Gewaltvorfälle in Bundesasylzentren

Aufgrund der vor wenigen Jahren beschlossenen Restrukturierung des Asylsystems, die eine Beschleunigung der Asylverfahren bezweckte, werden seit dem Frühjahr 2019 alle Asylsuchenden zu Verfahrensbeginn in die Bundesasylzentren (BAZ) gebracht, die in der Verantwortung des SEM liegen. Erst wenn nach 140 Tagen kein rechtskräftiger Asylentscheid vorliegt, werden die Personen in die Zuständigkeit der Kantone überführt. Das SEM kann in den BAZ verschiedene Aufgaben an externe Unternehmen auslagern, so auch Sicherheitsaufgaben, die das Staatssekretariat an die privaten Sicherheitsfirmen Securitas und Protectas übertrug.

Im Frühling 2020 berichteten die WOZ und die SRF-Sendung «Rundschau» in einer gemeinsamen Recherche über Gewalt in Bundesasylzentren. Die Vorwürfe umfassten grundlose und übertriebene Gewaltanwendung sowie unverhältnismässigen Einsatz von Disziplinarmassnahmen durch Securitas Mitarbeitende gegenüber Asylbewerbenden im Bundesasylzentrum Bässlergut in Basel. Die Vorwürfe wurden von Asylsuchenden sowie von Aktivistinnen und Aktivisten von «3 Rosen gegen Grenzen» erhoben, welche über ein Dutzend Vorfälle und die dabei entstandenen Verletzungen bei den Asylsuchenden dokumentierten. Besonders in Kritik stand der sogenannte «Besinnungsraum», in welchem Asylsuchende gemäss Anweisung des SEM nur für maximal zwei Stunden festgehalten werden dürften, um eine von ihnen ausgehende unmittelbare Gefahr abzuwenden: Dieses Strafmass werde unverhältnismässig und unter Missachtung der Anweisungen eingesetzt. Zudem wurden Sicherheitskräfte des Rassismus gegenüber Personen aus Nordafrika beschuldigt. Den Darstellungen der Asylbewerbenden standen diejenigen der Sicherheitsmitarbeitenden entgegen, welche die beschriebenen Vorfälle anders darstellten und ihrerseits Vorwürfe erhoben: Sie seien selber Beschimpfungen, Bedrohungen oder tätlichen Angriffen von den Asylbewerbenden ausgesetzt. Das SEM nahm zu den Medienberichten Stellung und ortete kein strukturelles Problem, werde aber den erhobenen Vorwürfen nachgehen.

Das mediale Interesse an den Geschehnissen in den Bundesasylzentren nahm im Frühjahr 2021 wieder zu, als Ende April 2021 verschiedene Medien über massive Drohungen und Sachbeschädigungen gegenüber einer im BAZ Basel stationierten Mitarbeiterin berichteten, worauf das SEM Anzeige erstattete. Auf Internetplattformen, die dem linksradikalen Spektrum zugeordneten werden, war diese Person zuvor fälschlicherweise als Leiterin des BAZ Bässlergut bezeichnet worden, woraus die Medien Rückschlüsse auf die Täterschaft zogen. Zudem hatten RTS, die Rundschau und die WOZ die Gewaltvorfälle erneut und während mehrerer Monate untersucht und ihre Belege dazu Anfang Mai präsentiert. Im Zuge der Recherchen war diesen Medien unter anderem eine Tonaufnahme zugespielt worden, die zeigte, dass Sicherheitsleute in Boudry ein Protokoll zur Festhaltung einer Asylbewerbenden im Besinnungsraum verfälscht hatten. Mitte Mai legte Amnesty International einen ebenfalls von den Medien beachteten Bericht vor, der basierend auf Befragungen von 32 Personen, darunter Asylbewerbende, aktuelle und ehemalige Sicherheitsmitarbeitende, Rechtsvertretende, Sozialpädagoginnen und -pädagogen sowie Betreuerinnen und Betreuer, Menschenrechtsverletzungen in Bundesasylzentren dokumentierte und die dortige Situation als alarmierend bezeichnete. Gemäss einer Medienmitteilung der Menschenrechtsorganisation seien die Missbräuche so schwer, dass sie «in einzelnen Fällen den Tatbestand der Folter oder anderer Misshandlungen erfüllen und die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz verletzen könnte[n]».

