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Sozialpolitik
Bevölkerung und Arbeit
Erstmals seit 1981 überholte das Bevölkerungswachstum der städtischen Gebiete jenes der ländlichen Regionen. – Der Bundesrat gab ein Massnahmenpaket zur Bekämpfung der Schwarzarbeit in die Vernehmlassung. – Mit 2% erreichte die Arbeitslosenquote den tiefsten Stand seit 1991. – Auf den 1. August trat das revidierte Arbeitsgesetz in Kraft, welches neu die Nachtarbeit der Frauen in der Industrie zulässt.
Bevölkerungsentwicklung
Die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz erhöhte sich 1999 um 40 900 auf 7 164 400 Personen. Die Zuwachsrate stieg von 0,4% im Vorjahr auf 0,6%. 68% wohnten in Gemeinden, die 1990 über 10 000 Einwohner hatten, ein Drittel der Bevölkerung in den Agglomerationen der fünf Grosstädte Zürich, Basel, Genf, Bern und Lausanne. Erstmals seit Beginn der Statistik des jährlichen Bevölkerungsstandes von 1981 überholte das Wachstum der städtischen Gebiete (+0,6%) jenes der ländlichen Regionen (+0,5%). 13 Kantone wiesen Zuwachsraten über dem Schweizer Mittel auf, so Schwyz (+1,4%), Zug (+1,3%) und Genf (+1,0%). Sechs Kantone verzeichneten einen Rückgang: am meisten Basel-Stadt (-1,1%), Uri (-0,4%) und Jura (-0,3%). Seit 1990 sind Zug (+15,8%), Schwyz (+15,5%) und Freiburg (+13,4%) am stärksten gewachsen [1].
Zur eidgenössischen Volkszählung 2000 siehe oben, Teil I, 1b (Datenschutz und Statistik).
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Arbeitswelt
Wie eine neue deutsche Studie zu den Arbeitskosten in der Industrie im internationalen Vergleich zeigte, ist der Arbeitsplatz Schweiz teuer, aber effizient. Eine Stunde Arbeit (inklusive alle Nebenlohnelemente) kostet den Arbeitgeber in der Schweiz durchschnittlich 36.20 Fr. Nur in Dänemark (36.40 Fr.), Norwegen (37.90 Fr.) und Westdeutschland (40.30 Fr.) ist die Arbeitsstunde noch teurer. Die Belastung mit Lohnnebenkosten (53% des Durchschnittsstundenlohnes) liegt hingegen unter dem internationalen Durchschnitt. In Italien beispielsweise betragen diese Zusatzkosten 100%, und auch in Westdeutschland und Japan bewegen sie sich deutlich über Schweizer Niveau. Den hohen Arbeitskosten in der Schweizer Industrie steht eine starke Produktivität gegenüber. Hinter Norwegen, aber noch vor den USA, Japan und Dänemark, liegt die Schweiz hier auf Rang zwei. 146 400 Fr. erarbeitete ein Schweizer Industriearbeiter 1999 – gegenüber 141 900 Fr. in den USA, 141 500 Fr. in Japan, 127 500 Fr. in Dänemark und 113 000 Fr. in Deutschland [2].
Stress am Arbeitsplatz kommt die Schweiz teuer zu stehen. Die volkswirtschaftlichen Kosten belaufen sich laut einer Studie des Seco auf jährlich rund 4,2 Mia Fr. (1,2% des BIP). Sie setzen sich zusammen aus 1,4 Mia Fr. für medizinische Versorgung, 348 Mio Fr. für Selbstmedikation und 2,4 Mia Fr. für Fehlzeiten und Produktionsausfälle. Der Vergleich mit Studien von 1984 und 1991 ergab, dass die Anzahl der Personen mit stressbedingten Symptomen seither zugenommen hat; 83% der Befragten gaben an, sich am Arbeitsplatz und im Privatleben gestresst zu fühlen (Frauen mehr als Männer), doch waren 70% der Ansicht, damit ohne gesundheitliche Beeinträchtigung umgehen zu können [3].
Im Rahmen der Legislaturplanung reichte die Kommission des Nationalrates eine Richtlinienmotion ein, die dem Bundesrat den Auftrag erteilen wollte, dem Parlament Massnahmen zu unterbreiten, die durch das Aufkommen der „neuen Wirtschaft“, insbesondere durch die rapide Zunahme der Telearbeit, für den Schutz der Arbeitnehmenden nötig sind. Angesichts der beschränkten personellen und finanziellen Ressourcen sah sich der Bundesrat zwar ausserstande, dem relativ weit gefassten Anliegen der Motion erste Priorität einzuräumen, versprach aber, die Entwicklung weiter aufmerksam zu beobachten. Um sich den erforderlichen Handlungsspielraum zu erhalten, beantragte er erfolgreich Umwandlung in ein Postulat. Eine weitere Richtlinienmotion, welcher der Bundesrat seine Zustimmung gab, beauftragte ihn, die Ahndung der Schwarzarbeit auzubauen. Diese Motion wurde vom Ständerat ebenfalls angenommen [4].
Letzterem Begehren, das schon mehrmals vom Parlament sowie von den Sozialpartnern an ihn heran getragen worden war, kam der Bundesrat Ende August entgegen, indem er ein Massnahmenpaket zur Bekämpfung der Schwarzarbeit in die Vernehmlassung gab. Neben administrativen Erleichterungen für Dienstleistungen im Haushalt und deutlich schärferen Sanktionen für Arbeitgeber, die Schwarzarbeiter beschäftigen (Gefängnisstrafen und Bussen bis 1 Mio Fr.), sieht das Projekt einen verbesserten Datenaustausch zwischen den Behörden, eine neue, strafrechtlich fassbarere Definition der Scheinselbständigkeit sowie eine Verstärkung der Kontrollkompetenzen der paritätischen resp. der tripartiten Kommissionen vor. Während sich die Gewerkschaften auf der einen Seite, der SGV und der Baumeisterverband (als Vertreter jener Branchen, in denen die meiste Schwarzarbeit geleistet wird) auf der anderen Seite hinter die Vorschläge des Bundesrates stellten, legte sich der Arbeitgeberverband quer. Er wollte nur Kontrollen durch die Kantone und die paritätischen Kommissionen zulassen [5].
