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Wirtschaft
Geld, Währung und Kredit
Die Nationalbank hielt an ihrer expansiven Geldmengenpolitik fest. – Das Parlament befasste sich mit Massnahmen zur Reduzierung der Risiken, welche die Grossbanken für die Volkswirtschaft darstellen. – Die fortgesetzten und intensivierten Angriffe aus dem Ausland auf das schweizerische Bankgeheimnis führten zu einer heftigen Debatte in der Regierung und im Parlament über dessen Zukunft. – Der Bundesrat gab Vorschläge für ein kundenfreundlicheres Gesetz über Versicherungsverträge in die Vernehmlassung.
Geld- und Währungspolitik
Die Schweizerische Nationalbank schätzte zu Jahresbeginn die Konjunkturaussichten sehr negativ ein. Sie lockerte deshalb im März ihre Geldmengenpolitik noch einmal, indem sie die Zielgrösse für den Dreimonats-Libor auf 0,25% (Zielband 0,0–0,75%) senkte. Da ihr damit kaum mehr Spielraum für eine zusätzliche Verflüssigung blieb, griff sie zu einer Reihe von weiteren, so genannt unkonventionellen Massnahmen. Zudem richtete sie ihr Augenmerk verstärkt auf den Devisenmarkt. Da der Franken insbesondere seit Herbst 2008 gegenüber dem Euro und dem US-Dollar an Wert gewonnen hatte, intervenierte sie mit Devisenkäufen, um die von der Krise besonders betroffene Exportwirtschaft etwas zu entlasten. Auch nachdem sich im Herbst erste Anzeichen einer Erholung der Wirtschaft bemerkbar machten, hielt die Nationalbank an ihrer Politik des billigen Geldes fest. Die Geldmengenaggregate M1 und M2 nahmen weiterhin zu [1].
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Der Frankenkurs blieb 2009 gegenüber dem Euro, namentlich dank der Interventionen der Nationalbank, relativ stabil und bewegte sich um einen Wert von rund 1.52; er gewann aber in Bezug auf den US-Dollar weiter an Wert. Im Dezember galt ein Dollar noch 1.03 Fr. Der exportgewichtete Aussenwert des Frankens nahm weiterhin zu. Bis zum Jahresende betrug der Anstieg real 3,2% [2].
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Die Geldmarktsätze bildeten sich im Jahresverlauf leicht zurück. Der Libor-Satz (Zins für Dreimonats-Franken in London) sank bis zum November von 0,6% auf 0,25%. Die langfristigen Zinssätze (gemessen an der Rendite für 10-jährige Bundesanleihen) erhöhten sich bis Mitte Jahr auf 2,6% und sanken dann wieder gegen die 2%-Marke ab [3].
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Der Nationalrat stimmte gegen den Widerstand der SVP-Fraktion der Verlängerung des Rahmenkredits für die internationale Währungshilfe für den Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis zum 25. Dezember 2013 zu. Nach ihm gab auch die kleine Kammer ihr Einverständnis [4].
Der Bundesrat beantragte dem Parlament, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) im Rahmen der internationalen Währungshilfe einen ausserordentlichen, zeitlich befristeten Beitrag zur Aufstockung seiner Mittel zu gewähren. Dieser Rahmenkredit umfasst maximal 12,5 Mia Fr., welche die Nationalbank für höchstens zwei Jahre zur Verfügung stellt. Den Bund kostet dieser Beitrag an den IWF zur Unterstützung von in Zahlungsprobleme geratene Länder nichts, er muss aber dieses Darlehen der Nationalbank garantieren. Der Ständerat hiess diesen Antrag gegen den Widerstand einiger SVP-Abgeordneter gut [5].
Der Ständerat stimmte der im Vorjahr von der grossen Kammer überwiesenen Motion der SP-Fraktion für die Förderung einer prioritär auf die lokale Ernährungssicherheit zielende Landwirtschaftspolitik der internationalen Währungsorganisationen und Entwicklungsbanken ebenfalls zu [6].
