Die Totalreform der Berufsbildung wurde im Berichtsjahr weitergeführt. Die Bundesräte Couchepin und Dreifuss kündigten an, einen Revisionsentwurf für das zwanzig Jahre alte Berufsbildungsgesetz im Januar 1999 in die Vernehmlassung schicken und noch im selben Jahr den eidgenössischen Räten vorlegen zu wollen. Zusammen mit dem Bundesamt für Bildung und Technologie (BBT) strebten sie an, dass der Bund künftig alle Berufe, auch jene im Pflege- und Sozialbereich, selbst regelt und über einen Fonds die Weiterbildung koordiniert. Weitere Kernpunkte der angepeilten Reform sind die Vereinheitlichung der Grundausbildung nach Berufs- und Tätigkeitsfeldern sowie die Erhöhung des schulischen Anteils der Ausbildung.

Im Frühjahr schickte der Bundesrat ein neues Berufsbildungsgesetz in die Vernehmlassung. Der Gesetzesentwurf hielt am dualen System der Berufsbildung – Lehrstelle und Schule – fest, strebte eine erhöhte vertikale und horizontale Durchlässigkeit unter den Angeboten an und regelte neu auch die Lehrgänge im Sozial-, Gesundheits- und künstlerischen Bereich. Die Berufsbildung wurde darin als Verbundaufgabe von Bund, Kantonen und Privatwirtschaft definiert. Nach Ablauf der Vernehmlassungsfrist im Oktober zeigte sich in allen Stellungnahmen nebst einer grundsätzlich guten Aufnahme des Entwurfs Kritik an der Regelung der Finanzierung. Mehrkosten, die der Bund auf die Kantone abwälzen wolle, seien durch mehr Autonomie für die Kantone abzugelten, meinte die FDP. Nach Ansicht der SP müssten sowohl Bund wie Kantone zusätzliche Mittel einfliessen lassen; ausserdem sei der gesamte Bildungsbereich in einem Departement zusammenzufassen. Die Kritik der CVP zielte gegen die unklare Ausweisung des künftigen Finanzbedarfs, die Unausgewogenheit der Kostenverteilung zwischen Bund und Kantonen sowie die fehlende Kohärenz zwischen dieser Vorlage und dem Projekt des Neuen Finanzausgleichs. Diesen Vorwurf erhob auch die SVP und äusserte sich zudem gegenüber dem geplanten branchenbezogenen Berufsbildungsfonds skeptisch. Auch die EDK äusserte sich positiv zu den Grundzügen des Entwurfs, bezeichnete aber die Angaben zu den Mehrkosten als lückenhaft. Nach Ansicht der kantonalen Erziehungsdirektoren müsse vor einer Weiterbearbeitung des Gesetzesentwurfs eine seriöse Kostenrechnung vorlegt werden. Vom Bund seien künftig 30 Prozent des öffentlichen Aufwands für die Berufsbildung zu übernehmen und nicht nur 18,3 Prozent, wie dies gegenwärtig der Fall ist.

Im Februar nahm der Bundesrat die Vernehmlassungsergebnisse zum Gesetzesentwurf für ein revidiertes Berufsbildungsgesetz (BBG) zur Kenntnis. Zu Diskussionen Anlass hatten weniger inhaltliche als finanzielle Aspekte gegeben. Ein klares Fazit zeigte die Vernehmlassung hinsichtlich der Finanzierungsgrundlage der Berufsbildungsreform, indem die Berufsbildung einhellig als strategische Aufgabe erachtet wurde, bei welcher die öffentliche Hand ihr Engagement nicht abbauen dürfe. Die Kantone plädierten für eine Erhöhung des Bundesanteils von 20 auf 30 Prozent. Der Bundesrat verabschiedete im September seine Botschaft an das Parlament, die er unter das Motto einer modernen, flexiblen, die Bedürfnisse von Wirtschaft und Gesellschaft berücksichtigenden Berufsbildung stellte. Das Gesetz soll neu alle Bildungsbereiche unterhalb der Hochschulstufe umfassen – also auch die Ausbildungsgänge für Gesundheit, Soziales und Kunst, die bis anhin in Kantonskompetenz lagen, sowie die bisher in entsprechenden Bundesgesetzen geordnete Ausbildung für Berufsleute aus der Land- und Forstwirtschaft. Die Konzentration in ein einziges Gesetz diene einer besseren Vergleichbarkeit und Durchlässigkeit der Berufslehrgänge untereinander und innerhalb des Bildungswesens insgesamt.

