Präzisierung des Schutzbereichs in Artikel 185 Absatz 1 der Bundesverfassung (Mo. 20.3440)

Nationalrat Pirmin Schwander (svp, SZ) forderte mittels eines Postulats, dass der Bundesrat seine Definition des Schutzbereichs von Art. 185 Abs. 3 BV präzisiert und aufzeigt, wie er daraus seine Notrechtskompetenzen begründet. Der Artikel 185 BV regelt die bundesrätlichen Kompetenzen zur Wahrung der äusseren und inneren Sicherheit, wobei zur Reaktion auf eingetretene oder unmittelbar drohende schwere Störungen der öffentlichen Ordnung befristete Verordnungen oder Verfügungen erlassen werden dürfen. Der Nationalrat nahm den Vorstoss in der Herbstsession 2020 stillschweigend an. Konkret wurde der Bundesrat damit beauftragt zu klären, ob sich die Notrechtskompetenzen auf sicherheitspolitische Anliegen beschränken oder ob sie auch in der Verfolgung anderer politischer Ziele ihre Gültigkeit haben. Die geforderte Prüfung sei dringend notwendig, da Fragen zur Rechtsgrundlage beantragter Kredite von den Aufsichtskommissionen in der Notrechtssituation der Covid-19-Pandemie nicht einheitlich beurteilt würden, argumentierte der Motionär. In Krisensituationen sei deren einheitliche Klärung jedoch unerlässlich. Der Bundesrat hatte die Annahme des Postulates beantragt.

Anwendung von Notrecht (Po. 23.3438)

Dossier: Postulate zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS
Dossier: Vorstösse als Folge der CS-Übernahme

Der Bundesrat muss in einem Bericht die gesetzlichen Grundlagen und Grenzen des Notrechts aufzeigen und dabei insbesondere erörtern, inwiefern die Artikel 184 und 185 BV als Rechtsgrundlage genügen. Der Nationalrat überwies in der ausserordentlichen Session vom April 2023 stillschweigend ein entsprechendes Postulat seiner Rechtskommission. Die genannten Verfassungsartikel bemächtigen den Bundesrat, zur «Wahrung der Interessen des Landes» (Art. 184 Abs. 3 BV) bzw. «um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen» (Art. 185 Abs. 3 BV), Verordnungen und Verfügungen zu erlassen. Auf solch verfassungsunmittelbarem Verordnungsrecht (sog. Notrecht) beruhten unter anderem die Massnahmen zur Stabilisierung des Finanzplatzes, die der Bundesrat im Zusammenhang mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS im März 2023 getroffen hatte. Dies hatte die RK-NR zur Einreichung des Postulats veranlasst.
Wie Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider erklärte, werde die Regierung die Frage zusammen mit jener des bereits 2020 überwiesenen Postulats Schwander (svp, SZ; Po. 20.3440) untersuchen, welches das Notrecht im Zusammenhang mit den Corona-Krediten thematisiert. Darüber hinaus fragte das Postulat der RK-NR auch danach, wie die Mitwirkung des Parlaments bei der Anwendung von Notrecht verbessert werden könnte. Hier lege der Bundesrat allerdings «eine gewisse Zurückhaltung» an den Tag, so die Justizministerin, da das Parlament im Rahmen der parlamentarischen Initiativen 20.437 und 20.438 diesbezüglich gerade neue Regelungen verabschiedet habe.

In Erfüllung zweier Postulate (Po. 23.3438 und Po. 20.3440) veröffentlichte der Bundesrat im Juni 2024 einen Bericht zur Anwendung, zu den gesetzlichen Grundlagen und zu den Grenzen des Notrechts. Dabei verwies er auf verschiedenste vergangene Krisen wie die Covid-19-Pandemie oder die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS, welche den Rückgriff auf Notrecht zur Gewährleistung der Handlungsfähigkeit der Schweiz nötig gemacht hatten. Der Bundesrat sei sich jedoch bewusst, dass mit der Anwendung von Notrecht jeweils eine Verschiebung der Machtverhältnisse von den Kantonen zum Bund und vom Parlament zum Bundesrat einhergehe und daher eine erhöhte Begründungs- und Rechtfertigungspflicht der Regierung bestehe. Aus diesen Gründen sollen in Zukunft die Anwendung von Notrecht und entsprechende Verordnungen gegenüber der Öffentlichkeit aktiver kommuniziert und damit die Transparenz erhöht werden. Zudem soll eine systematische Übersicht über die in der Vergangenheit erlassenen Notverordnungen des Bundesrats geschaffen werden. Um die Rechtssicherheit zu stärken, werde das verantwortliche BJ zur vorgängigen Prüfung der Verfassungsmässigkeit der bundesrätlichen Gesetzgebung mehrere Instrumente erarbeiten, darunter ein Prüfschema für die zuständigen Departemente zur Kontrolle ihrer Verordnungen. Schliesslich solle die Resilienz gegenüber Krisen gestärkt werden, indem neue Leitlinien zu spezialgesetzlichen Bestimmungen für die Bundesverwaltung im Krisenfall erarbeitet würden. Alle genannten Massnahmen sollen laut Regierung bis Ende 2025 umgesetzt sein.