Im Rahmen der Legislaturplanung 1999-2003 wollte die vorberatende Kommission des Nationalrates den Bundesrat mit einer Richtlinienmotion beauftragen, dem Parlament einen umfassenden Bericht über das in der Schweiz in den unterschiedlichsten Bereichen erbrachte freiwillige und ehrenamtliche Engagement zu unterbreiten. Der Bundesrat anerkannte die Bedeutung der Freiwilligenarbeit und verwies auf bereits publizierte Studien des BFS sowie auf die erwarteten Ergebnisse der Volkszählung 2000, in der erstmals eine Frage nach dem Umfang der Hausarbeit und den ehrenamtlichen Tätigkeiten gestellt wurde. Auf seinen Antrag wurde die Motion lediglich als Postulat angenommen [6]. Ebenfalls nur als Postulat überwiesen wurde eine Motion Goll (sp, ZH), die vom Bundesrat verlangte, dem BFS die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um eine Zeitbudgeterhebung zur Evaluation des Zeitaufwandes für unbezahlte Arbeit durchzuführen [7].
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Arbeitsmarkt
Infolge des Konjunkturaufschwungs erhöhte sich die Nachfrage nach Arbeitskräften im Berichtsjahr kräftig. Die Beschäftigung stieg um +1,1% gegenüber +0,7% im Vorjahr. Erneut war die Zunahme bei den Frauen mit +1,7% deutlich stärker als bei den Männern (+0,6%). Nach einer Baisse im Vorjahr legten die ausländischen Arbeitnehmer wieder deutlicher zu (+2,0%) als die einheimischen (+0,7%). Während der 1. Sektor 1999 noch substantiell gewachsen war, verzeichnete er jetzt einen Rückgang um -2,4%. Auch der 3. Sektor erreichte mit +0,6% mehr Beschäftigten nur noch eine schwächere Steigerung als im Vorjahr. Überdurchschnittlich gestiegen ist die Beschäftigung hingegen im 2. Sektor (+2,0%). Im Baugewerbe nahmen die Erwerbstätigen um +4,7% zu, gefolgt von der Nahrungsmittelindustrie (+3,8%), der Herstellung von Präzisionsinstrumenten (+3,3%) und dem Bergbau (+3,2%). Rückläufig war die Beschäftigung in den Branchen Energie- und Wasserversorgung (-4,4%), der Herstellung von Lederwaren und Schuhen (-3,4%), dem Gast- und dem Versicherungsgewerbe (je -2,3%) [8].
Die selbstständige Erwerbstätigkeit hat in der zweiten Hälfte der 70er Jahre in den meisten OECD-Ländern zugenommen. Auch in der Schweiz kam es mit einer leichten Verzögerung zu einem Anstieg, wobei sich der Aufwärtstrend in den neunziger Jahren merklich beschleunigte. Wichtigste Erklärungsfaktoren für diese Renaissance der selbständigen Erwerbsarbeit sind die Entwicklung zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft, die Änderung der Produktionsverfahren, die vermehrte Konzentration auf Kernkompetenzen und die damit einhergehende Auslagerung betriebsperipherer Funktionen, steuerliche Faktoren und persönliche Motive sowie die zunehmende Verwischung zwischen selbständiger und unselbständiger Erwerbsarbeit. Vor allem ältere Männer schweizerischer Nationalität mit höherem Ausbildungsniveau wechseln in die Selbständigkeit [9].
Nach Schweden und den USA ist die Schweiz weltweit das dritte Land, in dem über 7% des BIP in der Informatik- und Telekommunikationsbranche erwirtschaftet werden, weshalb der zunehmende Mangel an einheimischen Fachleuten doppelt schwer wiegt. Verschiedene parlamentarische Vorstösse verlangten deshalb Ausbildungs- und Umschulungsinitiativen im Bereich der Informatik, resp. – nach deutschem Muster – die Erteilung von „Green cards“ für Informatikfachleute aus Ländern (insbesondere Indien), in denen die Schweiz aufgrund ihrer ausländerpolitischen Grundsätzen eigentlich keine Arbeitskräfte rekrutiert [10]. Das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie und mit ihm der Bundesrat verwiesen allerdings immer wieder auf unternommene Anstrengungen in diesem Ausbildungsbereich, weshalb spätestens 2004 der einheimische Personalengpass überwunden sein sollte. Eine Öffnung des Arbeitsmarktes wurde hingegen abgelehnt [11]. Eine Empfehlung Langenberger (fdp, VD), im EVD einen Pool „Beschäftigung/Ausbildung“ zu bilden mit der Aufgabe, vor allem die Entwicklungen der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien einer Analyse zu unterziehen und für diese Bereiche eine kohärente Politik zu erarbeiten, wurde auf Antrag des Bundesrates, der auf die Tätigkeiten bereits bestehender Amtsstellen verwies, lediglich als Postulat angenommen [12].
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Im Berichtsjahr waren im Mittel rund 72 000 Personen als arbeitslos gemeldet, fast 27 000 weniger als im Vorjahr. Mit durchschnittlich 2,0% erreichte die Arbeitslosenquote den tiefsten Stand seit 1991. Zusammen mit Luxemburg wies die Schweiz die geringste Arbeitslosigkeit aller OECD-Staaten aus. Der Rückgang erfolgte auf breiter Front und in allen Landesgegenden, die Unterschiede im Niveau blieben aber bestehen. Mit einer Arbeitslosenquote von 3,0% (1999: 4%) per Ende Dezember waren die Romandie und das Tessin immer noch doppelt so stark betroffen wie die Deutschschweiz mit 1,5% (2%). Auch die Nationalität beinflusste weiterhin das Risiko, arbeitslos zu werden. Ende 2000 waren 4,0% (5,4%) aller Ausländerinnen und Ausländer arbeitslos, während es bei den Schweizern nur 1,3% (1,7%) waren. Im Dezember waren knapp 18% aller Arbeitslosen länger als zwölf Monate bei den zuständigen Ämtern registriert. Im Vorjahr hatte der Anteil der Langzeitarbeitslosen noch 22% und 1998 sogar 29% betragen [13]. Die Kurzarbeit nahm ebenfalls markant ab. Im Jahresdurchschnitt waren 91 Betriebe (1999: 249) mit 655 Mitarbeitenden (2869) betroffen. Die ausgefallenen Arbeitsstunden beliefen sich auf 44 542 (187 731) [14].