Die bundesrätliche Botschaft zum neuen BBG hielt am dualen System von Berufsschule und Lehrbetrieb fest, wobei sie aber eine Forcierung des Unterrichts in eher theorielastigen Berufen (so im Hightech-, Gesundheits- und Sozialbereich) vorsah. So sollen neu Berufsfachschulen eingerichtet werden, die umgekehrt zur Lehre funktionieren, indem sie mehrheitlich beruflichen und allgemein bildenden Unterricht mit einem ergänzenden Praktika anbieten. Für bildungsschwächere Jugendliche ist eine sogenannte „berufspraktische Bildung“ geplant – eine in der Regel zweijährige Ausbildung für weniger umfassende Grundqualifikationen, die mit einem eidgenössischen Attest abgeschlossen wird und den Zugang zu einer verkürzten Lehre öffnen soll. Die Botschaft stellte schliesslich die Berufsbildung auf eine neue Finanzierungsgrundlage, indem ein Systemwechsel weg von der am Aufwand orientierten Subventionierung hin zu einer aufgabenorientierten Pauschalfinanzierung der Kantone vollzogen wurde – ergänzt um die gezielte Subventionierung von Neuerungen und besonderen, im öffentlichen Interesse erbrachten Leistungen. Hierfür ist ein mit eigenem Antragsrecht ausgestatteter Innovationsrat anstelle des Berufsbildungsrates vorgesehen. Bundessubventionen nach den gleichen Pauschalen sollen auch an die neu zu integrierenden Berufe der Gesundheit, des Sozialen und der Kunst ausgerichtet werden. Der Bund will mit der Vorlage sein Engagement um insgesamt rund 150 auf 750 Mio Fr. pro Jahr steigern, was einer Erhöhung des Bundesanteils von einem Fünftel auf rund 25 Prozent entspricht. In diesem Zusammenhang hatte der Nationalrat eine Motion Widrig (cvp, SG; Mo. 99.3555) zur Bildungsfinanzierung überwiesen und damit dem Bundesrat den Auftrag erteilt, im Rahmen des neuen Berufsbildungsgesetzes mehr Finanzmittel einzusetzen als vorgesehen.

Als Erstrat befasste sich im Berichtsjahr die grosse Kammer mit dem revidierten Berufsbildungsgesetz (BBG). Die bundesrätliche Botschaft zum neuen BBG hielt am dualen System von Berufsschule und Lehrbetrieb fest, wobei sie aber eine Forcierung des Schulunterrichts in eher theorielastigen Berufen (so im Hightech-, Gesundheits- und Sozialbereich) vorsah. Das Gesetz stellt zudem die Berufsbildung auf eine neue Finanzierungsgrundlage, indem ein Systemwechsel weg von der am Aufwand orientierten Subventionierung hin zu einer aufgabenorientierten Pauschalfinanzierung der Kantone vollzogen wurde – ergänzt um die gezielte Subventionierung von Neuerungen und besonderen, im öffentlichen Interesse erbrachten Leistungen. Nach 13 Sitzungstagen und Entscheiden zu 211 Änderungsanträgen fand die nationalrätliche WBK einen Kompromiss für das neue BBG. Demnach fusst das neue Rahmengesetz auf einer klaren Kompetenzordnung: Die Wirtschaft ist treibende Kraft für die Reformarbeit, die Kantone sorgen via Berufsbildungsämter für die praktische Umsetzung, und der Bund ist für die Qualitätssicherung zuständig. Das Gesetz soll für alle Berufe ausserhalb der Hochschulen gelten, so dass also neu auch die bisher unter kantonaler Hoheit stehenden Bereiche Gesundheit, Soziales und Kunst darunter fallen. Betreffend der umstrittenen Finanzierung einigte sich die WBK-NR auf eine Erhöhung des Bundesanteils an den Berufsbildungsaufgaben von 16 auf 27,5%, wodurch Mehrkosten in der Höhe von rund 150 Mio Fr. entstehen. Reserviert bleiben davon 10% für Innovationen und Spezialprogramme. Grundsätzlich ist eine ergebnisorientierte Finanzierung entsprechend den Bedürfnissen der Empfänger vorgesehen. Mittels einer Motion wollte die WBK zudem den Bundesrat auf die Schaffung eines separaten Rahmengesetzes zur Regelung der beruflichen Weiterbildung verpflichten. Der Nationalrat beschloss ohne Opposition Eintreten auf die Vorlage. In der Detailberatung lehnte er unter anderem zwei Minderheitsanträge der WBK ab, welche die Wirtschaft, die Kantone und den Bund zur Bereitstellung von Lehrstellen bzw. den Bund zu Gegenmassnahmen bei einem Lehrstellenmangel verpflichten wollten. Bei der Finanzierung folgte der Rat seiner WBK und stimmte einer Erhöhung des Bundesanteils auf 27,5% zu. Auf Zustimmung stiess auch der Artikel zu den Berufsbildungsfonds, welche von den Branchenverbänden selbst geschaffen und geäufnet werden sollen. Dem Bund bleibt dabei die Möglichkeit offen, unter gewissen Umständen einen Fonds für alle Betriebe einer Branche verbindlich zu erklären. Ohne Chance blieb ein Einzelantrag Rechsteiner (sp, SG) auf Schaffung solcher Fonds durch den Bund selbst. In seiner Wintersession verabschiedete der Nationalrat das bereinigte Gesetz einstimmig.

