Im März 2024 entschieden die Schweizer Stimmberechtigten über die Renteninitiative der Jungfreisinnigen, die eine Koppelung des Rentenalters an die durchschnittliche Lebenserwartung forderte. Konkret verlangte die Initiative, dass das Rentenalter für Männer und Frauen bis ins Jahr 2033 schrittweise auf 66 Jahre angehoben und danach laufend an die Lebenserwartung angepasst wird.
Die Gegnerinnen und Gegner der Renteninitiative fanden sich vor allem im linken Lager sowie in der Mitte, wobei SP, Grüne, GLP und Mitte allesamt die Nein-Parole fassten. Für das überparteiliche Nein-Komitee sei klar, dass von der Initiative in erster Linie Gutverdienende profitieren würden, die sich eine Frühpensionierung leisten könnten und bereits heute überdurchschnittlich früh in Rente gingen. Personen mit tieferen Einkommen müssten hingegen aufgrund der Initiative länger arbeiten. Die Gewerkschaften lehnten die Initiative unter anderem deshalb ab, weil sie die Frühpensionierung in Branchen mit körperlich anstrengender Arbeit gefährde. Besonders stossend sei die Initiative zudem für Frauen, da deren Rentenalter erst kürzlich mit der AHV21-Reform angehoben worden sei.
Gemäss den Befürworterinnen und Befürworter gerät die AHV aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der niedrigen Geburtenrate zunehmend in Schieflage. Eine Erhöhung des Rentenalters würde dieses strukturelle Problem lösen und das Rentensystem langfristig stabilisieren. Ein positiver Nebeneffekt der Initiative sei zudem, dass sie indirekt die Zuwanderung eindämme, da Unternehmen vermehrt auf inländische Arbeitskräfte zurückgreifen könnten, argumentierte Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen. Rückendeckung erhielten die Jungfreisinnigen von ihrer Mutterpartei, welche die Ja-Parole fasste und mit den Parlamentsmitgliedern Thierry Burkart (fdp, AG), Regine Sauter (fdp, ZH) oder Andri Silberschmidt (fdp, ZH), der in den Medien oft als eigentlicher «Vater» der Initiative bezeichnet wird, namhafte Parteimitglieder im Initiativ- und Unterstützungskomitee stellte. Auch die SVP fasste an ihrer Delegiertenversammlung relativ deutlich die Ja-Parole, wobei alt-Bundesrat Christoph Blocher stark für diese warb. Auch zahlreiche Wirtschaftsverbände wie der SGV, Economiesuisse, Swissmem oder der SAV setzten sich für eine Annahme der Initiative ein.
Während die Ablehnung der Renteninitiative bei der SP und den Grünen parteiintern unbestritten war, gab es – abgesehen von der FDP – bei den anderen Parteien einige abweichende Sektionen: Bei der GLP beschlossen zwei Sektionen die Ja-Parole und zwei Sektionen erteilten Stimmfreigabe. Bei der Mitte fasste die Baselstädtische Kantonalsektion sowie vier kantonale Sektionen der Jungen Mitte die Ja-Parole. Während bei der EDU lediglich eine Sektion – die EDU Thurgau – eine Nein-Parole ausgaben, taten dies bei der SVP gleich zwölf Sektionen und die SVP Schaffhausen entschied sich für Stimmfreigabe. Diese deutliche Uneinigkeit in der SVP überraschte angesichts der etwas unerwarteten Ja-Parole des SVP-Vorstandes wenig, hatte man doch die Initiative im Parlament noch bekämpft.
