Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit auf Bundesebene (Pa.Iv. 05.445)

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Der geplanten „Verfassungsgerichtsbarkeit“, welcher der Nationalrat im Februar des Berichtsjahres zugestimmt hatte und eine entsprechende Vorlage in die Vernehmlassung schickte, stehen die Kantone positiv gegenüber. Im Rahmen der europapolitischen Standortbestimmung hatten sie sich bereits 2010 dafür eingesetzt, dass Bundesgesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung überprüft werden können. Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) verpasste es allerdings, innerhalb der Vernehmlassungsfrist eine Stellungnahme einzureichen (Ergebnisse zur Vernehmlassung vom 14.6.11.).

Dossier: Verfassungsgerichtsbarkeit

Einigen Wirbel verursachte eine Vorlage der RK-N, die auf die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit zielte und auf zwei parlamentarische Initiativen Studer (evp, AG) und Müller-Hemmi (sp, ZH) zurückging. Im konkreten Fall soll das Bundesgericht Bundesgesetze auf ihre Übereinstimmung mit der Verfassung kontrollieren können. In der im Februar gestarteten Vernehmlassung äusserten sich die SVP und die FDP ablehnend. Die SP und die Grünen sowie Anwälte, Richter und 12 Kantone, und etwas später auch der Bundesrat befürworteten den Ausbau. Wurde auf der einen Seite eine Justizialisierung der Politik und das Ende der direkten Demokratie befürchtet, hob die andere Seite die bis jetzt nicht gewährleistete Normenhierarchie und die Stärkung des Menschen- und Grundrechtschutzes hervor. Mit 13 zu 10 Stimmen bei zwei Enthaltungen empfahl die Kommission schliesslich, Artikel 190 zu streichen, der die Unanfechtbarkeit der Bundesgesetze begründet. Die grosse Kammer folgte im Dezember ihrer Kommission und nahm den Antrag mit 94 zu 86 Stimmen an. In der kleinen Kammer wurde das Geschäft im Berichtsjahr nicht mehr behandelt.

Dossier: Verfassungsgerichtsbarkeit

Im Vorjahr hatte der Nationalrat knapp eine auf zwei parlamentarische Initiativen Studer (evp, AG) und Müller-Hemmi (sp, ZH) (07.476) zurückgehende Vorlage der RK-N gutgeheissen, die auf die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit zielt. Die Vorlage war nach einigen Debatten im Rat und Diskussionen in der Presse von der SP, den Grünen, Anwälten, Richtern sowie zwölf Kantonen, später dann auch vom Bundesrat begrüsst worden, während FDP und SVP Opposition bekundet hatten. Im Berichtjahr wurde das Geschäft in der kleinen Kammer behandelt. Diese hatte sich bereits bei der Einreichung der beiden parlamentarischen Initiativen 2005 sehr schwer getan. In der engagierten und langen Debatte ging es letztlich um die Frage, wer letztverbindlich zuständig sein soll für die Konkretisierung von Verfassungsnormen. Eine Kommissionsminderheit wollte diese Entscheidung politisch, also von den Institutionen (direkte Demokratie, Parlament) fällen lassen und beantragte Nichteintreten. Die Mehrheit der RK-S plädierte hingegen für eine juristische Letztentscheidung. Die sich zu Wort meldenden Befürworter und Gegner der Vorlage gehörten unterschiedlichen Lagern an und ein parteipolitischer Graben konnte nur bedingt ausgemacht werden. Letztlich entschied sich die Mehrheit der kleinen Kammer mit 27 zu 17 Stimmen, nicht auf die Vorlage einzutreten. Damit ging das Geschäft zurück an den Nationalrat, der noch im Dezember über einen Minderheitenantrag der SVP, dem Ständerat zu folgen und nicht auf die Vorlage einzutreten, befinden musste. Auch in der grossen Kammer gab es gespaltene Fraktionen. Zwar stimmten die GP und die GLP geschlossen gegen den Minderheitsantrag und die SVP geschlossen dafür, die CVP (19:7 für Nichteintreten), die BDP (6:2), die FDP (18:5) und die SP (6:34 und 1 Enthaltung) waren sich jedoch nicht einig. Mit 101 zu 68 Stimmen wurde der Minderheitsantrag schliesslich angenommen und die auf eine achtjährige Vorlaufzeit zurückblickende Vorlage endgültig abgelehnt. Die Debatte um die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit nahm damit ein vorläufiges Ende, die Diskussion um den geeigneten Akteur für die Prüfung der Vereinbarkeit von Volksinitiativen und Grundrechten war damit aber nicht vom Tisch.

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