Anfang Mai 2021 gab das Staatssekretariat für Migration in einer Medienmitteilung bekannt, den Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer beauftragt zu haben, die von den Medien erhobenen Vorwürfe zu untersuchen. Zudem werde ein internes Audit zur «Überprüfung der internen Abläufe und deren Umsetzung im Sicherheitsbereich» durchgeführt, wobei sowohl die Frage der Aus- und Weiterbildung des Sicherheitspersonals als auch die Möglichkeit der Schaffung einer externen Beschwerdestelle für Asylsuchende überprüft werden soll, so das SEM. Ebenfalls seien Strafanzeigen in Zusammenhang mit mehreren der dokumentierten Vorfälle in die Wege geleitet und 14 Sicherheitsmitarbeitende in den Zentren Boudry NE, Altstätten SG und Basel suspendiert worden.

Mitte Oktober 2021 präsentierte Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer seinen Bericht über die Gewaltvorfälle in den Bundesasylzentren. Nach der Untersuchung von sieben Vorfällen, die das SEM in Auftrag gegeben hatte, kam er in drei Fällen zum Schluss, dass die Mitarbeitenden unverhältnismässig und eventuell auch rechtswidrig gehandelt hatten. In zwei Fällen seien dabei relativ banale Vorfälle eskaliert und hätten schliesslich zu unverhältnismässigen Disziplinarstrafen geführt, die teilweise auch gegenüber minderjährigen Asylbewerbenden angewendet worden seien. In drei weiteren Fällen seien die angewendeten Zwangsmassnahmen aufgrund erheblicher Gewaltbereitschaft einer einzelnen, stark alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss stehenden Person jedoch verhältnismässig und angemessen gewesen. Im letzten untersuchten Fall konnte keine klare Beurteilung getroffen werden.

Der Alt-Bundesrichter folgerte in seinem Bericht, dass die Untersuchung keine Hinweise auf systematische Gewalt in den Bundeszentren geliefert hätte und wies den von Nichtregierungsorganisationen geäusserten Verdacht auf Folter als irreführend und falsch zurück. Dabei betonte er, dass auch die UNHCR Schweiz und die NKVF nach «eingehenden Besuchen vor Ort» zum Schluss gekommen seien, dass die Menschen- und Grundrechte in den BAZ grundsätzlich eingehalten würden. Zudem hob er hervor, dass das SEM in sechs der sieben von ihm untersuchten Fällen von sich aus bereits Strafuntersuchungen eingeleitet habe, was dem Untersuchungsleiter zufolge ein Beleg dafür sei, dass der Rechtsschutz in den Asylzentren funktioniere.