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Der Nationalrat lehnte drei parlamentarische Initiativen der SVP-Fraktion und eine von Stamm (svp, AG) ab, welche sich mit den Gold- und Währungsreserven der Nationalbank befassten. Im Einzelnen verlangten sie, die Goldverkäufe der Nationalbank zu stoppen resp. ihr einen Mindestgoldbestand von 1000 Tonnen vorzuschreiben, was etwa dem Stand vom Sommer 2009 entsprechen würde. Zudem sollte dieses Gold physisch in der Schweiz gelagert werden um zu verhindern, dass andere Staaten darauf Zugriff haben. Letztere Massnahme war auch als Reaktion auf das Vorgehen der USA gegen die der Beihilfe zum Steuerbetrug angeklagte Grossbank UBS gedacht (siehe dazu unten) [7].
Nationalbankpräsident Jean-Pierre Roth trat auf Ende 2009 von seinem Amt zurück. Er war seit 1996 Mitglied des Direktoriums gewesen und 2001 zum Vorsitzenden ernannt worden. Der Bundesrat wählte den bisherigen Vize, Phillip Hildebrand, zu seinem Nachfolger. Der Lausanner Professor Jean-Pierre Danthine wurde neu ins Direktorium aufgenommen [8].
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Banken, Börsen und Versicherungen
Der Nationalrat überwies zwei Motionen seiner Wirtschafts- und Abgabenkommission (WAK) , welche diese nach einer Analyse des Entstehens der Finanzmarktkrise eingereicht hatte. Die erste verlangte eine Überprüfung der Finanzmarktaufsichtsbehörde (Finma) im Hinblick auf eine Verbesserung ihrer Funktionsfähigkeit. Der Ständerat unterstützte zwar den Inhalt dieser Motion, wandelte sie aber auf Antrag seiner WAK in einen Prüfungsauftrag an den Bundesrat um. Damit erklärte sich der Nationalrat nach einigem Zähneknirschen einverstanden. Die Finma selbst beurteilte in einem ausführlichen Rechenschaftsbericht ihr eigenes Verhalten grundsätzlich positiv. Die Erschütterung der internationalen Finanzmärkte habe ihrer Ansicht nach in diesem Ausmass nicht erwartet werden können, und auch die Aufsichtsbehörden der Staaten, die davon zuerst betroffen waren (USA und Grossbritannien), seien davon überrascht worden [9].
Eine zweite Motion, welche die aus Vertretern der SVP und der SP gebildete Mehrheit der WAK-NR eingereicht hatte, verlangte eine Überprüfung des schweizerischen Bankensystems mit der Absicht, systemgefährdende Krisen in Zukunft zu vermeiden. Konkret solle der Bundesrat die Möglichkeit der Vermeidung von Systemrisiken durch die Aufteilung von Grossbanken (sei es anhand von geschäftlichen oder geografischen Kriterien) überprüfen. Zudem solle er dafür sorgen, dass der Staat nach massiven Rettungsaktionen bei den begünstigten Banken während der Dauer seines Engagements massgeblichen Einfluss auf die Geschäfts- und dabei insbesondere auf die Salärpolitik erhält. Dieser Vorstoss wurde im Nationalrat von der SP, der GP und einer Mehrheit der SVP unterstützt und mit 104 zu 81 Stimmen überwiesen. Die Forderungen sowohl nach einer Aufspaltung der Grossbanken als auch nach Eingriffen in das Salärsystem der Banken stiessen jedoch im Ständerat auf Widerstand. Auf Antrag Brändli (svp, GR) beschloss er, die Motion zur nochmaligen Überprüfung dieser Passagen an die Kommission zurückzuweisen. Gleiches beschloss der Ständerat mit einer Motion Fetz (sp, BS), die Maximallöhne für Privatfirmen forderte, welche der Staat vor dem Konkurs gerettet hat. Die WAK des Ständerats präsentierte in der Sondersession im August ihren neuen Vorschlag. Demnach sollen aus den Motionen die Forderung nach einer Bankentrennung gestrichen und die Lohnvorschriften für die Manager der vom Staat geretteten Banken nur sehr unverbindlich und vage formuliert werden. Diese Fassung setzte sich im Plenum gegen den Widerstand der Abgeordneten der SVP und der Linken durch.
