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  • Lohr, Christian (mitte/centre, TG) NR/CN

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Versicherte mit einem IV-Leistungsentscheid, der sich auf ein Gutachten stützt, dem die EKQMB schwerwiegende Mängel attestiert, sollen ein Revisionsgesuch stellen können. Mitte Januar 2025 hatte die SGK-NR mit 14 zu 7 Stimmen (4 Enthaltungen) eine Motion mit dieser Forderung eingereicht. Am Ursprung des Vorstosses stehe die Beendigung der Zusammenarbeit zwischen dem BSV und der IV-Gutachterfirma PMEDA AG, nachdem eine Untersuchung massive Mängel bei der Erstellung der Gutachten aufgedeckt hatte. Über Jahre hinweg hätten jedoch die PMEDA AG und andere IV-Gutachter, welche nicht den Qualitätsstandards der EKQMB entsprächen, zahlreiche rechtskräftige IV-Gutachten erstellt, aufgrund deren heute gültige Leistungsentscheide gefällt worden seien. Betroffene mit solchen Gutachten sollten nun ein Revisionsgesuch einreichen und ihre Fälle gemäss den geltenden Qualitätskriterien neu beurteilen lassen können.
In der Frühjahrssession 2025 gelangte die Motion in den Nationalrat, wo Christian Lohr (mitte, TG) und Valérie Piller Carrard (sp, FR) die Position der Kommissionsmehrheit vertraten: Die einstige Arbeit der PMEDA AG und ähnlicher IV-Gutachterfirmen sei «skandalös». Betroffene hätten heute keine Rechtsgrundlage, um gegen diese Entscheide ein Revisionsgesuch zu stellen, obschon ihnen «durch mangelhafte Gutachten grosses Unrecht zugefügt» worden sei. Diesem Votum schloss sich auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider an, welche die Motion mit der nächsten IV-Revision umzusetzen versprach. Eine Minderheit um Andreas Glarner (svp, AG) wollte die Motion ablehnen. In der Vergangenheit seien IV-Gutachten zu freigiebig ausgestellt worden, bevor die Leistungsentscheide deutlich strenger vergeben worden seien. Die Kommissionsmotion gehe wieder zu diesen leichtfertigen Ausstellungen von IV-Renten zurück und schaffe dazu einen grossen bürokratischen Aufwand, da nun eine Vielzahl von Revisionsgesuchen bei den IV-Stellen eintreffen dürfte. Die grosse Kammer nahm die Motion mit 128 zu 63 Stimmen (1 Enthaltung) an, wobei die SVP-Fraktion beinahe geschlossen dagegen stimmte.

Neubeurteilung von IV-Leistungsentscheiden bei von der EKQMB festgestellten gravierenden Mängeln bei der Begutachtung (Mo. 25.3006)

Im Unterschied zum Ständerat empfahl die Mehrheit der SGK-NR der grossen Kammer, auf den Entwurf für eine Festlegung der Tarife für Laboranalysen durch die Tarifpartner einzutreten. Die Kommissionsmehrheit sei weiterhin vom Nutzen der Vorlage überzeugt, erklärte Céline Amaudruz (svp, GE) als Kommissionssprecherin. Ergänzend schlug die Kommissionsmehrheit vor, den Kontrahierungszwang bei den Laboranalysen zu lockern, damit die Preise tatsächlich ausgehandelt werden könnten, wie auch der zweite Kommissionssprecher Christian Lohr (mitte, TG) betonte. Eine Minderheit Rumy (sp, SO) sprach sich für Nichteintreten und ansonsten zumindest für die Streichung der Lockerung des Kontrahierungszwangs aus. Einerseits entstehe durch Letztere ein grosser administrativer Aufwand, da «Ärztinnen und Ärzte [...] vor jeder Laboranalyse prüfen [müssten], ob das jeweilige Labor einen Vertrag mit dem jeweiligen Versicherer hat». Andererseits drohe in Regionen mit wenigen Laboratorien eine Versorgungslücke. In der Folge sprach sich der Nationalrat mit 119 zu 67 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) für Eintreten aus, wobei sich alle Mitglieder der SP- und Grünen-Fraktionen, die zwei Mitglieder der EVP sowie zwei Mitglieder der SVP-Fraktion dagegen aussprachen. Fast identisch waren anschliessend die Stimmenbilder bei der Abstimmung über die Lockerung des Kontrahierungszwangs, dem der Nationalrat mit 118 zu 68 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) zustimmte, sowie bei der Gesamtabstimmung (118 zu 68 Stimmen bei 5 Enthaltungen). Damit lag es erneut am Ständerat, über Eintreten auf die Vorlage zu entscheiden.

Tarife der Analysenliste. Änderung des KVG (BRG 24.037)

Der Thurgauer Nationalrat Christian Lohr (mitte, TG) verlangte in einer Motion, dass mittels «dezentrale[r] Konzentration» von Spitälern auch künftig eine flächendeckende Gesundheitsversorgung gewährleistet und die Qualität und die Effizienz der Versorgung verbessert werden soll. Die Motion kam in der Herbstsession 2024 in den Nationalrat. Dort bezeichnete der Motionär die Planung der kantonalen Gesundheitsversorgung als ineffizient und unkoordiniert. Es gebe zu viele Spitäler, was zu finanziellen Defiziten und einem Mangel an qualifiziertem Personal führe. Mittels grösserer regionaler Planungsregionen und einer Konzentration spezialisierter Medizin, basierend auf objektiven Kriterien, könnten Doppelspurigkeiten reduziert und die Qualität gesteigert werden. Gesundheitsministerin Baume-Schneider zeigte sich mit dem Ziel des Vorstosses prinzipiell einverstanden, gab allerdings zu bedenken, dass die Spitalplanung in den Kompetenzbereich der Kantone falle. Deshalb, und weil der Bundesrat beispielsweise mit einer 2022 in Kraft getretenen Verordnungsänderung bereits Massnahmen zur Verbesserung der Koordination ergriffen habe, empfehle er die Motion zur Ablehnung. Der Nationalrat nahm den Vorstoss jedoch mit 128 zu 60 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) an, wobei sämtliche Gegenstimmen aus dem Lager der SVP-Fraktion stammten.

Interkantonale Spitalplanung: Dezentrale Koordination der Spezialmedizin und flächendeckende Grundversorgung (Mo. 23.3814)
Dossier: Spitalkonsolidierungen und interkantonale bzw. nationale Planung

Anfang August 2024 verkündete das BSV, dass es sich bei den Finanzprognosen für die AHV um mehrere Milliarden Franken verrechnet habe und die AHV deutlich besser dastehe, als bisher angenommen. Das BSV führte die zu pessimistischen Prognosen an einer eigens dafür einberufenen Medienkonferenz auf zwei Fehler in mathematischen Formeln zurück, die sich gegenseitig verstärkt hätten. Insgesamt habe man die Ausgaben der AHV laut ersten provisorischen Berechnungen für die Jahre 2027 bis 2033 insgesamt um rund CHF 14 Mrd. zu hoch eingeschätzt. EDI-Vorsteherin Elisabeth Baume-Schneider kündigte umgehend eine externe Administrativuntersuchung an und bezeichnete die Berechnungsfehler als «signifikant und gravierend».
In der Folge wurde in linken Kreisen die Forderung laut, dass die äusserst knappe Abstimmung zur AHV 21, durch die das Frauenrentenalter auf 65 Jahre angehoben worden war, wiederholt werden müsse, da die Prognosen des Bundes damals ein gewichtiges Argument für eine Erhöhung gewesen seien. Wenig später reichten die Grünen und die SP Frauen eine entsprechende Beschwerde beim Bundesgericht ein, wobei Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone öffentlich monierte, dass «den Frauen [ ... ] ein Jahr Rente gestohlen [wurde]». Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaftsverbände – etwa Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl – entgegneten, dass die Lücken bei der AHV-Finanzierung nach wie vor bestünden und die Abstimmung nicht wiederholt werden müsse. Aber auch aus dem bürgerlichen Lager kam viel Kritik am Verrechner: So sprach beispielsweise Christian Lohr (mitte, TG) von einem «Vertrauensverlust der Bevölkerung in den Bund» und SVP-Präsident Marcel Dettling (svp, SZ) forderte die Entlassung des BSV-Direktors.

Gut einen Monat nach Bekanntwerden der fehlerhaften Finanzprognosen publizierte das BSV neue Berechnungen, die mit denjenigen von zwei Forschungsinstituten abgeglichen worden waren. Die finalen Prognosen fielen demnach weniger hoch aus, als nach den provisorischen Korrekturen erwartet worden war, aber immer noch deutlich höher, als im Abstimmungsbüchlein vermerkt worden war: Die prognostizierten Ausgaben der AHV im Jahr 2033 lägen folglich bei rund CHF 69 Mrd., bei der ersten Korrektur war von rund CHF 67.5 Mrd. und im Abstimmungsbüchlein von CHF 71.5 Mrd. die Rede gewesen.
Kurz darauf wurde bekannt, dass BSV-Direktor Stéphane Rossini nach Bekanntgabe des Fehlers freiwillig zurückgetreten war, aber sein Amt noch bis Sommer 2025 bekleiden werde.

Anfang Dezember 2024 wurde der Bericht der externen Administrativuntersuchung veröffentlicht. Dieser konkludierte, dass die verwendeten Formeln keine eigentlichen Fehler beinhaltet hätten, deren «Implementierung im Modell [aber] nicht die erforderliche methodische Tiefe aufgewiesen habe». Der Bericht entlastete das BSV auch von den Vorwürfen, zu schnell oder zu zögerlich kommuniziert und nicht mit der nötigen Sorgfalt gearbeitet zu haben. Eine knappe Woche später wurde die Beschwerde der Grünen und der SP Frauen vom Bundesgericht einstimmig abgewiesen: Das Abstimmungsresultat zur AHV 21 blieb somit gültig.

