umfassende Aufklärung der Rolle des schweizerischen Finanzplatzes

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Mit der Schaffung von rechtlichen Grundlagen für die Tätigkeit dieser Historikerkommission und ihrem Auftrag befasste sich die Kommission für Rechtsfragen (RK-NR) des Nationalrats. Sie übernahm im Mai eine im März 1995 eingereichte parlamentarische Initiative Grendelmeier (ldu, ZH) und legte Ende August eine eigene parlamentarische Initiative für einen Bundesbeschluss vor. Dieser umreisst den Umfang der Untersuchung (Rolle des Finanzplatzes Schweiz während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg) und räumt rechtliche Hindernisse für die Arbeit der vom Bundesrat eingesetzten Experten aus dem Wege. Die Kommission beantragte darin einen grundsätzlichen Vorrang der Aufklärungsarbeiten vor Geheimhaltungspflichten von staatlichen Behörden, Banken, Versicherungen, Anwälten, Treuhändern und anderen juristischen und natürlichen Personen. Diese sollen zudem verpflichtet werden, den Experten Akteneinsicht zu gewähren und Vermögenswerte von Opfern des Nationalsozialismus zu deklarieren. Die Vernichtung oder das Verstecken von für die Untersuchung dienlichen Akten ist ihnen untersagt. Der Beschluss regelt aber auch die Geheimhaltungspflichten der Experten. Sie unterstehen – insbesondere was die durch Aufhebung des Bankgeheimnisses erhaltenen Informationen betrifft – dem Amtsgeheimnis, über die Publikation von Untersuchungsmaterialien verfügt allein der Bundesrat. Dieser wiederum ist verpflichtet, den vollständigen Untersuchungsbericht der Historikerkommission zu veröffentlichen. Der Bundesrat, dessen im Mai eingesetzte interdepartementale Arbeitsgruppe mit der Nationalratskommission eng zusammengearbeitet hatte, erklärte sich mit diesen Vorschlägen einverstanden.

Der Bundesrat erklärte sich am 29. Mai im Einklang mit der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats (RK-NR) bereit, rasche Massnahmen für eine umfassende Aufklärung der Rolle des schweizerischen Finanzplatzes vor, während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg einzuleiten. Er kündigte an, mit dieser Aufgabe eine internationale Historikerkommission zu beauftragen. Ein im Sommer durchgeführtes Vernehmlassungsverfahren ergab ausnahmslos Zustimmung zu diesen Plänen. Im September sprach der Bundesrat einen Kredit von CHF fünf Mio. zur Finanzierung dieser historischen Forschung. Die Bankiervereinigung (SBVg) hatte sich bereits vorher mit der Aufhebung des Bankgeheimnisses im Rahmen dieser historischen Abklärung einverstanden erklärt.

Im Anschluss an ein Hearing zu dieser Frage vor dem von Alfonse D'Amato präsidierten Bankenausschuss des amerikanischen Senats einigten sich die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg), die World Jewish Restitution Organization (WJRO) und der World Jewish Congress (WJC) – letzterer hatte die Banken zuvor wegen ihres «einseitigen» Vorprellens bei der Suche nach nachrichtenlosen Konten heftig kritisiert –, auf ein gemeinsames Vorgehen. In einem am 2. Mai unterzeichneten «Memorandum of Understanding» beschlossen sie die Einsetzung eines paritätisch zusammengesetzten unabhängigen Komitees zur Abklärung von nachrichtenlosen Vermögenswerten bei Schweizer Banken. Zum Vorsitzenden wurde Paul A. Volcker, ehemaliger Präsident des US-Federal-Reserve-Board (FED), gewählt. Dabei wurde auch ausgemacht, dass dieses Komitee internationale Revisionsfirmen beauftragen wird, das von der Bankiervereinigung auf den 1. Januar eingeführte neue System zur Suche nach nachrichtenlosen Konten zu kontrollieren. Diese Revisionsfirmen wurden im November bestimmt. Die Eidg. Bankenkommission (EBK) gab ihrerseits die Anweisung, dass die bankengesetzlich (BankG) vorgeschriebenen Revisionsstellen überprüfen müssen, ob die Banken das neue Suchsystem korrekt anwenden. Der Nationalrat beauftragte den Bundesrat, ihm jährlich über den Stand dieser Ermittlungen Bericht zu erstatten (Postulat RK-NR, Minderheit Grendelmeier, ldu/ZH; Po. 96.3376). Im erwähnten «Memorandum of Understanding» ersuchten die beteiligten Parteien zudem den Bundesrat, abzuklären, ob Vermögenswerte, welche Holocaust-Opfern geraubt wurden, den Weg in die Schweiz gefunden haben. Der Bundesrat sicherte seine Mithilfe bei der Abklärung dieser Frage zu.

Im Ständerat war Eintreten ebenfalls unbestritten. Sämtliche Redner betonten die innen– und aussenpolitische Notwendigkeit einer gründlichen Aufklärung auch der negativen Aspekte der schweizerischen Politik im Zweiten Weltkrieg. Einige Sprecher nutzten die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass die oft diffamierenden Attacken gegen die Schweiz wohl weniger massiv ausgefallen wären, wenn diese besser in internationale Organisationen (namentlich UNO und EU) integriert wäre (so etwa die CVP-Vertreter Cottier (FR) und Gemperli (SG)). Der Rat stimmte dem Beschluss ebenfalls einstimmig zu, nahm in der Detailberatung aber einige Änderungen vor. Die wichtigste betraf die Anonymisierung von Personendaten im Bericht, wenn überwiegende Interessen lebender Personen betroffen sind. Auf Antrag der Kommissionsmehrheit beschloss der Rat, dass der Entscheid des Bundesrates über die Anonymisierung vor einem Richter einklagbar sein müsse, wie es Art. 6 der Menschenrechtskonvention verlangt. Für den Nationalrat war diese Argumentation jedoch nicht überzeugend, da es ja nicht um eine rechtliche Untersuchung gehe, sondern um einen historischen Bericht. Er befürchtete insbesondere, dass mit diesem ausgebauten Persönlichkeitsschutz versucht werden könnte, die Veröffentlichung des Berichtes mit Gerichtsverfahren ungebührlich in die Länge zu ziehen. Aus dem gleichen Grund fügte er auch noch die explizite Bestimmung ein, dass das Bundesgesetz über den Datenschutz – welches Betroffenen unter Umständen ein Einsichtsrecht vor der Publikation hätte einräumen können – nicht anwendbar ist. Diese Entscheide wurden schliesslich auch von der kleinen Kammer übernommen. Der Beschluss wurde für dringlich erklärt und am 13. Dezember von beiden Räten einstimmig verabschiedet. Am 19. Dezember ernannte der Bundesrat die von Jean-François Bergier geleitete neunköpfige internationale Expertenkommission (fünf Schweizer, vier Ausländer), welche acht Historiker und einen Juristen umfasst.

Der Nationalrat verabschiedete den Bundesbeschluss in der Herbstsession ohne Gegenstimme. Von allen Fraktionen wurde die Notwendigkeit einer lückenlosen Aufklärung der Vergangenheit betont. Eine solche liege – namentlich nach den zum Teil sehr undifferenzierten Anschuldigungen aus den USA und Grossbritannien – sowohl im Interesse des Landes als auch der Banken und der übrigen Wirtschaft. Während Rechsteiner (SG) als Sprecher der SP-Fraktion den Druck aus dem Ausland vorbehaltlos begrüsste, machte der Sprecher der FDP (Suter, BE), darauf aufmerksam, dass dahinter auch ganz konkrete Wirtschaftsinteressen des New Yorker bzw. Londoner Finanzplatzes gegen die im Rahmen der Globalisierung verstärkte Konkurrenz aus der Schweiz stecken dürften. Diese Kontroverse tauchte auch in den Fraktionserklärungen vor der Schlussabstimmung noch einmal auf, als Rechsteiner diesen Beschluss als Startpunkt für eine Debatte über den aktuellen Finanzplatz Schweiz bezeichnete. Dieser Verweis der SP auf Gegenwartsprobleme wurde – mit Hinweis auf den Streit um die Vermögen des philippinischen Ex-Staatschefs Marcos und des zairischen Präsidenten Mobutu  – übrigens auch in der Eintretensdebatte im Ständerat von Plattner (sp, BS) und den CVP-Vertretern Schmid (AI) und Frick (SZ) gemacht. Nationalrat Ziegler (sp, GE) reichte unmittelbar nach der Debatte eine Motion (Mo. 96.3452) für die Aufhebung der staatlich sanktionierten Verschwiegenheitspflicht der Bankangestellten (sogenanntes Bankgeheimnis) ein.