Dennoch enthielt der Bericht 12 Empfehlungen an das SEM. Unter anderem regte Niklaus Oberholzer das Staatssekretariat an, die Ausgliederung der Sicherheitsaufgaben an private Anbieter zu überdenken, da eine solche «[k]eine direkte Einflussnahme in einem derart hochsensiblen Bereich staatlichen Handeln[s]» ermögliche. Er empfahl daher, dass das SEM Schlüsselpositionen in den Zentren im Sicherheitsbereich mit eigenen Mitarbeitenden besetzen sollte. Zudem müsse das Aus- und Weiterbildungskonzept von Sicherheitskräften überprüft werden, so Oberholzer. Es müsse sichergestellt werden, dass das Sicherheitspersonal für die spezifischen Herausforderungen und Bedürfnisse der Asylsuchenden in den Bundesasylzentren sensibilisiert sei. Nicht zuletzt empfahl der Bericht den Gesetzgebenden auch, die Anwendung polizeilichen Zwangs, die Durchsuchung und das Disziplinarwesen auf Gesetzesstufe zu regeln.
Amnesty International, die im vergangenen Mai einen Bericht über Menschenrechtsverletzungen in Bundesasylzentren verfasst hatte, begrüsste gemäss Medienberichten die Empfehlungen des Berichts, wünschte sich aber weitergehende Schritte. So sei etwa auch ein gänzlich unabhängiger Beschwerdemechanismus sowie ein effektiver Schutz für Whistleblower nötig. Schliesslich beharrte die Menschenrechtsorganisation darauf, dass einzelne der von ihr dokumentierten Vorfälle als Folter eingestuft werden könnten. Oberholzer hatte im Zuge der Erstellung des Berichts mit Amnesty Gespräche geführt, aufgrund des Quellenschutzes jedoch keinen Zugang zu den Dokumentationen der Organisation erhalten.

In einer ersten Reaktion auf den Bericht wies das SEM darauf hin, dass mittlerweile bereits ein umfassendes Gewaltpräventionskonzept erarbeitet und in Kraft getreten sei. Damit hätten die Polizeieinsätze im zweiten Quartal 2021 im Vergleich zum ersten Quartal bereits um 40 Prozent gesenkt werden können. Zudem sei die Schaffung einer Beschwerdestelle in die Wege geleitet sowie die Rapportierung von Vorfällen angepasst worden. Das Staatssekretariat versprach, die bislang noch nicht umgesetzten Empfehlungen auf ihre Umsetzbarkeit hin zu prüfen. Es sei zudem bereits geplant, den Einsatz der Besinnungsräume möglichst bald auf Verordnungsstufe zu regeln. Die Besinnungsräume dürften nur in Notsituationen und «nach Avisierung der Polizei» eingesetzt werden. Motiviert worden waren diese Anpassungen auch durch einen im März 2021 erfolgten unangekündigten Besuch von Mitarbeitenden des CPT im BAZ in Boudry, die in ihrem im April vorgelegten Bericht ebenfalls das Disziplinarwesen und die Anwendung des Besinnungsraumes kritisiert hatten. Ebenso hatte ein im Dezember 2020 erschienener Bericht der NKVF zu Verbesserungen im Sicherheitsbereich angeregt. Aufgrund der besagten Berichte und der von den Medien erhobenen Vorwürfe hatte das SEM im Sommer 2021 ein internes Audit durchgeführt, das zu ähnlichen Erkenntnissen wie der Untersuchungsbericht Oberholzer gekommen war.

Weitere Reaktionen des SEM auf den Bericht zu Gewalt in Bundesasylzentren

Das SEM reagierte mit verschiedenen Massnahmen auf die im Bericht von alt-Bundesrichter Oberholzer geäusserten Empfehlungen zur Verbesserung der Sicherheitssituation in den Bundesasylzentren. So baute das Staatssekretariat in den Bereichen Sicherheit und Betreuung seine Präsenz in den Bundesasylzentren aus. Weiter setzte das SEM in den BAZ zusätzliche Betreuerinnen und Betreuer für die Konfliktprävention ein, was zusammen mit dem bereits vorgängig etablierten Gewaltpräventionskonzept zu einem signifikanten Rückgang der sicherheitsrelevanten Vorfälle führte. In einer Änderung der Verordnung des EJPD über den Betrieb von Zentren des Bundes und Unterkünften an den Flughäfen, die Mitte Januar 2023 in Kraft trat, konkretisierte das SEM ferner die Bestimmungen zur Durchsuchung sowie zum Einsatz der sogenannten Besinnungsräumen aufgrund Abwendung einer unmittelbaren Gefahr. Weitere Massnahmen im Sicherheits- und Disziplinarbereich erforderten eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen.