1999 hatte die Aufsichtskommission der ALV eine Studie zur Situation der Ausgesteuerten in Auftrag gegeben, die im Berichtsjahr erschien. Aus der repräsentativen Umfrage ging hervor, dass 51% aller 1998 von der Aussteuerung betroffenen Personen bis zum Herbst 1999 wieder eine Anstellung gefunden hatten; rund 33% waren weiterhin arbeitslos, während andere versuchten, sich mit einer selbständigen Tätigkeit über Wasser zu halten. Von all jenen, die eine neue Arbeit gefunden hatten, arbeiteten allerdings 25% lediglich temporär und 40% mussten sich mit einer Teilzeitstelle zufrieden geben; 60% waren gezwungen, den Beruf zu wechseln, und mehr als 50% verdienten weniger als vor der Arbeitslosigkeit. Fast die Hälfte der Ausgesteuerten mussten von Verwandten oder vom Lebenspartner finanziell unterstützt werden, ein Viertel konnte noch von Ersparnissen zehren [15].
Mitte der 90er Jahre ist die Schweiz dazu übergegangen, die passive Verwaltung von Arbeitslosentaggeldern durch einen vermehrten Einsatz aktiver Wiedereingliederungsmassnahmen zu ersetzen. Gleichzeitig wurde die Struktur der Arbeitsämter reformiert. In einer breit angelegten Evaluation wurden nun die Resultate der neuen Politik wissenschaftlich untersucht. Trotz positivem Grundtenor zeigte sich noch ein erhebliches Verbesserungspotenzial. Vor allem ein selektiverer und gezielterer Einsatz der arbeitsmarktlichen Massnahmen und eine weitere Konzentration der Betreuung in weniger und dafür grösseren Arbeitsvermittlungszentren könnten offenbar die Wirksamkeit der staatlichen Arbeitslosenbetreuung noch optimieren. Das Instrument des Zwischenverdienstes, das von rund einem Fünftel der Arbeitslosen in der Beobachtungsperiode beansprucht wurde, erwies sich als das weitaus wirksamste. Da bei diesen Beschäftigungen die Arbeitslosenversicherung (ALV) lediglich die Differenz zwischen dem tatsächlich erzielten und dem (je nach Familiensituation) garantierten Verdienst von 70-80% des früheren Einkommens bezahlen muss, ist dies für die ALV die eindeutig billigste Lösung; zudem erhält sich der Arbeitslose mit diesen Einsätzen „arbeitsmarktfähig“ und hat so die grösseren Chancen, wieder eine reguläre Anstellung zu bekommen. Die Teilnahme an Beschäftigungsprogrammen scheint sich hingegen eher kontraproduktiv ausgewirkt zu haben, während sich bei Absolventen eines Aus- oder Weiterbildungsprogramms ein gemischtes Bild ergab [16].
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Löhne
Im Berichtsjahr nahmen die Löhne gemäss BFS nominal um 1,3% zu, verloren aber teuerungsbedingt real 0,3%. Einzig der Agrarsektor legte real um 0,3% zu. Aufgeschlüsselt nach Branchen stiegen die Reallöhne bei den Versicherungen (+1,2%), den Banken (+0,7%) und den sonstigen öffentlichen und persönlichen Dienstleistungen überdurchschnittlich. Kaufkrafteinbussen mussten dagegen unter anderem die Beschäftigten im Unterrichtswesen (-0,9%), im Gastgewerbe (-0,9%) und im Gesundheits- und Sozialwesen (-0,1%) hinnehmen. Die Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF), die von anderen Daten ausgeht als das BFS (AHV- anstatt SUVA-Statistik), kam demgegenüber auch dieses Jahr zu höheren Werten. Gemäss KOF nahmen die Löhne nominal um 3,3% und real um 1,7% zu. Die Löhne der Schweizer Topmanager (ohne variable Lohnbestandteile wie Gewinnbeteiligungen und Aktiensparpläne) stiegen im Berichtsjahr nominal um 4,7% [18].
Für 2001 handelten die Gewerkschaften im Mittel 2,9% mehr Lohn aus; davon wurden 2,1% generell und 0,8% individuell zugesichert. Die Gewerkschaften hatten ursprünglich mindestens 3,5% verlangt (rund 2% Teuerungsausgleich und 1,5% Reallohnzuwachs) [19]. Der Trend hin zu immer mehr individuellen Lohnerhöhungen nach dem Leistungsprinzip scheint allerdings gebrochen zu sein. Nachdem noch 1994 rund 87% aller Lohnanpassungen als generelle Lohnerhöhungen vereinbart worden waren, sank dieser Anteil kontinuierlich, bis er 1998 den Tiefststand von etwa 20% erreichte. In der Lohnrunde 1999 wurden wieder 67% des gesamtvertraglich ausgehandelten Lohnzuwachs für generelle Lohnerhöhungen aufgewendet, Tendenz für 2000 steigend. Der Arbeitgeberverband erklärte seine Bereitschaft, wieder vermehrt zu generellen Lohnanpassungen zurückzukehren, mit der guten Konjunktur, welche eine nicht unbeträchtliche Erhöhung der gesamten Lohnsumme möglich mache; zur Motivations- und Produktivitätssteigerung wollen die Arbeitgeber aber keinesfalls auf Leistungslohnkomponenten verzichten [20].