Der Nationalrat und nach ihm auch der Ständerat überwiesen ferner eine Motion der Finanzkommission des Nationalrats, welche von der Finma verlangt, möglichst rasch ein Entlohnungs- und Bonussystem für die Banken vorzulegen, welches keine Anreize für das Eingehen grosser Geschäftsrisiken gibt. Die Finma hatte den Entwurf für ein solches Musterreglement im Sommer präsentiert und in eine Vernehmlassung gegeben. Die im internationalen Vergleich strengen Regeln fanden bei den politischen Parteien, den Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden grundsätzlich Zustimmung. Die Bankiervereinigung verlangte allerdings einige Abschwächungen, da sonst die inländischen Banken Wettbewerbsnachteile bei der Personalrekrutierung erleiden würden. Die Finma berücksichtigte einen Teil dieser Kritiken, differenzierte einige Bestimmungen entsprechend der Unternehmensgrösse und setzte sie für Banken und Versicherungen für 2010 in Kraft [10].
Das im Vorjahr eingegangene Engagement des Bundes in der Höhe von 6 Mia Fr. zur Rettung der UBS wurde im Berichtsjahr beendet. Nachdem mit dem Abschluss eines Abkommens der Schweiz mit den USA über die Auslieferung von weiteren Kontoinformationen eine unter Umständen ruinöse Zivilklage der US-Steuerbehörden abgewehrt werden konnte (siehe dazu unten), gab der Bundesrat bekannt, dass er die Pflichtwandelanleihe vollständig in UBS-Aktien umwandeln und diese verkaufen werde. Die riskante Rettungsaktion zugunsten der UBS hatte sich letztlich für den Bund auch finanziell gelohnt, konnte er doch einen Nettogewinn doch rund 1,2 Mia Fr. einstecken [11].
Noch nicht beendet werden konnte das Engagement der Nationalbank zur Rettung der UBS. Zu Beginn des Berichtsjahres zeigte sich allerdings, dass die Nationalbank nicht ‚giftige‘ Wertpapiere im Umfang von 60 Mia $ sondern nur von knapp 40 Mia $ übernehmen musste. Diese Reduktion trat ein, weil ein Teil dieser Papiere sich als weniger riskant erwies als ursprünglich erwartet worden war, und weil einige Positionen gemäss neuen internationalen Buchhaltungsvorschriften nicht mehr als zu Marktpreisen zu bewertende Vermögenspositionen geführt werden mussten. Die wieder liquider gewordenen Märkte erlaubten der Nationalbank, dieses Depot der hoch riskanten Anlagen bis zum Ende des Berichtsjahres durch Verkäufe zu halbieren [12].
Als besonders stossend empfand ein Teil der Öffentlichkeit, dass die UBS, welche der Staat im Vorjahr mit Riesensummen vor dem Untergang bewahrt hatte, ihren Mitarbeitern für das Geschäftsjahr 2008, in welchem sie einen Verlust von knapp 20 Mia Fr. ausgewiesen hatte, Boni im Umfang von rund 2 Mia Fr. ausbezahlte. Die Finma hatte diese Zahlungen mit dem Argument bewilligt, dass diese zum Teil vertraglich geschuldet seien und bei einem Verzicht auf Boni gute Mitarbeiter die Bank verlassen würden. Von den politischen Parteien forderte zuerst die SP staatlich verordnete Höchstlöhne für die Spitzenmanager der Grossbanken (siehe dazu oben). Später zog auch die SVP nach, was allerdings parteiintern nicht unbestritten war [13].