Fehler bei den AHV-Finanzprognosen

In der Sommersession 2024 folgten die beiden Kammern dem Antrag des Bundesrats und beschlossen die Motion von Christian Lohr (mitte, TG), welche forderte, dass Personen mit Hilflosenentschädigung (HE) automatisch einen IV-Ausweis erhalten, abzuschreiben. Der Bundesrat erklärte in seinem Bericht über die Motionen und Postulate 2023, dass sämtliche IV-Stellen in einem Rundschreiben angewiesen worden seien, die Ausweise für die betroffene Personengruppe von Amtes wegen auszustellen, weswegen man das Anliegen der Motion als erfüllt erachte.

Automatische Ausstellung eines Ausweises für den Bezug einer Hilflosenentschädigung

In der Sommersession 2024 befasste sich der Nationalrat mit der parlamentarischen Initiative von Michael Töngi (gp, LU), die das ELG dahingehend ändern wollte, dass die Nachforderungen der Wohn-Nebenkosten durch die EL übernommen werden. Dabei begründete der Initiant sein Anliegen im Saal mit dem Umstand, dass EL-Beziehende bislang selber für die Nachzahlungen aufkommen müssten, was sie oft vor finanzielle Schwierigkeiten stelle. Nur weil sich die Preisentwicklung seit dem Einreichen der Initiative etwas normalisiert habe, heisse dies nicht, dass EL-Bezügerinnen und -Bezüger nicht erneut bei einem Anstieg der Energiepreise schnell in finanzielle Schieflage geraten könnten, so Töngi. Zuspruch bekam der Initiant von seiner Fraktionskollegin Manuela Weichelt (al, ZG), welche die Kommissionminderheit repräsentierte: Die Höhe der Akontozahlungen werde von den Vermietenden bestimmt, worauf die eingemietete Person keinen Einfluss habe. Durch die Erhöhung des Referenzzinssatzes und den Mangel an bezahlbarem Wohnraum sei das Problem noch sehr aktuell, was sich auch an der stetigen Zunahme an Gesuchen von Personen mit EL an Organisationen wie Pro Infirmis oder Pro Senectute zeige. Der Initiative keine Folge geben wollte Christian Lohr (mitte, TG), der die Kommissionsmehrheit vertrat: Man habe die EL-Anteile für die Mietzinsen und Nebenkosten bereits erhöht, wobei auch die Arbeit von Hilfsorganisationen – wie Pro Senectute – weiterhin eine wichtige Rolle spielten. Die grosse Kammer gab der Initiative im Anschluss mit 127 zu 65 Stimmen (1 Enthaltung) keine Folge, wobei einzig die geschlossen stimmenden Fraktionen der SP und der Grünen sowie vereinzelte Mitglieder der Mitte-Fraktion für den Vorstoss votierten.

Heizkosten bei Ergänzungsleistungen vollständig berücksichtigen (Pa.Iv. 22.443)

Jahresrückblick 2023: Soziale Gruppen

Von allen Themen im Bereich der «Sozialen Gruppen» berichteten die Medien im Jahr 2023 wie bereits im Vorjahr am häufigsten über Asylfragen (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse). Sowohl parlamentarische als auch ausserparlamentarische Diskussionen drehten sich im Jahr 2023 häufig um potentielle und aktuelle Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung von Asylsuchenden, bedingt durch die stark ansteigenden Asylgesuchszahlen sowie durch zahlreiche Schutzsuchende aus der Ukraine. Dabei kam es auch zu Misstönen zwischen Bund und Kantonen. Die Kantone, aber auch die Schweizer Armee stellten im Frühherbst weitere Unterbringungsplätze zur Verfügung; im Spätherbst war die Lage zwar angespannt, eine Notlage blieb jedoch aus. Eine umfassende, respektive konkretere Notfallplanung nach weiteren Absprachen zwischen Bund und Kantonen empfahl die Evaluationsgruppe zum Schutzstatus S in ihrem Schlussbericht.

Die SVP machte den Asylbereich zu einem ihrer Haupt-Wahlkampfthemen. Anfang Juli lancierte sie die Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» (Nachhaltigkeitsinitiative), mit der sie unter anderem die von ihr empfundenen Missstände im Asylwesen bekämpfen will. Im Berichtsjahr verlangte die SVP zudem gleich drei ausserordentliche Sessionen zur Asylpolitik. Insgesamt fanden die zahlreichen und aus diversen Parteien stammenden Motionen im Bereich Asyl im Jahr 2023 jedoch kaum Mehrheiten im Parlament und scheiterten meist bereits im Erstrat. Der Bundesrat wiederum gab im Berichtsjahr einen Entwurf in die Vernehmlassung, mit dem der Zugang zur beruflichen Ausbildung für abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers erleichtert werden soll.

In der Migrationspolitik gab die Masseneinwanderungsinitiative zu reden. Gleich bei zwei Gesetzesrevisionen wurde die Frage der Vereinbarkeit mit dem durch die Annahme der Initiative im Jahr 2014 in die Bundesverfassung aufgenommenen Zuwanderungsartikel in den Raum gestellt: Sowohl bei der Vorlage zur Beseitigung der Inländerinnen- und Inländerdiskriminierung beim Familiennachzug als auch bei derjenigen zur Lockerung der Zulassungsbestimmungen für ausländische Drittstaatenangehörige mit Schweizer Hochschulabschluss kam es wegen vertiefter Abklärungen der Verfassungsmässigkeit zu einem Marschhalt.

Die Politik setzte sich 2023 auch mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auseinander. So wies ein Postulatsbericht für die Schweiz im europäischen Vergleich einen hohen gesamten geschlechtsspezifischen Einkommensunterschied (Gender Overall Earnings Gap) und einen relativ hohen geschlechtsspezifischen Unterschied bei den Gesamtrenten (Gender Pension Gap) aus. Ein weiterer Postulatsbericht zeigte Einflussfaktoren auf, die einen beruflichen Wiedereinstieg oder die Erhöhung des Arbeitspensums von Frauen mit Kindern begünstigen. Als Mittel zur verstärkten Arbeitsmarktintegration von Frauen verwies der Bundesrat darin auf die Bestrebungen zur Einführung der Individualbesteuerung sowie auf die hängige Vorlage zur Beteiligung des Bundes an den elterlichen Kita-Betreuungskosten, obwohl er Letztere ablehnte. Nachdem der Nationalrat der Vorlage im März ohne die vom Bund verlangte Gegenfinanzierung zugestimmt hatte, bestand die ständerätliche Kommission auf der Prüfung eines alternativen Modells, das 2024 in die Vernehmlassung geschickt werden soll. In jedem Fall wird sich das Parlament in Kürze wieder zur Frage der Subventionierung der Betreuungskosten äussern: Die im Vorjahr lancierte Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle» (Kita-Initiative) kam im Sommer zustande.

Nicht vorgelegt werden der Stimmbevölkerung zwei die Frauen betreffende Volksinitiativen mit dem Ziel der Reduktion von Schwangerschaftsabbrüchen. Diese scheiterten im Berichtsjahr im Sammelstadium. Erfolgreicher war eine aus der Frauensession 2021 resultierende Forderung zur Verstärkung der Erforschung von Frauenkrankheiten, die in Form einer Motion im Berichtsjahr an den Bundesrat überwiesen wurde. Ebenfalls gab der Bundesrat 2023 die Lancierung eines Nationalen Forschungsprogramms zur Gendermedizin bekannt. Die Lohngleichheit war eine der grossen Forderungen am Feministischen Streik 2023, entsprechende parlamentarische Forderungen wurden im Parlament jedoch beinahe allesamt abgelehnt.

Grundsätzlich wurde Massnahmen gegen häusliche Gewalt oder zur Verstärkung des Opferschutzes bei häuslicher Gewalt wie bereits 2022 auch 2023 ein hoher Stellenwert beigemessen. So gab der Bundesrat einen Entwurf in die Vernehmlassung, mit der die gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankert werden soll. Als Erstrat behandelte der Nationalrat in der Wintersession zudem eine Vorlage, die ausländische Opfer von häuslicher Gewalt besser schützen will. Auch einige parlamentarische Initiativen und Motionen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt stiessen 2023 in der Legislative auf Zuspruch.

Ende 2023 läuft die 20-jährige Frist zur Ermöglichung des barrierefreien Zugangs zum ÖV für Menschen mit Handicap ab, wie es das im Jahr 2004 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz vorsah. Im März präsentierte der Bundesrat einen Bericht, der bei der Zugänglichkeit noch beträchtliche Lücken aufzeigte. Die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, sowohl im Verkehr als auch in allen weiteren Lebensbereichen, forderte die im April lancierte Inklusions-Initiative. Ebenfalls mehr Einbindung verlangten im März die Teilnehmenden der ersten Behindertensession, wobei sie ein besonderes Augenmerk auf die Teilhabe an der Politik legten. Ferner diskutierte ein im Herbst vom Bundesrat publizierter Bericht, ob der Stimmrechtsausschluss von Menschen mit einer geistigen Behinderung legitim sei. Durch die medial begleitete (Wieder-)Wahl von Philipp Kutter, Christian Lohr und Islam Alijaj in den Nationalrat dürften Menschen mit Behinderung in Zukunft auch innerhalb des Parlaments ein breiteres Sprachrohr haben.

Auch LGBTQIA-Personen erhielten durch die Kandidatur und schliessliche durch die Wahl von Anna Rosenwasser in Zürich verstärkte Aufmerksamkeit. Zu einem bedeutenden Fortschritt für schwule und bisexuelle Männer kam es dank einer vom Parlament verabschiedeten Änderung des Heilmittelgesetzes, die unter anderem einen diskriminierungsfreien Zugang zur Blutspende ermöglicht. Somit werden in Zukunft grundsätzlich alle schwulen und bisexuellen Männer nach jahrzehntelangem Ausschluss als potentielle Blutspender zugelassen. Im Berichtsjahr überwies das Parlament ferner ein Postulat, das einen Bericht zur Verbesserung der Situation von nicht-binären Personen fordert.

