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Grundlagen der Staatsordnung
Föderativer Aufbau
Der Entscheid des Bundesrates über den Neuen Finanzausgleich, der auch eine Neuordnung der Kompetenz- und Kooperationsordnung zwischen dem Bund und den Kantonen bringt, verzögerte sich. – Die Regierungen von Genf und Waadt empfahlen die Volksinitiativen zur Fusion der beiden Kantone zur Ablehnung. – Im Berner Jura konkretisierten sich die Pläne für eine Teilautonomie.
Beziehungen zwischen Bund und Kantonen
Im Mai nahm der Bundesrat Kenntnis vom Vernehmlassungsbericht zum Neuen Finanzausgleich (NFA), welcher auch eine eingehende Reform der Kompetenz- und Kooperationsordnung zwischen dem Bund und den Kantonen, aber auch der Kantone unter sich enthält. Seine Botschaft stellte der Bundesrat auf Ende Jahr in Aussicht, verschob dieses Datum dann allerdings auf Herbst 2001, da zuerst noch die Datenbasis zu aktualisieren sei. Kantone, Gemeinden und Verbände hatten in der Vernehmlassung rund 2000 Änderungsanträge eingereicht. Die Projektleitung zog daraus das Fazit, die Rückmeldungen seien mehrheitlich positiv ausgefallen, ernst zu nehmende Kritik mache jedoch gewisse Nachbesserungen notwendig. Grundsätzliche staatspolitische Kritik kam allerdings von der SP, den Grünen und dem Gewerkschaftsbund, welche sich gegen Kompetenzverlagerungen vom Bund zu den Kantonen aussprachen. Einer der Hauptkritikpunkte von Seiten der Kantone war die Berechnungsformel für den sogenannten Ressourcenindex, welcher die finanzielle Leistungsfähigkeit eines Kantons ausdrückt. Verlangt wurde insbesondere, dass darin die Zentrumslasten der Städte grösseres Gewicht erhalten [1].
Zum Verhältnis zwischen den Sprachregionen siehe oben, Teil I, 1a (Grundsatzfragen).
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Territorialfragen
Der Nationalrat befasste sich mit der im Vorjahr von der grünen Fraktion eingereichten parlamentarischen Initiative für die Ersetzung der Kantone durch sechs bis zwölf Grossregionen. Die Grünen argumentierten dabei vor allem mit Effizienzgewinnen, welche mit dem Verzicht auf die bestehenden, zum Teil sehr kleinräumigen Kantonsstrukturen zu erzielen wären. Gemäss Parteipräsident Baumann (BE) würde eine solche neue Organisation auch die demokratischen Mitbestimmungsrechte des Volkes verbessern, da die als Alternative angepriesene Zusammenarbeit zwischen den Kantonen primär von den Kantonsregierungen bestimmt und teilweise der parlamentarischen Entscheidung und der direkten Demokratie entzogen sei. Unterstützt wurde die grüne Fraktion durch die SP. Die bürgerliche Kommissionsmehrheit sprach sich grundsätzlich dagegen aus, dass Kantonszusammenschlüsse und andere territoriale Reorganisationen vom Bund, d.h. von oben her, den Kantonen diktiert würden. Zudem betonte sie die Gefahr eines Verlusts an politischer Legitimität, wenn die historisch gewachsenen und identitätsstiftenden Kantone durch neue, künstliche Gebilde abgelöst würden. Die in Form einer allgemeinen Anregung gehaltene Initiative wurde mit 91:59 Stimmen abgelehnt [2].