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Mit dem Argument, dass mit den im Herbst des Vorjahres beschlossenen dringlichen Massnahmen die Forderungen der beiden vom Nationalrat gutgeheissenen Motionen Bischof (cvp, SO) und Leutenegger Oberholzer (sp, BL) für einen Ausbau des Einlegerschutzes erfüllt seien, lehnte der Ständerat diese ab. Der Bundesrat gab im Herbst einen Entwurf für die definitive Einführung dieses bis Ende 2010 gültigen verbesserten Einlegerschutzes in die Vernehmlassung. Die Banken, unterstützt von den bürgerlichen Parteien, waren mit der dauerhaften Erhöhung der Garantiesumme auf 100 000 Fr. je Einleger zwar einverstanden. Sie lehnten aber den Antrag ab, die Gesamtsumme der von den Banken vorzunehmenden Rückstellungen von 6 auf 9,75 Mia Fr zu erhöhen und in einem staatlichen Fonds zu sammeln. Auch die kantonalen Finanzdirektoren sprachen sich gegen die als unverhältnismässig kritisierten Vorschläge aus [14].
Die Finanzmarktkrise hatte aufgezeigt, dass viele Bankkunden (und auch Bankmitarbeiter) schlecht über das Funktionieren der von den Banken angebotenen neuen Produkte informiert waren. Nationalrat Donzé (evp, BE) forderte deshalb mit einer Motion die Einrichtung einer staatlichen Kontrollstelle, welche diese Produkte in Bezug auf Transparenz und Risiken für die Anleger prüft. Auf Empfehlung des Bundesrates, der darauf hingewiesen hatte, dass die Finanzmarktaufsicht in diesem Bereich bereits tätig ist, lehnte der Rat die von SP, CVP und GP unterstützte Motion mit 101 zu 92 Stimmen ab [15].
2007 hatte der Bundesrat auf die Schaffung eines neuen Gesetzes über den Umgang mit nachrichtenlosen Vermögen verzichtet und beschlossen, die Problematik im Rahmen des Zivilrechts im OR zu lösen. Im Herbst des Berichtsjahres gab das EJPD entsprechende Vorschläge in die Vernehmlassung. Grundsätzlich soll die Selbstregulierung der Banken aus dem Jahr 2000 zur Anwendung kommen. Diese legt den Banken verschiedene Pflichten auf, um den Kontakt zwischen ihnen und den Kontoinhabern aufrecht zu erhalten. Bricht dieser Kontakt dennoch ab, sollen die Banken dies nach dreissig Jahren bei einem Gericht anzeigen. Dieses hat dann die Aufgabe, die Kunden oder ihre Erben in einem behördlichen Verfahren ausfindig zu machen. Bleibt diese Suche erfolgslos, fällt das Vermögen an den Staat. Begünstigt werden soll bei Personen mit Wohnsitz im Inland der Wohnkanton, bei im Ausland lebenden Schweizern der Heimatkanton und bei Ausländern, welche nie in der Schweiz wohnhaft waren, der Bund [16].
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Am 13. März beschloss der Bundesrat seine neue Strategie zur Bewältigung der Krise im Zusammenhang mit den fortgesetzten Angriffen aus dem Ausland auf das schweizerische Bankgeheimnis. Demnach werde sich die Schweiz vorbehaltlos an die OECD-Standards (konkret ging es um Art. 26 des Musterabkommens der OECD für Doppelbesteuerungsabkommen) halten und in Zukunft auch in Fällen von qualifizierter Steuerhinterziehung von im Ausland wohnenden Personen mit schweizerischen Bankkonten Amtshilfe leisten. Zuvor waren bereits Belgien, Liechtenstein und andere wegen ihres Bankgeheimnisses unter Druck geratene Staaten auf diese Linie eingeschwenkt; Luxemburg und Österreich taten diesen Schritt gleichzeitig mit der Schweiz. Diese Lockerung gelte gemäss Bundesrat allerdings nur für konkrete, mit einem Verdacht belastete Einzelfälle und nicht für „fishing expeditions“ ausländischer Steuerbehörden. Entsprechende Doppelbesteuerungsabkommen würden in den nächsten Monaten ausgehandelt. Ein automatischer Informationsaustausch mit ausländischen Steuerbehörden komme hingegen nicht in Frage und für im Inland wohnende Bankkunden bleibe das Bankgeheimnis bei Steuerhinterziehung weiterhin in Kraft.