Jahresrückblick 2023: Soziale Gruppen
Dossier: Jahresrückblick 2023

Auf die sechs Sitze, die bei den Nationalratswahlen 2023 im Kanton Thurgau zu vergeben waren, bewarben sich 210 Personen auf 36 Listen – und damit deutlich mehr als vor vier Jahren (135 Kandidierende auf 23 Listen). Grund dafür waren vor allem die zahlreichen Unterlisten, welche die GLP (7 Listen) und die Mitte (10 Listen) eingereicht hatten. Gegenüber den letzten Nationalratswahlen gesunken war hingegen der Frauenanteil, der neu bei 37.6 Prozent lag (2019: 43.7%).

Von der bisherigen Thurgauer Delegation in Bundesbern (bestehend aus drei Mitgliedern der SVP und je einem Mitglied der Mitte, der SP und den Grünen) traten die beiden Nationalrätinnen Edith Graf-Litscher (sp, TG) und Verena Herzog (svp, TG) nicht zur Wiederwahl an. Die mediale Aufmerksamkeit galt in der Folge insbesondere diesen beiden frei gewordenen Sitzen. Die Sozialdemokraten versuchten, den Sitz ihrer abtretenden Nationalrätin mit Kantonsrätin Nina Schläfli zu sichern, und taten sich dafür erneut mit den Grünen und den Grünliberalen zu einer «ökologischen Allianz» (TZ) zusammen. Die SVP musste ohne ihre langjährige Verbündete, die EDU, antreten. Diese schloss sich stattdessen mit der Gruppierung Aufrecht – hervorgegangen aus der Protestbewegung gegen die Corona-Massnahmen – zusammen. Erklärt hatte die EDU diesen Schritt mit strategischen Überlegungen; sie versprach sich bei den Grossratswahlen 2024 von den Stimmen der neuen Partnerin zu profitieren. Neben Aufrecht trat neu auch die massnahmenkritische Bewegung Mass-voll mit einer Liste an, jedoch ohne eine Listenverbindung einzugehen. Die FDP bevorzugte eine Zusammenarbeit mit der Mitte und der EVP, nachdem sie bei den letzten Nationalratswahlen ihren Sitz in einer Listenverbindung mit der SVP verloren hatte. Bei der angepeilten Rückeroberung dieses Sitzes zeichnete sich ein listeninterner Zweikampf zwischen dem alt-Nationalrat Hansjörg Brunner und Kantonsrätin Kris Vietze, welche auch für den Ständerat kandidierte, auf den ersten beiden Listenplätzen ab. Die Medien sprachen diesbezüglich von einem Kampf zwischen dem Gewerbe – Brunner war Präsident des Thurgauer Gewerbeverbands – und der Industrie – Vietze war Präsidentin der kantonalen Industrie- und Handelskammer. Von den vier wiederantretenden Bisherigen – Diana Gutjahr (svp), Manuel Strupler (svp), Christian Lohr (mitte) und Kurt Egger (gp) – schrieben die Medien dem Mitte-Nationalrat Lohr die grössten Wahlchancen zu; seine Wiederwahl «scheint so sicher wie das – wenn auch immer weniger zu hörende – Amen in der Kirche», war etwa in der Thurgauer Zeitung zu lesen.

Im Vorfeld der Wahlen sorgte der Thurgauer Gewerbeverband für eine Kontroverse, als er ausschliesslich Kandidierende von der FDP, SVP, Mitte und EDU zur Wahl empfahl, nicht aber seine Verbandsmitglieder Kurt Egger und Peter Dransfeld (beide Grüne) sowie Ueli Fisch und Stefan Leuthold (beide GLP). Letzterer, bis dahin im Vorstand des Frauenfelder Gewerbeverbands, trat als Reaktion gar aus dem Verband aus. Ferner veröffentlichte die Thurgauer Zeitung die bei der EFK offengelegten Wahlkampfbudgets, die aufgrund der neuen Transparenzregeln bei diesen Wahlen zum ersten Mal ausgewiesen werden mussten. Dabei verfügte die stimmenstärkste Partei – die SVP – mit CHF 239'000 auch über das grösste Budget, dicht gefolgt von der FDP mit einem Budget von CHF 232'000. Alle anderen Parteien wiesen deutlich bescheidenere finanzielle Mittel aus; der SP standen CHF 120'000, der Mitte und der GLP je CHF 70'000 und den Grünen CHF 50'000 zur Verfügung. Die EDU, Aufrecht Thurgau und die EVP lagen mit CHF 25'000, CHF 15'000 und CHF 5'000 unter der Deklarationsschwelle von CHF 50'000, dies teilten sie auf Anfrage der Zeitung mit. Das Budget von Mass-voll lag wohl ebenfalls unter der Schwelle, jedoch liessen sie die Anfrage nach genauen Zahlen unbeantwortet. Mit CHF 150'000 verfügte Kris Vietze von der FDP, die sowohl für den National- als auch den Ständerat antrat, über das höchste Budget aller Kandidierenden, wobei CHF 50'000 von ihr selbst finanziert wurden. Den zweiten Platz belegte Pascal Schmid von der SVP; sein Wahlkampfbudget in der Höhe von CHF 129'000 stammte gemäss eigenen Aussagen von über 300 Unternehmen und vielen Einzelpersonen aus dem «breiten bürgerlichen Spektrum».

Bei einer Wahlbeteiligung von 46.6 Prozent (+4.2 Prozentpunkte) konnte die SP am Wahlsonntag den Sitz der abtretenden Edith Graf-Litscher durch die Wahl von Nina Schläfli verteidigen, obwohl sie von den Thurgauer Parteien am meisten Prozentpunkte an Wählendenanteilen verlor (-2.4 Prozentpunkte) und noch auf einen Anteil von 10.2 Prozent kam. Damit blieb sie jedoch die stärkste Partei innerhalb der «ökologischen Allianz». Das nationale Abebben der «grünen Welle» war auch im Thurgau zu spüren, denn Kurt Egger gelang die Wiederwahl nicht und die Grünen konnten ihren Sitz bei einem Wählendenanteil von 8.5 Prozent (-2.1 Prozentpunkte) nicht verteidigen. Auch die GLP verlor 1.5 Prozentpunkte und fiel mit 6.6 Prozent Wählendenanteilen fast auf den Stand von vor der «Klimawahl» 2019 zurück. Hingegen steigerte die SVP ihren Wählendenanteil um 3.6 Prozentpunkte auf 40.3 Prozent. Sie erzielte in allen 80 Thurgauer Gemeinden am meisten Stimmen und konnte – dank Proporzglück, wie die Medien erklärten – den Sitz der nicht zur Wiederwahl angetretenen Verena Herzog durch die Wahl von Pascal Schmid verteidigen. Somit belegt die Volkspartei mit ihren beiden wiedergewählten Bisherigen, Diana Gutjahr und Manuel Strupler, auch zukünftig die Hälfte der Thurgauer Nationalratsmandate. Erfolgreich war auch die Thurgauer FDP, die nach vierjähriger Abwesenheit wieder in Bern vertreten sein wird. Mit einem Wählendenanteil von 10.7 Prozent (-0.8 Prozentpunkte) eroberte sie den Sitz der Grünen durch die Wahl von Kris Vietze, die mit knappen 456 Stimmen Vorsprung auf Hansjörg Brunner die meisten Stimmen in der Partei holte. Wiedergewählt wurde Christian Lohr, dem wie schon 2015 und 2019 der Titel «Panaschierkönig» (TZ) verliehen wurde. Seine Partei, die Mitte, legte 2.6 Prozentpunkte zu und kam neu auf einen Wählendenanteil von 15.3 Prozent. Somit konnte sie die 2019 von der BDP erzielten Wählendenanteile (2.3%) übernehmen. Anders als auf nationaler Ebene hatten die thurgauischen Kantonalsektionen der CVP und BDP nicht fusioniert, stattdessen hatte sich die CVP Thurgau umbenannt und die BDP Thurgau aufgelöst. Ihre Anteile ganz oder fast halten konnten die EDU (2023: 2.8%; keine Veränderung) sowie die EVP (2023: 2.4%; -0.3 Prozentpunkte). Eher bescheiden schnitten die beiden neu angetretenen massnahmenkritischen Listen – Aufrecht Thurgau (2023: 1.9%) und Mass-Voll (2023: 1.1%) – ab. Damit stellt die SVP in der 52. Legislatur drei Nationalratsmitglieder für den Kanton Thurgau sowie die Mitte, die FDP und die SP je einen. Wie bereits in der vorangegangenen Legislatur besteht die Thurgauer Delegation aus drei Männern und drei Frauen.

