Fristenstillstand und Erleichterung bei Unterschriftensammlungen

Was passiert mit den Unterschriftensammlungen für Referenden und Volksinitiativen, wenn Menschenansammlungen und Freizeitaktivitäten eingeschränkt sind? Diese Frage stellte sich im Rahmen der vom Bundesrat ergriffenen Massnahmen aufgrund von Covid-19. Die Regierung beantwortete sie mit einer Verordnung, die einen Fristenstillstand ab 21. März 2020 vorsah. Bis zum 31. Mai durften keine Unterschriften für Volksinitiativen und Referenden gesammelt werden. Die Sammelfristen werden entsprechend ab Anfang Juni verlängert. Auch alle anderen mit Volksinitiativen verbundenen Fristen wurden eingefroren – etwa die Behandlungsfristen von erfolgreich eingereichten Volksinitiativen. Die Fristen sollen hingegen nur bei jenen referendumspflichtigen Vorlagen aus der Wintersession 2019 eingefroren werden, die als umstritten galten.

Ende April 2020 entschied der Bundesrat nicht nur, die für Mai vorgesehenen Abstimmungsvorlagen auf den 27. September zu verschieben, sondern er lehnte es aufgrund der sinkenden Zahl an Covid-19-Neuinfektionen auch ab, den im Frühjahr eingerichteten, bis zum 31. Mai 2020 geltenden Fristenstillstand für Volksbegehren zu verlängern. Ab dem 1. Juni 2020 durften entsprechend wieder Unterschriften für Volksinitiativen und fakultative Referenden – aktuell wurden Referenden gegen die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge und gegen das Wirtschaftsabkommen mit Indonesien angestrebt – gesammelt werden. Die zuständigen Stellen sollten ab 1. Juni auch wieder Stimmrechtsbescheinigungen ausstellen. Zwar sei das Sammeln von Unterschriften aufgrund der Verhaltens- und Hygieneregeln nach wie vor schwierig, ein weiterer Stillstand der Fristen sei aber deswegen nicht gerechtfertigt, gab der Bundesrat in seiner Medienmitteilung Ende April bekannt.
In der NZZ wurde der Entscheid kritisiert. Man könne keine Unterschriften sammeln, wenn man zwei Meter Abstand einhalten müsse, gab etwa Franz Grüter (svp, LU) der Zeitung zu Protokoll. Die Initiative für ein E-Voting-Moratorium, für die Grüter Unterschriften sammeln wollte, sei deshalb massiv in Rückstand geraten. Auch das Verbot von Veranstaltungen erschwere das Unterschriftensammeln. Verschiedene Initiativkomitees, aber auch die SPK-NR forderten laut NZZ vom Bundesrat Vereinfachungen bei den Unterschriftensammlungen – etwa in Form von Fristverlängerungen oder der Reduktion der benötigten Anzahl Unterschriften.

Im Rahmen der Beratungen um das Covid-19-Gesetz in der Herbstsession 2020 wollte das Parlament auf der Basis zweier Anträge von Balthasar Glättli (gp, ZH) und Franz Grüter (svp, LU) Erleichterungen für das Sammeln von Unterschriften für fakultative Referenden einführen. Der Bundesrat erliess in der Folge die zeitlich befristete Möglichkeit, Listen mit Signaturen zuzulassen, für welche die Gemeinden noch keine Stimmrechtsbescheinigungen ausgestellt hatten. In einer Medienmitteilung gab die Regierung bekannt, diese Vereinfachung für alle Erlasse von Sommersession 2020 bis Sommersession 2021 zu schaffen. Die entsprechende Verordnung trat Anfang Oktober 2020 in Kraft und galt nur für Referenden, nicht aber für Initiativen.

Im Rahmen der Beratungen des Covid-19-Gesetzes in der Frühjahrssession 2021 beschlossen beide Kammern, dass die vom Bundesrat beschlossenen Erleichterungen für die Unterschriftensammlungen nicht nur für fakultative Referenden, sondern auch für Volksinitiativen gelten sollen. Eine entsprechende Forderung war von einer mittlerweile zurückgezogenen Kommissionsmotion der SPK-NR gestellt worden. Der Antrag der Kommission wurde im Rahmen des Covid-19-Gesetzes im Nationalrat mit 160 zu 22 Stimmen – lediglich die Grünen waren gegen den Vorschlag – und im Ständerat ohne Diskussion angenommen. Die momentane Aussetzung des Obligatoriums für Stimmrechtsbescheinigungen wird entsprechend auf Volksinitiativen ausgedehnt.

