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Bildung, Kultur und Medien
Kultur, Sprache, Kirchen
Die Schweizerische Landesbibliothek feierte ihr 100-jähriges Bestehen. - In Schwyz wurde das "Forum der Schweizer Geschichte" als weitere Aussenstelle des Landesmuseums eröffnet. - Das Parlament verabschiedete den revidierten Sprachenartikel der Bundesverfassung. - Die Ersetzung von fünf der sechs katholischen Bischöfe der Schweiz warf viele Fragen um ihr Amt auf.
Kulturpolitik
Mit einem diskussionslos überwiesenen Postulat forderte Nationalrat Duvoisin (sp, VD) den Bundesrat auf, angesichts der im Vorjahr in der Volksabstimmung erfolgten Ablehnung eines Kulturförderungsartikels in der Bundesverfassung einen Bericht vorzulegen, welcher über die künftige Kulturpolitik des Bundes Auskunft gibt. Dieser soll insbesondere darlegen, welche Ziele der Bundesrat auf der Grundlage der geltenden Verfassung verfolgen will, welchen Bereichen er Priorität zu geben gedenkt und ob er allenfalls in Gebieten, die ihm nicht mehr vordringlich erscheinen, sein kulturelles Engagement stufenweise abbauen wird.
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Sieben Jahre nach der Erstausgabe wurde das Inventar der Kulturgüter von nationaler und regionaler Bedeutung nachgeführt und neu aufgelegt. Das Verzeichnis, das jetzt rund 8300 Objekte enthält, die vor bewaffneten Konflikten und vor Katastrophen in Friedenszeiten zu schützen sind, wurde von Sachverständigen der Kantone und des Bundes in enger Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Komitee für Kulturgüterschutz überarbeitet. Dabei wurden 200 Objekte von der regionalen in die nationale Bedeutung umgeteilt, 600 Kulturgüter neu in die regionale Kategorie aufgenommen und etwa 20 Objekte gestrichen, weil sie zerstört, verändert oder zweckentfremdet worden waren [2].
Die Schweiz will mithelfen, das archäologische und baugeschichtliche Erbe Europas zu erhalten. Beide Kammern genehmigten zwei Erlasse des Europarates, nämlich die revidierte Konvention von Malta zum Schutz des archäologischen Erbes und die Konvention von Granada zum Schutz des baugeschichtlichen Erbes. Die beiden Erlasse entsprechen der Politik, welche die Schweiz in diesem Bereich seit Jahren verfolgt, und schaffen weder für den Bund noch für die Kantone neue finanzielle Verpflichtungen [3].
Im Juli wurde in Rom die Unidroit-Konvention über die Rückgabe von gestohlenen und illegal ausgeführten Kulturgütern, an deren Ausarbeitung die Schweiz aktiv beteiligt war, anlässlich einer diplomatischen Konferenz verabschiedet. Wie bei der entsprechenden UNO-Konvention, deren Ratifizierung in der Vernehmlassung kontrovers aufgenommen worden war, steht noch nicht fest, ob die Schweiz diesem Abkommen zum Schutz der Kulturgüter beitreten wird [4].
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Zur Erfüllung ihrer kulturellen Aufgaben im In- und Ausland präsentierte die Stiftung Pro Helvetia dem Bundesrat für die Vierjahresperiode 1996-1999 ein Budget von 144 Mio Fr., was gegenüber den Jahren 1992 bis 1995 eine Erhöhung um 36 Mio Fr. bedeutet hätte. Der Bundesrat zeigte zwar Verständnis für die Forderungen der Stiftung und begrüsste ausdrücklich den integrationspolitischen Beitrag, welchen die Pro Helvetia nach dem EWR-Nein der Schweiz leistet. Er war aber in Anbetracht der allgemeinen Sparbemühungen nicht bereit, über den Teuerungsausgleich hinauszugehen und beantragte dem Parlament lediglich einen Kredit von 118 Mio Fr. Trotz der erneut vorgebrachten Kritik rechtsbürgerlicher Kreise am mangelnden Patriotismus vieler Schweizer Kulturschaffender, die im Nationalrat zu einem Rückweisungsantrag Moser (fp, AG) führte mit dem Ziel, das Budget der Stiftung auf dem Stand der Vorperiode einzufrieren, akzeptierten beide Kammern den Vorschlag des Bundesrates ohne längere Diskussionen. Andererseits unterlag aber - trotz Unterstützung durch das rot-grüne Lager - auch ein Minderheitsantrag Maspoli (lega, TI), welcher die Subvention auf 136 Mio Fr. erhöhen wollte [5].
In Paris konnte das von der Pro Helvetia finanzierte "Centre culturel suisse" seinen zehnten Geburtstag feiern. Es beging ihn mit diversen Ausstellungen sowie mit einem Text- und Bildband zur politischen und kulturellen Präsenz der Schweizerinnen und Schweizer in der Seine-Metropole. Bedauert wurde nur, dass bei den Festakten kaum Vertreter des offiziellen Frankreichs anwesend waren [6].
Im Frühjahr beschloss die Pro Helvetia, einen seit geraumer Zeit gehegten Wunsch in die Tat umzusetzen und in Mailand ein eigenständiges Kulturzentrum zu eröffnen, von welchem aus die Stiftung landesweit tätig sein will. Die neue Institution, welche 1997 operativ sein soll, wird mit einem Budget von knapp 500 000 Fr. pro Jahr ausgestattet und im renovierten, bisher primär auf Handelspolitik ausgerichteten "Centro svizzero" mitten in der Stadt Gastrecht geniessen. Die Pro Helvetia betonte, für die Schweiz als Land mit einer italienischen Sprachregion habe der verstärkte Kulturaustausch mit Italien grosse Bedeutung. Ein Kulturzentrum in der unserem Land nächstgelegenen Grossstadt setze zudem ein Zeichen der Öffnung hin zu Europa.
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Während die Filmwelt den 100. Geburtstag des Kinos feierte, startete das Solothurner Filmfestival mit einer Rekordzahl an Filmen zu seinem 30-Jahr-Jubiläum. Dennoch konnte nicht übersehen werden, dass die hiesige Filmbranche durch den Ausschluss aus den EU-Förderungsmassnahmen nach dem EWR-Nein der Schweiz erheblich geschwächt wurde. Eine Möglichkeit, dieses europapolitische Manko zumindest teilweise auszugleichen, wäre die Einführung der im Vorjahr von der Branche vorgeschlagenen "Financière du cinéma", bei welcher der Schweizer Film erfolgsabhängig gefördert würde, und die trotz anfänglich teilweise skeptischer Reaktionen weiterhin zur Diskussion steht. Die an den Erfolg gekoppelte Filmförderung als "zweite Säule" neben der bereits bestehenden Unterstützung nach qualitativen Kriterien wurde - zusammen mit den Vorschlägen zu einem eidgenössischen Filminstitut und zu einem Garantiefonds für die erleichterte Aufnahme von Bankkrediten - von einer Expertenkommission konkretisiert und vom Bundesamt für Kultur den interessierten Kreisen zur Vernehmlassung unterbreitet [8].
