Autorinnen: Melike Gökce und Sarah Kuhn
In der Herbstsession 2020 nahm sich der Nationalrat als Erstrat der Beratung der Kulturbotschaft 2021–2024 an. Wie die Kommissionssprechenden der WBK-NR, Matthias Aebischer (sp, BE) und Marie-France Roth Pasquier (cvp, FR), erläuterten, unterstütze die WBK-NR die Stossrichtung der Botschaft und begrüsse, dass der Bundesrat an der letzten Kulturbotschaft 2016–2020 angeknüpft habe. Wie sich am Ende des Tages zeigen sollte, würde dieses Geschäft aber wohl nicht ganz so zeitnah abgearbeitet sein, fanden doch alleine an diesem Beratungstag 59 Abstimmungen zur Vorlage statt – das sind deutlich mehr als im Vergleichszeitraum bei den beiden Vorgängerbotschaften zusammen.
Besonders umstritten waren die vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen des Filmgesetzes (FiG). Dies widerspiegelte sich bereits in der Eintretensdebatte: Während gemäss Aebischer Eintreten auf die Botschaft als Ganzes in der Kommission unbestritten war, beantragte eine Minderheit um Christian Wasserfallen (fdp, BE) Nichteintreten auf den Entwurf 2 zum Filmgesetz. Der Berner störte sich insbesondere daran, dass der Bundesrat vorsah, nebst TV-Anbietenden neu auch Online-Streamingdienste zu verpflichten, 4 Prozent ihrer in der Schweiz generierten Bruttoeinnahmen in die hiesige Filmbranche zu investieren sowie auf ihrer Plattform mindestens 30 Prozent europäische Filme anzubieten. Mit beiden Quoten laufe man zudem Gefahr, die kleinen einheimischen Betriebe stark zu belasten, da man insbesondere mit der 4-Prozent-Investitionspflicht de facto eine zusätzliche Steuer einführe, argumentierte Wasserfallen. Der Nationalrat lehnte den Nichteintretensantrag mit 123 zu 62 Stimmen (1 Enthaltung) ab und trat somit auf die gesamte Kulturbotschaft ein. Mit 107 zu 78 Stimmen (4 Enthaltungen) wurde auch ein Antrag einer Minderheit um Philipp Kutter (cvp, ZH) abgelehnt, welche das Filmgesetz zwecks formaler Anpassungen an den Bundesrat zurückweisen wollte. Und auch eine weitere Minderheit um Peter Keller (svp, NW) blieb in ihren Bemühungen, alle 13 Vorlagen an den Bundesrat zurückzuweisen, erfolglos. Keller forderte, dass alle A-Fonds-perdu-Kredite, welche bisher im Rahmen der Covid-19-Pandemie an die Kulturbranche ausbezahlt worden waren, in der Botschaft kompensiert werden müssten, um ein reales Ausgabenwachstum zu verhindern. Der Forderung der Kommissionsmehrheit und des Bundesrats folgend, die Covid-19-Unterstützungen getrennt von der Botschaft zu betrachten, lehnte der Nationalrat die Rückweisung mit 134 zu 51 Stimmen (2 Enthaltungen) ab.
Damit konnte der Nationalrat mit der Detailberatung beginnen, welche er in zwei Blöcken durchführte. Im ersten Block behandelte er die vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen von fünf Bundesgesetzen. Bei drei davon – beim Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer, dem Bundesgesetz über die Schweizerische Nationalbibliothek sowie dem Bundesgesetz über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften – schritt der Nationalrat mangels Anträgen sogleich zur Gesamtabstimmung, wo er die Vorlagen guthiess. Beim Bundesgesetz über die Kulturförderung lehnte der Nationalrat zuerst zwei Änderungsanträge ab. Stefanie Heimgartner (svp, AG) wollte, dass sich der Minderheitenschutz in der Schweiz nur spezifisch auf Jenische und Sinti als traditionelle Schweizer Minderheiten konzentriert und forderte mit einem Einzelantrag, dass die generelle Unterstützung der Fahrenden-Lebensweise aus dem Gesetz gestrichen wird, was mit 135 zu 54 Stimmen (1 Enthaltung) abgelehnt wurde. Ebenso lehnte der Nationalrat mit 112 zu 75 Stimmen (2 Enthaltungen) die Forderung einer Minderheit um Sandra Locher Benguerel (sp, GR) ab, die die Sonderleistung an die Stadt Bern von CHF 1 Mio. beibehalten wollte. Eine solche hatte die Hauptstadt als Sitz der Bundesverwaltung bisher erhalten, diese wollte der Bundesrat nun aber streichen.