Die kantonale Volksinitiative für eine Fusion der Kantone Genf und Waadt konnte auch in Genf eingereicht werden; rund 14 000 Stimmberechtigte hatten das Begehren unterzeichnet. Gegen Jahresende beantragten die Regierungen der beiden Kantone ihren Parlamenten in praktisch gleichlautenden Botschaften, die Initiativen zur Ablehnung zu empfehlen. Eine Fusion der beiden grössten Westschweizer Kantone würde ihrer Ansicht nach das Gleichgewicht in der Romandie, aber auch in der gesamten Schweiz empfindlich stören. Zudem seien die beiden Kantone von ihrer Identität und Struktur her zu unterschiedlich, als dass eine Fusion Sinn machen würde. Effizienzgewinne seien mit einem weiteren Ausbau der Zusammenarbeit eher erreichbar. Die Volksabstimmungen wollen die beiden Kantonsregierungen am gleichen Tag (voraussichtlich im Jahr 2002) durchführen [3]. In der Kampagne für die Genfer Unterschriftensammlung hatten die Promotoren weniger das konkrete Fusionsprojekt in den Vordergrund gestellt, als vielmehr die Idee einer Neugliederung der Schweiz in sechs bis zehn Grossregionen anstelle der bisherigen Kantone, wie sie auch die Grünen im Nationalrat vertreten hatten (siehe oben). Zusammen mit einigen vorwiegend aus der französischen Schweiz stammenden Politikern präsentierten sich die Genfer Initianten denn auch Mitte Juni in Bern als „Plattform für eine Schweiz der Regionen“. Als Ziel gab diese Bewegung die Eröffnung einer nationalen Diskussion über eine grundlegende territoriale Reform der Schweiz an, welche schliesslich in die Lancierung einer Volksinitiative münden solle [4].
Die Kantone Waadt und Wallis traten dem „Espace Mittelland“ bei, welcher sich um eine Verbesserung der Zusammenarbeit und um die Koordination der Aktivitäten der beteiligten Kantone sowie um die Realisierung gemeinsamer Projekte bemüht. Die Organisation umfasst damit sieben Kantone (BE, SO, FR, NE, VD, VS und JU) und zählt dank dieser Erweiterung jetzt etwa gleich viele französisch- wie deutschsprachige Bewohner [5].
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Die Gruppe „Avenir“ legte, nach einer dreijährigen Diskussionsphase, ihre Vorschläge für eine Lösung des Jurakonflikts vor. Die vom SVP-Grossrat Alain-Claude Voiblet präsidierte Gruppe hatte sich zum Ziel gesetzt, Personen aus dem berntreuen und dem ehemals separatistischen Lager zusammenzuführen, welche an einer konstruktiven Weiterentwicklung der Situation im Berner Jura interessiert sind. Ihr Projekt sieht vor, dass die drei frankophonen Bezirke des Kantons Bern zu einer teilautonomen Region zusammengelegt werden. Diese Region soll über eine Exekutive und ein Parlament verfügen, welche beide vom Volk gewählt werden. Die Region würde zwar vollständig in den Kanton Bern integriert bleiben, aber in bestimmten Bereichen wie etwa Bildung, Sport, Strassenunterhalt oder Wirtschaftsförderung Entscheidkompetenz und auch eigene finanzielle Mittel erhalten [6].
Der Regionalrat des Berner Juras, der 1998 von der Berner Regierung den Auftrag zur Ausarbeitung eines Projekts zur Konkretisierung der in der neuen Verfassung garantierten Autonomierechte erhalten hatte, präsentierte seinerseits ein sehr ähnliches Konzept. Der Hauptunterschied liegt im Wahlmodus für das Regionalparlament. Es sieht vor, dass dieses Gremium aus den zwölf Grossräten der drei Bezirke (dies entspricht dem bestehenden Regionalrat ohne die drei Amtsstatthalter und ohne die Vertretung der Welschbieler) und aus achtzehn ebenfalls vom Volk gewählten Vertretern gebildet wird. Die Wahl dieser Regionalräte soll dabei am gleichen Tag stattfinden wie die Grossratswahlen. Als Exekutive würde zudem vom Volk eine fünf Personen umfassende Kommission gewählt. Die Kompetenzen dieser neuen Institution wären hingegen ähnlich wie im Vorschlag der Gruppe Avenir [7].
Gegen Jahresende legte schliesslich auch noch die Assemblée Interjurassienne ihr Konzept vor. Sie postulierte, dass in einer ersten Phase von zwei Jahren der Berner Jura mit einem Autonomiestatut mit eigenen Organen und Entscheidkompetenzen ausgestattet werden soll. In einer anschliessenden Phase von vier Jahren könnte die Region damit Erfahrungen sammeln und dabei auch die Zusammenarbeit mit dem Kanton Jura ausbauen. Nach diesen insgesamt sechs Jahren soll dann Bilanz gezogen werden und insbesondere über eine dauerhafte Lösung (d.h. vor allem auch über die Kantonszugehörigkeit) entschieden werden. Andere Lösungen als dieses Phasenmodell, wie etwa die Gründung eines alle sechs Bezirke umfassenden neuen Kantons Jura oder den Einbezug des Kantons Neuenburg in eine territoriale Neustrukturierung der Region, wurden von der Assemblée verworfen. Das eine Konzept (neuer Kanton Jura) sei zur Zeit im Berner Jura nicht mehrheitsfähig und das andere (Einbezug von Neuenburg) sei nicht realisierbar, da weder im Kanton Jura noch in Neuenburg dafür ernsthaftes Interesse bestehe [8].