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Zum Schutz des gefährdeten audiovisuellen Kulturgutes gründeten Ende Jahr das Bundesarchiv, die Schweizerische Landesbibliothek (SLB), die Cinémathèque suisse, die Fonoteca nazionale, die SRG und das Bundesamt für Kommunikation den Verein "Memoriav". Die neue Vereinigung will sich angesichts der als dramatisch bezeichneten Gefährdung von Schweizer Bild- und Tondokumenten für deren Rettung und Vermittlung ans Publikum einsetzen [9].
Die Landesphonothek, welche seit Jahren mit finanziellen Problemen kämpft, soll ihren operativen Sitz in Lugano behalten, wird aber 1997 ihr Archiv in die SLB in Bern überführen. Hinter dem Entscheid, den Standort Tessin wenigstens teilweise aufrechtzuerhalten, steht der Wunsch, das landessprachliche Gleichgewicht zwischen Literaturarchiv (Deutschschweiz), Cinémathèque (Romandie) und Fonoteca nazionale (italienischsprachige Schweiz) zu wahren [10].
Freddy Buache, der legendäre Gründer und Direktor der "Fondation Cinémathèque suisse" in Lausanne, trat auf Ende Jahr altershalber zurück. Die Leitung der Cinémathèque übernimmt neu Hervé Dumont. Der Direktionswechsel erfolgte auch im Zeichen akuten Geldmangels, da die ausgerichteten Bundessubventionen seit Jahren fast nur noch zur Tilgung der aufgelaufenen Hypothekarzinsen für das feuersichere Depotgebäude in Penthaz (VD) dienen. Die ursprüngliche Aufgabe der Cinémathèque - das Archivieren und Konservieren älterer Schweizer Filme - kann deshalb kaum mehr wahrgenommen werden, was zu unersetzlichen Verlusten führen könnte. Durch mehrere parlamentarische Vorstösse auf diese unhaltbaren Zustände aufmerksam gemacht, entschloss sich der Bundesrat, im Rahmen seiner Möglichkeiten der Cinémathèque unter die Arme zu greifen. Wie Bundesrätin Dreifuss in Beantwortung einer Interpellation von Pro Helvetia-Präsidentin Simmen (cvp, SO) ausführte, will die Landesregierung für die Jahre 1996 bis 1998 je 600 000 Fr. als Zusatzleistung zur ordentlichen Subvention ins Budget aufnehmen. Zu diesen 1,8 Mio Fr. werden der Kanton Waadt und die Stadt Lausanne ihrerseits je 600 000 Fr. beisteuern. Damit soll die Schuldenlast der Cinémathèque auf ein vertretbares Mass gesenkt werden.
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Im September konnte die Schweizerische Landesbibliothek (SLB) ihr 100jähriges Bestehen feiern. Zu den Aufgaben der Institution gehört die Pflege des kulturellen Erbes, verbunden mit der Verpflichtung, den nachkommenden Generationen ein geschriebenes Vermächtnis unserer Zeit zu sichern. Seit 1895 ist der Bestand der SLB auf drei Millionen Einzelbände angewachsen; zudem werden 380 laufende Zeitungen und 1062 Zeitschriften katalogisiert. Neben geschriebenen Zeugnissen der Vergangenheit und Gegenwart stapeln sich in den Lagern der SLB graphische und photographische Dokumente sowie Musikalien und neuerdings CD-Rom. Kurz vor den Jubiläumsfeierlichkeiten legte Bundesrätin Dreifuss den Grundstein für das neue siebenstöckige Tiefmagazin der SLB. Die Bruttogeschossfläche des vollklimatisierten Erweiterungsbaus umfasst rund 80 000 Quadratmeter [13].
Praktisch diskussionslos stimmten beide Kammern einer jährlichen Finanzhilfe an die Stiftung Schweizerische Volksbibliothek (SVB) von 1,8 Mio Fr. für die Jahre 1996-1999 zu. Gemeinsam mit den jeweiligen Kommissionssprechern wies Bundesrätin Dreifuss auf die grosse Bedeutung der Volksbibliothek für die nationale Verständigung hin. Der Bund sei hier gefordert, weil es um einen interkantonalen Ausgleich, namentlich auch zugunsten der Randregionen gehe. Die SVB wurde 1920 gegründet und wird seit 1921 vom Bund namhaft unterstützt. 1991 wurde die Stiftung dezentralisiert und gleichzeitig effizienter organisiert [14].
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Mit vierjähriger Verspätung und einem Volksfest in Anwesenheit von Bundesrätin Dreifuss wurde anfangs Juni in Schwyz das "Forum der Schweizer Geschichte" als weitere Aussenstelle des Landesmuseums dem Publikum übergeben. Das jüngste nationale Museum will die Schweizer Geschichte der Jahre 1300 bis 1800 nicht als Heldengalerie darstellen, sondern auf moderne Art das Alltagsleben der alten Eidgenossen veranschaulichen [15].
In Anwesenheit von Bundesrat Stich wurde Mitte September der Grundstein zum Erweiterungsbau des Musikautomaten-Museums in Seewen (SO) gelegt. Dieses Museum wird seit seiner Schenkung an die Eidgenossenschaft (1990) als Aussenstelle des Landesmuseums geführt. 1993 hatte das Parlament für die Sanierung der bestehenden Museumsräumlichkeiten sowie einen Neubau 14,6 Mio Fr. bewilligt [16].
15 000 Personen aus der Region nördlich von Yverdon verlangten mit einer Petition, der Bund solle nicht nur das Musikautomaten-Museum Seewen, sondern auch die beiden Museen in L'Auberson und Sainte-Croix im Waadtländer Jura unterstützen. Bundesrätin Dreifuss anerkannte gegenüber einer Delegation der Petenten, dass die Gegend um Sainte-Croix die Ursprungsregion der Musikautomaten sei, doch fehlten dem Bund mangels Kulturförderungsartikel in der Bundesverfassung die rechtlichen Grundlagen für eine Unterstützung der privaten Museen. Mit dieser Überlegung wurde im Nationalrat auch ein Postulat Duvoisin (sp, VD) abgelehnt, welches ein verstärktes Engagement des Bundes zugunsten dieser beiden Museen anregte [17].
Der Nationalrat verabschiedete ein von 111 Ratsmitgliedern unterzeichnetes Postulat Suter (fdp, BE), welches den Bundesrat ersucht, die Federführung zur Rettung des gestalterischen Werkes von Friedrich Dürrenmatt zu übernehmen. Der Bund soll dabei insbesondere eine Defizitgarantie für die Realisierung eines durch den Schweizer Architekten Mario Botta auszuführenden Museumsbaus auf dem Anwesen Dürrenmatts in Neuenburg gewähren sowie die Betreuung des Museums und dessen Betriebskosten übernehmen [18].
