Volksinitiative «für die Unverjährbarkeit von pornografischen Straftaten an Kindern» (07.063)

Als PDF speichern

Eine Gruppe mit dem Namen „Marche Blanche“, welche sich seit einiger Zeit vor allem in der Romandie für den Schutz von Kindern vor sexuellen Gewalttaten einsetzt, lancierte im August eine Volksinitiative, welche verlangt, dass es für sexuelle und pornografische Straftaten, welche an Kindern vor ihrer Pubertät begangen werden, keine Verjährung mehr geben soll. Der Nationalrat gab in diesem Bereich zwei parlamentarischen Initiativen Folge. Die erste stammte von Glasson (fdp, FR) und war unbestritten. Sie verlangte, dass das organisierte Verbrechen an Kindern (Kinderhandel, Kinderprostitution etc.) als Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert wird. Dies würde es erlauben, Täter unabhängig von ihrem Aufenthaltsort und dem Tatort in der Schweiz strafrechtlich zu verfolgen. Die zweite gutgeheissene parlamentarische Initiative kam von Abate (fdp, TI). Ihr Ziel ist es, das Strafmass für sexuelle Handlungen mit Kindern zu erhöhen. Der Nationalrat stimmte dabei gegen den Antrag seiner Rechtskommission. Diese hatte vergeblich gewarnt, dass damit die mit der Revision des Sexualstrafrechts von 1991 geschaffene Unterscheidung zwischen schweren Taten und solchen, die ohne Anwendung von psychischer oder physischer Gewalt ausgeübt werden, aufgehoben würde.

Dossier: Unverjährbarkeitsinitiative – Abstimmung und Umsetzung

Die Gruppe „Marche blanche“ reichte ihre 2004 lancierte Volksinitiative „für die Unverjährbarkeit von pornografischen Straftaten an Kindern" im März ein. In einer ersten Stellungnahme empfahl der Bundesrat das Begehren zur Ablehnung. Vor allem auch aus der Sicht der Opfer wäre es seiner Ansicht nach problematisch, wenn bei Prozessen, die sehr lange Zeit nach der Tat stattfinden, die Beweiserbringung derart erschwert wäre, dass sie mit einem Freispruch enden müssten. Die Regierung beauftragte das EJPD, einen indirekten Gegenvorschlag auszuarbeiten. Dieser könnte zum Beispiel den Beginn des Laufens der Verjährungsfrist auf das Mündigkeitsalter ansetzen. Diese Kritik des Bundesrates an der Initiative teilten auch Fachleute. Sie wiesen neben den Schwierigkeiten der Prozessführung auch auf die Unverhältnismässigkeit der Forderung hin, gilt doch das Prinzip der Unverjährbarkeit bisher allein bei Völkermord.

Dossier: Unverjährbarkeitsinitiative – Abstimmung und Umsetzung

Das Parlament stimmte dem Vorschlag des Bundesrats zu, der Volksinitiative „für die Unverjährbarkeit von pornografischen Straftaten an Kindern“ einen indirekten Gegenvorschlag entgegen zu stellen. Dieser bestimmt, dass bei schweren Sexualtaten an Kindern die 15 Jahre dauernde Verjährungsfrist nicht ab der Tat, sondern erst ab der Volljährigkeit des Opfers zu laufen beginnt.
Beide Ratskammern empfahlen die Volksinitiative zur Ablehnung. Sie zeigten zwar Verständnis für das Anliegen, betrachteten aber den Initiativtext aus den gleichen Gründen wie der Bundesrat als ungeeignet. Er sei nicht nur unpräzise was den Tatbestand und den Kreis der Betroffenen angehe (pornographische Straftaten begangen an Kindern vor der Pubertät), sondern überfordere auch die Justiz, wenn sie mehrere Jahrzehnte nach einer Straftat noch Ermittlungen durchführen soll. Im Nationalrat unterstützten alle Fraktionen den indirekten Gegenvorschlag. Da aber ein Antrag der SVP, den Beginn der Laufzeit der Verjährungsfrist nicht auf das 18., sondern auf das 25. Altersjahr zu verschieben, mit 109 zu 58 Stimmen abgelehnt wurde, stimmten eine Mehrheit der SVP und eine Minderheit der CVP in der Gesamtabstimmung auch für die Volksinitiative. In der Schlussabstimmung in der Sommersession schloss sich dann doch eine deutliche Mehrheit der SVP-Fraktion der Ablehnungsempfehlung an (42 zu 15 bei einer Enthaltung). Im Ständerat fielen die Entscheide gegen die Volksinitiative und für den Gegenvorschlag einstimmig aus.