Die Reaktionen der politischen Parteien fielen unterschiedlich aus. Die SP begrüsste den Schritt des Bundesrates als längst überfällig und sprach sich für eine Ausdehnung auch auf inländische Bankkunden aus. Auf der anderen Seite warf die SVP der Landesregierung Verrat an den Bankkunden und Kapitulation vor einer ausländischen Erpressung vor. FDP und CVP rieten dazu, zuerst die Umsetzung in neuen Doppelbesteuerungsabkommen und die konkreten Auswirkungen abzuwarten. Sowohl der Wirtschaftsdachverband economiesuisse als auch die Bankiervereinigung stellten sich hinter den Bundesrat [17].
Die grossen Staaten der OECD, welche der Schweiz zuvor gedroht hatten, sie auf eine „Schwarze Liste“ der zu bekämpfenden „Steuerparadiese“ zu setzten, waren mit dieser Absichtserklärung des Bundesrates noch nicht ganz zufrieden. Ihre Organisation – die G20 – beschloss, die Schweiz vorläufig, d.h. bis zum Abschluss von mindestens zwölf entsprechenden Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), auf eine „Graue Liste“ der genau zu beobachtenden Staaten zu setzen. Neben der Schweiz figurierten unter anderem auch Belgien, Luxemburg, Liechtenstein und Österreich auf dieser Liste. Noch bevor die ersten Verhandlungen über neue DBA aufgenommen wurden, beschäftigte sich der Bundesrat mit dem Verfahren zur Ratifikation dieser Staatsverträge. Er schlug vor, nur das erste abgeschlossene Abkommen dem fakultativen Staatsvertragsreferendum zu unterstellen. Würde dieses mit seinem für die Schweiz neuen Prinzip der Amtshilfe bei Steuerhinterziehung vom Volk akzeptiert, sollte gegen weitere gleichlautende Verträge mit anderen Staaten kein Referendum mehr möglich sein. Ein taktischer Hintergrund dieser Argumentation bestand darin, Abstimmungskämpfe über DBA mit Deutschland und den USA, welche die Schweiz in dieser Debatte besonders und vor allem sehr unzimperlich unter Druck gesetzt hatten, zu vermeiden. Die SVP, welche genau diese beiden Abstimmungskampagnen führen wollte, protestierte heftig gegen die Pläne des Bundesrates. Ende August schloss die Schweiz mit Dänemark und mit Frankreich erste neue DBA nach dem uneingeschränkten OECD-Standard ab. Ende November legte der Bundesrat dem Parlament die ersten fünf Abkommen (mit den USA, Mexiko, Grossbritannien, Frankreich und Dänemark) zur Genehmigung vor. Da darin eine grundlegende rechtliche Neuerung (Amtshilfe bei Steuerhinterziehung) enthalten war, beantragte er, diese Abkommen dem fakultativen Referendum zu unterstellen [18].
In der Frühjahrssession, also kurz nach der Bekanntgabe der neuen Strategie des Bundesrates, führten beide Parlamentskammern grosse Debatten über die Zukunft des Finanzplatzes Schweiz und dabei insbesondere über das vom Ausland immer stärker attackierte Bankgeheimnis bei Steuerhinterziehung durch. Der Nationalrat, wo die Diskussion besonders emotional geführt wurde, behandelte eine Reihe von Motionen, Postulaten und Interpellationen zu diesem Thema. Die Linke wiederholte in der Diskussion ihre seit Jahrzehnten vertretene Position, dass sich die Schweiz mit ihrem Festhalten am gegenwärtig praktizierten Bankgeheimnis (keine Rechtshilfe bei Steuerhinterziehung) international isoliere und damit auch dem Wirtschaftsstandort Schweiz schade. Die FDP und die CVP verteidigten die Politik des Bundesrates. Die SVP kritisierte diese Haltung des Bundesrates als Kapitulation in einem Wirtschaftskrieg. Sie forderte die Verankerung des Bankgeheimnisses in der Bundesverfassung und lehnte die Amtshilfe bei Steuerhinterziehung ab. Zudem verlangte sie von der Regierung einen Gegenangriff auf Grossbritannien und USA, welche Steuerhinterziehern ebenfalls Schlupflöcher anbieten würden.