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Nach dem Ständerat hiess auch der Nationalrat ein Postulat gut, welches den Bundesrat ersucht zu prüfen, inwiefern ein "domaine public payant" zugunsten der Allgemeinheit eingeführt werden könnte. Der Vorstoss regt an, in Anlehnung an den 1991 vom weltberühmten Geiger Sir Yehudi Menuhin geschaffenen "Mozart-Fonds" auf Werken, die nicht mehr der Schutzdauer unterstehen, Urheberrechtsgebühren zu erheben, unter der Bedingung, dass der Ertrag karitativen Werken zugute kommt [19].
Das Bundesgericht hiess eine Beschwerde aus Nutzer- und Urheberkreisen teilweise gut, weshalb die von den Importeuren und Herstellern zu entrichtenden Abgaben auf unbespielten Video- und Audiokassetten noch einmal überprüft werden müssen. Bis zur Neufestlegung bleibt es aber beim Tarif der Eidgenössischen Schiedskommission. Eine Einigung konnte hingegen bei den Fotokopien erzielt werden. Als Berechnungsgrundlage für die jährlichen Entschädigungen dient die Vergütung von 3,5 Rappen pro Seite für das Kopieren einer urheberrechtlich geschützten Vorlage. Die staatlich konzessionierte Verwertungsgesellschaft Pro Litteris rechnet mit jährlichen Einnahmen von rund 10 Mio Fr., welche je hälftig auf die Autoren und die Verleger aufgeteilt werden [20].
Für die Restrukturierung des Bundesamtes für geistiges Eigentum siehe oben, Teil I, 1c (Verwaltung).
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In der Zentralschweiz soll auf privater Basis ein Institut entstehen, das die wissenschaftliche Forschung im Bereich der Kultur in einem weit verstandenen Sinn fördern will. Wenn alles planmässig verläuft, soll das Kulturwissenschaftliche Institut Zentralschweiz (KIZ) im Januar 1996 seinen Betrieb aufnehmen. Das KIZ versteht sich als Anlauf- und Koordinationsstelle für wissenschaftliche Aktivitäten im Bereich von Geschichte, Soziologie, Volkskunde, Literatur, Ökologie und Recht. Es wird keine Schule im herkömmlichen Sinn sein, sondern ein Forschungszentrum, das seine Infrastruktur für kulturwissenschaftliche Projekte zur Verfügung stellt. Das KIZ will mit bestehenden Institutionen zusammenarbeiten und soll zu einem Drittel von den beteiligten Kantonen und zu zwei Dritteln durch private Gönner sowie selbst erwirtschaftete Beträge finanziert werden. Als Standort kommt vor allem der Raum Luzern in Frage.
Die beiden Basler Halbkantone bewerben sich gemeinsam in Brüssel um den Titel einer "Kulturstadt Europas" im Jahr 2001. Zum 500-Jahr-Jubiläum seiner Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft will sich der Raum Basel damit als lebendige Kulturregion profilieren, die gegenüber Europa offen ist. Er erhofft sich dabei aber auch wirtschaftliche Impulse. Ende Juni unterzeichneten die beiden Kantonsregierungen die gemeinsame Bewerbung, nachdem auch der Bundesrat signalisiert hatte, dass er diese unterstützen werde [22].
In Basel-Stadt zeigte sich die Legislative kulturfreundlicher als die Exekutive. Gegen den ursprünglichen Antrag der Regierung milderte der Grosse Rat die für die Jahre 1996-2001 vorgesehene Kürzung der Subventionen an den städtischen Theaterbetrieb von 30% auf 20% ab. Obgleich damit vorderhand alle drei Sparten (Theater, Oper, Ballett) erhalten werden können, wird sich ein Leistungsabbau unter diesen Voraussetzungen kaum vermeiden lassen. Hauptleidtragender Bereich dürfte das Ballett sein, wo der Bestand der Truppe drastisch abgebaut und möglicherweise mittelfristig ganz aufgelöst und durch ein Tanztheater ersetzt werden soll. Gewissermassen als Trostpflaster für die Basler Theaterbesucher wurde demgegenüber im Herbst das private Musical-Theater "Messe Basel" eröffnet [23].
Das Bourbaki-Panorama in Luzern, welches die wohl grösste humanitäre Aktion der Schweizer Geschichte dokumentiert, muss dringend restauriert werden. Die Stadt Luzern wird dem Souverän 1996 für die Renovation des Gebäudes einen Investitionskredit von rund 21 Mio Fr. vorlegen. Für die Restauration des eigentlichen Bildes, welches 1876 vom Genfer Maler Edouard Castres gemalt wurde, und das zu den Hauptwerken der Schweizer Malerei im 19. Jahrhundert zählt, sind weitere 5 Mio Fr. nötig. Da nur gerade etwa die Hälfte über Subventionen gedeckt sein dürfte, will ein Patronatskomitee unter der Leitung von alt Bundesrat René Felber die fehlende Summe über Sponsoren, Kantone, Gemeinden und Stiftungen aufbringen. In Les Verrières im Neuenburger Jura, wo 1871 der französische General Bourbaki mit seiner geschlagenen Armee die Schweizer Grenze überschritt, wurde Ende Oktober eine entsprechende nationale Sammelaktion gestartet [24].
Die Genfer Stimmberechtigten sprachen sich mit Zweidrittelsmehrheit für den Schutz des legendären "Alhambra", eines Variété-Theaters am Rand der Altstadt aus. An seiner Stelle sollte nach den Plänen von Gewerbetreibenden ein riesiges Parkhaus entstehen. Unter dem Motto "culture contre voiture" wurde im Abstimmungskampf ein regelrechter Glaubenskrieg um die Stellung der Kultur im städtischen Umfeld ausgefochten [25].
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Das Verhältnis zwischen den Sprachgruppen
Nach vierjähriger Beratung zeichnete sich im letzten Moment eine Rettung für den revidierten Sprachenartikel in der Bundesverfassung (Art. 116 BV) ab. Zwar beantragte auch im Nationalrat eine Minderheit der vorberatenden Kommission unter dem Grünen Schmid (TG), die Vorlage bis zur Totalrevision der Bundesverfassung auf sich beruhen zu lassen, weil der vorliegende Mini-Artikel substanzlos sei und keine Volksabstimmung rechtfertige. Zudem erhalte der revidierte Sprachenartikel nichts, was nicht jetzt schon garantiert sei.
Die Mehrheit der Kommission für Wissenschaft und Kultur plädierte hingegen für die von ihr weiterentwickelte Kompromisslösung, welche auf die bisher zur Diskussion stehenden beiden Reizworte "Sprachenfreiheit" und "Territorialitätsprinzip" verzichtet und sich auf die Anerkennung des Rätoromanischen als Teilamtssprache sowie die Formulierung beschränkt, dass Bund und Kantone die Verständigung und den Austausch zwischen den Sprachgemeinschaften zu fördern haben. Zudem sollte der Bund nun generell auf Verfassungsebene jene Kompetenz erhalten, die er in den Kantonen Graubünden und Tessin faktisch ohnehin längst wahrgenommen hat, nämlich subsidiär zu den Kantonen besondere Massnahmen zur Erhaltung und Förderung bedrohter Landessprachen zu treffen.