Der SGB stellte die Feiern zum 1. Mai unter das Motto „Keine Löhne unter 3000 Franken“, eine Forderung, welche die Gewerkschaften bereits im Vorjahr erhoben hatten [21]. Dass die Wirtschaft Mindestlöhne in den Tieflohnbereichen verkraften könnte, zeigte der Bericht einer aus Ökonomen und Juristen zusammengesetzten Expertengruppe, die im Auftrag des SGB Möglichkeiten zur Festlegung von Mindestlöhnen und deren Folgen untersuchte. Heute arbeiten 169 000 vollzeiterwerbstätige Personen zu Gehältern, die unter einem Nettoeinkommen von 2250 Fr. liegen; 400 000 Arbeitnehmende verdienen weniger als 3000 Fr. netto. Das sind immerhin 5,4% resp. 12,9% der Unselbständigerwerbenden. In den typischen Niedriglohnbranchen Gastgewerbe, Detailhandel und Reinigungsgewerbe arbeiten ein Drittel bis zwei Fünftel der Angestellten zu Salären unter 3000 Fr. In den betroffenen Betrieben würde beim geforderten Mindestlohn von 3000 Fr. die Lohnsumme um vier bis sieben Prozent steigen. Die neuen Mindestlöhne würden sich im Gastgewerbe mit plus drei oder vier Prozent auf die Preise auswirken, wobei allerdings auch möglich wäre, dass dadurch die längst fälligen Strukturanpassungen beschleunigt würden. In der Reinigungsbranche könnten substantielle Lohnerhöhungen allerdings auch zu vermehrter Schwarzarbeit führen, weshalb deren Bekämpfung erste Priorität zukomme. Die von Arbeitgeberseite immer wieder vorgebrachte Behauptung, Mindestlöhne würden die Beschäftigungshöhe negativ beeinflussen, habe sich durch Untersuchungen in Ländern mit gesetzlich festgelegtem Mindestlohn nicht erhärten lassen. Nicht schlüssig waren sich die Experten, ob das Ziel über Normalarbeitsverträge, Gesamtarbeitsverträge oder über gesetzlich festgelegte Minimallöhne erreicht werden soll [22].
Der Lohnstreit auf dem Bau spitzte sich in den ersten Monaten des Berichtsjahres weiter zu. Der Aufschwung im Bauhauptgewerbe mit seinen rund 100 000 Beschäftigten – wovon rund zwei Drittel in der Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI) organisiert – und anstehende Grossprojekte (NEAT, Expo) stärkten die Stellung der Gewerkschaften, die nun offen mit Streik drohten, falls die Baumeister die Ende des Vorjahres ausgehandelten Bedingungen nicht akzeptieren sollten. Schliesslich schaltete sich Bundesrat Couchepin ein, der befürchtete, der Lohnstreit könnte sich negativ auf die Abstimmung über die bilateralen Verträge mit der EU auswirken, da ohne gültigen GAV die im Vorjahr mühsam ausgehandelten Massnahmen gegen Lohndumping hinfällig und damit die Unterstützung durch die Gewerkschaften unsicher würden. An dem von Couchepin einberufenen runden Tisch einigten sich die Sozialpartner auf jene Vereinbarung, die sie bereits Ende des Vorjahres ausgearbeitet hatten, welche der Baumeisterverband im Januar aber überraschend platzen liess: den Bauarbeitern wurde eine generelle Lohnerhöhung von 100 Fr. zugestanden, dafür machten die Gewerkschaften die Kündigung des Landesmantelvertrages rückgängig und akzeptierten mehr Flexibilität bei den Gleitstunden [23]. Für 2001 handelten die Sozialpartner eine generelle Lohnerhöhungen um 160 Fr. plus individuelle Lohnanpassungen um 40 Fr. aus; die Gesamtlohnsumme steigt damit um rund 4,4% [24].
Die Gewerkschaft Unia verlangte eine Anhebung der Löhne um 300 Fr. pro Monat für alle Angestellten im Gastgewerbe, und zwar sowohl bei den gesamtarbeitsvertraglich ausgehandelten Mindestlöhnen (2410 Fr. für Ungelernte, 3860 Fr. für Arbeitnehmende mit Ausbildung), als auch bei den effektiven Gehältern. Da die Unia nicht in den Landes-GAV eingetreten ist, konnte sie aber an den offiziellen Lohnverhandlungen mit den Arbeitgebern nicht teilnehmen. Diese Gespräche wurden von der Union Helvetia geführt. Auch sie forderte eine Lohnerhöhung von 300 Fr. für alle Angestellten. Zudem verlangte sie, dass die unterste Grenze auf 3000 Fr. netto angehoben wird. Die Sozialpartner einigten sich schliesslich auf eine Lohnerhöhung um 100 Fr. für die unterste Lohnklasse und von 110 bis 150 Fr. für die Kader [25].
Ins Kreuzfeuer gerieten die beiden Grossverteiler Migros und Coop, die – trotz sehr gutem Geschäftsgang – selbst langjährigen Mitarbeitenden Nettolöhne von knapp 3000 Fr. ausrichten. FDP-Parteipräsident Steinegger forderte die beiden Firmenketten auf, Gehälter zu bezahlen, „die zum Leben ausreichen“, da sonst die öffentliche Hand Unternehmen der Tieflohnbranche mit der von ihr geleisteten Sozialhilfe de facto subventionieren würde. Staatlich festgelegte Mindestlöhne verwarf er aber und meinte, der freie Arbeitsmarkt werde die Sache von alleine regeln [26]. Die Migros reagierte auf die (ihrer Ansicht nach geschäftsschädigenden) Vorwürfe der Gewerkschaften mit ganzseitigen Inseraten in allen grossen Tageszeitungen. Sie versprach darin, allen vollzeitbeschäftigten Mitarbeitenden ab 2001 einen Bruttolohn von mindestens 3000 Fr. auszurichten (3300 Fr. ab 2003). Zudem verwies die Genossenschaft darauf, dass sie in anderen Sozialbereichen (Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen, Leistungsprimatspension mit 62 Jahren usw.) ein sehr sozialer Arbeitgeber sei [27].
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Arbeitszeit
Der Bundesrat beschloss, die „Arbeitszeitinitiative“ des SGB ohne Gegenvorschlag abzulehnen. Die Verkürzung der Arbeitszeit sei in erster Linie Angelegenheit der Sozialpartner; diese könnten am besten beurteilen, ob und inwieweit eine solche Regelung für ihre Branche möglich und tragbar sei. Die Verkürzung der Arbeitszeit von heute durchschnittlich 42 auf 36 Stunden pro Woche mit Lohngarantie für kleine und mittlere Einkommen hätte negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Schweiz [28].
Auf den 1. August setzte der Bundesrat das erst im zweiten Anlauf 1998 vom Volk angenommene neue Arbeitsgesetz sowie die entsprechenden Ausführungsverordnungen in Kraft. Er kam den Forderungen der Gewerkschaften insofern entgegen, als er die Ausnahmen für den Zeitzuschlag bei Nachtarbeit (10% in Form zusätzlicher Freizeit), die neu auch für Frauen in der Industrie erlaubt ist, enger fasste. Vom Zeitzuschlag werden nur Betriebe befreit, die fortschrittliche Arbeitszeitmodelle wie eine 7-Stunden-Schicht bei einer 35-Stunden-Woche oder aber eine 4-Tage-Woche praktizieren. Ausnahmeregelungen sind für bestimmte Branchen wie Spitäler, Gastgewerbe und verwandte Betriebe möglich. Spezielle Schutzbestimmungen gelten für schwangere Frauen und für häufige Nachtarbeit; darunter fällt vor allem eine verstärkte arbeitsmedizinische Überwachung [29].
Das Bundesgericht fällte bezüglich der Überstundenregelung einen Grundsatzentscheid. Gemäss Arbeitsgesetz Art. 13 muss Überzeit generell mit 25% Lohnzuschlag entschädigt werden. Bei gewissen Berufskategorien (Büropersonal und technische Angestellte) gilt dies erst, wenn die Überzeit 60 Stunden pro Kalenderjahr übersteigt; im gegenseitigen Einverständnis kann die Überzeit auch durch Freizeit von gleicher Dauer ausgeglichen werden. Nicht zulässig ist hingegen, in einem Arbeitsvertrag die Entschädigung für Überzeit ganz oder teilweise auszuschliessen. Das Bundesgericht stützte mit seinem Entscheid den Entschädigungsanspruch einer Arbeitnehmerin, in deren Arbeitsvertrag Überstunden als unvermeidlich und im Lohn inbegriffen bezeichnet worden waren [30].
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Kollektive Arbeitsbeziehungen
Die Begleitmassnahmen zum bilateralen Abkommen mit der EU über den freien Personenverkehr sehen im Fall von missbräuchlicher Unterschreitung der ortsüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen dreigliedrige Kommissionen (Sozialpartner plus Behörden) zu deren Feststellung vor. Da damit eine gesetzliche Grundlage für derartige Gespräche geschaffen wurde, stimmte auch der Nationalrat der Ratifizierung des Abkommens Nr. 144 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu, welches tripartite Beratungen zur Förderung der Durchführung internationaler Arbeitsnormen festschreibt [31].
Das Bundesgericht fällte ein Grundsatzurteil, welches seine seit 1938 praktizierte Jurisdiktion im Bereich der Gültigkeit von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) umstiess. Demnach kann ein Arbeitgeber, der einem GAV beigetreten ist, diesen nicht individuell kündigen, wenn ihm die darin enthaltenen Vorschriften nicht mehr passen. Das Bundesgericht befand, ein befristeter GAV bleibe bis zu seinem Auslaufen für alle Beteiligten verbindlich. Aus einem unbeschränkt gültigen GAV könne der Arbeitgeber gemäss OR zwar austreten, aber erst nach mindestens einem Jahr Mitgliedschaft und mit sechsmonatiger Vorankündigung [32].
Bei der SBB wurde der erste GAV für die neu nach OR angestellten Mitarbeitenden abgeschlossen. Er tritt am 1.1.2001 für drei Jahre in Kraft. Der GAV garantiert den Arbeitnehmenden, dass während seiner Dauer kein Arbeitsplatzabbau aus strukturellen Gründen erfolgen wird; er führt die 39-Stunden-Woche und eine Leistungslohnkomponente ein. Die gewerkschaftlich organisierten Angestellten stimmten dem GAV mit rund 94% deutlich zu [33].
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Die Arbeitsmarktbehörden registrierten 2000 acht Arbeitsniederlegungen, die den Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation (Streik = Arbeitsverweigerung während mindestens eines Arbeitstags) entsprechen. Davon waren 19 Betriebe betroffen; knapp 3900 Personen beteiligten sich an dieses Ausständen und gut 4750 Arbeitstage gingen verloren [34].
Ohne Vorankündigung und ohne Dazutun der Gewerkschaften traten am Morgen des 24. Januar die rund 150 Mitarbeiter der Gepäcksortierungsanlage auf dem Flughafen Zürich Kloten geschlossen in einen wilden Streik, womit sie die im Gesamtarbeitsvertrag verankerte Friedenspflicht verletzten. Die Belegschaft protestierte gegen die Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen (u.a. Entlöhnung, Pensionsalter) seit der Auslagerung der Gepäckabfertigung von der Swissport in ein Joint-venture-Unternehmen (LSS-Swissport) zwischen Swissport und dem weltweit tätigen Unternehmen ISS Airport Multiservice AG im letzten Jahr. Am Abend unterbreitete LSS-Swissport ein Schlichtungsangebot. Zugesagt wurde die Wiedereinsetzung der mit dem Joint-venture aufgehobenen Betriebskommission, die Lösungen im Bereich einzelner Forderungen suchen soll. Bedingung war, dass die Arbeit am nächsten Morgen nach Dienstplan wieder aufgenommen werde, andernfalls den Mitarbeitern gekündigt würde. Da den Streikenden, die sich besonders an den rüden Umgangsformen der ISS gestört hatten, zudem versichert wurde, dass Swissport wieder die operative Führung der Gepäckabfertigung übernehmen werde, nahmen sie den Kompromissvorschlag an [35].
Streikposten der Gewerkschaft GBI verhinderten am frühen Morgen des 4. Mai die Aufnahme der Arbeit in der Aare-Wäscherei in Rheinfelden (AG), wobei sie von mehr als der Hälfte der 90 Angestellten unterstützt wurden. Grund für den Streik waren die tiefen Löhne der Belegschaft sowie die fristlose Entlassung eines Vertrauensmanns der Gewerkschaften. Nachdem die Geschäftsleitung zugesagt hatte, den Gewerkschafter wieder einzustellen und die Lohnverhandlungen unverzüglich aufzunehmen, wurde der Streik beendet; die Aare-Wäscherei erhöhte ab Juli die Minimallöhne um 550 Fr. pro Monat [36].
Ein Lohnstreik in der Basler Zentralwäscherei (Zeba) forderte letztlich ein politisches Opfer, das von den Gewerkschaften so wohl nicht gewollt war. Die seit 1994 privatisierte Zeba, in welcher der Kanton Mehrheitsaktionär ist, hatte dem Personal Änderungskündigungen zugestellt, die zu drastischen Lohnsenkungen (von 4200 auf 3100 Fr.) für jene Personen geführt hätten, die noch vor der Privatisierung angestellt worden waren. Für die soziale Abfederung dieser Massnahme war der Zeba-Verwaltungsrat bereit, 2 Mio Fr. aufzuwerfen. Nachdem sich die eigentlich nicht als Vertragspartnerin registrierte GBI in den Konflikt eingeschaltet und mit Arbeitskampf gedroht hatte, wurde die Situation für die Zeba-Verwaltungsratspräsidentin, die Basler SP-Regierungsrätin Veronika Schaller, immer ungemütlicher. Nach einem Warnstreik im März legte der Verwaltungsrat die Änderungskündigungen vorderhand auf Eis und stellte zusätzliche 1,5 Mio Fr. für den Sozialplan in Aussicht, allerdings nur unter der Bedingung, dass sich die Sozialpartner bis Ende Mai über die Verwendung der 3,5 Mio Fr. einigen. Nachdem die Frist ergebnislos abgelaufen war, sprachen sich Ende Juni die gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter in einer Urabstimmung für einen unlimitierten Streik aus, falls das Unternehmen die Änderungskündigungen nicht definitiv zurücknehme, wodurch sich die Gewerkschaften GBI und VPOD in ihrer harten Haltung bestätigt sahen.
Der Verwaltungsrat hielt an den Kündigungen fest, nahm seine Zusage für 1,5 zusätzliche Mio Fr. zurück, garantierte aber, dass keine Bruttolöhne unter 3000 Fr. bezahlt würden. Der Direktor des Gewerbeverbandes Basel-Stadt und Nationalrat Eymann (lps, BS) sowie der Präsident des SGB des Kantons erhielten anfangs Juli ein Vermittlungsmandat bis Ende September. GBI und VPOD verweigerten aber das Gespräch, obgleich die Vermittler nun nicht mehr minimale Brutto- sondern Nettolöhne von mindestens 3000 Fr. zusagten, und eine externe Beraterfirma dem Verwaltungsrat attestiert hatte, betriebswirtschaftlich sei der Spielraum, um im ungelernten Bereich Löhne über dem Marktniveau zahlen zu können, gering. Entnervt trat Ende Oktober Regierungsrätin Schaller mit sofortiger Wirkung als Präsidentin des Zeba-Verwaltungsrates zurück. Die politische Quittung folgte aber auf dem Fuss. Ende November wurde Schaller bei den Erneuerungswahlen für den Basler Regierungsrat abgewählt. Ihre Wahlniederlage kostete die SP einen Sitz und begründete den bürgerlichen Wahlsieg in Basel-Stadt. Am 29. November traten die Mitarbeitenden der Zeba in einen unbefristeten Streik, obgleich der Zeba-Verwaltungsrat weitere Konzessionen gemacht hatte. Am 4. Dezember wurde der Streik beendet, nachdem sich die Gewerkschaften mit ihren Hauptforderungen durchgesetzt hatten [37].
Ein harter Kampf um Lohn und Arbeitszeit spielte sich zwischen der Crossair und der Pilotengewerkschaft CCP ab. Obgleich letztere im Mai zugesagt hatte, den GAV weiterzuführen, bis zum Erscheinen einer von ihr bei der Universität St. Gallen in Auftrag gegebenen Studie über die Arbeitsbedingungen bei der zweitgrössten Schweizer Fluggesellschaft, die als Grundlage für die Verhandlungen dienen sollte, kündigte die CCP den GAV zuerst auf Ende Juni und dann auf Ende August und drohte mit Streikbewegungen. Im November einigten sich Crossair und CCP auf einen neuen, für die nächsten fünf Jahre nicht kündbaren GAV, der dem Cockpitpersonal Verbesserungen im Lohn-, Sozialversicherungs- und Ferienbereich bringt [38].
Warnstreiks fanden in vielen Kantonen im öffentlichen Dienst statt. Im Kanton Genf waren es die Schüler und Lehrer der Ingenieurschule, die Mitarbeiter der Sozialdienste und die Angestellten von „Edipresse“, die stundenweise streikten. Im Kanton Waadt legte ein Teil der Lehrerschaft und des Pflegepersonals im Februar für einen Tag die Arbeit nieder. Im Kanton Zürich machte das Pflegepersonal Anfang Mai mit stundenweisen „Protestpausen“ auf seine missliche Lage aufmerksam. Im September traten rund 60% der Zürcher Lehrerschaft während einer Stunde in den Ausstand, um gegen den Finanzabbau im Schulwesen zu demonstrieren [39].
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Schutz der Arbeitnehmenden
Wie der Ständerat im Vorjahr, verweigerte auch der Nationalrat der Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 181 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über private Arbeitsvermittler seine Zustimmung, weil das geltende Recht im Bereich des Mutterschaftsurlaubs und des Mindestlohns den Forderungen des Abkommens nicht entspricht [40].
Auf Anfang des Berichtsjahres trat die Richtlinie Nr. 6508 der Eidg. Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (EKAS) in Kraft. Damit wurden neu praktisch alle Betriebe in der Schweiz gesetzlich verpflichtet, das Gefahrenpotential, dem ihre Arbeitnehmer am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, einzuschätzen und je nach Resultat geeignete Vorkehrungen zur Arbeitssicherheit zu treffen. Kritiker (insbesondere der Kaufmännische Verband Zürich) warfen den neuen Vorschriften vor, ihre Umsetzung verursache unverhältnismässig hohe Kosten, sei zu sicherheitslastig und verkenne die wichtigsten Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz (Stress, Mobbing usw.) [41].
Eine Studie des Genfer Arbeitsinspektorats, die im Auftrag der Gewerkschaft GBI gesamtschweizerisch ergänzt wurde, zeigte, dass Menschen mit harter körperlicher Arbeit häufiger invalid werden und frühzeitig sterben. Während Wissenschafter, Architekten, Ingenieure und Techniker die besten Aussichten haben, bis 65 Jahre arbeitsfähig zu bleiben, erreichen nur gerade 57% der Bauarbeiter diese Altersgrenze unbeschadet. Kaum besser ergeht es den ungelernten Arbeitnehmern in industriellen Betrieben. Die GBI forderte deshalb einen verstärkten Gesundheitsschutz für diese Berufsgruppen, kürzere Tages- und Wochenarbeitszeiten sowie die Möglichkeit einer vorzeitigen Pensionierung nach 40 Berufsjahren [42].