Nicht zuletzt nahmen im November 2022 im Rahmen eines 18-monatigen Pilotprojektes zwei «externe Meldestellen» ihre Arbeit auf, die aufgrund fehlender gesetzlicher Grundlage administrativ nach wie vor dem SEM unterstanden. Diese in unmittelbarer Nähe der Bundesasylzentren in Basel und Zürich errichteten und vom Schweizerischen Arbeitshilfswerk (SAH) betriebenen Stellen stehen Asylsuchenden und BAZ-Mitarbeitenden zur Deponierung derer Anliegen in den Bereichen Unterbringung, Betreuung und Sicherheit offen. Nach Ende der Laufzeit wird das Pilotprojekt evaluiert werden.

Änderung des Asylgesetzes betreffend Sicherheit und Betrieb in den Zentren des Bundes (BRG 24.038)

Im Frühling 2020 berichteten verschiedene Medien über Vorkommnisse von Gewaltanwendung durch Mitarbeitende der Bundesasylzentren gegenüber den dort untergebrachten Asylsuchenden. Auch wenn ein daraufhin vom Bund in Auftrag gegebener Untersuchungsbericht keine Hinweise auf systematische Gewalt in Bundesasylzentren nachweisen konnte, war in Einzelfällen ein Machtmissbrauch der Sicherheitskräfte gegenüber Asylsuchenden festgestellt worden. Aus diesen Gründen empfahl der Autor des Berichts Verbesserungen im Bereich des Sicherheitsregimes und des Disziplinarwesens. Während gewisse der 12 Empfehlungen des Berichts durch Anpassungen der Weisungen des SEM sowie der entsprechenden EJPD-Verordnung umgesetzt werden konnten, erforderten andere eine Änderung des Asylgesetzes.

Im Januar 2023 gab der Bundesrat eine entsprechende Änderung des Asylgesetzes betreffend Sicherheit und Betrieb in den Zentren des Bundes in die Vernehmlassung. Konkret soll im Asylgesetz ein neuer Abschnitt zu «Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen» eingeführt werden. Darin soll zum einen klar geregelt werden, in welchen Fällen das SEM zur Gewährung der Sicherheit und Ordnung polizeilichen Zwang anwenden darf. Ebenso soll neu auf Gesetzesebene spezifiziert werden, welche Art von Disziplinarmassnahmen zulässig sind sowie die Grundzüge des Disziplinarverfahrens geregelt werden. Weiter soll mit der Gesetzesänderung festgelegt werden, welche Aufgaben der Bund in den Bereichen Betreuung, Unterbringung und Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung an Dritte übertragen kann. Betreffend die Übertragung von Aufgaben der Sicherheit und Ordnung hielt der Bundesrat auch fest, dass das SEM sicherstellt, dass die Angestellten der Auftragnehmenden «eine im Hinblick auf den Umgang
mit asylsuchenden Personen geeignete Ausbildung erhalten». Nicht zuletzt sollen mit der Gesetzesanpassung auch die bislang in der Verordnung festgehaltenen Bestimmungen auf Gesetzesebene gehoben werden, die es erlauben, in einem BAZ oder in einer Unterkunft am Flughafen untergebrachte Asylsuchende und ihre mitgeführten Gegenstände zu durchsuchen.