Kommissionssprecher Bundi (sp, GR) unterstrich, dass die jüngste Kompromissvariante gegenüber jener des Ständerates zwei neue Elemente enthalte. Bund und Kantone erhielten erstens nicht nur die Kompetenz, sondern die Verpflichtung, bedrohte Landessprachen zu fördern und zu retten, wobei allerdings das Subsidiaritätsprinzip gewährleistet bleibe, da der Bund nichts gegen den Willen der Kantone unternehmen könne. Zweitens werde die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften zu einem verfassungsrechtlichen Prinzip erhoben. Wie bereits im Vorschlag des Ständerates vorgesehen, erhalte die rätoromanische Sprache den neuen Status einer Teilamtssprache.
Bundesrätin Dreifuss bezeichnete diese bisher letzte Version ebenfalls als grossen Fortschritt. Auch wenn der Artikel nüchtern aussehe, biete er doch ein gutes Fundament, das es dem Bund erlaube, vermehrt für den Zusammenhalt unter den Sprachregionen zu sorgen. Einig war sich die Mehrheit des Nationalrates, dass dieser schlanke Artikel vor dem Volk Bestand haben sollte, weil er auf die beiden sensiblen Begriffe der Sprachenfreiheit und des Territorialitätsprinzips verzichtet. Selbst die anfänglich sehr skeptischen Abgeordneten aus der Romandie konnten dem neuen Verfassungsartikel schliesslich zustimmen, so dass dieser deutlich gutgeheissen wurde [26].
In der Kommission des Ständerates überwogen dann wieder die Stimmen jener, welche auf die Revision ganz verzichten wollten. Sie argumentierten, zur Diskussion stehe nur noch eine "ausgedörrte" Version des ursprünglichen Sprachenartikels, über die sich eine Abstimmung von Volk und Ständen nicht mehr lohne. Im Plenum beharrte der Thurgauer Onken (sp) aber darauf, dass in der Kommission noch einmal nach einer Lösung gesucht werden müsse. Sonst mache sich der Ständerat mitschuldig, ein Wesensmerkmal der Schweiz, die Viersprachigkeit, herabzuwürdigen. Der Bündner Brändli (svp) doppelte mit der Erklärung nach, die Romanen hätten grosse Hoffnungen in die Revision gesetzt. Abbrechen wäre ein Schritt in Richtung einer zwei- oder zweieinhalbsprachigen Schweiz. Der Rat folgte dem Aufruf und wies die Vorlage mit 32 gegen 5 Stimmen zwecks Konsensfindung an seine Kommission zurück.
Die Kommission legte dem Plenum schliesslich eine Variante vor, welche in den wesentlichen Punkten jener des Nationalrates entsprach. Aus Rücksicht auf die nach wie vor bestehenden Germanisierungsängste der Romandie schwächte sie aber die Kompetenz des Bundes, zur Erhaltung gefährdeter Landessprachen Massnahmen ergreifen zu können, in eine Bestimmung ab, welche diese Massnahmen allein auf das Italienische und das Rätoromanische beschränkt. Mehrere Redner wie auch Bundesrätin Dreifuss unterstrichen, dass damit alle Anforderungen der Motion Bundi aus dem Jahr 1986 erfüllt seien, worauf die Vorlage oppositionslos angenommen wurde. Da auch der Nationalrat angesichts der weit gediehenen Annäherung stillschweigend auf die noch einmal etwas moderatere Version des Ständerates einschwenkte, konnte die Verfassungsrevision noch in der laufenden Legislatur verabschiedet werden.
Beide Kammern stimmten dann ohne längere Diskussionen dem revidierten Bundesgesetz über Beiträge an die Kantone Graubünden und Tessin zur Förderung deren Kultur und Sprache zu. Das neue Gesetz, welches dasjenige von 1983 ersetzt, schafft bessere Rahmenbedingungen für die Unterstützung der beiden Kantone in ihren Bemühungen um die Spracherhaltung und für einen flexibleren und effizienteren Vollzug der für die Förderung von Sprache und Kultur notwendigen Massnahmen. Die Finanzhilfe des Bundes soll für Graubünden von 3,75 Mio Fr. auf 5 Mio Fr. im Jahre 1996 erhöht werden, wogegen die Subvention an den Kanton Tessin unverändert 2,5 Mio Fr. betragen wird [29].
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Nach dem Ständerat lehnte auch der Nationalrat diskussionslos und mit deutlicher Mehrheit drei Standesinitiativen der Kantone Bern, Freiburg und Wallis ab, mit denen diese eine Bundesentschädigung für ihre durch die Zweisprachigkeit bedingten Mehrkosten verlangten. Die grosse Kammer übernahm dabei die Argumentation des Ständerates und ihrer vorberatenden Kommission, wonach Zwei- und Mehrsprachigkeit im administrativen und im schulischen Bereich zwar zusätzliche Kosten verursache, eine Sprachenvielfalt innerhalb der Kantonsgrenzen aber bereichernd sei. Einzelne Sprecher machten geltend, für die Unterstützung der mehrsprachigen Kantone könne es auch noch andere Wege als jene über direkte Bundessubventionen geben, so etwa über den interkantonalen Finanzausgleich [30].
In einer Erklärung empfahl die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) den Kantonen und Gemeinden, Initiativen zur Einführung einer zweiten Unterrichtssprache zu unterstützen. Fächer wie Geographie, Mathematik oder Geschichte könnten durchaus in einer Fremdsprache vermittelt werden [31].
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesverwaltung sollen in der von ihnen gewünschten Amtssprache arbeiten können. Damit dies für das französisch- und italienischsprachige Personal gewährleistet ist, müssen die Departemente und Ämter neu eine Übersetzung ins Deutsche garantieren, weshalb in jedem Departement ein eigener Sprachendienst eingerichtet werden soll. Der Bundesrat setzte auf den 1. Juli eine entsprechende neue Verordnung über das Übersetzungswesen in Kraft [32].
Zu der auf Beginn der 45. Legislatur eingeführten neuen Sitzordnung im Nationalrat, welche die bisher bestehenden sprachlichen Blöcke auflöst, siehe oben, Teil I, 1c (Parlament). Für die Bedeutung der Entfremdung zwischen den Sprachgruppen als Problem der nationalen Identität siehe oben, Teil I, 1a (Grundsatzfragen).
