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Grundlagen der Staatsordnung
Föderativer Aufbau
Der Ständerat behandelte das zweite Massnahmenpaket zur Neuverteilung der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen. — Im Laufental wurde am 12. November das Plebiszit über die Kantonszugehörigkeit wiederholt. Die Stimmberechtigten entschieden sich diesmal mit knapper Mehrheit für einen Wechsel zu Baselland. — Im Kanton Jura reichte das Rassemblement jurassien seine Volksinitiative «Unir» für eine aktive Wiedervereinigungspolitik ein.
Beziehungen zwischen Bund und Kantonen und zwischen den Kantonen
Das zum 2. Massnahmenpaket gehörende, aber auf Wunsch der Kantone beschleunigt behandelte Bundesgesetz über die Genehmigung kantonaler Gesetze durch den Bund fand im Berichtsjahr auch die Zustimmung des Nationalrats, der die im Vorjahr vom Ständerat vorgenommenen Detailkorrekturen übernahm [1].
Der Ständerat behandelte als Erstrat die — nach dem Vorziehen des oben erwähnten Beschlusses und der Separatbehandlung des Hochschulförderungsgesetzes — verbleibenden sechs Erlasse des zweiten Massnahmenpakets zur Aufgabenneuverteilung. In diesem Paket bringt allerdings lediglich die Totalrevision des Fischereigesetzes eine echte Neuordnung der Kompetenz und Aufgabenteilung zwischen dem Bund und den Gliedstaaten. Die Beschlüsse über die Erstellung einer Schulwandkarte der Schweiz und über minime Anderungen der Strassen resp. der Militärgesetzgebung fanden in der vom Bundesrat beantragten Form Zustimmung. Der Beschluss über die Bildung von kantonalen Invalidenversicherungsstellen sowie derjenige über eine Totalrevision des Fischereigesetzes wurden mit einigen kleinen Anderungen ebenfalls gutgeheissen. Eine wesentliche Modifikation ergab sich hingegen bei der Neufassung des Wasserbaugesetzes (bisher Wasserpolizeigesetz genannt). Hier lehnte der Rat mit Stichentscheid des Präsidenten den Antrag des Bundesrates ab, den finanzstarken Kantonen in, Zukunft keine Beiträge an Wasserbauten. auszurichten [2].
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Territorialfragen
Die in den letzten Jahren in Genf formierten Unabhängigkeitsbewegungen waren 1989 alles andere als erfolgreich. Zuerst kam eine von ihnen lancierte kantonale Volksinitiative für die Ersetzung des Deutschen als erster Fremdsprache an den Schulen durch das Englische nicht zustande. Im Herbst mussten sie bei den kantonalen Wahlen feststellen, dass ihre Ideen bei den Stimmberechtigten kaum Resonanz finden: der Regierungsratskandidat des "Rassemblement démocratique" erhielt lediglich von 3,7% der Wählenden eine Stimme, die Parteiliste selbst wurde von weniger als einem Prozent eingeworfen; bei den Parlamentswahlen waren die Autonomisten gar nicht angetreten [3].
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Die Neuauflage der Abstimmung über die Kantonszugehörigkeit des Laufentals konnte am 12. November stattfinden. Diese Wiederholung des Plebiszits vom 11. September 1983 war notwendig geworden, nachdem das Bundesgericht Ende 1988 festgestellt hatte, dass die verdeckte finanzielle Unterstützung Berntreuer durch die Kantonsregierung unzulässig gewesen sei. Unmittelbar nach diesem Entscheid hatten sich Delegationen der Regierungen Berns und BaselLands sowie des Laufentaler Bezirksrates auf ein rasches Vorgehen geeinigt und beschlossen, diesmal nur objektiv zu informieren und weder direkt noch indirekt in die Propagandakampagne einzugreifen [4]. Obwohl sich die Behörden an diese Abmachung hielten, verlief die Kampagne wie beim ersten Plebiszit sehr animiert und teilweise auch gehässig. Es kam dabei auch zu Entgleisungen, so etwa, als einige Gewerbetreibende ihren Angestellten bei einem Ja zu BaselLand einen bezahlten Feiertag versprachen und andere Arbeitgeber in einem Brief zur Nachahmung aufforderten [5].
