot eine deutliche Niederlage. Nur 32% der Bürgerinnen und Bürger stimmten dem Begehren zu. Die Vox-Analyse zeigte, dass der Vorstoss der GSoA nur gerade von Personen, die sich zur äusseren Linken zählen, vorbehaltlos unterstützt wurde. Obwohl die SP die Ja-Parole ausgegeben hatte, legten mehr als 40% ihrer Sympathisanten ein Nein in die Urne [12].
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Im März lancierte der Verkehrsclub der Schweiz (VCS) seine Volksinitiative „Für mehr öffentlichen Verkehr“. Er wurde dabei unterstützt von der SP, der GP, den Grünliberalen und der EVP [13].
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Die über 100 000 Mitglieder zählende Vereinigung Pro Natura (früher Schweizerischer Bund für Naturschutz) feierte im Berichtsjahr ihr hundertjähriges Bestehen. Die Organisation betreut unter anderem 600 eigene oder gepachtete Naturschutzgebiete mit einer Fläche von über 1000 Quadratkilometern [14].
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Der Hauseigentümerverband reichte zu Jahresbeginn zwei Volksinitiativen für eine steuerliche Besserstellung von Haus- und Wohnungsbesitzern ein. Die eine verlangt, dass Personen im Rentenalter wahlweise keinen Eigenmietwert für selbstgenutztes Wohneigentum mehr versteuern müssen (und als Gegenleistung die Schuldzinsen nicht mehr vom steuerbaren Einkommen in Abzug bringen können). Die andere will das Bausparen steuerlich begünstigen [15].
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Der Verein Marche blanche, welcher die im Vorjahr erfolgreiche Volksinitiative für die Nichtverjährung von sexuellen Straftaten an Kindern eingereicht hatte, lancierte eine neue Volksinitiative mit dem Titel „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“ [16].
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Weiterführende Literatur
Freitag, Markus / Griesshaber, Nicolas / Traunmüller, Richard, „Vereine als Schulen des Vertrauens? Eine empirische Analyse zur Zivilgesellschaft in der Schweiz“, in Swiss Political Science Review, 2009, S. 495-527.
Lachenmeier, Dominik, Gewerkschaftskommunikation im Wandel: Eine systemtheoretische Analyse der Organisationskommunikation des Schweizerischen, Deutschen und Österreichischen Gewerkschaftsbunds 1972-2005, Basel (Diss. Zürich) 2009.
Michel, Claudia, Rechte fordern: Schweizer Frauenorganisationen zwischen Feminismus und Menschenrechten 1990-2005, Bern 2009.
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[1] NZZ, 5.9.09 und oben, Teil I, 2 (Europe: UE).
[2] SZ, 11.9.09. Siehe SPJ 2008, S. 319 f.
[3] SBV: Blick, 20.11.09. Parlament: AB NR, 2009, S. 2011; TA, 4.12.09. Siehe auch oben, Teil I, 4c (Politique agricole).
[4] Lib., 26.8.09; TA, 27.8.09; SGT, 31.8.09. Siehe auch oben, Teil I, 4c (Politique agricole und Production animale).
[5] NZZ, 6.1.09. Zur Initiative siehe oben, Teil I, 6b (Poste et télécomunications).
[6] Siehe oben, Teil I, 7a (Arbeitszeit).
[7] Bund, 18.9. und 21.9.09.
[8] BaZ, 3.11.09.
[9] NZZ, 14.3.09. Siehe SPJ 2008, S. 321.
[10] Medienmitteilung des SGB, 11.3.10.
[11] Siehe oben, Teil I, 2 (Principes directeurs) und SPJ 2008, S. 321.
[12] Siehe dazu oben, Teil I, 3 (Armement); Hirter, Hans / Vatter, Adrian, Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 29. November 2009, Bern 2010. Zur GSoA vgl. auch TA, 24.10.09 und BaZ, 25.11.09.
[13] Siehe oben, Teil I, 6b (Politique des transports) und SPJ 2008, S. 322.
[14] AZ, Bund und Lib., 23.1.09.
[15] Siehe oben, Teil I, 6c (Wohnungsbau und -eigentum).
[16] Siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht). Zu „Marche blanche“ siehe auch NLZ, 27.7.09.
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