Dossier: Unverjährbarkeitsinitiative – Abstimmung und Umsetzung

Das Parlament stimmte dem Vorschlag des Bundesrats zu, der Volksinitiative „für die Unverjährbarkeit von pornografischen Straftaten an Kindern“ einen indirekten Gegenvorschlag entgegen zu stellen. Dieser bestimmt, dass bei schweren Sexualtaten an Kindern die 15 Jahre dauernde Verjährungsfrist nicht ab der Tat, sondern erst ab der Volljährigkeit des Opfers zu laufen beginnt.

Der Bundesrat beantragte dem Parlament, die Volksinitiative „für die Unverjährbarkeit von pornografischen Straftaten an Kindern“ abzulehnen und im Sinne eines indirekten Gegenvorschlags einer Revision des Strafgesetzbuchs zuzustimmen. Er begründete die Ablehnung der Initiative insbesondere damit, dass es sehr schwierig wäre, Prozesse mehrere Jahrzehnte nach der Tat durchzuführen. Die Beweiserbringung für die Anklage wäre nach so langer Zeit derart erschwert, dass die Schuld meist nicht mehr zweifelsfrei nachgewiesen werden könnte. Der daraus zwingend erfolgende Freispruch wäre überhaupt nicht im Interesse der Opfer. Der Bundesrat kritisierte zudem die äusserst unklaren Begriffe der Initiative („pornographische Straftaten“ an „Kindern vor der Pubertät“). Der indirekte Gegenvorschlag sieht vor, dass bei schweren Sexualtaten an Kindern die 15 Jahre dauernde Verjährungsfrist nicht ab der Tat, sondern erst ab der Volljährigkeit des Opfers zu laufen beginnt.

Dossier: Unverjährbarkeitsinitiative – Abstimmung und Umsetzung

Die Volksabstimmung über die Volksinitiative fand am 30. November statt und endete mit einem knappen Sieg der Initiantinnen. Die Kampagne war praktisch inexistent gewesen. In den Medien erklärten zwar Politiker und Juristen die Unzulänglichkeiten des Volksbegehrens. Befürworter, die ihre Argumente vortrugen, liessen sich aber kaum finden. Inserate und Plakate waren fast keine auszumachen. Etwas intensiver verlief die Diskussion in der Westschweiz, wo die Initiantinnen und ihre 2001 nach belgischem Vorbild gegründete Organisation „Marche blanche“ und deren Präsidentin Christine Bussat zu Hause sind, und wo sie am Fernsehen auftraten. Von den Parteien stellten sich nur die SVP und die kleinen Rechtsparteien EDU, Lega und SD hinter das Volksbegehren, ohne aber dafür viel Werbung zu machen.

Ähnlich wie 2004 bei der Volksinitiative für die lebenslängliche Verwahrung von Sexual- und Gewalttätern gab es wieder eine Überraschung: Das Volk stimmte der Initiative mit 1'206'323 Ja gegen 1'119'119 Nein zu, und bei den Ständen waren die Befürworter mit 16 4/2 Ja gegen 4 2/2 Nein in der Mehrheit. Die Beteiligung lag mit 47,5% leicht über dem Mittel. Abgelehnt hatten einzig die Westschweizer Kantone Genf, Waadt, Neuenburg und Bern, sowie Obwalden und Appenzell Innerrhoden. Am deutlichsten Ja sagten die Westschweizer Kantone Freiburg und Wallis sowie Tessin, Schwyz, St. Gallen und Schaffhausen. In der Presse wurde dieses Ergebnis als ein Bekenntnis zugunsten der Opfer von Gewalttaten und für härtere Strafen interpretiert. Die Vox-Analyse zeigte, dass trotz der unterschiedlichen Parolen die Parteisympathie keine Rolle für den Abstimmungsentscheid gespielt hatte. Eine gewisse Rolle kam hingegen der formalen Bildung zu, indem Personen mit einem Hochschulabschluss die Vorlage ablehnten, allerdings mit einem Neinanteil von 56% auch nicht überwältigend. Das Hauptargument der Befürwortenden war, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern eine derart schwere Straftat sei, dass sie nie verjähren dürfe.


Abstimmung vom 30. November 2008

Beteiligung: 47,5%
Ja: 1'206'323 (51,9%) / 16 4/2 Stände
Nein: 1'119'119 (48,1%) / 4 2/2 Stände

Parolen: Ja: SVP (3)*, EDU, SD, Lega.
Nein: FDP (2)*, CVP (2)*, SP, GP, BDP, GLP, EVP, LP, CSP, PdA, FPS.
*In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Dossier: Unverjährbarkeitsinitiative – Abstimmung und Umsetzung