Für lange Debatten sorgte sodann wie erwartet das Bundesgesetz über Filmproduktion und Filmkultur (FiG). Zur Diskussion stand erstens die vom Bundesrat vorgesehene 30-Prozent-Mindestquote europäischer Filme bei Streamingdiensten, mit welcher gemäss Innenminister Alain Berset die für die Schweiz zentrale kulturelle und sprachliche Vielfalt gefördert werden solle. Eine Minderheit um Diana Gutjahr (svp, TG) wollte diesen Anteil auf 20 Prozent reduzieren, während eine Minderheit um Christian Wasserfallen, der darin einen «Pflichtkonsum» sah, diese Quote ganz aus dem Gesetz streichen wollte. Eine weitere Minderheit Gutjahr wollte Unternehmen, die einen Mindestumsatz von CHF 2.5 Mio. erreichen, von der Mindestquote befreien. Im Nationalrat wurden alle drei Minderheitsanträge mit rund einer Zweidrittelsmehrheit abgelehnt.
Der zweite stark umstrittene Punkt war die vom Bundesrat vorgeschlagene Investitionspflicht in den Schweizer Film für TV-Anbietende und Streamingdienste von 4 Prozent ihrer in der Schweiz generierten Bruttoeinnahmen. Gemäss Alain Berset wollte der Bundesrat damit eine «neutralité technologique» erreichen und eine Benachteiligung von TV-Anbietenden gegenüber Streamingdiensten beenden, müssen doch Erstere bereits seit 2007 eine solche Abgabe entrichten. Zudem entspreche dies einer Angleichung an Regeln in anderen europäischen Staaten. Der Nationalrat entschied jedoch mit 97 zu 91 Stimmen (3 Enthaltungen), einer Minderheit um Philipp Kutter zu folgen und den Betrag auf 1 Prozent der Bruttoeinnahmen zu reduzieren. Kutter hatte damit argumentiert, dass 4 Prozent im internationalen Vergleich sehr hoch seien und auch 1 Prozent der Filmbranche geschätzte Mehreinnahmen von CHF 5 bis 7 Mio. pro Jahr bringen würden. Damit lehnte der Nationalrat zugleich einen Mehrheitsantrag der WBK-NR ab, die zum Zweck erhöhter Flexibilität gefordert hatte, dass die 4-Prozent-Abgabe erst nach 4 Jahren fällig würde. Ebenfalls abgelehnt wurden zwei Minderheitsanträge, die die Abgabe auf 5 Prozent erhöhen respektive auf 3 Prozent reduzieren wollten.
Drittens machte sich der Nationalrat daran, die konkrete Ausgestaltung dieser Investitionspflicht zu diskutieren. Zum einen wollte der Bundesrat, dass nur die SRG von der Investitionspflicht befreit wird. Der Nationalrat hiess jedoch zwei weitere Minderheiten um Philipp Kutter gut, womit auch «regionale Fernsehveranstalter mit oder ohne Konzession» sowie Netzbetreibende, über welche die Nutzerinnen und Nutzer den Zugang zu den Filmen erhalten, von der Investitionspflicht ausgeschlossen werden. Zum anderen wollte der Bundesrat für Streamingdienste alle Einnahmen, die durch das Filmangebot erwirtschaftet wurden, in die Berechnung der Höhe der Investitionspflicht einfliessen lassen. Bei Fernsehanbietenden sollten weiterhin auch andere Einnahmen vom TV-Programm, wie Werbung, mit einbezogen werden. Der Nationalrat folgte jedoch mit 101 zu 88 Stimmen (3 Enthaltungen) einer Minderheit um Kutter und entschied, generell nur Film-Einnahmen einzubeziehen, damit TV-Sender gegenüber Streamingdiensten nicht benachteiligt werden. Abgelehnt wurde zudem eine Minderheit Wasserfallen, welche wollte, dass Werbeeinnahmen und Sponsoring nicht angerechnet werden.
Die letzten umstrittenen Änderungen betrafen sodann die Frage, in welcher Form die Investitionspflicht von 1 Prozent geleistet werden kann. Der Bundesrat sah vor, dass Aufwendungen an Dritte nur als Investition in den Schweizer Film angerechnet werden können, wenn diese einen Sitz oder Wohnsitz in der Schweiz haben. Der Nationalrat folgte auch hier einer Minderheit Kutter, welche diesbezüglich keine einschränkenden Regelungen im Gesetz haben wollte, damit etwa auch Co-Produktionen mit Netflix möglich bleiben. Mit Annahme dieser Minderheit wurde gleichzeitig ein Antrag der Mehrheit der WBK-NR abgelehnt, welche eine etwas weniger stark regulierte Version vorgeschlagen hatte. Weiter entschied der Nationalrat, dem Bundesrat zu folgen und Werbeleistungen für Schweizer Filme nicht als Investition anrechnen zu lassen. Er lehnte damit sowohl eine Minderheit Wasserfallen als auch einen Einzelantrag Studer ab, die sich für eine (teilweise) Anrechnung der Werbeleistungen einsetzten.
Zuletzt lagen dem Nationalrat noch zwei identische Einzelanträge von Andri Silberschmidt (fdp, ZH) und Philippe Nantermod (fdp, VS) auf Streichung der 1-Prozent-Investitionspflicht sowie aller nachfolgenden Regelungen bezüglich Bruttoeinnahmen und Aufwendungen vor, die die Grosse Kammer jedoch mit 125 zu 65 Stimmen bei einer Enthaltung ablehnte.