Nationalratswahlen 2023 – Thurgau
Dossier: Eidgenössische Wahlen 2023 - Überblick

Zur Verbesserung der Integration von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben reichte Christian Lohr (mitte, TG) eine Motion ein, in der er forderte, dass nicht mehr länger nur die Arbeitnehmenden selber, sondern auch Arbeitgebende Gesuche für Anpassungen am Arbeitsplatz zuhanden der IV stellen können sollen. Dies sei im Rahmen eines Austausches von Menschen mit einer Behinderung vorgeschlagen worden. Dadurch könnte die Belastung der Arbeitnehmenden verringert und durch Einbezug des Arbeitgebenden eine effizientere Kommunikation mit der IV ermöglicht werden, so Lohr.
Anders sah dies der Bundesrat in seiner Stellungnahme: Die Hilfsmittel müssten auf die jeweiligen individuellen Bedürfnisse der versicherten Person zugeschnitten sein, die einen Rechtsanspruch auf diese habe. Ein Gesuch durch Arbeitgebende käme keiner administrativen Vereinfachung gleich, da die versicherte Person dennoch im Zentrum der Leistungsprüfung stünde und zusätzlich die Selbstbestimmung dieser dadurch möglicherweise untergraben werden würde. Der Bundesrat zeigte sich jedoch bereit, Möglichkeiten für eine administrative Erleichterung der Gesuchseinreichung durch die Arbeitnehmenden zu prüfen. Dazu sei jedoch keine Anpassung der gesetzlichen Grundlage nötig, wie dies die Motion fordere.
Im Nationalrat, der sich in der Herbstsession mit dem Vorstoss befasste, erwiderte Lohr, dass es mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen administrativen Erleichterung über das Formular der «Früherfassung» nicht getan sei, da sich der Bedarf an Hilfsmitteln am Arbeitsplatz selten zeitgleich mit dem Prozess der Früherfassung ergebe. Der Motionär betonte ferner, dass auch der Schweizerische Arbeitgeberverband sein Anliegen unterstütze. Daraufhin nahm der Nationalrat den Vorstoss mit 115 zu 66 Stimmen (2 Enthaltungen) an. Die ablehnenden Stimmen stammten aus den Fraktionen der FDP und der SVP.

Effizientere Eingliederung am Arbeitsplatz von Menschen mit Behinderungen (Mo. 21.4089)

In der Sommersession 2023 behandelte der Nationalrat als Zweitrat die Renteninitiative der Jungfreisinnigen. In der Eintretensdebatte standen sich zwei grundsätzliche Positionen gegenüber: Einerseits vertraten die Sprechenden der SVP-, SP-, Mitte- und Grünen-Fraktionen die Meinung, dass die Renteninitiative abzulehnen sei – obwohl Mitglieder der SVP-Fraktion durchaus auch Sympathien für die Initiative äusserten. Für die SVP verwies Thomas Aeschi (svp, ZG) auf die Abstimmungen zur BVG 21-Reform sowie zur 13. AHV-Rente, die beide im nächsten Jahr anstünden, sowie auf den Auftrag des Parlaments an den Bundesrat zur Ausarbeitung einer weiteren AHV-Reform für die Jahre 2030 bis 2040. Die Schaffung eines Erhöhungsautomatismus für das Rentenalter im Rahmen der Renteninitiative würde daher «das Fuder definitiv überladen». Christian Lohr (mitte, TG) betonte für die Mitte-Fraktion, dass man im Rahmen der AHV 21-Reform versprochen habe, auf baldige weitere Rentenaltererhöhungen zu verzichten, und sich seine Fraktion daran halten wolle. Grundsätzliche Ablehnung gegen eine weitere Rentenaltererhöhung taten Flavia Wasserfallen (sp, BE) und Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) für die SP- und die Grünen-Fraktion kund. Allfällige AHV-Finanzierungsprobleme sollten über eine «Stärkung der solidarischen Finanzierung» (Wasserfallen) gelöst werden, zumal eine Rentenaltererhöhung insbesondere Personen mit tieferen Einkommen belaste, da diese nicht über die finanziellen Mittel für eine frühzeitige Pensionierung verfügten.
Gewisses Verständnis für das Anliegen der Initiative zeigte andererseits Melanie Mettler (glp, BE) für die GLP-Fraktion. In der Tat funktioniere «der Generationenvertrag aktuell temporär nicht», weil zu wenige Arbeitstätige die Renten der Babyboomer finanzieren müssten. Das Problem könne aber nicht durch eine Rentenaltererhöhung gelöst werden. Vielmehr schlug Mettler vor, die Kommission durch Rückweisung des Entwurfs mit der Schaffung einer «Schuldenbremse für die AHV» in Form eines indirekten Gegenvorschlags zu betrauen. Dabei sollte das Parlament im Falle negativer Finanzperspektiven der AHV zum Beispiel fünf Jahre Zeit erhalten, um die AHV-Finanzierung anzupassen. Gelänge diese Neufinanzierung nicht, sollte das Rentenalter stufenweise erhöht werden, bis die Finanzperspektiven wieder im Lot wären oder eine andere Lösung vorläge.
Zur Annahme empfohlen wurde die Initiative nur von der FDP-Fraktion. Regine Sauter (fdp, ZH) erläuterte, dass die AHV-Finanzierung insbesondere für junge Leute ein Problem darstelle, man wolle daher mit der Initiative «allgemeingültige Regeln» vorsehen, damit es zukünftig nicht mehr zu «kurzfristigen Notfallübungen und politischem Hickhack» komme. Aufgrund der mangelnden Unterstützung für die Initiative schlug Sauter jedoch in einem Minderheitsantrag einen direkten Gegenentwurf zur Initiative vor, der die von Mettler vorgeschlagene Schuldenbremse ausdrücklich regelte.

Nach dem obligatorischen Eintreten stimmte der Nationalrat über den Rückweisungsantrag Mettler ab. Anfänglich mit 89 zu 89 Stimmen (bei 1 Enthaltung) und Stichentscheid von Ratspräsident Candinas (mitte, GR) abgelehnt, nahm die grosse Kammer den Rückweisungsantrag nach einem Antrag Silberschmidt (fdp, ZH) auf Wiederholung der Abstimmung nach der Rückkehr verschiedener Parlamentsmitglieder auf ihre Plätze mit 93 zu 92 Stimmen (bei 1 Enthaltung) knapp an. Für Rückweisung sprachen sich die geschlossen stimmenden Fraktionen der GLP und der FDP, eine Mehrheit der SVP-Fraktion und einzelne Mitglieder der Mitte-Fraktion aus. Die Abstimmung über den Minderheitsantrag Sauter wurde durch den Entscheid auf Rückweisung (vorläufig) obsolet.

Nur eine Woche später bat die SGK-NR die grosse Kammer jedoch bereits um Wiederaufnahme der Initiative in das laufende Sessionsprogramm. Da die Vorstellungen der Befürwortenden eines indirekten Gegenvorschlags zu weit auseinanderlägen und der Zeitplan für dessen Ausarbeitung, Vernehmlassung und Beratung zu eng wäre, solle stattdessen die Beratung der Initiative wieder aufgenommen werden, empfahl Thomas Aeschi für die Kommission. Mit 146 zu 30 Stimmen (bei 11 Enthaltungen) stimmte der Nationalrat dem Ordnungsantrag gegen den Willen der FDP-Fraktion zu.

Tags darauf setzte sich der Nationalrat somit erneut mit der Initiative auseinander, wobei ihm erneut ein Antrag auf Rückweisung an die Kommission vorlag, dieses Mal von Regine Sauter. Demnach sollte die Kommission nach Rückweisung einen neuen indirekten Gegenvorschlag ausarbeiten, in dem die Rentenaltererhöhung nicht vom Referenzalter, sondern entsprechend einer Motion Humbel (mitte, AG; Mo. 22.4430) von der Lebensarbeitszeit abhängen würde. Der Antrag scheiterte jedoch mit 140 zu 42 Stimmen (bei 7 Enthaltungen), wobei die befürwortenden Stimmen von der FDP- und einem Teil der SVP-Fraktion stammten. Bevor der Rat nun aber über die Abstimmungsempfehlung zur Initiative selbst entschied, hatte er noch über den ursprünglichen Minderheitsantrag Sauter zur Schaffung eines direkten Gegenentwurfs zu befinden. Die Ratsmehrheit entschied sich dabei mit 125 zu 61 Stimmen (bei 3 Enthaltungen), auf einen direkten Gegenentwurf zu verzichten. Der Antrag hatte bei den Mitgliedern der FDP-, GLP- und einer Minderheit der SVP-Fraktion Stimmen geholt.

Zum Abschluss stand schliesslich der Ratsentscheid über die Abstimmungsempfehlung zur Initiative an: Mit 133 zu 40 Stimmen (bei 16 Enthaltungen) folgte der Nationalrat seiner Kommissionsmehrheit und empfahl der Stimmbürgerschaft und den Kantonen die Initiative entgegen einem Antrag Nantermod (fdp, VS) zur Ablehnung. Für eine Empfehlung auf Annahme der Initiative sprachen sich dabei die geschlossen stimmende FDP-Fraktion, eine Minderheit der SVP-Fraktion sowie ein Mitglied der Mitte-Fraktion aus. Enthaltungen fanden sich auch in der GLP-Fraktion. Mit 143 zu 40 Stimmen (bei 11 Enthaltungen) respektive mit 32 zu 11 Stimmen (bei 1 Enthaltung) bestätigten beide Räte ihre vorgängigen Entscheide in den Schlussabstimmungen.