Im Anschluss an diese Auseinandersetzung lehnte der Nationalrat mehrere Motionen und Postulate der SP-Fraktion ab. Darunter befand sich auch die Forderung, im Inland Steuerhinterziehung strafrechtlich zu verfolgen, den Personalbestand der Steuerverwaltung aufzustocken und in den Ausschüssen der UNO und der OECD zu Fragen der Steuerhinterziehung und Steuervereinheitlichung mitzuarbeiten. Keinen Erfolg hatte auch eine Motion der SVP-Fraktion, welche verlangte, dass keine Doppelbesteuerungsabkommen gemäss OECD-Standard mit Nicht-OECD-Staaten abgeschlossen werden. Der Rat überwies einzig eine auch vom Bundesrat empfohlene Motion Fässler (sp, SG) für die Einsetzung einer Task-Force, welche sich mit den Problemen im Zusammenhang mit den Auseinandersetzung zwischen der USA und der schweizerischen Grossbank UBS befasst [19].
Die schweizerische Grossbank UBS war 2007 in den USA unter besonderen Druck geraten. Eine Untersuchung der US-Behörden wegen Beihilfe der Bank zu Steuerbetrug ging im Berichtsjahr weiter. Im Februar verlangten die mit der langen Dauer des schweizerischen Rechtshilfeverfahrens unzufriedenen Amerikaner die Herausgabe von Informationen über 250 Bankkundendossiers und drohten bei einer Weigerung die Verhängung einer riesigen Busse gegen die UBS, welche sie wohl in den Konkurs getrieben hätte. Die Finma befahl daraufhin der UBS die Übermittlung dieser Informationen und berief sich dabei auf einen Notstandsartikel im Bankengesetz. Der Bundesrat verteidigte diese Aktion der Finma und wies darauf hin, dass die von der UBS in den USA begangenen Handlungen auch in der Schweiz strafbar seien. Unmittelbar nach der Übermittlung dieser Daten verlangten US-Steuerbehörden via eine privatrechtliche Gerichtsklage in Miami Auskünfte über die Inhaber von weiteren 52 000 Konten. Mit Unterstützung des Bundesrates verweigerte die UBS diese schweizerischen Gesetzen und auch dem DBA mit den USA widersprechende Herausgabe von Daten ohne konkrete Verdachtsmomente gegenüber den Kontoinhabern.
Ab Juli verhandelte die schweizerische Regierung dann auch direkt mit der US-Exekutive. Anfangs August zeichnete sich eine aussergerichtliche Lösung ab, die am 12. August konkret wurde: Die Schweiz schloss mit den USA einen Staatsvertrag ab. Darin ist festgehalten, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung bei 4450 UBS-Konten von US-Bürgern entscheiden muss, ob Amtshilfe wegen Verdachts auf Steuerbetrug oder schwere Steuerhinterziehung gewährt wird. Diese Entscheide müssen innerhalb von einem Jahr getroffen werden. Als Gegenleistung zogen die US-Behörden ihre Zivilklage gegen die UBS zurück. National- und Ständerat bewilligten in der Herbstsession die Schaffung von zusätzlichen, zeitlich befristeten Richterstellen beim Bundesverwaltungsgericht zur Bewältigung von allfälligen Rekursen von UBS-Kunden [20].
