Debatte über das Miteinander von Wirtschaft und Umwelt nach mehreren Umweltkatastrophen

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Drastischer als alle wissenschaftlichen Analysen und Prognosen führten Katastrophen wie der Reaktorunfall in Tschernobyl (UdSSR), der Chemiebrand bei Basel und das Waldsterben der Öffentlichkeit und den politischen und wirtschaftlichen Führungskräften vor Augen, dass sich auf die Dauer die Fortführung des bisherigen weitgehend quantitativen Wirtschaftswachstums nicht mit dem Ziel der Erhaltung einer einigermassen intakten Umwelt vereinbaren lässt. Die Diskussionen um das als optimal erachtete Wirtschaftssystem entfernten siçh vom traditionellen Gegensatz zwischen freier Marktwirtschaft und staatlicher Lenkung. Insbesondere bei der politischen Linken und den Gewerkschaften, aber – zumindest ansatzweise – auch bei den Unternehmern und den bürgerlichen Parteien setzte sich vermehrt die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer ökologisch orientierten Wirtschaft durch. Auf bürgerlicher Seite war insbesondere nach der Chemiekatastrophe bei Basel eine Zunahme der Einsicht in die Notwendigkeit staatlicher Regelungs- und Überwachungsfunktionen spürbar (vgl. dazu die Voten von Nationalrat Feigenwinter (cvp, BL) und Nationalrat Bremi (fdp, ZH) anlässlich der Parlamentsdebatte. Ob dieses Ziel mit marktwirtschaftlichen Steuerungsmitteln, wie beispielsweise der Internalisierung externer Kosten (Verursacherprinzip), oder mit staatlichen Verboten erreicht werden kann, wird zunehmend von einer Prinzipien- zu einer blossen Zweckmässigkeitsfrage.

Wie die neue Wirtschaftsweise und der Weg zu ihr aussehen könnte, legte eine vom Bundesrat eingesetzte Expertenkommission dar. Das zu erreichende Ziel einer primär auf qualitatives Wachstum ausgerichteten Wirtschaft definierte die Gruppe als Zunahme der individuellen und der gesellschaftlichen Lebensqualität, die mit geringerem oder zumindest nicht ansteigendem Einsatz von nicht vermehrbaren oder regenerierbaren Ressourcen und mit reduzierter oder zumindest nicht zunehmender Umweltbelastung erzielt wird. Der Bericht der Expertenkommission geht davon aus, dass der Entwicklung und Anwendung neuer Technologien bei der Durchsetzung dieser Leitidee eine grosse Bedeutung zukommt. Nur ein rohstoffschonender Wertschöpfungsprozess unter Verwendung der neuesten informations-, gen- und biotechnologischen Erkenntnisse erlaube es der Wirtschaft, sich im internationalen Konkurrenzkampf zu behaupten und zugleich den Anliegen des Umweltschutzes zu genügen. Diese Umstellung stellt für Individuen und Unternehmen erhöhte Ansprüche namentlich in bezug auf Kreativität und Qualifikation. Für das Wirtschaftssystem verlangen die Experten einen Abbau von Wettbewerbsbehinderungen und von strukturbewahrenden Massnahmen. Im Bereich der Umweltschutzpolitik soll der Staat dem Verursacherprinzip mit der Inrechnungstellung externer Kosten und mit finanziellen Anreizen vermehrt Nachachtung verschaffen. Weitere Analysen der Studie beziehen sich auf einzelne Politikbereiche und auf die Funktionsweise des politischen Systems.

In ersten Reaktionen wurde das Bestreben anerkannt, eine umfassende Gesamtschau vorzunehmen und zum Teil neue, zum Teil bekannte, jedoch heftig umstrittene Massnahmen vorzuschlagen. Kritisiert wurde hingegen, insbesondere von Unternehmerseite, dass das Bemühen der pluralistisch zusammengesetzten Expertengruppe um Einstimmigkeit sich in einer Vielzahl von widersprüchlichen Postulaten niederschlage. So etwa, wenn einerseits die Erweiterung des persönlichen Handlungsspielraums gefordert und andererseits staatliche Lenkungsmassnahmen zugunsten des Umweltschutzes befürwortet werden. Der Bundesrat nahm vom Bericht Kenntnis und bezeichnete ihn als wichtige Anregung für seine zukünftige Politik. Er setzte im weitern eine interdepartementale Arbeitsgruppe ein, die überprüfen soll, welche konkreten Massnahmen sich als Konsequenz aus den Ergebnissen der Studie für den Bund aufdrängen. Mit der Überweisung eines Postulats Longet (sp, GE) forderte der Nationalrat die Regierung zu einer ausführlichen Stellungnahme und zur Vorlage eines Zeitplans für die zu ergreifenden Massnahmen auf. Der Nationalrat regte mit einem Postulat (Po. 85.230) die vermehrte Anwendung marktwirtschaftlicher Instrumente (namentlich Lenkungsabgaben) in der Umweltschutzpolitik an