In der Vernehmlassung äusserten sich neben 44 interessierten Kreisen alle 26 Kantone, das Bundesverwaltungsgericht sowie mit der Mitte, den Grünen, der SP, EVP und SVP fünf politische Parteien. Die Mehrheit der Kantone begrüsste den Entwurf – ebenso wie die KKJPD, die KKPKS und die VKM – und brachte nur wenige Anpassungsvorschläge ein. Von den Parteien stellten sich die Mitte und die SVP vorbehaltlos hinter den Entwurf, während die übrigen drei Parteien den Entwurf im Grunde unterstützten, aber gewisse Punkte bemängelten. So wünschte sich die Grüne Partei zusätzlich spezifische Massnahmen zum Schutze der unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UMA), und sowohl die SP als auch die EVP und die Kirchen lehnten die Zuweisung von Aufgaben an die religiöse Seelsorge durch den Bund ab, da der Bund dadurch seine religiöse Neutralität einbüssen würde. Ferner störte sich die SP grundsätzlich am Umstand, dass die Massnahmen beinahe ausnahmslos bei den Asylsuchenden und nicht bei den Mitarbeitenden der Zentren des Bundes ansetzten. In ein ähnliches Horn stiess auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe; ihrer Meinung nach orientierte sich der Entwurf zu wenig an den Bedürfnissen der Asylsuchenden. Andere Organisationen, die sich für Menschen auf der Flucht einsetzen, lehnten die Vorlage gänzlich ab, da die vorgeschlagenen Massnahmen zur Bekämpfung von systematischer Gewalt in den Bundesasylzentren nicht wirksam seien. Änderungsvorschläge wurden von links-grünen Parteien sowie Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen unter anderem bei den Durchsuchungsbestimmungen gewünscht. So verlangten sie etwa, dass Durchsuchungen nur bei volljährigen Personen und nur bei einem konkreten Verdacht erfolgen dürften. Auch bezüglich der Disziplinarmassnahmen zeigten sich die genannten Akteure kritisch, etwa weil diese auch gegen Minderjährige eingesetzt werden könnten. Auch die Möglichkeit, Asylsuchende als Disziplinarmassnahme bis zu 72 Stunden vom öffentlichen Leben in den BAZ auszuschliessen, wurde von dieser Seite als unverhältnismässig eingestuft. Widerstand regte sich entsprechend auch gegen die Möglichkeit der bis zu zweistündigen Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr; eine Massnahme, die bereits bei 15-jährigen Personen getroffen werden könnte. Nicht zuletzt wurden von diesen Vernehmlassungsteilnehmenden auch Forderungen nach einer Präzisierung der Bestimmungen zur Aufgabenübertragung an Dritte laut.

Als Reaktion auf die Vernehmlassungsantworten nahm der Bundesrat in seiner im April 2024 präsentierten Botschaft mehrere Änderungen am Vernehmlassungsentwurf vor. So konkretisierte er auf Anregung des BVGer, dass das SEM die zuständige Behörde für die Durchsuchung sei, hielt jedoch an der generellen Möglichkeit einer Durchsuchung fest. Bezüglich der Disziplinarmassnahmen spezifizierte er, dass diese verhältnismässig sein müssten und dass die Interessen der Minderjährigen angemessen zu berücksichtigen seien. Ergänzend hielt er fest, dass bei Minderjährigen pädagogische Massnahmen Vorrang haben sollen. Was den bis zu 72 Stunden dauernden Ausschluss aus den allgemein zugänglichen Räumen des BAZ betrifft, präzisierte er unter anderem, dass den Betroffenen während dieser Zeit der Zugang zur Rechtsberatung und -vertretung sichergestellt werden muss. Zudem konkretisierte er die Möglichkeiten des Beschwerdeverfahrens gegen die Disziplinarmassnahmen und hielt fest, dass Asylsuchende nach Eintritt in das BAZ oder in die Unterkunft am Flughafen über die Disziplinarmassnahmen sowie über die Beschwerdewege gegen die Massnahmen orientiert werden müssen. Er weitete aber den Anordnungsbereich der Disziplinarmassnahmen auch aus, indem er auf Anregung der Kantone Tessin und Freiburg das SEM im Falle der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ermächtigte, solche Massnahmen auch ausserhalb der Zentren oder der Flughafenunterkunft zu ergreifen, sofern das pflichtwidrige Verhalten «in unmittelbarer Nähe der Unterkunft» geschehen sei. Schliesslich strich der Bundesrat in seiner Botschaft die im Vorentwurf noch vorgesehenen Bestimmungen zur Übertragung der Aufgaben an die religiöse Seelsorge.