Im März lancierten die Lega dei Ticinesi und die Tessiner Sektion der SVP eine Volksinitiative mit dem Titel „Verteidigen wir die Schweiz! Das Bankgeheimnis muss in die Bundesverfassung“. Die Initiative verlangt praktisch eine Festschreibung der alten Rechtslage in der Verfassung. So soll die Schweiz ausländischen Behörden weiterhin dann und nur dann Rechtshilfe mit Aufhebung des Bankgeheimnisses gewähren, wenn die Handlung auch in der Schweiz strafrechtlich verfolgt wird, was bei der Steuerhinterziehung weiterhin nicht der Fall ist. Ab August beteiligte sich auch die Junge SVP aktiv an der Unterschriftensammlung [21].
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Anfangs Jahr gab der Bundesrat einen Vorentwurf für eine Teilrevision des Versicherungsvertragsgesetzes in die Vernehmlassung. Wichtigstes Ziel der Reform ist die Einführung eines Widerrufsrechts für Vertragsabschlüsse, welches innerhalb von zwei Wochen geltend gemacht werden kann. Zudem sollen auch die Informationsrechte der Kunden verbessert werden. Das Echo war sowohl bei den Versicherungsgesellschaften als auch bei den Konsumentenorganisationen positiv; FDP und SVP lehnten den Entwurf hingegen ab [22].
Gegen den Antrag des Bundesrates überwies der Ständerat eine Motion Bischofberger (cvp, AI), welche verlangt, dass gewerbliche Selbsthilfeorganisationen, die ihren Mitgliedern auch Versicherungsleistungen anbieten (so genannte Miniversicherungen) aus dem Geltungsbereich des Versicherungsaufsichtsgesetzes ausgenommen werden [23].
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Weiterführende Literatur
Wittmann, Walter, Finanzkrisen: Woher sie kommen, wohin sie führen, wie sie zu vermeiden sind, Zürich 2009.
Zufferey, Jean-Baptiste / Contratto, Franca, Finma : the Swiss financial market supervisory authority, Basel 2009.
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Die Volkswirtschaft, 2009, Nr. 6, S. 4-33 (Monatsthema: „Bankgeheimnis und OECD-Musterabkommen“).
Eidg. Finanzdepartement (Hg.), Bankgeheimnis und internationale Steuerfragen: der Schweizer Standpunkt, Bern 2009.
Frei, Pierre-Yves, La chute du secret bancaire : ce que cela va changer concrètement, Lausanne 2009.
Hässig, Lukas, Der UBS-Crash: Wie eine Grossbank Milliarden verspielte, Hamburg 2009.
Parma, Viktor / Vontobel, Werner, Schurkenstaat Schweiz: Steuerflucht: Wie sich der grösste Bankenstaat der Welt korrumpiert und andere Länder destabilisiert, München 2009.
Ratti, Remigio, Svizzera segreta? : il segreto bancario svizzero e la sua governanza territoriale : saggio economico-istituzionale, Lugano 2009.
Wermelinger, Ruedi / Rosenfellner, Roman, Die Banken in der Schweiz, Zürich (Schweizerische Nationalbank, Statistik) 2009.
Zaki, Myret, UBS am Rande des Abgrunds: Wie das Imperium der drei Schlüssel seine Wette verlor, Altstätten 2009.
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[1] Schweizerische Nationalbank, 102. Geschäftsbericht 2009, Bern 2010, S. 30 ff.; NZZ, 13.3. und 11.12.09.
[2] Schweizerische Nationalbank, 102. Geschäftsbericht 2009, Bern 2010, S. 30 f.
[3] Schweizerische Nationalbank, 102. Geschäftsbericht 2009, Bern 2010, S. 30 f.
[4] AB NR, 2009, S. 762 ff.; AB SR, 2009, S. 336 ff. Siehe SPJ 2008, S. 106.
[5] BBl, 2009, S. 3399 ff.; AB SR, 2009, S. 336 ff.; TA, 9.4.09.
[6] AB SR, 2009, S. 88. Siehe SPJ 2008, S. 106.
[7] AB NR, 2009, S. 1650 ff.; So-Blick, 22.2.09.
[8] Presse vom 28.2. und 9.4.09. Siehe SPJ 1995, S. 118.