Der Ständerat begann in der Sommersession mit der Beratung des neuen Berufsbildungsgesetzes (BBG), das als indirekter Gegenvorschlag zur „Lehrstelleninitiative“ (siehe unten) eine Aufwertung der Berufsbildung und ein verstärktes finanzielles Engagement des Bundes in diesem Bereich anstrebt. Inhaltlich schuf er nur wenige Differenzen zum Nationalrat. Gegen einen Antrag der Mehrheit der Kommission, die fand, der Markt reguliere sich selber, sprach sich die kleine Kammer mit 18 zu 12 Stimmen dafür aus, dass der Bund bei Lehrstellenmangel befristete Massnahmen ergreifen kann. Auch Bundesrat Couchepin setzte sich für diese Bestimmung ein, die einen Rückzug der „Lehrstelleninitiative“ ermögliche. Anders als die grosse Kammer war der Ständerat aber der Ansicht, dass der zwingende Unterricht einer Fremdsprache in der Lehre nicht angebracht sei. Dies würde viele Lehrlinge überfordern; in nur einer Stunde pro Woche lerne man ohnehin nicht viel, der Bundeskasse bringe der Verzicht auf den Fremdsprachenunterricht aber 40 Mio Fr. Die gewichtigste Differenz schuf die kleine Kammer bei der Finanzierung, wo sie den Anteil des Bundes auf lediglich 25% festlegen wollte. Der Nationalrat hatte sich im Vorjahr für 27,5% ausgesprochen. Der Entscheid fiel mit Blick auf die Bundeskasse und die Schuldenbremse mit dem Argument, es sei nicht sinnvoll, im Gesetz Beiträge einzusetzen, die mit dem Budget nicht vereinbar seien. Damit wurde die Beteiligung des Bundes an der Berufsbildung um ca. 65 Mio Fr. auf rund 625 Mio Fr. vermindert. Ebenfalls eine bedeutende Korrektur nahm der Ständerat beim Berufsbildungsfonds vor: Der Bundesrat soll ganze Branchen erst dann zu Beiträgen verpflichten können, wenn sich mindestens die Hälfte der Betriebe beteiligt, die 50% der Lehrlinge angestellt haben. Der Nationalrat hatte die Grenze bei je 30% gesetzt. Im Differenzbereinigungsverfahren beharrten beide Kammern vorerst auf ihren Positionen. Nach der Einigungskonferenz schloss sich der Nationalrat in der Frage der Fremdsprache und bei der Bundesbeteiligung (25%) dem Ständerat an; durchsetzen konnte er sich hingegen beim Berufsbildungsfonds (Quorum von 30%). In der Schlussabstimmung wurde das neue Berufsbildungsgesetz von beiden Kammern einstimmig angenommen.

Die Modernisierung der Berufsbildung soll in einer Verordnung konkretisiert werden. Der Bundesrat gab im August einen entsprechenden Entwurf einer Verordnung zum neuen Berufsbildungsgesetz (BBG) in die Vernehmlassung. Dabei waren sich alle Parteien und Organisationen einig in ihrem Wunsch nach einer raschen Umsetzung des Gesetzes. Einzig die SVP verlangte eine grundlegende Überarbeitung der Verordnung. Der Bundesrat setzte das neue Berufsbildungsgesetz Ende des Berichtsjahres auf Januar 2004 in Kraft, nachdem es im Vorjahr als indirekter Gegenvorschlag zur Lehrstellen-Initiative (siehe unten) beide Kammern ohne Gegenstimme passiert hatte. Es verspricht differenziertere Wege der Berufsausbildung, eine bessere Koordination der wachsenden Zahl an Modul-Ausbildungen, eine bessere Durchlässigkeit im gesamten Bildungssystem, mehr Raum für Grundbildungen mit hohem Schulanteil oder praktisch orientierte Ausbildungsformen für leistungsschwächere Schulabgängerinnen und -abgänger sowie schliesslich eine einheitliche Rechtsgrundlage für alle nicht universitären Berufsausbildungen. Die Finanzierung der Berufsbildung wird gemäss neuem Gesetz künftig auf leistungsorientierte Pauschalzahlungen an die Kantone abgestellt statt auf eine am Aufwand orientierte Subventionierung.

In seinen Antworten auf verschiedene parlamentarische Anfragen erklärte der Bundesrat, das neue Berufsbildungsgesetz sehe eine Harmonisierung der Lehrverträge vor, um die Mobilität der Lehrlinge zu fördern und die administrativen Hürden für die Lehrbetriebe abzubauen. Für Kleinbetriebe ergäben sich neue Chancen, weil der Bund mit dem Innovationskredit über Mittel für Anschubfinanzierungen von Lehrbetriebsverbünden und für die Weiterentwicklung des Ausbildungsmodells verfüge. Im Rahmen des Gesetzes werde er auch spezifische Massnahmen wie Informatikkurse für junge Frauen weiterführen, um die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern.