Revision des Arbeitsgesetzes

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Der Nationalrat gab gegen den Widerstand der Linken einer parlamentarischen Initiative Hegetschweiler (fdp, ZH) Folge, welche eine Liberalisierung der Sortimentsbeschränkungen und Ladenöffnungszeiten in den Bahnhof- und Flughafenarealen fordert. Gemäss einem Bundesgerichtsurteil vom Vorjahr dürfen diese Geschäfte an Sonntagen gemäss den arbeitsrechtlichen Bundesvorschriften auch dann einzig bestimmte Produkte (so genannter Reisebedarf) verkaufen, wenn die kantonalen Gesetze die Offenhaltung von Geschäften erlauben.

Die WAK des Nationalrats legte ihren Bericht zur Umsetzung der im Vorjahr angenommenen parlamentarischen Initiative Hegetschweiler (fdp, ZH) für eine Liberalisierung der Sortimentsbeschränkungen und der Ladenöffnungszeiten in den Bahnhof- und Flughafenarealen vor. Die Initiative war eine Reaktion auf ein Urteil des Bundesgerichts aus dem Jahre 1997 gewesen, welches festgehalten hatte, dass die, gemessen an den Vorschriften in den Standortkantonen, liberalen Ladenöffnungszeiten in Bahnhöfen nur für Geschäfte gelten würden, deren Angebot in sehr engem Zusammenhang mit dem Bedarf von Reisenden steht (z.B. Bücher, Blumen, Getränke). Nachdem das Parlament 1998 die Bestimmungen, was zum Bedarf von Bahn- und Flughafenkunden gehört, erweitert hatte (z.B. auch Unterhaltungselektronik, Kleider und Schuhe), blieb das Bundesgericht bei seiner restriktiven Haltung. Es anerkannte, dass damit für diese Läden zwar liberalere Öffnungszeiten gelten, urteilte aber, dass die Beschäftigung von Verkaufspersonal am Sonntag gemäss Arbeitsgesetz verboten resp. bewilligungspflichtig ist. Die Kommission schlug nun vor, dass für die Sonderregelung des Abend- und Sonntagsverkaufs in Bahnhöfen und Flughäfen nicht mehr das Warensortiment sondern die Grösse und Bedeutung dieser Zentren des öffentlichen Verkehrs entscheidend sein soll. Mit einer Teilrevision des Arbeitsgesetzes soll in bedeutenden Verkehrszentren die Arbeit in diesen Geschäften bis 23h00 und am Sonntag bewilligungsfrei werden, wobei für die Sonntagsarbeit Vorschriften über Kompensationen und minimale Anzahl von arbeitsfreien Tagen erlassen werden. Die Kommissionsmitglieder der SP und der GP beantragten, darauf entweder gar nicht einzutreten oder dann wenigstens die Bestimmung aufzunehmen, dass die Sonntagsarbeit nur bei Vorliegen eines Gesamtarbeitsvertrags zugelassen werde.

Der Nichteintretensantrag der Kommissionsminderheit sowie auch ein Rückweisungsantrag Daguet (sp, BE) wurden im Nationalrat deutlich abgelehnt. Er fand nur bei der SP (mit vier Abweichlern), der Fraktion EVP/EDU, einer knappen Mehrheit der Grünen sowie einzelnen Vertretern der CVP Unterstützung. In der Detailberatung unterlag auch der Antrag, die bewilligungsfreie Sonntagsarbeit lediglich für Geschäfte mit einem Gesamtarbeitsvertrag einzuführen. Im Ständerat war die Sache vorerst nicht so klar. Auch bürgerliche Abgeordnete fanden, dass die Kommission des Nationalrats ein Vernehmlassungsverfahren zumindest bei den Kantonen hätte durchführen müssen, und dass zudem die Definition, was als bedeutendes Verkehrszentrum zu gelten habe, näher bestimmt werden müsste. Auf Antrag Gentil (sp, JU) beschloss die kleine Kammer zwar Eintreten, aber Rückweisung an ihre eigene Kommission, um das Versäumte nachzuholen. Nach diesen Abklärungen stimmte auch der Ständerat zu und das Geschäft wurde in der Herbstsession verabschiedet. Nachdem im Nationalrat der Gewerkschaftsbundspräsident Rechsteiner (sp, SG) vor der Schlussabstimmung mit dem Referendum gedroht und die Delegiertenversammlung des SGB dieses bereits vor der Behandlung im Ständerat grundsätzlich beschlossen hatte, lancierte dieser die Unterschriftensammlung für eine Volksabstimmung. Das Referendum wurde anfangs 2005 mit gut 80'000 Unterschriften eingereicht. Nicht nur in Bahnhöfen und Flughäfen gibt es Sonntagsarbeit in Detailhandels- und Dienstleistungsbetrieben, sondern auch in bestimmten Geschäften (z.B. Bäckereien) und generell in Tourismusorten. Die Bestimmungen sind infolge der kantonal geregelten Öffnungszeiten uneinheitlich. Der Ständerat überwies eine Motion seiner WAK, welche eine zusammenfassende Darstellung dieser Verhältnisse und der geltenden Schutzbestimmungen für die Beschäftigten verlangt.

Nachdem die beiden Gewerkschaftsdachverbände SGB und Travail.Suisse zu Jahresbeginn das Referendum gegen eine Revision des Arbeitsgesetzes im Zusammenhang mit der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten in den Bahnhof- und Flughafenarealen eingereicht hatten, stimmte das Volk im Herbst darüber ab. Inhaltlich ging es darum, in grossen Zentren des öffentlichen Verkehrs (d.h. in etwa 25 Bahnhöfen und den Flughäfen) die Beschäftigung von Verkaufspersonal an Sonntagen und am Abend ohne Sonderbewilligung und ohne Limitierung des Warenangebots auf Reisebedarf zu erlauben. Die Gegner der Vorlage, neben den Gewerkschaften die SP, die GP, die EVP, die PdA und die EDU sowie die Organisationen der protestantischen und der katholischen Kirchen, sahen in dieser Liberalisierung nur einen ersten Schritt zu einer generellen Aufhebung des Sonntagsarbeitsverbots. Sie massen deshalb der Gesetzesrevision, von der direkt lediglich rund 2500 Beschäftigte in den grossen Bahnhöfen und Flughäfen betroffen waren, einen grossen symbolischen Wert zu. Opposition meldete auch der Schweizer Detaillistenverband, in welchem die kleinen Verkaufsgeschäfte zusammengeschlossen sind, an. Er befürchtete Konkurrenznachteile, weil sich seine Mitglieder in der Regel die teuren Mieten in den Bahnhöfen nicht leisten und deshalb von den liberaleren Öffnungszeiten nicht profitieren können.

Für die Arbeitsgesetzrevision traten die SVP, die FDP, die CVP und die Liberalen sowie Economiesuisse und der Gewerbeverband ein. Am meisten erstaunte die sehr deutlich (mit 122:9 Stimmen) beschlossene Ja-Parole der traditionell der katholischen Kirche nahe stehenden CVP; lediglich fünf ihrer Kantonalparteien entschieden sich für ein Nein (LU, OW, SZ, TI, VS) und eine gab die Stimme frei (BL). Dass sich die Leitung der SBB ebenfalls für die Gesetzesrevision einsetzte, da sie mit der Vermietung dieser Läden beträchtliche Einnahmen erzielt, verärgerte die Gewerkschaften. Die Befürworter argumentierten, die dank einer bis zur Volksabstimmung geltenden Sonderbewilligung des Bundesrats zugelassenen liberalisierten Öffnungszeiten entsprächen offensichtlich einem Bedürfnis der Konsumenten. Zudem wiesen sie darauf hin, dass die Ablehnung der Vorlage nicht etwa, wie von den Gegnern behauptet, die Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes, sondern eine Rückkehr zu den früheren restriktiven Verhältnissen bedeuten würde. Dies hätte die Schliessung von Läden resp. eine massive Reduktion ihres Sortiments und ihrer Verkaufsfläche und damit auch die Entlassung von Personal zur Folge.

Das Volk stimmte am 27. November der Arbeitsgesetzrevision und damit der generellen Öffnung der Läden in grossen Bahnhöfen und Flughäfen an Sonntagen und am Abend mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,6% zu. Am deutlichsten war die Zustimmung in den städtischen Zentren der Deutschschweiz, die ländlichen Regionen der französischsprachigen Schweiz wiesen die höchsten Nein-Anteile auf. Angenommen wurde die Vorlage allerdings nur in sieben, stark urbanisierten Kantonen (ZH, GE, BS, BL, BE, AG und ZG). Am meisten Ja-Stimmen gab es im Kanton Zürich (62%), am wenigsten im Jura mit 21%.


Abstimmung vom 27. November 2005

Beteiligung: 42,3%
Ja: 1 026 833 (50,6%)
Nein: 1 003 900 (49,4%)

Parolen:
– Ja: SVP (1*), FDP, CVP (6*), LP, Lega; Economiesuisse, SGV, SBV, Arbeitgeberverband.
– Nein: SP, GP, EVP, SD, EDU; SGB, Travail.Suisse, ev. und kath. Landeskirchen.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen


Obwohl das Referendum gegen die Arbeitsgesetzrevision von den Gewerkschaften eingereicht und von allen Linksparteien unterstützt worden war, zeigte die Vox-Analyse, dass beim Entscheid über die Ladenöffnungszeiten am Sonntag nicht der Links-Rechts-Konflikt dominierte. Im Vordergrund standen vielmehr Werthaltungen wie die Religiosität, die Einstellung zum Wirtschaftssystem und in geringerem Masse auch zur Modernisierung der Schweiz. Am grössten war der Verhaltensgegensatz zwischen intensiv praktizierenden Christen und Personen, die nur selten oder gar nicht an Gottesdiensten teilnehmen. Da stark religiös geprägte Menschen und auch die Wahrer von Traditionen sich politisch eher rechts einordnen, spielte die politische Grundhaltung eine weniger grosse Rolle, als angesichts der Haltung der politischen Parteien hätte erwartet werden können. Die Parolen der Bundesratsparteien wurden entsprechend unterschiedlich befolgt. Am treuesten waren die Sympathisanten der FDP, welche zu 78% ein Ja in die Urne legten. Bei der SP und der SVP war die Anhängerschaft hälftig gespalten und bei der CVP stimmten zwei von drei Sympathisanten gegen die Parteiparole.