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Weiterführende Literatur
Die Literatur über das Verhältnis zwischen den Sprachregionen ist in Teil I, 1a aufgeführt.
Blankart, Charles, „Die schleichende Zentralisierung der Staatstätigkeit: Eine Fallstudie“, (für Deutschland und die Schweiz) in Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 1999, Nr. 3, S. 331-50.
Brunner, Stephan, Möglichkeiten und Grenzen regionaler kantonaler Zusammenarbeit: untersucht am Beispiel der Ostschweiz, Zürich (Diss. St. Gallen) 2000.
Hänni, Peter (Hg.), Schweizerischer Föderalismus und europäische Integration: die Rolle der Kantone in einem sich wandelnden internationalen Kontext, Zürich 2000.
Horber-Parpazian, Katia, Politique locale: les communes en action, Chavannes (IDHEAP) 2000.
Ladner, Andreas e.a., Gemeindereformen zwischen Handlungsfähigkeit und Legitimation, Bern (Institut für Organisation und Personal) 2000.
Neugebauer, Gregory (Hg.), Föderalismus in Bewegung: wohin steuert Helvetia?, Frauenfeld 2000.
Reymann, Marc, Coopération transfrontalière avec la Suisse: rapport, Paris (Assemblée nationale) 2000.
Schaller, Alain, „INTERREG III“, in Die Volkswirtschaft, 2000, Nr. 3, S. 32-36 (siehe dazu auch die Beiträge in Die Volkswirtschaft, 2000, Nr. 10, S. 6 ff.).
Thierstein, Alain e.a. (Hg.), Grossregionen. Wunschvorstellungen oder Lösungsansatz?, Bern (Haupt) 2000.
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Chiffelle, Frédéric, L’Arc jurassien romand et la frontière des langues, Lausanne 2000.
Groupe Avenir, Vers une autonomie du Jura Bernois, Reconvilier 2000.
Ruch, Christian, Struktur und Strukturwandel des jurassischen Separatismus zwischen 1974 und 1994, Bern (Haupt; Diss. Basel) 2000.
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[1] Presse vom 4.5. und 6.5.00; NZZ, 20.10.00; AB NR, 2000, S. 1459 (neuer Termin). Siehe dazu auch unten, Teil I, 5 (Finanzausgleich). Vgl. SPJ 1999, S. 53 und 164 f. Zur Forderung nach der Schaffung eines nationalen Kohäsionsfonds zur Unterstützung peripherer Regionen siehe unten, Teil I, 4a (Strukturpolitik).1
[2] AB NR, 2000, S. 1125 ff. Vgl. SPJ 1999, S. 54. Vgl. auch Lit. Brunner und Lit. Thierstein.2
[3] LT, 26.1. und 12.5.00 (Kampagne); TG und Lib., 16.6.00 (Einreichung); Lib. und LT, 22.12.00 (Regierungen). Vgl. SPJ 1999, S. 55.3
[4] Presse vom 23.6.00; AZ, 1.7.00. Der offizielle Titel der Genfer Initiative lautet „Oui à la région“.4
[5] Lib., NF und 24h, 4.7.00. VD und VS hatten bisher Beobachterstatus. Zur Gründung des Espace Mittelland siehe SPJ 1994, S. 47.5
[6] LT, 14.4.00; TA, 19.4.00; Lit. Avenir. Dieselben Ideen waren von Avenir bereits 1998 lanciert worden (vgl. SPJ 1998, S. 57).6
[7] Bund und QJ, 20.10.00. Die Gruppe Avenir kritisierte die vom Regionalrat vorgeschlagene Wahlprozedur als undemokratisch, da durch die separate Volkswahl von einerseits 12 Grossräten und andererseits 18 zusätzlichen Ratsmitgliedern das natürliche Quorum erhöht und damit die Wahlchancen der kleinen Parteien reduziert würden (QJ, 26.10.00). Zum Auftrag des Regionalrats siehe SPJ 1998, S. 57.7
[8] Bund und QJ, 20.12.00. Vgl. SPJ 1998, S. 57.8
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