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Beide Kammern sprachen sich praktisch einstimmig für einen Beitritt der Schweiz zur "Agence de Coopération Culturelle et Technique" (ACCT) aus, die in erster Linie die Entwicklung einer multilateralen französischsprachigen Zusammenarbeit in den Bereichen Erziehung, Ausbildung, Kultur, Wissenschaft und Technik verfolgt. Die ACCT ist das Hauptumsetzungsorgan der Frankophoniegipfel, an denen die Schweiz seit 1989 als Vollmitglied teilnimmt. Sowohl von den Parlamentariern wie vom Bundesrat wurde betont, dass der Anschluss der Schweiz an diese einzige intergouvernementale Organisation der Frankophonie Ausdruck eines staatlichen Willens und nicht nur Entgegenkommen an die Romandie bedeute. Es gehe unter anderem darum, die nach dem EWR-Nein der Schweiz eingetretene Isolation abzuschwächen [33].
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Für die Gründung einer Tessiner Universität sowie die Stellung des Italienischen im gymnasialen Unterricht siehe oben, Teil I, 8a (Enseignement secondaire supérieur und Hautes écoles).
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Das Rätoromanische soll mit einer einheitlichen Schriftsprache in die Zukunft gerettet werden. Zwei Drittel der von der Bündner Regierung befragten Rätoromanen sprachen sich dafür aus, wobei 44% die Standardsprache Rumantsch grischun unterstützen. In der lokalen und mündlichen Sprachpraxis - also überall dort (Familie, Freundeskreis, Vereine etc.), wo auch die Deutschschweizer ihren Dialekt sprechen - will die Bevölkerung ihr angestammtes Idiom beibehalten, in den Medien und der Verwaltung sowie in Schule und Literatur opponiert sie der Einführung einer Einheitssprache aber nicht. Dabei zeigten sich allerdings auch regionale Unterschiede. Je kleiner und gefährdeter eine Sprachregion ist (Mittelbünden), desto vehementer verlangt sie offenbar nach der Einheitssprache, während sprachlich kompakte Gebiete (beispielsweise die Surselva) dieser mit grösserer Distanz gegenüberstehen, da sie sich offenbar genügend Eigenkraft zur Erhaltung des angestammten Idioms zutrauen [34].
Eine wissenschaftliche Studie räumte mit dem Vorurteil auf, Romanisch in der Schule sei zu einer Belastung geworden. Die zu diesem Zweck in der Surselva befragten und auf ihre romanische Sprachkompetenz untersuchten Kinder und Jugendlichen zeigten eine hohe Motivation, das Rätoromanische in der Schul- und Alltagssprache zu bewahren. Rund 80% der Jugendlichen, welche teilweise auch in deutschsprachig dominierten Gemeinden leben, gaben an, ihnen sei es wichtig, Romanisch zu beherrschen [35].
Als erste Bündner Talschaft bekannte sich das Val Müstair formell zum Territorialitätsprinzip und erklärte sich definitiv und ausschliesslich zur rätoromanischen Sprachregion [36]. Das Unterengadin scheint ebenfalls auf dem Weg, ein allerdings etwas abgeschwächtes Territorialitätsprinzip einführen zu wollen. Hier soll gemäss einer Vernehmlassung unter den betroffenen Gemeinden das Rätoromanische für alle kommunalen und regionalen Verwaltungen, nicht aber für die Gerichte gelten [37].
Verschiedentlich wurde darauf hingewiesen, dass eine Ratifizierung des Rahmenabkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten (siehe oben, Teil I, 7d, Grundsatzfragen) auch für die Förderung des Rätoromanischen Folgen haben könnte. Art. 9 der Konvention sieht insbesondere vor, dass die Vertragsstaaten dafür zu sorgen haben, dass die Minderheiten angemessenen Zugang zu den Medien erhalten. Vertreter Graubündens leiteten daraus ab, dass der Bund verpflichtet werden müsse, die geplante rätoromanische Nachrichtenagentur finanziell zu unterstützen (siehe auch unten, Teil I, 8c, Presse) [38].
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Kirchen
Nach 1977 und 1980 lehnten die Stimmberechtigten des Kantons Zürich zum dritten Mal eine Vorlage zur Trennung von Kirche und Staat deutlich ab. Die ursprünglich aus SVP-Kreisen lancierte Initiative wurde im Abstimmungskampf nur noch von der FPS sowie Einzelpersonen aus dem rechtsbürgerlichen und freikirchlichen Umfeld unterstützt. Mit dem Volksentscheid behalten die evangelisch-reformierte, die römisch-katholische und die christkatholische Landeskirche, denen rund 90% der Kantonsbevölkerung angehören, unter anderem das Besteuerungsrecht und damit Einkünfte von rund 360 Mio Fr. pro Jahr [39].
Fünf Jahre nach seinem Entscheid im Kruzifix-Streit von Cadro (TI) musste sich das Bundesgericht erneut mit der Präsenz von kirchlichen Emblemen in öffentlichen Räumen beschäftigen. Diesmal ging es um die Klage eines Anwaltes gegen den Kanton Freiburg, der forderte, dass die Kruzifixe aus den Gerichtssälen sowie aus all jenen öffentlichen Räumen zu entfernen seien, in denen die Angestellten nicht ausdrücklich das Gegenteil wünschen. Das Bundesgericht wies die Klage aus formalrechtlichen Gründen ab, worauf der Kläger das Verfahren an die europäische Menschenrechtskommission weiterzog [40].
Sehr klar mit 95 gegen 7 Stimmen verwarf der Nationalrat eine Motion Zisyadis (pda, VD), welche die Schaffung eines Bundesamtes für Religionsfragen verlangte, das im Sinne eines Observatoriums die religiösen Entwicklungen in der Schweiz verfolgen sollte, wie sie etwa im Vorjahr in den Kantonen Freiburg und Wallis zum Tod durch Mord oder Selbstmord von annähernd vierzig Mitgliedern einer religiösen Vereinigung geführt hatten. Der Bundesrat lehnte die Motion ab, da aus Gründen der staatlichen Kompetenzordnung kein rechtlicher Raum für eine derartige Bundesstelle bestehe [41].
Nicht weniger als fünf der sechs in der Schweiz amtierenden katholischen Bischöfe mussten im Laufe des Jahres ersetzt werden. Da es sich dabei mehrheitlich um ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Kirchendienst handelte, stellte sich erneut die Frage nach der Überforderung dieser Würdenträger, welche zum Teil enorm grosse Diözesen zu verwalten haben. Seit Jahren besteht deshalb der Ruf, der aus dem "Kulturkampf" stammende Artikel 50 Absatz 4 der Bundesverfassung, welcher eine Genehmigungspflicht des Bundes zur Errichtung neuer bzw. zur Veränderung bestehender katholischer Bistümer statuiert, sei aufzuheben. Gegen den Minderheitsantrag des Genfer Liberalen Coutau, der die protestantischen Bedenken seiner traditionell calvinistischen Stadt gegen einen möglichen Bischof von Genf ins Feld führte, nahm der Ständerat eine parlamentarische Initiative Huber (cvp, AG) an, welche eine ersatzlose Streichung von Art. 50 Abs. 4 BV verlangt. Die Vorsicht, mit der alle Redner das Thema angingen, und das knappe Ergebnis (18:16 Stimmen) zeigten, dass damit eine Frage aufgegriffen wurde, die trotz der Überwindung des Kulturkampfes und der langjährigen Erfahrung mit gelebtem konfessionellem Frieden im kollektiven Empfinden heikel geblieben ist [42].