In der Herbstsession 2024 beugte sich der Nationalrat als Erstrat über die Änderung des Asylgesetzes betreffend Sicherheit und Betrieb in den Zentren des Bundes. Eintreten war unbestritten. Während die Kommissionsmehrheit in der Detailberatung lediglich eine massgebliche Änderungen zur Vorlage des Bundesrates beantragte, brachten sowohl die SVP auf der einen als auch die SP und die Grünen – teilweise unterstützt durch die EVP – auf der anderen Seite etliche Minderheitsanträge vor.

Wie Kommissionssprecher Schilliger (fdp, LU) zu Beginn der Debatte bemerkte, hielten beide Seiten die Vorlage für unausgewogen; «die einen zu sehr zugunsten der Asylsuchenden, [...] die anderen zu sehr zu deren Ungunsten». Während linke Minderheiten minderjährige Asylsuchende besser schützen wollten, indem sie Disziplinarmassnahmen (Minderheit II Klopfenstein Broggini; gp, GE) sowie die vorübergehende Festhaltung (Minderheit I Jost; evp, BE) nur bei Volljährigen und die Durchsuchung von Minderjährigen nur auf konkreten Verdacht hin (Minderheit II Klopfenstein Broggini) zulassen wollten, beantragten rechte Minderheiten die Streichung der im bundesrätlichen Entwurf vorgesehenen Bestimmungen, wonach bei diesen Massnahmen den Interessen minderjähriger Asylsuchender angemessen Rechnung zu tragen sei: Eine Minderheit II Schmid Pascal (svp, TG) bei Festhaltung sowie zwei Minderheiten I Riner (svp, AG) bei Disziplinarmassnahmen und Durchsuchung. Auch bei der Frage, inwiefern Waffen eingesetzt werden sollen, gingen die Meinungen auseinander. Die Botschaft des Bundesrates sah vor, bei polizeilichem Zwang und polizeilichen Massnahmen auf den Einsatz von Waffen zu verzichten. Während eine linke Minderheit I Schläfli (sp, TG) auch den Einsatz von Hilfsmitteln (z.B. Pfeffersprays) verbieten wollte, pochte eine Minderheit II Fischer (svp, ZH) auf die Möglichkeit des Waffeneinsatzes. Die Meinungen gingen auch über die Beschwerdemöglichkeiten bei Disziplinarmassnahmen auseinander. Eine linke Minderheit II Tschopp (sp, VD) verlangte anstelle der vom Bundesrat vorgesehenen dreitägigen Frist ein dreissigtägiges Fenster zur Einreichung einer Beschwerde gegen die Anordnung einer Disziplinarmassnahme. Auf der anderen Seite empfanden zwei Minderheiten Schmid Pascal eine eintägige Frist als ausreichend und wollten den Entscheid der Beschwerdeinstanz für endgültig erklären. Gemäss diesen Minderheiten sollte für die Massnahme der Zuweisung in ein besonderes Zentrum dasselbe Beschwerdefenster und derselbe Beschwerdeweg gelten wie für die restlichen Disziplinarmassnahmen. Asylsuchende können als Disziplinarmassnahme für einen bestimmten Zeitraum in ein besonderes Zentrum verlegt werden, wenn sie den ordentlichen Betrieb eines Bundesasylzentrums gestört haben. In einem besonderen Zentrum wird die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden durch strengere Ausgangsregeln und verstärkte Sicherheitsvorkehrungen stärker eingeschränkt als in den BAZ. Der Bundesrat und die Kommissionsmehrheit wollten hier den bisherigen Weg über eine Zwischenverfügung beschreiten und basierend auf einem BVGer-Urteil aus dem Jahr 2020 eine 30-tägige Beschwerdefrist nach Anordnung der Massnahme vorsehen.
Darüber hinaus beantragte die Ratsrechte weitere Verschärfungen; so wollte sie die maximale Dauer des Ausschlusses von den öffentlich zugänglichen Räumen der BAZ von 72 Stunden auf 10 Tage (Minderheit Knutti; svp, BE) sowie diejenige zur vorübergehenden Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr von 2 auf 6 Stunden (Minderheit Glarner; svp AG) anheben. Nicht zuletzt sollte die vorübergehende Festhaltung auch möglich werden, ohne dass die von der Person ausgehende Gefahr «ernsthaft» ist (Minderheit II Steinemann; svp, ZH). Auf der gegenüberliegenden Seite versuchte ein weiterer Minderheitsantrag Klopfenstein Broggini, im Entwurf auch für die Aufgabenübertragung an Dritte in den Bereichen Unterbringung und Betreuung spezifische Anforderungen hinsichtlich Rekrutierung, Ausbildung und Kontrolle des Personals einzuführen und eine Minderheit Glättli (gp, ZH) wollte sicherstellen, dass die Qualitätskontrollen bei der Aufgabenübertragung an Dritte unabhängig erfolgen. So zahlreich diese Minderheitsanträge auch waren, so chancenlos blieben sie im Rat: Mit einer Ausnahme fanden sie keine Zustimmung über die Fraktionen der SVP, respektive über die Fraktionen der SP und der Grünen hinaus.