[9] AB NR, 2009, S. 217 und 1519 f.; AB SR, 2009, S. 360 f.; NZZ, 15.9. und 7.9.09 (Finma-Bericht). Siehe dazu auch die Interpellationen Müller (fdp, AG) und Leutenegger Oberholzer (sp, BL) in AB NR, 2009, S. 2346 f. Der NR überwies eine Motion Engelberger (fdp, NW), welche verlangt, dass der Staat bei den dem Finanzmarktaufsichtsgesetz unterstellten KMU einen Teil der Gebühren für die Finma übernimmt (AB NR, 2009, S. 770).
[10] AB NR, 2009, S. 217 (Motion WAK) und 218 (Motion FK); AB SR, 2009, S. 361 ff. und 778 ff. (Motion WAK-NR), 365ff. (Motion FK) und 369 ff. und 778 ff. (Motion Fetz). Finma-Reglement: NZZ und TA, 4.6.09; NZZ und SN, 15.8.09; NZZ, 26.9. und 12.11.09.
[11] Presse vom 20.8. und 21.8.09. Siehe SPJ 2008, S. 107 ff.
[12] NZZ, 4.4.09; TA, 14.11.09. Siehe dazu auch die Antwort des BR auf eine Interpellation der BDP (AB NR, 2009, Beilagen III, S. 548).
[13] Presse vom 27.-29.1.09 und vom 11.2.09. SVP: Blick, 11.2.09; Bund und NZZ, 12.2.09; Presse vom 17.2.09. Zur Debatte über die Regulierung der Manager- und Verwaltungsratsentschädigungen generell in börsenkotierten Aktiengesellschaften siehe oben, Teil I, 4a (Gesellschaftsrecht).
[14] Motionen: AB SR, 2009, S. 358 f. Vernehmlassung: Bund, 15.9.09 (Banken); NZZ, 17.11.09 (Finanzdirektoren); NLZ, 24.12.09. Siehe SPJ 2008, S. 110 (FN 15).
[15] AB NR, 2009, S. 227.
[16] BBl, 2009, S. 5939; NZZ, 27.8.09. Siehe auch die Interpellation Bischof (cvp, SO) in AB NR, 2009, S. 1808 (Beilagen V, S. 547 f.). Vgl. SPJ 2000, S. 104.
[17] Presse vom 13.3. und 14.3.09. Parteien: BaZ, Lib. und TA, 14.3.09. Siehe auch die Antworten des BR auf Interpellationen Graber (svp, BE) und FDP-Fraktion in AB NR, 2009, Beilagen III, S. 625 f. resp. Beilagen V, S. 489 f.
[18] Presse vom 3.4. und 4.4.09 (G20); NZZ, 9.4.09 (Referenden). Dänemark und Frankreich: LT, 22.8. und 28.8.09. Fünf Abkommen: BBl, 2009, S. 1541 ff. (F); BBl, 2010, S. 89 ff. (DK), 171 ff. (Mexiko), 235 ff. (USA) und 259 ff. (GB); Lib., 28.11.09.
[19] AB NR, 2009, S. 436 ff. (Motion Fässler: S. 463); AB SR, 2009, S. 207 ff.
[20] Ausgelieferte Daten: LT und NZZ, 19.2.09; Presse vom 20.2.09. Neues Begehren: Presse vom 20.2.09; SGT, 2.5.09; NZZ, 4.6.09. Verhandlungen CH-USA: Presse vom Juli 2009; So-NZZ, 2.8.09; Presse vom 3.8., 13.8. und 20.8.09. Zum konkreten Ablauf der Herausgabe der Kontoinformationen siehe NZZ, 26.8. und 18.11.09. Zum Bundesverwaltungsgericht siehe oben, Teil I, 1c (Gerichte). Siehe SPJ 2008, S. 110.
[21] BBl, 2009, S. 2127 ff.; LT, 30.3. und 5.8.09.
[22] NZZ, 23.1. und 31.7.09.
[23] AB SR, 2009, S. 1268 f.
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