Die Neuernennungen in den Diözesen St. Gallen, Lugano, Sion und Freiburg-Lausanne-Genf gingen ohne störende Zwischentöne über die Bühne. In Sion folgte der als konservativ eingeschätzte Norbert Brunner auf Henri Schwery, der trotz seines Rücktritts als Bischof weiterhin Kardinal bleiben wird. In Lugano und Freiburg wurden - als Nachfolger des verstorbenen Bischofs Correcco und des zurückgetretenen Bischofs Mamie - mit den Prälaten Giuseppe Torti und Amedée Grab zwei Kirchenmänner zu Bischöfen ernannt, welche sich in der Vergangenheit dem ökumenischen Gedankengut gegenüber aufgeschlossen gezeigt hatten. In St. Gallen, wo der Bischof nicht vom Heiligen Stuhl bestimmt, sondern aus einer von Rom genehmigten Liste durch lokale Gremien ernannt wird, wurde erwartungsgemäss der bisherige Administrator der Bistums, Ivo Fürer, zum neuen Bischof gewählt [43].
Bedeutend medienwirksamer vollzog sich der Wechsel im Bistum Basel. Bischof Vogel, im Vorjahr als Hoffnungsträger einer verjüngten Kirche gewählt, gab anfangs Juni überraschend seinen sofortigen Rücktritt bekannt. Den Grund dafür - die Beziehung zu einer Frau, die zu einer Schwangerschaft führte - stellte er in den Zusammenhang mit den enormen menschlichen Anforderungen, welche an den geistlichen Führer des Bistums Basel gestellt werden, dem rund 1,1 Mio Katholiken angehören und welches das Gebiet von zehn Kantonen umfasst [44].
Die Wahl eines neuen Bischofs von Basel erfolgt nach einem weltweit einzigartigen Prozedere, welches auf ein Konkordat von 1828 zurückgeht. Danach üben bei einer Bischofswahl das Domkapitel und die Regierungen der betroffenen Kantone das Wahlrecht aus, worauf die gewählte Person nur noch von Rom bestätigt werden muss. Während dies bei den vorangegangenen Wahlen stets problemlos funktioniert hatte, stellte sich der Vatikan nun plötzlich quer. Zuerst verlangte er einen Aufschub der Wahl unter dem Vorwand, dass das Wahlgremium längere Bedenkzeit brauche. Nach erfolgter Wahl Ende August liess die Bestätigung so lange auf sich warten, dass in den betroffenen Kantonen immer lauter die Befürchtung geäussert wurde, der Vatikan beabsichtige mit seinem Taktieren eine Aushöhlung des Konkordats  [45].
Schliesslich forderte die Diözesankonferenz sogar das EDA auf, in Rom zu intervenieren, erhielt jedoch aus Bern vorerst eine abschlägige Antwort. Das EDA begründete dies damit, dass sich der Bund grundsätzlich nicht in religiöse Angelegenheiten einmische und nur auf Gesuch eines Kantons gehalten sei, bei einer ausländischen Regierung vorstellig zu werden. Als sich dann die Regierungen der Bistumskantone ebenfalls einschalteten, unternahm das EDA schliesslich doch eine Demarche beim Heiligen Stuhl, indem es den Brief der Bistumskantone übermittelte und um wohlwollende Prüfung des Anliegens ersuchte [46].
Anfangs Dezember bestätigte Rom dann endlich die Wahl des als Kronfavoriten gehandelten Kurt Koch, Professor an der Theologischen Hochschule Luzern. Der Vatikan bestimmte aber, dass der neue Bischof - entgegen den Gepflogenheiten - nicht in der Kathedrale Solothurn, sondern in Rom geweiht wird, was zu weiterem Unmut bei der Kirchenbasis führte, welche dies als Machtdemonstration Roms gegenüber der Lokalkirche empfand. Anlässlich der Weihe von Bischof Koch wurde eine Delegation der Bistumskantone im Vatikan vorstellig und betonte mit aller Entschiedenheit, dass eine Schmälerung der im Konkordat stipulierten Rechte keinesfalls zur Diskussion stehen könne [47].
Im Anschluss an die "Affäre Vogel" forderten über 70 000 Personen in einer Petition an die Schweizerische Bischofskonferenz die Abschaffung des Pflichtzölibats in der katholischen Kirche und die Zulassung der Frauen zur Priesterweihe. Die Unterschriften wurden von Pfarreien, basiskirchlichen Organisationen und dem Katholischen Frauenbund mit Unterstützung der Zeitschrift "Schweizerischer Beobachter" gesammelt. Die Bischofskonferenz bezeichnete die Petition als positives Zeichen der Mitsorge und versprach, den Dialog sowohl mit der Kirchenbasis als auch mit den Bischofskonferenzen der Nachbarländer Deutschland und Österreich aufzunehmen [48].
Im Beisein von Bundesrat Villiger und mit einem vom Fernsehen übertragenen Festgottesdienst konnte der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) im Juni sein 75jähriges Jubiläum feiern. Seit 1920 vertritt der Kirchenbund seine 22 Mitgliedkirchen in gesellschaftspolitischen Fragen sowie in der nationalen und weltweiten Ökumene. Bundespräsident Villiger würdigte in seiner Ansprache das Engagement des SEK. Die christlich-ethischen Werte bildeten vorzügliche Leitlinien für eine freie und demokratische Gesellschaft. Er meinte, die Kirchen müssten Politik und Wirtschaft bisweilen "an den richtigen Pfad" erinnern [49].
Mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I. besuchte Ende Jahr erstmals ein Oberhaupt der Orthodoxen offiziell die Schweiz. Nach einem Höflichkeitsbesuch bei Bundespräsident Villiger und einem Empfang beim Internationalen Olympischen Komitee in Lausanne sowie beim Genfer Staatsrat bekräftigte er vor dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf die dauernde Mitgliedschaft der Orthodoxen in dieser Institution [50].
Für die Stellungnahmen von Bundesrat und Parlament zum 50. Jahrestag des Kriegsendes in Europa, in welchen unter anderem die Haltung der Schweiz gegenüber den Mitgliedern der jüdischen Glaubensgemeinschaft thematisiert wurde, siehe oben, Teil I, 1a (Grundsatzfragen). Zur Erteilung einer Konzession für eine wöchentliche religiöse Sendung auf Schweiz 4 an eine freikirchlich-evangelikal ausgerichtete private Fernseh-Produktionsgesellschaft siehe unten, Teil I, 8c (Radio und Fernsehen).