Als einzige Ausnahme erfolgreich entpuppte sich eine Minderheit Rutz (svp, ZH). Diese wollte festhalten, dass Mitarbeitende des SEM in den Zentren des Bundes und in den Unterkünften an den Flughäfen zu Sicherheitszwecken auch elektronische Geräte durchsuchen dürfen. Bundesrat Jans hatte sich ablehnend gegen diese Forderung gestellt, da er diese als zu ungenau erachtete und einen Konflikt mit den in der Verfassung festgehaltenen Grundrechten ortete. Zudem verwies er auf eine kürzlich verabschiedete Änderung des Asylgesetzes, welche die Überprüfung von Mobiltelefonen in gewissen, klar definierten Fällen bereits erlaube. Hinter den Antrag Rutz stellten sich neben der SVP-Fraktion auch die geschlossene FDP-Fraktion sowie beinahe die gesamte Mitte-EVP-Fraktion, womit der Nationalrat dem Antrag mit 117 zu 72 Stimmen (keine Enthaltungen) zustimmte.
Eine weitere Änderung der bundesrätlichen Vorlage beschloss der grosse Rat durch die Annahme eines Antrags der Kommissionsmehrheit, womit er mit Unterstützung der geschlossen stimmenden Fraktionen der SVP, FDP, Mitte-EVP und GLP den räumlichen Anwendungsbereich der Disziplinarmassnahmen ausweitete: Nicht nur sollen Disziplinarmassnahmen bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in BAZ und deren unmittelbarer Nähe ergriffen werden können, sondern auch, wenn die Gefährdung «in der Umgebung» des Bundesasylzentrums stattfand. Auch gegen diesen Antrag hatte sich der Bundesrat gesträubt, da der Kompetenzbereich im weiteren Umkreis des Bundesasylzentrums in die Zuständigkeit der Kantone fällt.

Die abgeänderte Vorlage passierte die Gesamtabstimmung mit 104 zu 87 Stimmen (keine Enthaltungen). Die ablehnenden Stimmen stammten aus den geschlossen dagegen votierenden Fraktionen der SVP und der Grünen, denen die Vorlage nach Ende der Detailberatung offensichtlich nach wie vor zu unausgewogen war.

In der Wintersession 2024 beugte sich der Ständerat über die Änderung des Asylgesetzes betreffend Sicherheit und Betrieb in den Zentren des Bundes. Auch im Zweitrat war Eintreten unbestritten.