Eidgenössische Volksinitiative «für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge (Renteninitiative) (BRG 22.054)
Dossier: Erhöhung des Rentenalters
Dossier: Volksinitiativen zur Altersvorsorge (seit 2015)

Eine Mehrheit der WBK-NR wollte Anfang 2023 per Motion eine Anpassung des SpoFöG erreichen, wodurch J+S-Beiträge auch für niederschwellige Angebote entrichtet werden könnten. Der Nationalrat nahm sich während der Sondersession im Mai 2023 des Geschäfts an. Simon Stadler (mitte, UR) und Céline Weber (glp, VD) erläuterten das Anliegen der Kommissionsmehrheit. Aus einem Bericht in Erfüllung des Postulats Lohr (mitte, TG; Po. 18.3846) gehe hervor, dass mit dem Programm «Jugend und Sport» zukünftig noch mehr Kinder und Jugendliche erreicht werden sollen. Eine Möglichkeit bestehe beispielsweise in der finanziellen Unterstützung offener Turnhallen. Solche erlaubten es Kindern und Jugendlichen ohne Mitgliedschaft einer Freizeittätigkeit nachzugehen. Diese Meinung teilte auch Sportministerin Viola Amherd. Sie betonte, dass gegenwärtig nur etwa die Hälfte aller Kinder und Jugendlicher durch J+S erreicht würden. Gerade «[w]eniger sportaffine Kinder» könnten durch niederschwelligere Angebote angesprochen werden. Solange die Subventionierung innerhalb der vorhandenen Ressourcen erfolge, unterstütze der Bundesrat daher die Motion. Für die Kommissionsminderheit sprach sich Andreas Gafner (edu, BE) gegen die Motion aus. Seiner Meinung nach sollten die Kriterien für die Unterstützung durch J+S, einem bereits etablierten System, nicht «gegen unten an[ge]pass[t]» werden. Vielmehr bedürfe es der Erfüllung bestimmter Kriterien, um entsprechende Unterstützung zu erhalten. Mit 130 zu 48 Stimmen (bei 1 Enthaltung) nahm der Nationalrat die Motion an. Dabei stammten 45 der Gegenstimmen aus der SVP-Fraktion, 3 von Mitgliedern der FDP-Fraktion. Die Fraktionen der SP, GLP, Mitte und der Grünen sprachen sich allesamt geschlossen für den Vorstoss aus.

«Jugend und Sport»-Beiträge auch für niederschwellige Angebote in offenen Sporthallen (Mo. 23.3003)

Die SGK-NR forderte den Bundesrat im Februar 2023 mittels Postulat auf, zu prüfen, wie im BVG ein Splittingmodell der Altersguthaben von Eltern umgesetzt werden könne. Im April 2023 beantragte der Bundesrat die Annahme des Postulats.
In der Sondersession vom Mai 2023 gelangte das Geschäft in den Nationalrat, wo die Kommissionsmehrheit von Brigitte Crottaz (sp, VD) und Christian Lohr (mitte, TG) vertreten wurde: Nach wie vor gebe es beträchtliche Unterschiede beim Rentenniveau von Männern und Frauen in der zweiten Säule, wobei gerade Frauen, die eine längere Zeit unbezahlter Care-Arbeit nachgingen, von Altersarmut gefährdet seien und in der Folge öfters EL beziehen müssten. Ein Splitting der Pensionskassenguthaben der beiden Elternteile zu je 50% entlaste die zweite Säule von Frauen, welche durch Kindererziehung Lücken bei ihrer BVG-Rente hätten. Was bereits heute bei Ehepaaren die Normalität sei, wolle das Postulat nun auch für unverheiratete Eltern prüfen. Eine Minderheit Bircher (svp, AG) forderte die Ablehnung des Postulats. Familiengefüge seien in der Praxis oft komplexer als im Vorstoss dargestellt. Es sei beispielsweise unklar, wie das Altersguthaben von Vätern gesplittet werden würde, die Kinder mit verschiedenen Frauen hätten. Auch könne die geforderte Neuerung dazu führen, dass Frauen auf eine Pensionskasse verzichteten, da sie automatisch die Hälfte des Guthabens vom Vater des gemeinsamen Kindes erhielten.
Die grosse Kammer nahm das Postulat mit 104 zu 73 Stimmen (1 Enthaltung) an. Die geschlossene SVP-Fraktion und fast sämtliche Mitglieder der FDP.Liberalen-Fraktion stimmten gegen den Vorstoss.

BVG. Splitting der erworbenen Altersguthaben für Eltern (Po. 23.3011)

Rund 1,8 Mio. Personen mit Behinderungen leben in der Schweiz und rund 13'500 Erwachsene stehen unter umfassender Beistandschaft. Im Jahr 2023 stiessen die Stimmen von Personen mit Behinderungen in den Medien auf mehr Gehör als auch schon. Dabei lautete der Tenor, dass in der Schweiz weiterhin hohe Hürden für Menschen mit Behinderungen bestünden, was im Vorjahr bereits die UNO kritisiert hatte. So habe nur eine Minderheit der Kantone die Rechte von Menschen mit Behinderungen in einer umfassenden Gesetzgebung verankert. Weiterhin würde das Gesetz über die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen aus dem Jahre 2004 nicht komplett umgesetzt, was sich 2023 etwa an der Verstreichung der Frist zur Schaffung des barrierefreien Zugangs zum öffentlichen Verkehr zeigte. Auch während der Energiekrise seien Personen mit Mobilitätseinschränkungen zunehmend vergessen gegangen, bemängelte unter anderem Mitte-Nationalrat Christian Lohr (mitte, TG) gegenüber dem Blick: Wenn Rolltreppen und Aufzüge im Falle eines Stromengpasses ausgeschaltet worden wären, hätte keine Alternative für gehbehinderte Personen bestanden. Auch die umfassende Beistandschaft gehöre abgeschafft, forderten Grundrechtsexperten und Behindertenorganisationen, da den betroffenen Personen das Grundrecht auf Selbstbestimmung genommen werde. Dass Menschen mit Behinderungen oftmals in spezialisierten Institutionen untergebracht werden würden, trage weiter zu einem Ausschluss aus der Gesellschaft bei. Auch würden Personen, die in Behindertenwerkstätten tätig sind, nicht angemessen entlöhnt, erwähnte Agile.ch-Geschäftsleiter Raphaël de Riedmatten gegenüber der NZZ: beispielsweise in einem medial breit diskutierten Fall betrage der Ansatz fünf Franken bei Vollzeittätigkeit. Auch Forderung nach mehr politischen Rechten für Personen mit Behinderung sind bereits lange ein Begehren von Behindertenorganisationen, denn weiterhin erfahren Menschen mit Behinderungen Einschränkungen bei der Teilnahme am politischen Leben. So können etwa Sehbehinderungen das Wählen und Abstimmen ohne fremde Hilfe unmöglich machen, während es für hörbehinderte Personen schwierig ist, einer Nationalratsdebatte ohne Untertitel oder Gebärdensprache zu folgen. Wiederum andere geniessen gar keine politischen Rechte.

Gleich zwei Ereignisse widmeten sich diesen Anliegen 2023 in einem institutionellen Rahmen: Während eine Trägerschaft angeführt durch Behindertenorganisationen im April die sogenannte Inklusions-Initiative lancierte, fand bereits im März die erste Behindertensession im Bundeshaus statt. 44 Abgeordnete mit unterschiedlichen Behinderungen setzten sich innerhalb dreier Stunden in der von Pro Infirmis organisierten Session für die Interessen und Forderungen von Menschen mit Behinderungen ein und zeigten unter anderem Probleme auf, denen sich die Politik in Zukunft widmen sollte. Insbesondere wurde mehr Inklusion von Menschen mit Behinderungen im politischen Prozess gefordert. So müsse unter anderem gewährleistet werden, dass Menschen mit Behinderungen eigenständig abstimmen und wählen könnten. Beiden Räte hatten sich bereits für Abstimmungsschablonen und barrierefreie Live-Streams der Parlamentsdebatten ausgesprochen, weiterhin gebe es jedoch noch viel zu tun, liess Pro Infirmis verlauten. Vor allem wurden auch während der Behindertensession bestehende Hürden in der herkömmlichen Politik ersichtlich. So hätten Abgeordnete im Rollstuhl nicht den Haupteingang benutzen können und das Bundeshaus habe keine Übersetzenden für Gebärdensprache zur Verfügung gestellt, liess der St. Galler SVP-Politiker Jürg Brunner (SG, svp) und Teilnehmer der Behindertensession gegenüber dem St. Galler Tagblatt verlauten.

Im Rahmen der Behindertensession 2023 wurden schliesslich drei Petitionen lanciert, welche eine höhere Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Politik anstrebten. Erstens wurde mehr politische Mitsprache durch die Repräsentation von Menschen mit Behinderungen auf allen politischen Ebenen gefordert (Pet. 23.2021). Zu diesem Zwecke solle der Bund sicherstellen, dass Personen nach der Beendigung eines politischen Amtes die gleichen Sozialleistungen wie vor dem Amtsantritt erhalten würden. Ausserdem solle eine ausserparlamentarische Behindertenkommission ins Leben gerufen werden und Menschen mit Behinderungen sollten vermehrt als Expertinnen und Experten bei politischen Entscheiden konsultiert werden. Zweitens verlangten die Sessionsteilnehmenden ein autonomes und ungehindertes Wahl- und Stimmrecht (Pet. 23.2019). Keiner Person solle aufgrund ihrer Behinderung das Wahl- und Stimmrecht entzogen werden. Weiter solle das Wahl- und Abstimmungsverfahren autonom und hindernisfrei zugänglich sein. Auch die weitere Teilhabe am politischen Leben soll hindernisfrei erfolgen können (Pet. 23.2020). So soll unter anderem ein hindernisfreier Zugang zu politischen Veranstaltungen und Gebäuden des Bundes gewährleistet werden. Weiter solle der Bund seine Dienstleistungen und Unterlagen für alle Menschen mit Behinderungen zugänglich machen. Zusätzlich verlangte Pro Infirmis weitere Behindertensessionen, damit sich Menschen mit Behinderungen auch in Zukunft auf politischer Ebene direkt für ihre Rechte einsetzen können. Im Sommer 2023 ergab ferner eine erste, grossangelegte und repräsentative Befragung von Menschen mit Behinderungen, dass auch diese ihre Interessen in der Schweizer Politik noch zu wenig repräsentiert sahen.

