Einer der zentralen Punkte der Revision betraf den Status der Gewaltflüchlinge (im Gesetz «Schutzbedürftige» genannt). Gemäss dem bisherigen Asylgesetz (AsylG) gelten Personen, die vor dem Krieg in ihrer Heimat flüchten, nicht als Flüchtlinge, genauso wenig wie jene Menschen, die nicht von seiten der Regierung, sondern von einer mit Gewalt ihre Ziele verfolgenden Oppositionsbewegung individuell verfolgt werden, beispielsweise den fundamentalistischen Terrorgruppen in Algerien. Seit Jahren hatten die Hilfswerke und die Kirchen die Landesregierung dazu aufgerufen, diese Lücke im Gesetz zu schliessen und die gruppenweise Aufnahme von Kriegs- oder Gewaltflüchtlingen klar zu regeln. Die staatspolitische Kommission des Ständerates (SPK-SR) hatte 1992 ihrerseits den Bundesrat mit einer Motion beauftragt, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag auszuarbeiten.
Der Vorschlag, den der Bundesrat in diesem Punkt vorlegte, wurde aber von den linken und grünen Parteien sowie von der Asylbewegung nicht als Fort-, sondern als Rückschritt gewertet, da es inskünftig nicht mehr möglich sein soll, während der vorläufigen Aufnahme ein individuelles Asylgesuch zu stellen. Die Gegner dieses Vorschlags meinten, die Chancen, nach Ablauf der Schutzgewährung noch als Flüchtling anerkannt zu werden, seien minim, was de facto einer Verweigerung des Asylrechtes gleichkomme. Sie erinnerten daran, dass rund ein Achtel der Kriegsvertriebenen aus Bosnien als Flüchtlinge mit bleibendem Aufenthaltsrecht anerkannt worden seien, weil sie nachweisen konnten, dass sie Opfer schlimmster Verfolgungen waren. Ein Entscheid der Asylrekurskommission (ARK) illustrierte sehr gut den Umstand, dass ein Teil der Kriegsflüchtlinge auch dann noch Asyl braucht, wenn zu Hause schon längst die Waffen schweigen. Die ARK befand nämlich, dass auch anderthalb Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton Muslime in der Regel Asyl erhalten sollen, wenn sie die Schrecken der serbischen Eroberung von Srebrenica miterlebt haben.
Selbst wenn sie diese Sicht der Dinge nicht teilte, hatte eine Mehrheit der vorberatenden Kommission doch eine Ausweitung des Begriffs der Schutzbedürftigkeit vorgenommen. Insbesondere sollte der vorläufige Aufnahme auch in Situationen allgemeiner Gewalt oder systematischer und schwerer Verletzung der Menschenrechte gewährt werden. Eine Minderheit aus Vertretern von SVP, FDP, CVP und FP lehnte diese Erweiterung ab, da sie einen Rechtsanspruch auf Schutz suggeriere und gegenüber gewissen Ländern zu einem zeitlich nicht absehbaren Zustand führen könnte. Zudem vermische die Linke Schutz- und Asylwürdigkeit, was die Rückkehr der vorläufig Aufgenommenen nach Aufhebung des Status erschwere.
Bundespräsident Arnold Koller wehrte sich erfolglos gegen diese Ausweitung der Definition. Der Rat hiess mit 71 zu 60 Stimmen den Kommissionsvorschlag gut. Kommissionspräsidentin Angeline Fankhauser (sp, BL) erinnerte an die Judenverfolgung in Deutschland; dabei habe es sich nicht um einen Krieg- oder Bürgerkrieg, sondern um systematische Verfolgung gehandelt. Heutige Gewaltsituationen beträfen zunehmend schwere Verletzungen der Menschenrechte, weshalb es unverständlich sei, dass des Bundesrat diesen Begriff nicht von sich aus in das Gesetz aufgenommen habe, meinte auch Eugen David (cvp, SG). Mit 74 zu 56 Stimmen lehnte der Rat hingegen einen Antrag von Felten (sp, BS) ab, der die spezifischen Formen der Gewalt gegen Frauen zumindest hier einführen wollte.
Totalrevision des Asylgesetzes
Dossier: Révision totale sur le loi d'asil 94-98