Der Bundesrat setzte die Verordnung, mit der die Pflicht für die Erbringung von Stimmrechtsbescheinigungen nicht mehr nur für Referenden (in Kraft seit 30. März 2021), sondern wie vom Parlament gefordert neu auch für Volksinitiativen vorübergehend aufgehoben wurde, auf den 13. Mai 2021 in Kraft. Die Unterschriftenbogen von Referenden sowie von Volksinitiativen, die ab diesem Datum eingereicht werden, können innerhalb der üblichen Sammelfristen auch ohne Stimmrechtsbescheinigung eingereicht werden. Die Verantwortung für die Einholung der Stimmrechtsbescheinigungen liegt damit nach Einreichung bei der Bundeskanzlei (BK), die nach Ablauf der Sammelfrist so viele (unbescheinigte) Unterschriften nachträglich von den Gemeinden bescheinigen lässt, wie nötig, damit die Zahl von 50'000 bzw. 100'000 Unterschriften erreicht wird.
In seiner Medienmitteilung berichtete der Bundesrat, dass seit der ersten Covid-19-Verordnung zur Stimmrechtsbescheinigung (in Kraft seit dem 8. Oktober 2020) gegen vier Erlasse erfolgreich das Referendum eingereicht worden sei, wobei zwei Komitees von der Erleichterung der Pflicht der Stimmrechtsbescheinigung profitiert hätten. Beim Referendum gegen das Covid-19-Gesetz und beim Referendum gegen das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus hatte die BK im Nachhinein bei den Gemeinden Stimmrechtsbescheinigungen eingeholt.

Mitte Dezember 2021 entschied der Bundesrat, die Erleichterungen beim Sammeln von Unterschriften für Volksinitiativen und Referenden zu verlängern. Ab dem 18. Dezember 2021 sollte es also weiterhin möglich sein, Unterschriften einzureichen, die von den Gemeinden nicht bescheinigt worden waren. Das Einholen dieser Bescheinigungen, mit denen nicht zulässige Signaturen vermieden werden sollen, ist normalerweise Aufgabe der Komitees. Der Erlass dieser Pflicht verschafft den Komitees etwas mehr Zeit, im Rahmen der bestehenden und – obwohl von verschiedener Seite eine Verlängerung der Fristen gefordert worden war – unveränderten Sammelfristen die notwendigen Unterschriften zu sammeln. Die Bescheinigungen müssen nach Ablauf der Sammelfrist von der Bundeskanzlei bei den Gemeinden eingeholt werden. Der Bundesrat präzisierte in seiner Medienmitteilung, dass die Erleichterungen für Referenden gegen Erlasse gelten würden, die zwischen März 2021 und März 2022 im Bundesblatt veröffentlicht worden seien, sowie für Volksbegehren, die zwischen dem 13. Mai 2021 und dem 30. Juni 2022 eingereicht würden. Die Verordnung mit der Verlängerung wurde entsprechend auf den 31. August 2022 befristet.

Gleichbehandlung von Initiativen und Referenden in Zeiten der Covid-19-Pandemie (Mo. 21.3006)

Mit einer Kommissionsmotion wollte die SPK-NR eine Gleichbehandlung von Initiativen und Referenden im Covid-19-Gesetz verankern. Da die Unterschriftensammlung für Volksbegehren durch die Pandemie erschwert worden sei, sei man den Referendumskomitees im Frühling 2020 entgegengekommen, indem man sie von der Bescheinigungspflicht befreit habe. Mit anderen Worten: Die in der vorgesehenen Frist gesammelten Unterschriften konnten ohne Stimmrechtsbescheinigung, die in der Regel innerhalb der 100-tägigen Frist von den Gemeinden erstellt werden müssen, eingereicht werden. Mit ihrer Motion wollte die Kommission diese Erleichterung auch Initiativkomitees gewähren. Sie zog dann allerdings ihr Anliegen Mitte Februar 2021 zurück, weil dieses im Rahmen der Beratungen um das Covid-19-Gesetz in der Frühjahrssession 2021 bereits umgesetzt worden war.