1997 hatte der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Gross (sp, TG) Folge gegeben, die einen besseren Schutz der Arbeitnehmenden bei Entlassungen infolge von Konkursen oder Fusionen verlangte. Im Berichtsjahr gab der Bundesrat eine entsprechende Änderung des OR in die Vernehmlassung [43]. Dazu aufgefordert wurde er auch durch ein Postulat der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates, welches die Regierung ersuchte, eine Revision des OR und allenfalls des Mitwirkungsgesetzes zu prüfen, die darauf abzielt, die Mitwirkung und den Kündigungsschutz (insbesondere auch bezüglich Standortverlegungen und -auflösungen) zu prüfen [44].
Mit Billigung des Bundesrates gab der Nationalrat einer ausformulierten parlamentarischen Initiative Thanei (sp, ZH) Folge und beschloss damit eine Heraufsetzung der Streitwertgrenze für kostenlose Verfahren im Arbeitsrecht von 20 000 Fr. auf 30 000 Fr. Letztmals war die Grenze 1988 erhöht worden. Der Ständerat hiess diese Teilrevision des OR ebenfalls gut [45].
Mit einer gegen den Willen des Bundesrates mit 141 zu 1 Stimmen angenommenen Motion beauftragte Nationalrat Raggenbass (cvp, TG) die Regierung, für einen effizienteren Vollzug des Arbeits- und Unfallversicherungsgesetzes zu sorgen. Um Doppelspurigkeiten zu vermeiden, soll die unmittelbare Umsetzung und Kontrolle des Arbeitsgesetzes in den Betrieben ausschliesslich durch die kantonalen Inspektoren erfolgen. Die regionalen Arbeitsinspektorate sollen zu Kompetenzzentren umfunktioniert und die eidgenössischen nur noch als Oberaufsichtsinstanzen tätig sein. Die Motion wurde auch vom Ständerat angenommen [46].
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Weiterführende Literatur
Aeppli, Daniel C., Die Situation der Ausgesteuerten in der Schweiz – Die dritte Studie, Bern (Haupt) 2000. Zusammenfassung in Die Volkswirtschaft, 2000, Nr. 5, S. 46-50.
„Der schweizerische Arbeitsmarkt – ein wachstumslimitierender Faktor?“, in Crédit Suisse, Economy Briefing, Nr. 19, September 2000.
Bauer, Tobias / Baumann, Beat / Künzi, Kilian, Evaluation der Regelung des Zwischenverdienstes in der Schweiz, Bern (Seco) 2000.
Couchepin, Pascal, „Les perspectives du marché suisse du travail“, in Schweizer Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 2000, S. 269-275.
Gerfin, Michael / Lechner, Michael, Ökonometrische Evaluation der arbeitsmarktlichen Massnahmen in der Schweiz, Bern (Seco) 2000.
Grote, Gudela / Raeder, Sabine, Flexiblisierung von Arbeitsverhältnissen und psychologischer Kontrakt, Zürich 2000.
lrich, Peter e.a. (Hg.) , Arbeitspolitik für alle. Eine Debatte zur Zukunft der Arbeit, Bern (Haupt) 2000.
Lalive d’Epinay, Rafael / Zweimüller, Josef, Arbeitsmarktliche Massnahmen, Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung und die Dauer der Arbeitslosigkeit, Bern (Seco) 2000.
Martinovits-Wiesendanger, Alex / Ganzaroli, Denis, Panelbefragung bei Massnahmenteilnehmern, Bern (Seco) 2000.
Sheldon, George, Die Auswirkung der Errichtung von Regionalen Arbeitsvermittlungszentren auf die Effizienz der öffentlichen Arbeitsvermittlung, Bern (Seco) 2000.
Sheldon, George, Die Langzeitarbeitslosigkeit in der Schweiz, Diagnose und Therapie, Bern (Haupt) 2000.
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Küng Gugler, Anne / Blank, Susanne, „Inégalités des salaires en Suisse: pas d’augmentation sensible dans les années 90“, in Schweizer Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 2000, S. 307-317.
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Egli, Hans-Peter, „Neue Tendenzen bei der Teilzeitarbeit“, in Schweizerische Juristen-Zeitung, 2000, S. 205-218.
Franz Waldner, Caroline, „Chancen und Risiken flexibilisierter Arbeitsverhältnisse für Frauen“, in Aktuelle juristische Praxis, 2000, S. 1211-1225.
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Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz: Gesetzgebung und Vollzug, Bern (Seco) 2000.