Das Resultat fiel bei dieser zweiten Abstimmung äusserst knapp aus: bei einer Beteiligung von 93,6% entschied sich der Bezirk Laufen mit 4652 zu 4343 Stimmen (51,7%:48,3%) für einen Kantonswechsel. Kommentatoren erklärten den Umschwung einerseits mit den Negativwirkungen der Aufdeckung der früheren Praktiken der Berner Regierung und andererseits mit der in den letzten Jahren verstärkten Zuwanderung von Einwohnern, welche in der Agglomeration Basel arbeiten [6].
Bereits am Tag nach dem Entscheid erhoben Gegner des Kantonswechsels beim bernischen Grossen Rat Beschwerde gegen die Abstimmung und verlangten deren Annulierung wegen unzulässiger Beeinflussungsversuche. Zudem verlangten sie angesichts des knappen Ausgangs eine Überprüfung der Stimmzettel und der Stimmrechtsausweise. Diese Nachkontrolle ergab keine bedeutenden Unregelmässigkeiten bei der Stimmabgabe. Die Berner Regierung beurteilte hingegen zwei der beanstandeten Beeinflussungsversuche, darunter die oben erwähnte Aktion von Gewerbetreibenden, als unzulässig. Da diese jedoch das Resultat nicht entscheidend beeinflusst hätten, empfahl sie dem Grossen Rat, die Abstimmungsbeschwerden abzulehnen [7].
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Die von der jurassischen Regierung eingereichte Beschwerde gegen die Plebiszite von 1974, welche dazu geführt hatten, dass sich der neue Kanton nur aus den drei nördlichen Bezirken zusammensetzt, wurde vom Bundesgericht noch nicht behandelt. Die Kantonsregierung reichte eine zusätzliche Beschwerde gegen die Vermögensaufteilung ein: auch diese müsse nach dem Aufdecken der von der Berner Regierung geführten "schwarzen Kassen" revidiert werden [8]. In der Frage der umstrittenen Kantonszugehörigkeit der Gemeinden Vellerat (BE) und Ederswiler (JU) wurde bekannt, dass das EJPD 1988 den beteiligten Kantonen einen Staatsvertrag über den Abtausch der beiden Orte vorgeschlagen hatte. Diese Lösung entspräche dem von der Berner Regierung bereits früher gemachten, aber von den jurassischen Behörden und der Gemeinde Vellerat stets abgelehnten Vorgehen [9].
Die im Vorjahr vom Rassemblement jurassien (RJ) im Kanton Jura lancierte Volksinitiative "Unir" konnte am 15. November mit 23 277 Unterschriften, das sind rund die Hälfte aller Stimmberechtigten, eingereicht werden. Sie verlangt in der Form einer nichtformulierten Gesetzesinitiative, dass sich die jurassischen Behörden mit Nachdruck für die Integration der bernisch gebliebenen südjurassischen Bezirke in den neuen Kanton einsetzen müssen. Das jurassische Kantonsparlament seinerseits stimmte oppositionslos einer Motion Roland Béguelins (sp) zu, welche die Regierung beauftragt, die "Stiftung für die Wiedervereinigung" mit einem Beitrag von 300 000 Fr. zu unterstützen. Auch der Gemeinderat von Moutier (BE) genehmigte einen Beitrag an diese von vielen jurassischen Gemeinden unterstützte Stiftung [10]. Das RJ stellte im weitern den ersten Teil einer Studie vor, welche die Vor- und Nachteile ökonomischer und sozialer Art bei der Gründung eines von der Schweiz unabhängigen jurassischen Kleinstaates nach dem Vorbild Liechtensteins aufzeigen soll [11].
Bernische Politiker und Politikerinnen reagierten auf die Motion des jurassischen Parlaments mit Protesten: Der Grosse Rat beauftragte die Kantonsregierung, sich beim Bundesrat gegen die "Annexionspolitik" des Kantons Jura einzusetzen, und im Nationalrat erkundigten sich bernische Abgeordnete beim Bundesrat mit Interpellationen über dessen Beurteilung der Situation [12].
