In der Frühjarssession behandelte der Nationalrat die Differenzen bei der Revision des Asylgesetzes, wobei er gegen den erbitterten rot-grünen Widerstand die vom Ständerat eingefügte härtere Gangart gegenüber Fällen von vermutetem Missbrauch des Asylrechts übernahm. llegal in die Schweiz eingereiste Asylbewerber sowie jene, welche keine gültigen Ausweispapiere vorlegen, sollen – falls sie dafür nicht entschuldbare Gründe geltend machen können – vom regulären Verfahren ausgeschlossen werden, es sei denn, es bestehen Hinweise auf eine individuelle Verfolgung im Ursprungsland. Anders als der Ständerat wollte die grosse Kammer den illegal Anwesenden aber eine Frist von maximal zehn Tagen gewähren, um sich bei den zuständigen Behörden zu melden. Die Gegner bezeichneten diese Verschärfung des Asylgesetzes nicht nur als Verletzung der humanitären Tradition der Schweiz, sondern auch als faktisch nicht durchführbar, da bei heimlichen Grenzübertritten das effektive Einreisedatum gar nicht mehr nachweisbar sei. Zudem könnten oft gerade ”echte” Flüchtlinge keine Ausweispapiere vorweisen, da sie in einer Notlage ihre Heimat hätten verlassen müssen. Ihre, von zahlreichen Medien übernommene Behauptung, mit diesen Bestimmungen würden zentrale Elemente der 1996 vom Stimmvolk abgelehnten Volksinitiative der SVP ”gegen die illegale Einwanderung” durch die Hintertüre doch noch eingeführt, wurde sowohl von der Ratsmehrheit wie von Bundesrat Koller als nicht zutreffend zurückgewiesen, da bei einem Nichteintreten auf ein Gesuch das rechtliche Gehör dennoch gewährleistet sei; dort könne die Vermutung des Asylmissbrauchs wieder umgestossen werden. Koller bestritt vehement, dass es sich bei der neuen Bestimmung um eine Beweislastumkehr zuungusten der Asylsuchenden handle: es werde weiterhin an den Behörden sein, einer illegal eingereisten Person zu beweisen, dass sie sich seit mehr als zehn Tagen in der Schweiz aufhalte und es ihr zuzumuten gewesen wäre, in dieser Frist ein Gesuch zu stellen. Zudem gelte bereits heute, dass auf Gesuche ”Papierloser” in der Regel nicht eingetreten werde, wenn man ihnen nachweisen könne, dass sie ihre Ausweise bewusst beiseite geschafft haben, um sich damit Vorteile im Asylverfahren zu verschaffen. Auch bedeute der Ausschluss vom ordentlichen, materiellen Verfahren nicht in jedem Fall die sofortige Wegweisung. Das Prinzip des Non-refoulement, wonach keine Person in ein Land zurückgewiesen werden darf, in welchem ihr eine schwere Gefahr für Leben und Freiheit droht, werde von diesen Massnahmen nicht tangiert.
Einverstanden war die grosse Kammer mit der vom Ständerat eingeführten Bestimmung, dass frauenspezifischen Fluchtgründen bei der Behandlung von Asylgesuchen Rechnung zu tragen ist, was allerdings – entgegen den ursprünglichen rot-grünen Forderungen – nicht bedeutet, dass diese Gründe automatisch asylrelevant werden. Die von ihr in der ersten Lesung eingefügten generellen Menschenrechtsverletzungen als Grund für eine vorübergehende Schutzgewährung kippte sie – allerdings sehr knapp mit 63 zu 61 Stimmen – wieder aus der Vorlage, hielt aber daran fest, dass Situationen allgemeiner Gewalt Anlass für eine kollektive Aufnahme sein sollen. Als weiteren Punkt übernahm der Nationalrat die vor allem für die Einreise über die Flughäfen relevante Bestimmung, wonach Wegweisungsentscheide direkt den Betroffenen und nicht deren designiertem Anwalt mitgeteilt werden. Eine Minderheit machte vergebens geltend, dies widerspreche der in der Schweiz geltenden Rechtsordnung sowie der europäischen Menschenrechtskonvention und schwäche die Stellung der Betroffenen erheblich.
Fest hielt der Nationalrat hingegen an seinem ersten Entscheid, dass Asylsuchende, denen in der Zwischenzeit kollektiv Schutz gewährt wurde, erst nach Ablauf dieser Schutzgewährung ein Gesuch um Wiederaufnahme ihres ursprünglichen Asylantrags stellen können und nicht schon nach Ablauf von fünf Jahren, wie dies der Ständerat beschlossen hatte, ebenso an der Bestimmung, dass Asylbewerber inskünftig den Kantonen – neben der allseits unbestrittenen Familienzusammenführung – auch nach dem Kriterium eines weiter gefassten sozialen Netzes oder einer ihnen geläufigen Landessprache zugeteilt werden können.
Im gleichzeitig revidierten Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern (Anag) wurde den Behörden – nach der Vorgabe im Ständerat – die Kompetenz erteilt, Ausländer, die trotz Einreisesperre in die Schweiz gelangen, für höchstens drei Monate in Haft zu nehmen, auch wenn ihnen das Verbot nicht vorgängig notifiziert werden konnte.
Dossier: Révision totale sur le loi d'asil 94-98