Erste Behindertensession in Bern

In der Frühjahrssession 2023 setzte sich das Parlament mit der Anpassung der AHV- und IV-Renten, der Ergänzungsleistungen und der Überbrückungsleistungen an die volle Teuerung auseinander. Zuvor hatte die SGK-NR mit 13 zu 11 Stimmen beantragt, nicht auf die Vorlage einzutreten. Die Kommissionssprecher Philippe Nantermod (fdp, VS) und Thomas Aeschi (svp, ZG) begründeten den Mehrheitsantrag mit der bereits erfolgten Anpassung um 2.5 Prozent, mit der minimalen tatsächlichen Erhöhung der Renten sowie mit den hohen Kosten für die AHV von CHF 418 Mio. in den Jahren 2023 und 2024. Der Betrag sei lediglich symbolisch, die Kosten seien es hingegen nicht, betonte Nantermod. Eine Minderheit Lohr (mitte, TG) beantragte Eintreten, zumal es «um einen gerechten Ausgleich der Inflation für die Ärmsten in unserem Land» gehe. Man müsse zwar die Finanzierung noch besser regeln, was man aber nach Eintreten erledigen könne. In der Folge entbrannte eine relativ lange Debatte insbesondere zwischen Mitgliedern der links-grünen Fraktionen, die auf den Verfassungsauftrag für die Anpassung von Renten an die Teuerung verwiesen und Mitgliedern der FDP und der SVP, die die entsprechenden Forderungen als Wahlkampf abtaten. Mit 97 zu 92 Stimmen (bei 1 Enthaltung) sprach sich der Nationalrat gegen Eintreten aus, wobei die Fraktionen der Mitte, SP und Grünen geschlossen dafür und die Fraktionen der SVP, FDP und GLP geschlossen dagegen stimmten.

Deutlich kürzer fiel die Diskussion im Ständerat aus. Zwar hatte sich die SGK-SR mit 6 zu 5 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) für Eintreten ausgesprochen, die kleine Kammer folgte jedoch überaus knapp mit 21 zu 20 Stimmen dem Minderheitsantrag Kuprecht (svp, SZ) auf Nichteintreten. Damit war die Vorlage vom Tisch.

Anpassung der AHV-Renten an die Teuerung (BRG 23.016)
Dossier: Ausserordentliche Session 2022 zum Thema «Kaufkraft»
Dossier: Wie stark soll die AHV-Rente der Teuerung angepasst werden? (2023)

Déposée par le conseiller national thurgovien Christian Lohr (centre) en 2020, la motion 20.4671 a été classée sans être traitée par les chambres. Elle demandait une modification de la loi de manière à ce que le Contrôle fédéral des finances (CDF) puisse surveiller la SSR. Le Conseil fédéral recommandait son rejet. Insatisfait par cette issue, le député tessinois Marco Romano (centre) a déposé un objet de teneur identique, mais cette fois-ci sous la forme d'une initiative parlementaire.

Soumettre la SSR à la surveillance du Contrôle fédéral des finances (Mo. 20.4671)

In der Herbstsession 2022 bereinigte das Parlament das Paket 1b des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Offen war zu Beginn der Session noch immer die Frage eines «Monitorings der Entwicklung der Mengen, Volumen und Kosten» sowie von Korrekturmassnahmen bei nicht erklärbaren Entwicklungen. Eine solche Regelung hatten beide Räte anfänglich abgelehnt, nach Annahme eines entsprechenden Rückkommensantrags durch die beiden Kommissionen hatte sie jedoch der Nationalrat wieder in das Massnahmenpaket aufgenommen. Die Mehrheit der SGK-SR zeigte sich zur Einführung eines Monitorings bereit, wollte aber keine subsidiäre Interventionsmöglichkeit von Bund oder Kantonen bezüglich Korrekturmassnahmen, falls sich die Tarifpartner nicht einigen können. Die Kommissionsmehrheit wolle, «dass die Tarifpartner wirklich alleine verantwortlich sind», betonte Kommissionssprecher Ettlin (mitte, OW). Darüber hinaus schlug die Kommission auf Anraten der Verwaltung verschiedene redaktionelle Änderungen sowie verschiedene Anpassung einzelner Details vor, «deren Auswirkungen nicht so dramatisch sind», wie der Kommissionssprecher betonte. Eine Minderheit Hegglin (mitte, ZG) beantragte jedoch mit Verweis auf die steigenden Krankenkassenprämien, nicht nur ein Monitoring einzuführen, sondern auch verbindliche Korrekturmassnahmen festlegen zu lassen – durch den Bundesrat oder die Kantonsregierungen, falls sich die Tarifpartner nicht einigen können. Dies verstärke die Wirkung der Massnahme. Mit 25 zu 19 Stimmen (bei 1 Enthaltung) folgte der Ständerat jedoch der Kommissionsmehrheit und verzichtete auf die subsidiären Interventionsmöglichkeiten.
Stillschweigend bereinigte der Ständerat die zweite offene Frage bezüglich Vereinfachungen für den Parallelimport von Arzneimitteln. Hier lenkte die kleine Kammer ein und folgte der nationalrätlichen Muss-Formulierung: Swissmedic muss demnach zukünftig solche Vereinfachungen bei Parallelimporten vornehmen.

Mit einer letzten Differenz gelangte das Massnahmenpaket 1b somit zurück in den Nationalrat. Hier hatte die Kommissionsmehrheit beantragt, dem Ständerat zu folgen und auf die subsidiären Interventionsmöglichkeiten zu verzichten. Für die Kommissionsmehrheit erläuterten Ruth Humbel (mitte, AG) und Philippe Nantermod (fdp, VS), dass die Bestimmung auch ohne Interventionsmöglichkeiten ihre Wirkung nicht verfehlen würden, weil die Genehmigungsbehörden – also Bundesrat und Kantonsregierungen – aufgrund der neuen Regelung Tarifverträge ohne Korrekturmassnahmen gar nicht mehr genehmigen dürften. Somit sei der entsprechende Passus nicht mehr nötig. Eine Minderheit Lohr (mitte, TG) beantragte hingegen, an der Regelung festzuhalten, um die Tarifpartnerschaft zu stärken und Bund und Kantonen die Möglichkeit zu geben, dort einzugreifen, wo die Kosten entstehen. Mit 138 zu 43 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) folgte der Nationalrat seiner Kommissionsmehrheit und bereinigte damit die Vorlage. Der Minderheit gefolgt waren die geschlossen stimmende Mitte-Fraktion sowie eine Minderheit der SP-Fraktion.

In den Schlussabstimmungen sprachen sich National- und Ständerat ohne Gegenstimmen (193 zu 0 respektive 40 zu 0 Stimmen bei 5 Enthaltungen) für Annahme des Massnahmenpakets 1b aus.

Erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (BRG 19.046)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

Nachdem sich die SGK-NR gegen die vier Standesinitiativen zur Beteiligung des Bundes an den Ertragsausfällen und Mehrkosten von Spitälern und Kliniken während der ersten Covid-19-Welle (Kt.Iv. SH 20.331; Kt.Iv. AG 21.304; Kt.Iv. TI 21.307; Kt.Iv. BS 21.312) ausgesprochen hatte, kamen die Initiativen in der Herbstsession 2022 in den Nationalrat. Eine Minderheit rund um Manuela Weichelt-Picard (al, ZG) war der Auffassung, dass der Bund in die Pflicht genommen werden sollte, da er während der Pandemie gewisse Eingriffe der Spitäler verboten hatte. Zudem habe er in vergleichbaren Situationen auch beim öffentlichen Ortsverkehr Vergütungen vorgenommen. Kommissionssprecher Christian Lohr (mitte, TG) teilte diese Ansicht indes nicht. Der Bund habe bereits die Finanzierung des grössten Teils der gesundheitlichen Covid-19-Massnahmen übernommen. So sei dieser etwa für Gesundheitskosten in der Höhe von CHF 5 Mrd. aufgekommen. Mit jeweils ungefähr 140 zu 35 Stimmen gab der Nationalrat den Standesinitiativen keine Folge. Einzig die grüne Fraktion sprach sich geschlossen für Folgegeben aus, die anderen Fraktionen votierten geschlossen (GLP-Fraktion) oder grossmehrheitlich dagegen.

Auch der Bund soll für die Spitäler zahlen (St.Iv. 20.331; St.Iv. 21.304; St.Iv. 21.307; St.Iv. 21.312)

Das Abkommen mit dem Vereinigten Königreich zur Koordinierung der sozialen Sicherheit wurde in der Herbstsessoin 2022 im Nationalrat beraten. Christian Lohr (mitte, TG) klärte die Ratsmitglieder im Namen der SGK-NR über den Inhalt des Abkommens auf. Das Abkommen werde seit November 2021 bereits vorläufig angewendet, nachdem die SGKs beider Räte im Vorfeld dazu konsultiert worden seien. Da das Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit dem Brexit seine Gültigkeit verloren habe, seien auch Revisionen im Bereich der sozialen Sicherheit notwendig geworden. Lohr erklärte, dass beide Länder eine Fortsetzung der bisherigen Bestimmungen gewollt hätten, was im Grundsatz auch erreicht worden sei. Er betonte insbesondere, dass das Abkommen keine zusätzlichen Kosten mit sich bringen werde, was angesichts der aktuellen Finanzsituation nicht unbedeutend sei. Bundesrat Berset erläuterte, dass das vorliegende Abkommen mehrheitlich dem neuen Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU entspräche, was eine grosse Einheitlichkeit der Regeln im europäischen Raum gewährleiste. Im Namen des Bundesrates forderte er den Nationalrat dazu auf, dem Abkommen zuzustimmen. Nachdem er ohne Gegenstimme auf das Geschäft eingetreten war, nahm der Nationalrat den Entwurf des Bundesrats einstimmig an.