Die Auseinandersetzung verlief aber nicht nur in demokratischen Bahnen. Grosses Aufsehen erregte die durch Brandstiftung erfolgte Zerstörung der alten Holzbrücke über die Aare bei Büren (BE). Indizien deuteten darauf hin, dass dieser Anschlag auf den ehemaligen Grenzübergang zwischen dem Fürstbistum Basel und der Republik Bern im Zusammenhang mit dem Prozess gegen einen Angehörigen der Organisation Bélier stand. Dieser war unmittelbar vorher wegen der Zerstörung eines historischen Brunnens in der Berner Altstadt verurteilt worden [13].
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Weiterführende Literatur
P. du Bois, "Der Zentralismus und die Welschen", in Schweizer Monatshefte, 69/1989, S. 123 ff.
R. Germann / J.D. Muller (Hg.), La dynamique fédéraliste en Suisse / colloque francosuisse des 27 et 28 mars 1987 à Paris, Berne 1989.
I. Graf, Problem Finanzreferendum und andere Probleme im Zusammenhang mit der Bestimmung der Zuständigkeit zur Ausgabenbewilligung in den Kantonen und Gemeinden unter besonderer Berücksichtigung des Kantons Bern und von 21 bernischen Gemeinden, Grüsch 1989.
P. Boillat, Jura, naissance d'un Etat. Aux sources du droit et des institutions jurassiennes, Lausanne 1989.
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[1] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1880 ff. und 2279; Amtl. Bull. StR, 1989, S. 845 (Schlussabstimmung); BBl, 1989, III, S. 1709 ff. Siehe SPJ 1988, S. 39.
[2] Amtl. Bull. StR, 1989, S. 280 ff.; TA, 15.6.89. Siehe SPJ 1988, S. 38 f. Zum Hochschulförderungsgesetz siehe unten, Teil I, 8a (Hautes écoles).
[3] JdG, 12.4. (Initiative) und 15.11.89 (Wahlen). Vgl. auch SPJ 1987, S. 36 und 1988, S. 39; NZZ, 10.5.89. Zur Initiative siehe auch unten, Teil I, 8a (Ecoles obligatoires).
[4] Bund, 16.3.89; Presse vom 13.5.89. Zum Bundesgerichtsurteil siehe SPJ 1988, S. 39 f. und Bund, 24.4.89 (schriftliche Begründung).
[5] Allgemein zur Situation und zur Kampagne vgl. BaZ, 22.7. und 10.1 1.89 (Feiertag); NZZ, 31.7.89; BZ, 4.10. und 8.11.89 (Finanzierung der Propaganda); Bund, 24.10. und 3.11.89.
[6] Presse vom 13.11. und 14.11.89.
[7] BZ, 14.11.89; BaZ, 15.11.89; Bund, 23.11., 2.12., 22.12. und 28.12.89.
[8] Suisse, 22.3.89. Vgl. auch SPJ 1982, S. 20 und 1985, S. 29 (Vermögensteilung); NZZ, 9.1., 31.1. und 27.2.89 sowie SPJ 1987, S. 40 (Beschwerde gegen Plebiszite).
[9] Bund und Dém., 28.3.89. Vgl. auch SPJ 1986, S. 29 f.
[10] Initiative: Dém., 11.1. und 16.11.89; vgl. auch Le Jura libre, 26.1.89; NZZ, 30.11.89 und SPJ 1988, S. 40. Motion: Le Jura libre, 25.3. und 30.12.89; Suisse, 24.11.89; Bund, 25.11.89.
[11] Dém., 7.3.89; Le Jura libre, 8.3.89. Vgl. SPJ 1987, S. 37.
[12] Grosser Rat: BZ und Dém., 8.9.89. Interpellationen: Verhandl. B.vers., 1989, V, S. 54 (Aubry, fdp) und 100 f. (Rychen, svp).
[13] Presse vom 6.4.89. Vgl. auch Bund, 17.3.89 (Urteil); Le Jura libre, 30.3. (Protest des Bélier gegen das Urteil); SPJ 1986, S. 29.
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