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Weiterführende Literatur
U. Frauchiger, Entwurf Schweiz. Anstiftung zur kulturellen Rauflust, Zürich 1995.
Schweizerische Landesbibliothek, Miscellanea 1895. Das Buch zum Jubiläum, Bern 1995.
Ch. Rothmayr, Die Kulturpolitik der Stadt Zürich: eine vergleichende Analyse der Ausgestaltung kulturpolitischer Massnahmen in den 70er und 80er Jahren, Zürich 1995.
R. Staechelin, "Die Kulturpolitik der Schweiz im Bereich der bildenden Kunst", in Die Volkswirtschaft, 68/1995, Nr. 11, S. 6 ff.
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"Statistik und Sprachen - von der Viersprachigkeit zur Vielsprachigkeit in der Schweiz", in Forum Statistikum, 1995, Nr. 34 (mehrere Artikel zum Thema).
U. Windisch, "La Suisse plurilingue: vers l'éclatement?", in M. Klaus (Hg.), Quelle chance pour nos institutions?, Schönbühl 1995 (Festschrift für Bundeskanzler F. Couchepin), S. 111 ff.
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L. Carlen (Hg.), Trennung von Kirche und Staat, Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Bd. 41, Freiburg 1994.
A. Loretan (Hg.), Kirche - Staat im Umbruch. Neuere Entwicklungen im Verhältnis von Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften zum Staat, Zürich 1995.
Ökumenische Kirchengeschichte der Schweiz, Freiburg und Basel 1994.
A. Schindler (Hg.), Kirche und Staat. Bindung - Trennung - Partnerschaft, Zürich 1994.
H. Stamm, Sekten - Im Bann von Sucht und Macht. Ausstiegshilfen für Betroffene und Angehörige, Zürich 1995.
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[2] AS, 1995, S. 2612 ff.; Presse vom 16.2. und 19.8.95. Vgl. SPJ 1988, S. 238. Paradoxerweise sind die im Inventar aufgeführten Monumente aufgrund des Haager Abkommens von 1954 in Kriegszeiten und bei Katastrophen zu schützen, können aber jederzeit im übergreifenden Interesse von Bund oder Kanton zerstört oder zweckentfremdet werden (JdG, 18.8.95). Zur Rolle des Bundes beim Kulturgüterschutz vgl. auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1897 ff. Für die Revision des Natur- und Heimatschutzgesetzes, welchem neu auch die Denkmalpflege unterstellt ist, siehe oben, Teil I, 6d (Protection des sites et de la nature).2
[3] BBl, 1995, III, S. 445 ff.; Amtl. Bull. StR, 1995, S. 824 ff.; Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2420 ff.3
[4] Bund, 26.6.95; NQ, 28.6.95; NZZ, 17.7. und 20.10.95; BaZ, 15.9.95; JdG, 20.11.95. Vgl. SPJ 1993, S. 262.4
[5] BBl, 1995, II, S. 892 ff.; Amtl. Bull. StR, 1995, S. 518 ff.; Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1953 ff.; BBl, 1995, IV, S. 572. Vgl. SPJ 1991, S. 272. Die Pro Helvetia gab sich im Berichtsjahr erstmals seit ihrem Bestehen ein Leitbild, das Selbstverständnis und Ziele ihres Wirkens definiert (Presse vom 17.5.95; Facts, 18.5.95).5
[6] D. Jeannet et al.; Le Paris des Suisses, Paris 1995; NQ, 16.10.95; BaZ, 18.10.95.6
[8] Woz, 20.1.95; Presse vom 24.1., 27.1., 2.2., 3.2. und 11.7.95; NZZ, 14.7. und 26.10.95; TdG, 7.12.95. Vgl. SPJ 1994, S. 263.8
[9] NZZ, 4.12.95. Vgl. SPJ 1994, S. 264.9
[10] CdT, 30.6.95.10
[13] Presse vom 19.7.95. Siehe SPJ 1993, S. 258.13
[14] Amtl. Bull. NR, S. 227 ff. und 1008; Amtl. Bull. StR, 1995, S. 293 ff. und 439; AS, 1995, S. 3675. Die SVB hatte ursprünglich 2,2 Mio Fr. pro Jahr beantragt; dieser Betrag wurde aber im Zuge der Sparbemühungen auf die bereits in den Vorjahren linear gekürzten 1,8 Mio Fr. zurückgestutzt. Siehe SPJ 1994, S. 264.14
[15] Documenta, 1995, Nr. 2, S. 21 f. (Eröffnungsansprache von BR Dreifuss); Presse vom 4.2., 7.6. und 10.6.95; Bund, 13.2.95; NZZ, 8.6.95; LZ, 9.6.95; NQ, 12.6.95; WoZ, 23.6.95; TA, 1.7.95; CdT, 7.8.95. Das "Forum" war ursprünglich als Geschenk des Bundes zur 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft vorgesehen. Zu den Ungereimtheiten im Vorfeld der Eröffnung siehe die Stellungnahme des BR in Amtl. Bull. NR, 1995, S. 738 f., 983 ff. und 1896 f.; LNN, 6.3.95; SoZ, 26.3.95; Ww, 30.3.95; NZZ, 8.6.95. Vgl. SPJ 1994, S. 264. Zu Querelen in der Führung des Landesmuseums siehe SoZ, 23.3.95 und Ww, 30.3.95.15
[16] Documenta, 1995, Nr. 3, S. 27 f. (Referat BR Stich); SoZ, 3.4.95; Presse vom 15.9.95. Siehe SPJ 1993, 257 f. Der Hauptsitz des Landesmuseums in Zürich, welcher im Vorjahr wegen baustatischer Mängel weite Teile der Ausstellungsfläche für das Publikum hatte schliessen müssen, konnte diese nach einer Sanierung weitgehend wieder zugänglich machen (NZZ, 9.9. und 15.12.95).16
[17] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1898 f.; BaZ, 14.1.95; Bund, 21.3.95; 24 Heures, 4.7.95.17
[18] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2706.18
[19] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 955. Das Anliegen wurde parteiübergreifend vorgetragen: im StR hatte Petitpierre (fdp, GE) das Postulat eingebracht, im NR war es Zbinden (sp, AG). Siehe SPJ 1994, S. 265.19
[20] Presse vom 25.3.95; NZZ, 27.3.95; TA, 26.7. und 24.9.95; Bund, 8.12.95. Siehe SPJ 1994, S. 265.20
[22] BaZ, 19.1., 29.3., 7.6., 9.6., 14.6. und 27.6.95; NZZ, 26.4. und 27.6.95; JdG, 22.6.95; Ww, 20.7.95.22