Abkommen mit dem Vereinigten Königreich zur Koordinierung der sozialen Sicherheit (BRG 22.032)
Dossier: Mind the Gap-Strategie nach dem Brexit

Zu Beginn der Sommersession 2022 debattierte der Nationalrat über die Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei und über den bundesrätlichen indirekten Gegenvorschlag dazu. Philippe Nantermod (fdp, VS) und Thomas de Courten (svp, BL) präsentierten dem Rat die beiden Vorlagen. Die Initiative wolle den Anstieg der Prämien begrenzen und mit demjenigen der Durchschnittslöhne und der Volkswirtschaft in Einklang bringen, erläuterte Nantermod. Geschehe dies nicht, müsse der Bundesrat innerhalb von zwei Jahren verbindliche Massnahmen ergreifen. Die Initiative führe nun aber entweder zu einem «tigre de papier» – einem Papiertiger – oder zur Einführung eines Globalbudgets, also quasi eines Kostendachs. Beide Entwicklungen seien nicht wünschenswert, betonte der Kommissionssprecher. Deshalb habe sich die die Kommission mit 20 zu 4 Stimmen für eine Ablehnungsempfehlung zur Initiative ausgesprochen und zahlreiche Änderungen am Gegenvorschlag vorgenommen. Man lehne «le coeur du contre-projet du Conseil fédéral», die Aufnahme der Kostenziele, ab.
Christian Lohr (mitte, TG) bewarb in der Folge die Initiative: Die Schere zwischen Gesundheitskosten und Löhnen sei immer stärker aufgegangen, die Gesundheitskosten gehörten zu den grössten Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer. Immer mehr Leute, aktuell rund 6 Prozent der Versicherten, könnten ihre Prämien nicht mehr bezahlen und gerieten dadurch in finanzielle Schwierigkeiten. Die Initiative verlange aber kein Globalbudget, wie immer wieder behauptet werde. Vielmehr sollten bei einem zu starken Anstieg der Kosten alle Betroffenen «gemeinsam am Problem arbeiten» und Lösungen suchen.
Bevor sich der Rat mit der Initiative befasste, stimmte er über Eintreten auf den Gegenvorschlag ab und führte dessen Detailberatung durch. Eine Minderheit Weichelt (al, ZG), die von Céline Amaudruz (svp, GE) übernommen wurde, nachdem sie Weichelt zurückziehen wollte, erachtete die Massnahmen der Massnahmenpakete Ia und Ib zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen als vorerst genügend und beantragte, nicht auf den Gegenvorschlag einzutreten. Zudem fürchtete Amaudruz eine Rationierung der Behandlungen, mehr Bürokratie und einen Konflikt der neuen Regelungen mit der Tarifpartnerschaft. Mit 119 zu 43 Stimmen (bei 15 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat für Eintreten aus. Neben der mehrheitlich gegen Eintreten stimmenden SVP-Fraktion votierten auch drei Mitglieder der FDP.Liberalen-Fraktion und ein Mitglied der Grünliberalen dagegen. Enthaltungen fanden sich überdies bei Mitgliedern der Grünen und der SP.
Für die Detailberatung lagen zahlreiche Änderungsanträge der Kommissionsmehrheit gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag vor. So wollte die Mehrheit der SGK-NR wie von Philippe Nantermod angekündigt insbesondere auf die Kostenziele verzichten, verlangte aber auch verschiedene zusätzliche Regelungen, etwa eine Evaluation der Leistungen, die womöglich nicht wirksam oder zweckmässig sind, mehr Wettbewerb bei den Laboratorien, die Beurteilung von Tarifverträgen innert einem Jahr sowie ein Opting-Out für Ärzte – also die Möglichkeit, sich von Listen der Krankenversicherungen streichen zu lassen. Zudem soll der Bundesrat sofort überhöhte Vergütungen im Tarmed korrigieren. Eine Minderheit I Lorenz Hess (mitte, BE) versuchte, den Kommissionsvorschlag näher an die Initiative zu bringen, indem er die Kostenziele des Bundesrates im Gegenvorschlag belassen wollte. Neu sollten sie jedoch weniger ausführlich geregelt und jeweils für vier Jahre und unter vorheriger Anhörung von Versicherungen, Kantonen und Leistungserbringenden festgelegt werden. Bei Nichteinhaltung der Kostenziele sollte zudem nicht der Bundesrat aktiv werden, sondern eine neu zu schaffende «Eidgenössische Kommission für das Kosten- und Qualitätsmonitoring in der OKP» soll Empfehlungen für Massnahmen erlassen. Eine Minderheit II Wasserfallen (sp, BE) ergänzte den Vorschlag von Hess um eine Anhörung der Versicherten in Ergänzung zu den Tarifpartnern. Diese Ergänzung hiess der Rat gut und bevorzugte anschliessend das Konzept von Hess und Wasserfallen gegenüber dem Vorschlag der Kommissionsmehrheit knapp mit 94 zu 91 Stimmen (bei einer Enthaltung). Somit konnte die Mitte-Fraktion mit Unterstützung der SP und der Grünen das Konzept der Kostenziele im Gegenvorschlag verteidigen.
Neben verschiedenen stillschweigend gutgeheissenen Änderungen der Kommission, etwa bezüglich eines stärkeren Wettbewerbs zwischen den Laboratorien und der Beurteilung der Tarifverträge innert eines Jahres, waren auch zwei Minderheitsanträge erfolgreich. Eine Minderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) wollte nicht nur überhöhte Vergütungen im Tarmed, wie es die Kommissionsmehrheit verlangte, sondern auch nicht sachgerechte und nicht betriebswirtschaftliche Vergütungen korrigieren lassen. Dem stimmte der Nationalrat gegen eine Minderheit de Courten zu, der argumentierte, dass die Überprüfung erst nach der Ersetzung von Tarmed durch Tardoc vorgenommen werden solle. Der Nationalrat folgte weiter einer Minderheit Nantermod, welche sich gegen das Opting-Out der Ärzte wehrte: Diese Massnahme weise kein Sparpotenzial auf und könne in kleinen Gemeinden mit wenigen Ärzten gar die Nutzung von alternativen Versicherungsmodellen verhindern, wurde argumentiert.
In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat den Gegenvorschlag mit 104 zu 74 (bei 5 Enthaltungen) an, wobei die befürwortenden Stimmen von der Mitte-, der SP-, der Grünen- und einem Grossteil der GLP-Fraktion stammten. In der folgenden Abstimmung zur Empfehlung auf Ablehnung der Initiative stand die Mitte-Fraktion dann jedoch alleine da: Mit 156 zu 28 Stimmen sprach sich der Nationalrat für die Nein-Parole aus, lediglich die Mitglieder der Mitte-Fraktion votierten für eine Ja-Parole. Stillschweigend hiess die grosse Kammer in der Folge eine Fristverlängerung der Initiative bis November 2023 gut.

Eidgenössische Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» (BRG 21.067)
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

Im April 2022 befasste sich die SGK-NR mit einer Standesinitiative des Kantons Jura, die im September 2020 im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie eingereicht worden war und eine Preisobergrenze für Hygienemasken und hydroalkoholisches Gel in der ausserordentlichen Lage zum Gegenstand hatte. Damit sollte verhindert werden, dass Notlagen wie bei der Covid-19-Pandemie auch zukünftig wieder durch einzelne Personen oder Unternehmen ausgenutzt werden. Die Kommission sprach sich mit 14 zu 8 Stimmen gegen Folgegeben aus. In ihrer Medienmitteilung begründete die Kommissionsmehrheit ihren Entscheid damit, dass es zu Pandemiebeginn zwar tatsächlich einen Masken- und Desinfektionsmittelmangel gegeben habe, dass diese Situation allerdings nicht von anhaltender Dauer gewesen sei. Zudem habe der Preisüberwacher im Zusammenhang mit Fällen von Wucher- und Betrugsverdacht interveniert. Gemäss der Mehrheit der SGK-NR bestehe die grösste Herausforderung in der Gewährleistung einer ausreichenden Versorgung mit medizinisch wichtigen Gütern – etwas, das nicht durch eine Preisbegrenzung erreicht werden könne. Obwohl sich auch die Kommissionsminderheit um Léonore Porchet (gp, VD) nicht vollständig von einer Preisobergrenze überzeugt zeigte, war sie dennoch der Meinung, dass es einer Anpassung der Rechtsgrundlagen bedürfe, um die Wiederholung einer solchen Situation in Zukunft zu verhindern. Folglich sprach sie sich für Folgegeben aus. In der Sommersession 2022 kam das Anliegen in den Nationalrat. Nach Ausführungen Lohrs (mitte, TG) und Porchets für die Kommission resp. die Kommissionsminderheit gab der Nationalrat der Standesinitiative mit 100 zu 62 Stimmen keine Folge.

Preisobergrenze für Hygienemasken und hydroalkoholisches Gel in der ausserordentlichen Lage (St.Iv. 20.327)

Im März 2022 befasste sich der Ständerat mit einer Motion Lohr (mitte, TG), welche eine nationale Strategie für Kinder und Gesundheit zum Ziel hatte. Als Sprecher der WBK-SR führte Matthias Michel (fdp, ZG) aus, weshalb die Kommission das Geschäft zur Ablehnung empfehle. Zwar sei der ständerätlichen WBK eine kohärente Politik bezüglich Kinder- und Jugendgesundheit wichtig, allerdings seien gegenwärtig ausreichend Unterlagen vorhanden, welche den Verantwortlichen als Steuerungsunterstützung dienten. Michel wies in diesem Zusammenhang auf den Nationalen Gesundheitsbericht 2020 des Obsan und die Gesundheitspolitische Strategie des Bundesrates 2020–2030 hin, die seit dem Einreichen der Motion erschienen seien. Bundesrat Berset pflichtete bei, es existiere bereits ein Fahrplan im betroffenen Bereich. Man wisse also, was es zu tun gelte und müsse dies lediglich noch umsetzen. Stillschweigend lehnte die kleine Kammer das Geschäft ab.