Unterschriftensammlung - Probleme

Die Demokratie sei «infiziert», das Virus schnüre «den Volksrechten die Luft ab» oder die direkte Demokratie sei «in Gefahr», titelten verschiedene Medien die Diskussionen um die Auswirkung von Covid-19 auf die Sammlung von Unterschriften für Referenden und Volksinitiativen. In der Tat hatte der Bundesrat während des ersten Lockdowns einen Fristenstillstand beschlossen – zwischen 21. März und 31. Mai 2020 war das Sammeln von Unterschriften verboten. Zwar wurden in der Folge die üblichen Sammelfristen um diese fehlenden 72 Tage verlängert, die Komitees beklagten sich aber, dass das Sammeln von Unterschriften wegen Abstandsregeln, Versammlungs- und Veranstaltungsverboten stark erschwert sei. Leute, die für eine Unterschrift angesprochen würden, hätten teilweise «geharnischt reagiert», gab etwa Franz Grüter (svp, LU) zu Protokoll, der für seine Initiative für ein «E-Voting-Moratorium» Unterschriften sammelte. Man sei deshalb mit der Sammlung «massiv in Rückstand geraten». In der Tat gelte die Initiative, die einen Stopp der Versuche für E-Voting verlangt hätte, als «erste Volksinitiative», die von Corona gestoppt worden sei, wie die Aargauer Zeitung Ende Juni 2020 vorrechnete.

Verschiedene Komitees gelangten in der Folge mit einem Brief an den Bundesrat, in dem sie eine Verlängerung der Sammelfristen forderten. Trotz Unterstützung der SPK-NR stiess die Forderung bei der Regierung auf taube Ohren. In den Medien wurde einerseits dieser Entscheid kritisiert, andererseits die Argumentation des Bundesrates unterstützt, wonach ein Eingriff des Bundesrates per Notrecht in die Verfassung, wo die Fristen definiert sind, ein «gefährliche[s] Präjudiz» darstelle. Hingegen setzte der Bundesrat im Rahmen der Beratungen um das Covid-19-Gesetz in der Herbstsession 2020 die von Thomas Minder (parteilos, SH) vertretene Forderung um, die Stimmrechtsbescheinigungen zu erlassen. In der Folge konnten die Komitees also darauf verzichten, innerhalb der ihnen zur Verfügung stehenden Frist die gesammelten Unterschriften von den Gemeinden beglaubigen zu lassen. Für eine befristete Dauer sollte die Bundeskanzlei die Beglaubigung nach Ablauf der Fristen durchführen. Damit bleibe den Komitees «100 Tage Zeit fürs Sammeln, wie es in der Verfassung steht, und nicht nur 80», freute sich Daniel Graf, Gründer der Unterschriftensammelplattform «WeCollect» in der NZZ – freilich war jedoch 2013 die ursprüngliche Frist von 90 Tagen wegen des Aufwands der Stimmrechtsbescheinigung um 10 Tage verlängert worden.

Trotz dieser Massnahme des Bundesrates kämen wohl viele Volksbegehren nicht zustande, weil die «Face-to-Face-Demokratie [...] völlig eingebrochen» sei, erörterte etwa Oswald Sigg gegenüber den Medien, der für den erneuten Anlauf für seine Initiative «für ein bedingungsloses Grundeinkommen» Unterschriften sammelte. Entsprechend versuchten es verschiedene Komitees auch mit neuen Sammelformen. So wurden beispielsweise vermehrt Sammelplattformen wie etwa «WeCollect» bemüht. Das Komitee, das – letztlich erfolglos – ein Referendum gegen die Covid-19-App lancierte, schaltete gar in verschiedenen Regionalzeitungen Anzeigen mit Unterschriftenbogen.
Als Folgen der Schwierigkeiten des Sammelns machten die Medien nicht nur ein vermehrtes Scheitern an den Sammelhürden aus, sondern auch einen merklichen Rückgang der Zahl lancierter Volksbegehren. In der Tat wurden 2020 lediglich vier Initiativen lanciert – im Schnitt wurden seit 1979 für doppelt so viele Begehren pro Jahr Unterschriftensammlungen gestartet. Diskutiert wurde in den Medien zudem, dass die Balance zwischen direkter und repräsentativer Demokratie aus dem Gleichgewicht geraten könnte, wenn schwächer werdende Referendumsdrohungen dem Parlament mehr Spielraum lassen würden. Freilich nahm die Zahl ergriffener Referenden gar eher wieder zu und auch die Lancierung neuer Volksbegehren stieg ab 2021 wieder an: 2021 wurden neun neue Volksbegehren lanciert.

Dass die direkte Demokratie unter der Pandemie leide, zeige auch die Absage der Landsgemeinden in den Kantonen Glarus und Appenzell-Innerrhoden, urteilte die NZZ Ende August 2020. In Appenzell Innerrhoden, wo die Landsgemeinde 2020 und 2021 durch Urnengänge ersetzt wurde, wurde eine Stimmrechtsbeschwerde eingereicht. Diese wurde Anfang März 2022 vom Bundesgericht allerdings abgewiesen.