Im zweiten Block befasste sich der Nationalrat mit acht Finanzierungsbeschlüssen zu diversen Kulturbereichen, welche sich gesamthaft auf CHF 934 Mio. beliefen. Gemäss Innenminister Berset entsprach dies einer realen Erhöhung der Mittel um etwa CHF 35 Mio., welche dem Programm «Jugend und Musik», der Förderung des Schüleraustausches zwischen den Sprachregionen sowie dem Schweizerischen Nationalmuseum zukommen soll. Bevor der Nationalrat die einzelnen Beschlüsse inhaltlich diskutierte, hatte er über zwei Konzeptanträge zu entscheiden, die jeweils eine Mittelkürzung in allen acht Bundesbeschlüssen forderten. Der erste Konzeptantrag – gemeinsam portiert von einer WBK-NR-Minderheit um Diana Gutjahr und einer FK-NR-Minderheit um Lars Guggisberg (svp, BE) – forderte mit Ausnahme eines Teuerungsausgleichs die Plafonierung der Ausgaben auf dem Niveau der Vorgänger-Kulturbotschaft. Damit solle gemäss Guggisberg angesichts der stark steigenden Bundesausgaben ein reales Ausgabenwachstum verhindert werden. Mit dem zweiten Konzeptantrag forderte Diana Gutjahr zudem, dass jegliche A-Fonds-perdu-Beiträge, welche im Rahmen der Unterstützungsmassnahmen für die Kultur während der Covid-19-Pandemie ausgesprochen worden waren, kompensiert werden. Gemäss Innenminister Berset käme dies einer Kürzung um CHF 230 Mio. gleich, was die Beendigung einer Reihe von Unterstützungsprogrammen zur Folge hätte. Beide Anträge fanden jedoch nur bei einem Drittel der Nationalratsmitglieder Anklang, womit die Volkskammer hier dem Bundesrat folgte. Drei der acht Finanzierungsbeschlüsse (Kulturgütertransfer; Schweizerschulen im Ausland; Schweizer Nationalmuseum) hiess der Nationalrat ohne Debatte gut, bei den restlichen vier debattierte er eine Vielzahl an Änderungsanträgen.
Im Bundesbeschluss über die Finanzhilfen des BAK sah der Bundesrat einen Zahlungsrahmen von CHF 145.1 Mio. vor. Der Mehrheit seiner WBK folgend, sprach sich der Nationalrat für eine Erhöhung der Mittel um CHF 1.2 Mio. zugunsten des Vereins Memoriav aus, der sich für die Erhaltung der audiovisuellen Kulturgüter einsetzt. Abgelehnt wurde eine Erhöhung der Mittel gegenüber dem Entwurf des Bundesrates indes für Verlage, für das Schweizer Archiv der Darstellenden Künste sowie für Standplätze der Jenischen, Sinti und Roma. Bezüglich Letzteren lehnte der Nationalrat aber auch einen Kürzungsantrag ab.
Bei den restlichen Finanzierungsbeschlüssen folgte der Nationalrat jeweils der Mehrheit seiner WBK und nahm damit noch zwei Änderungen am Vorschlag des Bundesrates vor: So erhöhte er – entgegen der Mehrheit seiner FK – die Mittel für die Baukultur um CHF 20 Mio. und den Zahlungsrahmen im Bereich Sprachen und Verständigung um CHF 1.2 Mio. zugunsten der Rätoromanischen Sprache. Keine Mehrheit in der Volkskammer fand jedoch die von einer Minderheit beider Kommissionen beantragte Erhöhung der Mittel zugunsten von Mobilität und Austausch um CHF 10 Mio. Zudem reichte die Mehrheit der WBK-NR in diesem Rahmen eine Motion ein, mit welcher die Förderung der Mobilität und der Sprachaufenthalte von Lernenden verlangt wurde (Mo. 20.3918). Eine Minderheit um Diana Gutjahr wollte die Motion ablehnen. Beim Bundesbeschluss über die Finanzierung der Filmbranche folgte der Nationalrat dem Bundesrat und lehnte eine von Diana Gutjahr beantragte Reduktion der Mittel deutlich ab. Zuletzt folgte der Nationalrat beim Zahlungsrahmen für Pro Helvetia entgegen dreier Minderheitsanträge auf Erhöhung respektive Kürzung den Kommissionsmehrheiten. Zuletzt schrieb der Nationalrat drei parlamentarische Vorstösse (Po. 15.4117; Mo. 17.4308; Mo. 19.3725) ab, da diese mit Vorliegen der Botschaft als erledigt erachtet wurden. Eine erfolglose Minderheit um Sandra Locher Benguerel wollte erfolglos auf eine Abschreibung der letzten Motion verzichten. Damit gab der Nationalrat die Kulturbotschaft 2021–2024 mit diversen Änderungen weiter an den Ständerat.
Dossier: Cultura quo vadis? Die Botschaften über die Förderung der Kultur im Überblick