Nationale Strategie für Kinder und Gesundheit (Mo. 19.4070)

In der Wintersession 2021 pflichtete der Nationalrat seinem Schwesterrat bezüglich des Entwurfs zur Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht in weiten Teilen bei, schuf aber zwei Differenzen. So wollten Bundesrat und Ständerat säumige Prämienzahlende zukünftig zwangsweise Versicherungen und Modellen mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringenden zuweisen können, die SGK-NR lehnte diese Möglichkeit jedoch ab – diesbezüglich seien zu viele Fragen ungeklärt, betonte Therese Schläpfer (svp, ZH). Stillschweigend folgte der Nationalrat diesem Antrag. Die zweite neue Differenz betraf den Vorschlag der Kommissionsmehrheit, im Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs einen Artikel zu ergänzen, wonach Schuldnerinnen und Schuldner ihre Arbeitgebenden anweisen können, einen Teil ihres Einkommens in der Höhe ihrer laufenden Prämien- und Kostenbeteiligungsforderungen der OKP an das zuständige Amt zu überweisen. Damit sollten «neue Schulden aufgrund bestehender Betreibungen» vermieden werden, argumentierte Kommissionssprecher Hess (mitte, BE). Eine Minderheit Nantermod (fdp, VS) sprach sich erfolglos gegen diese Änderung aus, weil man dafür mindestens die für das Betreibungsgesetz zuständigen Behörden anhören müsse – zumal die SGK-NR nicht für diesen Themenbereich zuständig sei und eine solche Regelung deutlich von den bestehenden Regelungen abweichen würde. Zudem solle kein einseitiges Privileg zugunsten der Krankenkassen eingeführt werden, auch andere Gläubigerinnen und Gläubiger verfügten über berechtigte Forderungen an die Schuldnerinnen und Schuldner. Und schliesslich wehrte sich der Minderheitensprecher dagegen, zusätzliche administrative Aufgaben für die Arbeitgebenden zu schaffen. Mit 108 zu 82 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) folgte der Nationalrat gegen den Willen der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion sowie eines Mitglieds der Mitte-Fraktion dem Mehrheitsantrag.
Stillschweigend folgte die grosse Kammer ihrem Schwesterrat hingegen in verschiedenen Punkten: So zeigte sich auch der Nationalrat überzeugt, dass Jugendliche nach ihrem Erreichen der Volljährigkeit nicht für frühere Prämienschulden haftbar gemacht werden dürfen; die Haftbarkeit verbleibt bei ihren Eltern. Zudem dürfen Personen maximal zweimal pro Kalenderjahr betrieben werden, es sei denn, eine Betreibung habe zu einem Verlustschein geführt. Überdies soll der Bundesrat zukünftig die Gebühren auf Mahnungen regeln können.
Diskussionen gab es hingegen bezüglich der Frage, ob die Krankenversicherungen 50 Prozent (Kommissionsmehrheit) oder 75 Prozent (Minderheit Glarner; svp, AG) der Rückerstattungen an die Kantone überweisen sollen. Andreas Glarner kritisierte die vorgeschlagene Lösung, da die Versicherungen damit «bis zu 135 Prozent der Prämien kassieren», während das Debitorenrisiko bei den Gemeinden (oder Kantonen) zu liegen komme. Bundesrat Berset beantragte hingegen, bei der von der Kommission vorgeschlagenen Regelung zu bleiben, zumal diese einen Kompromiss zwischen Versicherungen und Kantonen darstelle. Ansonsten hätten die Krankenversicherungen «plus d'intérêt à poursuivre les assurés». Mit 138 zu 52 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) folgte die grosse Kammer mit Ausnahme der SVP-Fraktion und eines Mitglieds der FDP.Liberalen-Fraktion der Kommissionsmehrheit.
Am umstrittensten war einmal mehr die Frage nach der Abschaffung der Liste der säumigen Prämienzahlenden – wobei sich Christian Lohr (mitte, TG) vehement gegen die Bezeichnung «schwarze Liste» wehrte. Wie der Ständerat beantragte die Kommissionsmehrheit, auf eine Abschaffung der Listen zu verzichten, da man den Entscheid über deren Anwendung den Kantonen überlassen wolle. Der Bundesrat und eine starke Minderheit Weichelt (al, ZG) sprachen sich hingegen für ihre Streichung aus, da sie sich in der Praxis nicht bewährt hätten. Nachdem die Entscheidung in der Kommission mit 13 zu 12 Stimmen diesbezüglich äusserst knapp ausgefallen war, sprach sich der Nationalrat mit 98 zu 92 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) ebenfalls eher knapp für die Beibehaltung der Listen aus; die Stimmen der Mitglieder der SP-, der Grünen- und der GLP-Fraktion sowie der EVP und eine Minderheit der FDP reichten somit für eine Streichung der Listen nicht aus. Nach einigen sprachlichen und formalen Bereinigungen nahm der Nationalrat den Entwurf in der Folge mit 191 zu 0 Stimmen (bei 1 Enthaltung) ohne Gegenstimme an.

Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht der Versicherten (Kt. Iv. 16.312)
Dossier: Schwarze Liste für säumige Prämienzahlende

Mit Verweis auf die seit 2017 vom Bundesrat durchgeführten Tarifprüfungen bei der Analyseliste (AL), die zur Dämpfung des Kostenwachstums vorangetrieben werden müssten, empfahl die SGK-SR die Motion Lohr (mitte, TG) zur Senkung der Preise der Laboranalysen zur Annahme. In der Wintersession 2021 pflichtete auch der Ständerat dieser Ansicht bei und nahm die Motion stillschweigend an.

Laborkosten zulasten der OKP

Stillschweigend verlängerte der Nationalrat die Frist der parlamentarischen Initiative Lohr (mitte, TG) für ein Beschwerderecht der Krankenversicherungen gegen Entscheide des BAG betreffend Spezialitätenliste um zwei Jahre. Zuvor hatte die SGK-NR die Verlängerung ohne Gegenstimme empfohlen, zumal der Bundesrat dabei sei, entsprechende Massnahmen, wie sie auch die Expertengruppe gefordert hatte, für das zweite Massnahmenpaket zu prüfen. Ein ähnliches Anliegen habe der Nationalrat zudem im Rahmen des Massnahmenpakets 1b abgelehnt, nun liege die Entscheidung dazu beim Ständerat. Folglich solle die Frist der parlamentarischen Initiative verlängert und damit die entsprechenden Diskussionen und Entscheidungen abgewartet werden, hatte die Kommission verlangt.

Beschwerderecht der Krankenversicherer gegen Entscheide des BAG betreffend Spezialitätenliste

Ende September 2021 gab das BAG bekannt, dass die mittlere Krankenkassenprämie 2022 erstmals seit 2008 nicht ansteigen, sondern um 0.2 Prozent sinken werde. Seit 2011 war die mittlere Prämie, also die durchschnittlich bezahlte Prämie, jährlich durchschnittlich um 2.4 Prozent angestiegen. Der Bundesrat führte den Rückgang auf seine Änderung der KVAV von April 2021 zurück, gemäss welcher die Versicherungen die Prämie durch Reserveabbau um 1.2 Prozent hätten senken und ihre Prämien allgemein knapper hätten kalkulieren können. Darüber hinaus werden die Versicherungen 2021 CHF 134 Mio. an zu hohen Prämieneinnahmen auf Genehmigung des BAG zurückerstatten. Somit war der Prämienrückgang also nicht durch einen Kostenrückgang begründet, wie etwa die NZZ betonte.
Weiterhin gross waren die regionalen Unterschiede in der Prämienentwicklung: In 14 Kantonen sanken die Prämien, in Basel-Stadt und Genf gar um 2.1 und 1.5 Prozent, hingegen kam es in 12 Kantonen, insbesondere der Ost- und Zentralschweiz, zu einem Prämienanstieg (OW: 1.4%, GL: 1.1%, NW: 0.9%, AI: 0.7%, AR, TG und LU: alle 0.6%, UR: 0.5%, SO: 0.4%, AG: 0.3%, SG und SH: beide 0.2%). Somit erfuhren für einmal diejenigen Kantone mit überdurchschnittlich hohen Prämien eine Entlastung, während die Kantone mit unterdurchschnittlichen Prämien einen Prämienanstieg zu verzeichnen hatten. Kaum Auswirkungen hatte dies jedoch auf die regionalen Unterschiede in der Prämienhöhe: Im Jahr 2022 weisen weiterhin die Kantone Basel-Stadt (CHF 409.80) und Genf (CHF 399.90) die höchsten mittleren Prämien auf, die niedrigsten fallen weiterhin in den Kantonen Appenzell-Innerrhoden (CHF 214.80) und Uri (CHF 243.80) an.
Insbesondere in der Ostschweiz sorgte die Prämienerhöhung für Ärger, wie die regionalen Medien berichteten. Die tiefen Prämien in der Ostschweiz seien durch tiefe Gesundheitskosten begründet, entsprechend sei die aktuelle Prämienerhöhung auf eine Umverteilung der Prämiengelder von der Ost- in die Westschweiz zurückzuführen, wurde vermutet. Dies veranlasste Christian Lohr (mitte, TG; Ip. 21.4263), Jakob Stark (svp, TG; Ip. 21.4328) und Mike Egger (svp, SG; Ip. 21.4228) zu Interpellationen an den Bundesrat. Der Bundesrat erklärte, dass Prämienveränderungen nicht aufgrund der aktuellen Höhe der Kosten, sondern aufgrund der erwarteten Änderungen der Kosten entstünden – in verschiedenen Ost- und Zentralschweizer Kantonen werde mit einem Kostenanstieg, in Basel-Stadt und Genf hingegen mit einer Kostenreduktion gerechnet. Zudem seien die Prämien etwa in den Ostschweizer Kantonen im Jahr 2021 gleich geblieben oder sogar gesenkt worden, weshalb jetzt eine Korrektur nötig sei.

Krankenkassenprämien 2022
Dossier: Prämien- und Kostenentwicklung in der Krankenversicherung (seit 2010)