Besonders dürfte für die verschiedenen Lager auch gewesen sein, dass erstmals bei einer eidgenössischen Abstimmung die Kampagnenfinanzierung offengelegt werden musste. Das Ja-Lager erhielt gemäss Schlussrechnung insgesamt CHF 1'220'337 für seinen Abstimmungskampf, das Nein-Lager CHF 115'886, wobei vor der Abstimmung für das Ja-Lager budgetierte Einnahmen von CHF 897'000 und für das Nein-Lager von CHF 125'500 bekannt waren. Dies entspricht auch ungefähr dem Kräfteverhältnis der Pro- und Contra-Inserate in den Medien bis zwei Wochen vor dem Abstimmungstermin. Schlagzeilen machte der Unternehmer und Lokalpolitiker Oliver Ehinger, der dem Initiativkomitee CHF 230'000 spendete. Im Vergleich zu früheren AHV-Vorlagen und zur Initiative für eine 13. AHV-Rente, über die am gleichen Abstimmungssonntag entschieden wurde, schaltete das Ja- und das Nein-Lager der Renteninitiative in den Medien deutlich weniger Inserate. Generell war die Berichterstattung in den Printmedien zum Thema «AHV» im Vorfeld der Abstimmung sehr ausgeprägt, wobei die Initiative für eine 13. AHV-Rente jedoch deutlich mehr Aufmerksamkeit erhielt als die Renteninitiative.
Die Renteninitiative wurde am 3. März 2024 deutlich abgelehnt. Bei einer überdurchschnittlichen Stimmbeteiligung von 58.1 Prozent erhielt die Renteninitiative einen Ja-Stimmenanteil von 25.3 Prozent. In keiner Schweizer Gemeinde fand die Initiative eine Mehrheit. Die höchsten Ja-Anteile verzeichnete die Initiative in den Kantonen Zürich (30.5%), Zug (30.1%) und Schaffhausen (29.8%), die tiefsten in den Kantonen Waadt (14.9%), Jura (15.0%) und Neuenburg (18.5%). Obschon die Initiative in der Westschweiz einen etwas schwereren Stand hatte, war kein deutlicher Sprachgraben auszumachen. Die VOX-Nachbefragung ergab, dass ausschliesslich die FDP-Sympathisierenden mehrheitlich für die Initiative gestimmt hatten (mit 51% Ja-Stimmenanteil). Ansonsten stiess die Renteninitiative bei allen Alterskohorten, Einkommensklassen, Bildungsniveaus und politischen Einstellungen – bei den Linken jedoch deutlicher – auf breite Ablehnung. Während das wichtigste Motiv für die Ja-Stimmenden in der Dringlichkeit der Lösungsfindung zur AHV-Finanzierung bestand, war für die Gegnerinnen und Gegner vor allem der von der Initiative vorgeschlagene Automatismus ausschlaggebend für ein Nein, zudem erachteten sie die Initiative als ungerecht.
Abstimmung vom 3. März 2024
Volksinitiative «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge (Renteninitiative)»
Stimmbeteiligung: 58.13%
Ja: 808'578 Stimmen (25.25%) / 0 Stände
Nein: 2'393'930 Stimmen (74.75%) / 23 Stände
Parolen:
-Ja: EDU (1*), FDP, SVP (13*); economiesuisse, SGV
-Nein: EVP, GLP (4*), Grüne, Mitte (1*), SP; SBV, SGB
* in Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Ablehnung der Renteninitiative hatte sich in den Vorumfragen bereits abgezeichnet. Trotzdem sprachen die Medien anschliessend von einem «Absturz», zumal die Renteninitiative zum am deutlichsten verworfenen Fünftel aller Volksinitiativen gehörte. Die Diskussion um die finanzielle Situation des Rentensystems dürfte damit aber noch lange nicht vom Tisch sein. So diskutierten die Medien nach der Abstimmung, wie es nun mit der Finanzierung der Altersvorsorge weitergehen soll. Eine Erhöhung des Rentenalters sei nun für die nächsten Jahre keine Option mehr, war der Tenor, wodurch verstärkt über eine Erhöhung der Lohnabzüge, der Steuern oder über eine Senkung der Renten diskutiert werden müsse – auch in Bezug auf die Finanzierung der 13. AHV-Rente, die gleichentags angenommen wurde.