[23] Theater: BaZ, 23.5., 26.6., 29.7., 20.9., 14.11., 17.11., 28.11. und 9.12.95. Musical: BaZ, 26.9. und 12.10.-14.10.95; vgl. SPJ 1994, S. 266. Der Basler Regierungsrat beschloss, aus Spargründen zwei der fünf städtischen Museen zu schliessen, nämlich das Museum für Gestaltung sowie das Stadt- und Münstermuseum. Verschiedene Gruppierungen setzten sich gegen die Schliessungen ein (BaZ, 20.4., 21.4., 29.4., 10.5., 3.6., 28.6., 29.6., 23.11., 29.11., 5.12. und 14.12.95). 30% Kürzungen im Kulturbereich beantragt auch die Regierung des Kantons Solothurn (SZ, 31.1., 25.3. und 26.9.95).23
[24] LNN, 18.2., 22.6., 24.6., 15.11., 30.11., 14.12. und 15.12.95; Presse vom 24.10.95; BaZ, 16.12.95.24
[25] JdG, 14.2., 16.2., 27.2., 7.3. und 13.3.95.25
[26] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 212 ff. Ein Antrag Maspoli (lega, TI) auf Zustimmung zur ständerätlichen Version, welche das Territorialitätsprinzip, nicht aber die Sprachenfreiheit explizit erwähnen wollte, wurde mit 115:15 Stimmen verworfen. Vgl. SPJ 1994, S. 266 f.26
[29] BBl, 1995, II, S. 1241 ff.; Amtl. Bull. StR, 1995, S. 669 ff. und 1063; Amt. Bull. NR, 1995, S. 1963 ff. und 2293; BBl, 1995, IV, S. 468 f. Der StR schrieb daraufhin eine Motion Plattner (sp, BS) für die Förderung des Rätoromanischen als erfüllt ab (Amtl. Bull. StR, 1995, S. 672). Siehe SPJ 1994, S. 266 f.29
[30] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 224 ff. Vgl. SPJ 1994, S. 267.30
[31] Presse vom 3.3.95. Für Versuche mit zweisprachigem Unterricht siehe BaZ, 1.2.95; Lib., 14.3., 9.6., 4.7. und 11.7.95; LZ, 20.3.95; NF, 4.5., 26.10., 28.10. und 10.11.95; TA, 3.8.95; Ww, 5.10.95.31
[32] AS, 1995, S. 3632 ff.; LZ, 24.6.95.32
[33] BBl, 1995, III, S. 609 ff.; Amtl. Bull. StR, 1995, S. 966 ff. und 1295; Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2593 ff. und 2730 f.; BBl, 1996, I, S. 259; Presse vom 4.5.95; Lib., 17.5.95. Siehe auch SPJ 1993, S. 261. Der Tradition entsprechend nahm Bundespräsident Villiger an der Eröffnung des diesjährigen Frankophonie-Gipfels in Cotonou (Benin) teil: 24 Heures, 4.12.95; SGT, 9.12.95.33
[34] Büz, 8.2.95; NZZ, 11.12.95; Presse vom 21.12.95. Siehe SPJ 1992, S. 281.34
[35] Bund, 27.7.95.35
[36] BüZ, 3.2., 4.2. und 29.4.95.36
[37] BüZ, 11.3., 23.6. und 26.7.95.37
[38] BüZ, 28.3.95.38
[39] NZZ, 16.2., 22.3., 25.3., 16.5., 31.5., 9.6., 3.7., 12.7., 19.8., 25.8., 2.9.-21.9., 30.9, 7.10. und 20.10.95; Presse vom 25.9.95.39
[40] Lib., 27.1. und 16.2.95. Siehe SPJ 1990, S. 270.40
[41] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2137 ff. Siehe SPJ 1994, S. 270.41
[42] Amtl. Bull. StR, 1995, S. 558 ff.; NZZ, 13.1. und 22.8.95; SGT, 14.3.95. Siehe auch SPJ 1994, S. 270. Die Obwaldner Regierung meldete bereits ihr Interesse an der Schaffung eines Bistums Innerschweiz an und verlangte eine Mitsprache der Lokalkirche bei der Bischofswahl (LNN, 18.8.95; LZ, 9.9.95).42
[43] Sion: Presse vom 20.1., 1.4. und 10.6.95. Lugano: Presse vom 2.3., 10.6. und 11.9.95. Freiburg-Lausanne-Genf: Presse vom 27.1., 4.3., 7.4., 10.11. und 27.11.95. St. Gallen: SGT, 28.2., 13.3., 15.3., 21.3. und 25.3.95; Presse vom 29.3., 31.3. und 6.6.95. Siehe auch SPJ 1994, S. 271. Von den Schweizer Bischöfen blieb einzig Bischof Haas im Amt. Er konnte in Chur das fünfjährige Jubiläum seiner Amtseinsetzung feiern, blieb aber an der Kirchenbasis nicht minder umstritten als bisher (LNN, 22.4., 22.5., 19.9. und 29.11.95; LZ, 20.5. und 7.9.95; BüZ, 20.5., 22.5. und 8.9.; NZZ, 23.5.95; CdT, 27.5.95. Vgl. SPJ 1994, S. 271). Die Bündner Regierung drohte gar, die Abschlüsse der Theologischen Hochschule Chur nicht weiter zu anerkennen, wenn die Einflussnahme von Haas nicht drastisch eingeschränkt werde (NZZ, 23.5.95; Presse vom 29.6.95).43
[44] Presse vom 3.6.95.44
[45] NZZ, 7.6., 4.7. und 11.11.95; BaZ, 17.6. und 21.10.95; Presse vom 28.6., 17.8., 22.8., 7.11. und 24.11.95; LZ, 30.9.95; Bund, 1.11.95; LNN, 4.11.95; Ww, 16.11.95.45
[46] Presse vom 7.11., 25.11. und 27.11.95; Bund, 29.11.95.46
[47] TA, 30.11.95; BüZ, 2.12.95; Presse vom 6.12., 7.12., 21.12., 22.12. und 28.12.95 sowie vom 7.1.96. Bischof Koch lieferte schliesslich eine andere Version der Haltung Roms: Weil rechtskonservative Kräfte in der Schweiz versucht hätten, durch Denunziation seine Bestätigung zu hintertreiben, habe der Papst mit der Weihe in Rom ein besonderes Zeichen setzen wollen, um zu unterstreichen, dass er hinter dem neuen Bischof stehe (Presse vom 7.3.96). Diese Sicht der Dinge wurde von der Schweiz. Bischofskonferenz bestätigt, welche die verleumderischen Kreise im innerkirchlichen Bereich ortete (Presse vom 8.3.96). Auch in St. Gallen hatten die Abklärungen des Vatikans im Vorfeld der Wahl ungewöhnlich lange gedauert. Zudem verlangte der Vatikan, dass - entgegen dem Ablauf der bisherigen Wahlen - der Name des Gewählten erst nach Information der Kurie bekanntgegeben werde (SGT, 28.2.95; Presse vom 29.3.95).47
[48] Presse vom 6.6., 10.6., 5.9., 8.9., 9.11. und 9.12.95; BüZ, 17.6.95; LZ, 22.7.95; Bund, 7.12.95.48
[49] Presse vom 19.6.95.49
[50] JdG und NZZ, 11.12.95; NQ, 12.12.95; NZZ, 18.12.95.50
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