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[1] Presse vom 30.8.00.1
[2] BZ, 11.10.00.2
[3] Presse vom 13.9.00.3
[4] AB NR, 2000, S. 753 ff.; AB SR, 2000, S. 653. Siehe dazu auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Eymann (lp, BS) in AB NR, 2000, S. 693.4
[5] Gemäss Schätzungen werden zurzeit in der Schweiz rund 35 Mia Fr. (ca. 9% des BIP) schwarz verdient (SHZ, 12.7.00; TA, 19.7.00; Presse vom 31.8.00). Für erste Erfolge bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit in der Romandie siehe NZZ, 9.2.00. Eine Übersicht über das Ausmasses der Schwarzarbeit in 21 OECD-Ländern zeigte, dass die Schweiz im internationalen Vergleich relativ wenig von Schattenwirtschaft betroffen ist (NZZ, 25.11.00). Zu den paritätischen resp. tripartiten Kommissionen vgl. SPJ 1999, S. 238 ff.5
[6] AB NR, 2000, S. 803 ff. Siehe SPJ 1999, S. 231. Das Jahr 2001 wurde von der UNO zum Internationalen Jahr der Freiwilligenarbeit erklärt: CHSS, 2000, S. 174 f.; SHZ, 22.11.00; Presse vom 6.12.00. Gemäss Arbeitskräfteerhebung 2000 des BFS sind 41% der in der Schweiz lebenden Personen ehrenamtlich tätig, Männer mehrheitlich in Vereinen, Frauen eher im sozialen Bereich.6
[7] AB NR, 2000, S. 448.7
[8] Die Volkswirtschaft, 2001, Nr. 8, S. 87* (provisorische Zahlen). Siehe SPJ 1999, S. 232 f. Zur Wirtschaftslage siehe oben, Teil I, 4a (Konjunkturlage).8
[9] Birchmeier, Urs, „Wachsende Bedeutung der selbständigen Erwerbsarbeit in der Schweiz“, in Die Volkswirtschaft, 2000, Nr. 10, S. 52-56.9
[10] Siehe stellvertretend dazu AB NR, 2000, S. 445 und 1200. Vgl. auch unten, Teil I, 8a (Berufsbildung).10
[11] Presse vom 11.3.00; LT, 15.5.00; NZZ, 22.7.00. Wie eine Studie der Universität Bern ermittelte, hat die Internetwirtschaft in den letzten Jahren rund 10 000 neue Arbeitsplätze geschaffen (TA, 28.2.00).11
[12] AB SR, 2000, S. 265 f.12
[13] Presse vom 10.1.01. Siehe SPJ 1999, S. 233. Für die Entwicklung in den einzelnen Sektoren und Branchen siehe Die Volkswirtschaft, 2001, Nr. 7, S. 91*-95*. Zu den Zahlen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung SAKE, die aufgrund unterschiedlicher Methoden der Datenerhebung meistens etwas divergierende Werte ausweisen, siehe Presse vom 15.11.00 (Resultate SAKE 2000). Vgl. auch: Buhmann, Brigitte e.a., „Statistiken zur Arbeitslosigkeit. Was messen sie wirklich?“, in Die Volkswirtschaft, 2001, Nr. 1, S. 40-43.13
[14] Die Volkswirtschaft, 2001, Nr. 7, S. 95*.14
[15] Lit. Sheldon. Siehe dazu auch eine als Postulat überwiesene Motion Tillmanns, sp, VD (AB NR, 2000, S. 478).15
[16] Lit. Bauer/Baumann, Lit. Gerfin, Lit. Lalive d’Epiney und Lit. Martinovits; Zusammenfassung in Die Volkswirtschaft, 2000, Nr. 4, S. 6-31. Siehe auch Egger, Marcel / Merckx, Véronique, „Die Evaluation des Einsatzes arbeitsmarktlicher Massnahmen in der Schweiz“, in Die Volkswirtschaft, 2000, Nr. 12, S. 40-44.16
[18] Presse vom 20.6.01. Vgl. SPJ 1998, S. 226 und 1999, S. 235. Zu der Frage, ob sich die Lohnschere in den letzten Jahren geöffnet hat oder nicht, siehe Lit. Küng; NZZ, 5.7.00; Bund, 27.7.01; BZ, 22.9.00.18
[19] Presse vom 17.8. und 18.12.00 sowie 20.6.01.19
[20] Presse vom 30.5. und 18.12.00; LT, 7.7.00; Bund, 15.7. und 20.11.00; SHZ, 6.9.00; NLZ, 20.9.00; BaZ, 2.12.00.20
[21] Presse vom 29.4.-2.5.00. Siehe SPJ 1999, S. 227.21
[22] Presse vom 23.5.00. Die vollständige Studie kann auf der Homepage des SGB eingesehen werden. Auch die OECD konnte keine negativen Beschäftigungseffekte von Mindestlöhnen feststellen (OECD, Economic Studies, Nr. 31, 2000/II).22
[23] TA, 11.2.00; BaZ, 11.3.00; Presse vom 17.3.00. Gemäss SGB dürfte die Erhöhung um 100 Fr. für die meisten Bauarbeiter einer Steigerung des Lohnes von mehr als 2% entsprechen (TA, 8.4.00). Siehe SPJ 1999, S. 236 f.23
[24] BZ, 6.11.00; Bund, 20.11.00.24
[25] TA, 27.5. und 24.6.00.25
[26] TA, 28.11.00. Arbeitgeberpräsident Hasler vermochte hingegen keine moralische oder gesellschaftliche Pflicht zur Bezahlung von existenzsichernden Löhnen auszumachen; er meinte, Unternehmen müssten wirtschaftlich denken und nicht sozial (Bund, 8.12. und 9.12.00).26
[27] Presse vom 9.12., 11.12. und 21.12.00.27
[28] BBl, 2000, S. 4108 ff. Siehe SPJ 1999, S. 235 f.28
[29] NZZ, 22.1. und 2.8.00; SHZ, 2.2.00; Presse vom 11.5.00; BaZ, 4.9.00. Siehe SPJ 1999, S. 236.29
[30] Presse vom 10.8.00.30
[31] AB NR, 2000, S. 136 und 462; AB SR, 2000, S. 228. Siehe SPJ 1999, S.236.31
[32] 24h, 11.10.00.32
[33] 24h, 17.6.00.33
[34] Provisorische Angaben des Seco.34
[35] NZZ und TA, 25.1. und 26.1.00.35
[36] TA, 5.5.00; NZZ, 6.5.00; AZ, 26.7. und 2.12.00.36
[37] BaZ, 8.3., 9.3., 7.6., 20.6., 24.6., 6.7., 14.9., 27.10., 9.11., 23.11. und 1.-5.12.00.37
[38] TA, 3.2., 12.2., 8.4 und 12.9.00; NZZ, 10.11.00.38
[39] 24h, 4.2.00; TG, 9.2. und 10.11.00; TA, 3.-5.5. und 16.9.00; LT, 9.6.00. Für weitere Protestaktionen im öffentlichen Dienst siehe unten, Teil I, 7b (Medizinalpersonen) und 8a (Grundschulen).39
[40] AB NR, 2000, S. 136 und 462; AB SR, 2000, S. 228. Siehe SPJ 1999, S. 241.40
[41] NZZ, 26.1.00; BaZ, 24.2.00.41
[42] Presse vom 29.8.00.42
[43] TG, 2.3.00. Siehe SPJ 1998, S. 232.43
[44] AB NR, 2000, S. 843.44
[45] BBl, 2000, S. 3475 ff. und 4859 ff. (BR); AB NR, 2000, S. 1177 und 1612; AB SR, 2000, S. 851 ff. und 941.45
[46] AB NR, 2000, S. 493 f.; AB SR, 2000, S. 868.46
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