In der Detailberatung zeigte sich eine ähnliche Ausgangslage wie in der Erstberatung im Nationalrat: Auf der einen Seite lagen diverse Anträge auf Verschärfungen bei den Disziplinarmassnahmen vor, während auf der anderen Seite linke Minderheitsanträge versuchten, den Schutz von vulnerablen und minderjährigen Asylsuchenden zu verbessern oder Verschärfungen zu verhindern. Im Unterschied zur Beratung im Nationalrat waren letztere jedoch weniger zahlreich und erstere – die ebenfalls anders als im Nationalrat auch durch Kommissionsmehrheiten initiiert wurden – fanden nicht selten eine Mehrheit im Rat. So nahm der Ständerat mit knappen 21 zu 20 Stimmen (ohne Enthaltungen) erstens eine Minderheit Salzmann (svp, BE) an, welche den Einsatz von Waffen im Falle der Anwendung polizeilichen Zwangs oder polizeilicher Massnahmen nicht explizit verbieten wollte. Er tat dies nach einem ausführlichen Votum von SPK-SR-Sprecher Fässler (mitte, AI), der durch die Annahme des Minderheitsantrages dem Parlament Zeit geben wollte, zu klären, inwiefern auch «Reizstoffe, nicht tödlich wirkende Destabilisierungsgeräte sowie Schlag- und Abwehrstöcke» als Waffen gelten oder nicht. Auf Antrag einer hauchdünnen Kommissionsmehrheit (6 zu 5 Stimmen, 1 Enthaltung) beschloss der Ständerat zweitens mit 25 zu 15 Stimmen (1 Enthaltung), dass Asylsuchende als Disziplinarmassnahme nicht mehr bis zu 72 Stunden, sondern bis zu 10 Tage von den allgemein zugänglichen Räumen eines Bundesasylzentrums ausgeschlossen werden dürfen. Drittens entfernte der Ständerat auf Antrag einer weiteren Kommissionsmehrheit (7 zu 5 Stimmen) die bestehende Möglichkeit, bei Zuweisung in ein besonderes Zentrum eine Beschwerde an das BVGer zu stellen, aus dem Entwurf. Wie eine Minderheit Engler (mitte, GR) beantragte auch Bundesrat Jans, diese Beschwerdemöglichkeit an ein unabhängiges Gericht intakt zu lassen. Mit der Streichung dieser Möglichkeit gehe der Ständerat ans «Eingemachte», denn damit entfalle die Rechtsweggarantie, die zum Kern der Rechtsstaatlichkeit gehöre, so Jans. Der Ständerat folgte der Kommissionsmehrheit mit 22 zu 19 Stimmen (ohne Enthaltungen), wobei die Mitglieder der SVP- und FDP-Fraktion sowie beinahe die Hälfte der Mitte-Fraktion und ein SP-Mitglied für den Mehrheitsantrag einstanden.

Weitere Differenzen zum Nationalrat schuf der Ständerat dadurch, dass er bei der Durchsuchung und beim Verhängen von Disziplinarmassnahmen dem «Schutz» anstelle der «Interessen» von minderjährigen Asylsuchenden angemessen Rechnung tragen wollte. Er tat dies auf Antrag seiner Kommission, die das Wort «Schutz» als weniger missverständlich erachtete als das Wort «Interessen». Zudem ergänzte der Ständerat, einer weiteren Kommissionsmehrheit folgend, die nicht abschliessende Aufzählung der Aufgaben des SEM beim Betrieb von BAZ und Unterkünften an den Flughäfen: Indem man die Liste um die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von Frauen und Kindern in Bezug auf ihre Sicherheit ergänzte, sollte gemäss Kommissionsmehrheit die Wichtigkeit dieser Aufgabe betont werden. In der Gesamtabstimmung stellte sich der Ständerat schliesslich einstimmig und ohne Enthaltungen hinter den so abgeänderten Gesetzesentwurf, der somit zur Differenzbereinigung zurück an den Nationalrat ging.